Mit unseren Kindern um die Welt
Russland: Transsibirische Eisenbahn
Mit der Transsibirischen Eisenbahn zum Baikalsee
Lärmende Spielsachen und Quietsch-Bälle sind hier nicht erlaubt! Mit strafendem Blick und erhobenen Zeigefinger steht sie mittendrin in der Rasselbande. Die russische Schaffnerin, unsere Waggon-Chefin. Zirka 10 Kinder und ihre Familien teilen sich einen Waggon mit 8 Abteilen.
Schon die Ankunft am Moskauer Bahnhof überwältigte uns. Beeindruckende riesige Gebäude, wobei mindestens vier verschiedene historische Bahnhöfe nebeneinander lagen - einen für jede Himmelsrichtung. Geschäftiges Treiben um die Mittagszeit, sowie ein- und ausfahrende ellenlange Züge lassen und staunen. Umgeben von Dampf, hunderten Menschen, undefinierbaren Gerüchen und Lärm schieben wir uns langsam vorwärts. Dann stehen wir vor der Lok unseres Zuges. Der Transsibirischen Eisenbahn Nr. 070. Kein neues, eher eines der älteren Modelle. Waggon 11 sollte unser neues Zuhause für 4 Nächte sein, das uns 5.191 km durch die sibirische Landschaft bis an den Baikalsee fährt. Vor jedem Waggon stand eine eigene Schaffnerin. Sie war die Herrin des Waggons. Immer mal wieder ein kleines Trinkgeld und ein nettes Lächeln - hatten wir gelesen - sorgt für ein entspanntes Verhältnis zur russischen Schaffnerin, die ein strenges und hartes Regime im Zug führt.
Wir liefen also vorbei an Waggon 1-10 und waren begeistert. Freundliche, junge und hübsche Frauen in gut aussehender Schaffneruniform begrüßten die Reisenden und heißen sie Willkommen. Unsere Vorfreude stieg. Das wird eine tolle Zeit. Und dann noch mit zwei süßen kleinen Kindern, die jedem ein Lächeln ins Gesicht zaubern - dachten wir... bis wir unsere Waggon-Herrin sahen. Und "Herrin" trifft es auf den Punkt. Weder freundlich, noch adrett. Mit kurzen blondierten Haaren, etwas über das mittlere Alter hinaus, stand sie eisern dort, mit beiden Beinen sehr fest auf dem Boden und blaffte uns auf russisch an: "Dokumenti!" Das wars. Wir zeigten brav alles vor und stiegen ein.
Zugegeben, wir machten uns vorher viele Gedanken. Mit zwei kleinen Kindern, 5 Tage und 4 Nächte in einem Zug quer durch Sibirien. Das muss doch die Hölle sein. Die Kinder langweilen sich, zanken sich, können nicht toben. Wir ließen es drauf ankommen. Erstaunlicherweise waren unsere Sorgen diesbezüglich unbegründet.. Fine und Willi spielten herrlich zusammen, fanden schnell Anschluss bei den russischen Kindern, tauschten Spielzeug, tobten auf dem langen Gang, beschäftigten sich mal bei uns im Abteil, mal bei anderen Familien, bekamen Besuch von anderen Kindern, tanzten zu russischen, englischen und deutschen Kinderliedern oder sahen gemeinsam auf Laptops russische oder deutsche Kinderfilme. Mittags schliefen sie lange im schaukelnden Zug und wir Erwachsenen hatten Zeit, die fantastische Landschaft zu genießen, zu lesen oder uns mit Mitreisenden auszutauschen.
Bei jedem längeren Stopp kauften wir auf den Bahnsteigen von fliegenden Händlern frische Lebensmittel. Obst, Gemüse, verschiedenste Teigtaschen, gekochte Dill-Kartoffeln oder geräucherter Fisch standen auf unserem Speiseplan.
Die hygienischen Bedingungen waren nicht ganz so nach unserem Geschmack - wie erwartet. Die zwei Toiletten, jeweils am Waggonende, waren sehr rustikal. Der Geruch haftete noch eine Weile nach dem Toilettenbesuch an einem. Überhaupt roch es immer mal wieder anders in der Eisenbahn. Ein Hauch von verbrannten Gummi (woher auch immer) und Rauch jeglicher Art schwebte durch die Abteile. Gingen wir am Abteil der russischen Jugendlichen vorbei, befanden wir uns zu jeder Tageszeit in einer leichten Bierfahne. Im Abteil neben uns wechselte der Duft zwischen Zigarettenqualm, Glutamat (von den Instant-Nudeln) und Schweiß. Den metallischen Geschmack vom heißem Samowar-Wasser und den ständigen Räucherfischgeruch konnten auch drei Löffel Instant-Kaffee nicht überdecken. Ach ja, andere Mitreisende würden wohl die ganz besondere Duftmarke von Willi erwähnen die (vor, während und nach dem Wickeln) aus unserem Abteil strömte
Unsere Schaffnerin musterte uns ständig von oben bis unten ohne auch nur unser morgendliches "dobrui utro" zu erwidern. Sie hatte aber auch eine Menge zu tun. Sie empfing nicht nur stolz in ihrer Uniform die Reisenden und wies die Betten zu, sondern begab sich direkt, nachdem der Zug Fahrt aufnahm, in ihre Arbeitskleidung: eine alte Kittelschürze und Schlappen. Nun begann sie, den Samowar zu heizen, Bettzeug und Handtücher zu verteilen, Abteile und den Gang zu wischen, das Klo zu putzen, sorgte für Ordnung, weckte zu jeder Tages- und Nachtzeit die Mitreisenden, sodass niemand seinen Zielbahnhof verpasste. Sie verkaufte Süßigkeiten und Souvenirs, schaltete Lampen und Steckdosen zentral an und aus und wechselte sich mit einer zweiten Schaffnerin (die ihr wie aus dem Gesicht geschnitten glich) im Schichtdienst ab.
Ach ja, zur Abteil-Ausstattung in der Transsibirischen Eisenbahn: Wir nutzen absichtlich nicht die Luxusvariante, die gern in Reisedokumentationen zu sehen ist, sondern die ganz normale Variante des reisenden Russen, der seine Verwandten besucht (4000 km weit weg). Nachdem wir mit unseren Rucksäcken gerade so durch die engen Gänge passten und unser Abteil Nr. 5 beziehen wollten, passten wir gar nicht alle rein. Also, Rucksäcke und Taschen ablegen und erstmal umschauen. Zwei schmale Doppelstockbetten getrennt durch einen schmalen Gang mit einem kleinen Klapptisch. Man kann sich auch die ehemalige Reichsbahn aus DDR-Zeiten vorstellen. Es waren 4 Rollmatten vorhanden (max. 10 cm dick), huckelig und sie fühlten sich an, wie mit Heu gefüllt. Dazu gab es Decken und Kissen. Wir hatten die neue Situation noch gar nicht richtig wahrgenommen, da stand Waggonherrin Nr. 2 vor uns. Sie war noch einen Zacken härter als ihre Kollegin. Nachdem sie einen riesigen Schwall russische Worte auf uns nieder warf, klatsche sie uns verschiedene Beutel mit Bettzeug und Handtücher kopfschüttelnd ins Abteil. So schnell wie sie plötzlich da war, war sie auch wieder weg. Erst am 3. Tag und nach 2 Einkäufen bei ihr mit Trinkgeld schaffte es Willi endlich, ihr Herz zu erweichen. Wir bekamen nun immer ein nettes Lächeln und Antworten auf all unsere Fragen.
Eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn mit Kindern ist auf jeden Fall empfehlenswert. Der Kontakt zu den Mitreisenden ist sehr spannend für Eltern und Kinder. Einige Russischkenntnisse sind definitiv sehr hilfreich. Die Landschaft ist atemberaubend schön, sie ändert sich teilweise erst nach 2 Tagen wieder. Ein Erlebnis waren für uns auch die draußen vorbeirauschenden sibirischen Dörfer mit den märchenhaft verzierten und bemalten Holzhütten mit eigenem Gemüsegarten. Und im Kontrast dazu die kolossalen, teilweise verfallenen Industrieanlagen aus der Sowjetzeit. Auch Fine und Willi schauten immer wieder gern aus dem Fenster und träumten vor sich hin. Sie waren immer gut gelaunt und wären sogar gern noch weiter gefahren.
Lässt man sich auf die russische Mentalität ein (Lächeln ist eher selten, Antworten sind oft barsch und direkt, Musik läuft gern laut) und sieht über die ein oder anderen Unannehmlichkeiten hinweg, kann man eine wunderschöne und aufregende Zeit in der Eisenbahn genießen.
Aufbruch: | 29.06.2015 |
Dauer: | 12 Monate |
Heimkehr: | Juni 2016 |
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