USA, Südstaaten
Ein Mann, schwarz, mit langem Bart
Ein Mann, schwarz, mit langem Bart
Wir sind am Morgen schon im Aufbruch begriffen, als unsere Campsitenachbarin Sinhead uns in eine kleine Unterhaltung zieht. Sie ist, an ihrem Namen kenntlich, Irin, ist Wirtschaftswissenschaftlerin, und referiert an der Hochschule, wo sie lehrt, unter anderem darüber, dass der Kapitalismus aus diesen und jenen Gründen (und jetzt, sagt sie, werden die Studenten hellhörig und staunen) keine natürliche Lebensform ist. Überdies versteht sie unsere kleinen Verwunderungen über dieses Wunderland USA. Das heutige Ziel ist die Stadt Athenes. Fast hätten wir das falsche angesteuert, denn es gibt in der weiteren Gegend zwei. Athens also im Nachbarstaat Georgia und noch immer unweit von Atlanta. Die Erwartung eine Südstaatenstadt alter Prägung zu erleben, wird milde enttäuscht. Athenes ist eine Universitätsstadt und bezieht daraus ihre in unserem Reiseführer gepriesene Lebendigkeit. An diesem Sonntag kurz vor Ende der Ferien hält die selbige sich merklich in Grenzen. Zum ersten Mal erleben wir freilich eine downtown mit einer Hauptstraße, auf der Leute flanieren. Wir sitzen bei einem Bier draußen am Gehsteig. Ein Mann, schwarz, mit langem Bart, will uns porträtieren, ein Künstler. Er zeigt uns ein paar Zeichnungen, die nicht viel versprechen, gibt uns jedoch für alle Fälle seinen Namen, der uns dann eines Tages süß oder bitter aufstoßen soll, wenn er erst mal berühmt geworden ist. Ich schenke ihm eine Euromünze, für die er sich überschwänglich bedankt, er wird sie einrahmen, verspricht er. Der Bedienung fehlen ein paar Zähne, kein Wunder, könnte man unken, weil die Menschen sich hier vielfach nur von Fertiggerichten mit ungebremsten Zuckeranteilen ernähren. (In den Hotelzimmern steht neben einem Kühlschrank gewöhnlich auch eine Mikrowelle.) Nächstes Beispiel ein Café, in dem sich Karin ein Stück Torte für 8$50 bestellt. Offenbar backen sie die stückweise und am Ende macht die Unterhaltung mit der studentischen Bedienung (morgen ist sie wieder an der Uni) mehr Spaß als diese mit Keksen und Sahne überladene Torte. Später auf der Galerie unseres Hotels die zuletzt vermisste Flasche Wein. Ein Fußgänger grüßt vom Bürgersteig zu uns herauf, als sei das selbstverständlich. Irgendwie sind wir doch alle eine Familie. Die andere Seite ist: Es gibt kaum Fußgänger. Sobald man das bisschen Innenstadt verlassen hat, zählt offenbar nur noch das Auto. Vor dem Schlafengehen vergessen wir die herausgenommenen Stühle und den Tisch wieder ins Zimmer zurückzustellen. Am Morgen fehlen die Stühle. Diebe? Nein, die Hotelverwaltung hat sie nur zur Sicherheit eine Ecke weiter gestellt. Das Frühstück ist ein neuer Tiefpunkt. Bis auf den Kaffee ist alles in Plastik verschweißt. Mir kommt auf einmal eine französische Boulangerie in den Sinn. Eine von Masochismus geprägte Idee? Eine stille Sehnsucht?
Aufbruch: | 10.08.2017 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 01.09.2017 |