Hawai'i und Moloka'i
Moloka'i: Kalaupapa
Kalaupapa steht für einen unvorstellbaren Akt in der langen, unheilvollen Geschichte menschlicher Grausamkeiten. Kalaupapa war im 19. und 20. Jahrhundert eine Leprakolonie. Aber zunächst zur Lage und Vorgeschichte des Ortes.
Kalaupapa ist eine kleine Halbinsel im Norden von Molokai. Man muss sich Molokai wie einen im Meer schwimmenden Fausthandschuh vorstellen. Der nach Norden zeigende Daumen symbolisiert die Halbinsel Kalaupapa. Es ist aber nicht irgendeine Halbinsel, sondern eine, die in besonderer Weise vom Rest der Insel getrennt ist. Molokai steigt von Süd nach Nord ständig an. Die höchsten Berge der Inseln liegen unmittelbar am Nordufer und fallen bis zu 1000 Meter fast senkrecht ab ins Meer – mit Ausnahme der Stelle, wo Kalaupapa liegt. Daher war die Halbinsel in der Vergangenheit praktisch vom Rest der Insel getrennt.
Archäologen haben eine Besiedlung der Insel etwa ab dem Jahr 800 nachgewiesen. Man fand Häuser, Taro-Felder und Bewässerungssysteme, steinerne Wände und Tempel. Mitte des 18. Jahrhunderts lebten noch geschätzte 1000 bis 2700 Hawaiianer hier, aber nach grossen Epidemien durch Krankheiten, die von Europäern eingeschleppt worden waren, blieben im Jahr 1853 gerade mal 140 Personen übrig.
Im Jahr 1865 beschloss das Königreich Hawai‘i ein Gesetz zur Bekämpfung der in den 1830er Jahren von Fremdarbeitern eingeschleppten, damals unheilbaren Lepra. Das Gesetz sah vor, infizierte und kranke Personen vom Rest der Bevölkerung zu trennen, um die weitere Ausbreitung der Erkrankung zu verhindern. Kalaupapa schien der perfekte Ort dafür zu sein. Die wenigen verbliebenen Einwohner der Halbinsel wurden evakuiert bzw. deportiert und dadurch entwurzelt, denn Hawaiianer lebten immer in einer besonderen Beziehung zu ihrem Land. Dies sollte sich jedoch als das bei weitem kleinere Unheil erweisen.
Mit einem alten Schulbus wurde unsere Gruppe durch die Siedlungen Kalaupapa und Kalawao geführt. Besucher der Leprasiedlung dürfen sich nicht alleine auf der Halbinsel bewegen, nur geführte Touren sind zulässig.
Zunächst wurde die feuchtere, östliche Seite der Halbinsel als Zufluchtsort für Leprakranke auserkoren. Diese erste Siedlung hiess Kalawao, während erst einige Jahre später die Siedlung Kalaupapa auf der freundlicheren Seite der Insel gegründet wurde. In den ersten Jahren gab es für die Leprakranken nichts. Nichts bedeutet hier: kein Essen, keine Unterkunft, keine Kleidung. Infizierte Personen wurden von Transportschiffen einfach über Bord geworfen und die Siedlung wurde sich selbst überlassen. Erst im Lauf der Zeit entwickelte sich ein Hilfssystem, welches zunächst Lieferungen von Essen und Kleidung gewährleistete. Medizinische oder gar psychologische Hilfe gab es nicht. Infizierte Kinder wurden ihren Eltern entrissen oder Eltern ihren Kindern, Alte wurden aus ihren Familienverbänden entfernt und es gab niemanden, der den betroffenen Familien Trost spendete. Die Trennung der Familien war nicht etwa vorübergehend, sondern für immer. Bis die Kranken starben. Und das taten sie. In der ersten Zeit starben sie nicht an Lepra, sondern an Infektionen wie Tuberkulose und Mangelernährung. Kinder starben ohne ihre Eltern, Alte ohne ihre Familie. 1890 war das Jahr des Bevölkerungsmaximums in Kalaupapa. In dem Jahr lebten 1100 Personen mit Lepra auf der Halbinsel. Besonders tragisch war auch die Tatsache, dass ausgerechnet die vorher durch Masern, Keuchhusten, Mumps und Syphilis zu 90% ausgerotteten Hawaiianer die am stärksten betroffene Bevölkerungsgruppe war. Man vermutete, dass chinesische Arbeiter die Krankheit nach Hawai‘i brachten und nannte sie deswegen „Mai Pake“, die chinesische Krankheit.
Die Leprasiedlungen wurden verwaltet von der Gesundheitsbehörde, die finanzielle Kontrolle hatte der deutsche Immigrant Rudolph Meyer, der eine kleine Zuckermühle auf der Insel betrieb.
Während es nie viel medizinische Hilfe gab – Lepra konnte erst in den 1940er Jahren mit der Entdeckung der Antibiotika geheilt werden -, waren belgische Missionare die ersten, die sich den Leprakranken auf Moloka‘i zuwandten. Allen voran ging Father Damien de Veuster, der sich von 1873 bis zu seinem eigenen Lepratod im Jahr 1889 um die Kranken kümmerte und sich für ihre Belange einsetzte. Er war der erste europäische Mensch, der die Kranken körperlich berührte und ihnen dadurch mehr Hoffnung gab, als alle gut gemeinten Hilfslieferungen zuvor. Er übernehm eine Führungsrolle und sorgte dafür, dass Häuser, Schulen, Strassen, Hospitäler und Kirchen gebaut wurden. Er verband die Wunden der Kranken, baute eine Wasserversorgung, machte Särge, hob Gräber aus und teile seine Pfeife mit den Kranken und ass Poi, die nahrhafte Taropaste, mit blossen Händen aus den Schüsseln der Kranken. Nach 16 Jahren aufopfernder Fürsorge merkte er, dass er sich infiziert hatte, weil er keinen Schmerz verspürte, als er sich mit heissem Wasser verbrühte.
Die Büste des bereits von der Krankheit gezeichneten Damien de Veuster wird - wie man sieht - heute noch von den Hawaiianern verehrt.
Father Damien bemerkte früh, dass Kinder in der Siedlung Kalawao spezielle Bedürfnisse haben. 1886 organisierte er ein Heim für Jungen, 1895 wurde das Heim benannt nach seinem grössten Gönner, Henry P. Baldwin von der Insel Maui. Im gleichen Jahr kamen vier Brüder des Ordens der geheiligten Herzen, die sich um die Bewohner des Heims kümmerten, bis sie am 24. Dezember 1932 in das neue Baldwin Home in Kalaupapa umziehen konnten.
Bruder Joseph Dutton kam 1886 als Volontär nach Kalawao. Er war ein Veteran des amerikanischen Bürgerkriegs und suchte nach einem Weg, für seine Sünden zu büssen. Er widmete sich den Jungen des Baldwin Home und übernahm dort viele medizinische und pflegerische Aufgaben. Er arbeitete auch als Steinhauer, Architekt, Gärtner, Apotheker, Sekretär und Postbeamter und half so, viele der Projekte Father Damiens zu vollenden.
Brother Duttons Korrespondenz hielt die Öffentlichkeit über das Leben der Siedlung auf dem Laufenden. Er starb 1931, nach 44 Jahren aufopfernder Arbeit in Kalawao.
1883 bekam Father Damien weitere missionarische Hilfe durch Mother Marianne Cope, eine deutsche Nonne, die über das St. Joseph‘s Hospital in Syracuse, New York, nach Hawai‘i kam. Sie sorgte sich mehr noch als Father Damien vor allem um die medizinischen Belange der Kranken, führte bessere Hygienemassnahmen ein und verlängerte das Leben vieler Kranker. Father Damien starb am 15. April 1889 an Lepra. Mother Marianne wirkte bis zu ihrem Tod 1918 in der Siedlung. Durch ihre Einführung hygienischer Massnahmen wie einfaches Händewaschen nach einer Untersuchung starb sie nicht an Lepra.
Die römisch-katholische Kirche sprach Father Damien am 11.10.2009 und Mother Marianne am 21.10.2012 heilig. Bisher sind 10 Personen heilig gesprochen worden, die in den U.S.A. wirkten. Mit 2 Heiligen ist Hawai‘i der Staat mit dem höchsten Anteil heilig gesprochener Personen. Brother Joseph Dutton kam 1886 nach Moloka‘i. Um den sterbenden Father Damien zu unterstützen. Nach Damiens Tod gründete Dutton das Baldwin Home for Men and Boys in Kalawao. Die Kongregation der heiligen Herzen, der Father Damien entstammte, schickte viele Jahrzehnte Glaubensbrüder nach Moloka‘i. Diese 140-jährige Tradition endete mit dem Tod des letzten Bruders, Joseph Hendricks, im November 2008.
Schwester Marianne Cope diente 35 Jahre lang in Hawaii, davon 30 in Kalaupapa. Als exzellente Organisatorin, Krankenschwester und Pharmazeutin war die Heilige Marianne überzeugt, den ausgewiesenen Menschen ein würdevolles Leben und einen ausgeglichenen Geist geben zu können.
1888 spendete Charles Reed Bishop genügend Mittel, um ein Heim für Mädchen und unverheiratete Frauen in Kalaupapa einrichten zu können.
Am 14. November 1888 kam die heilige Marianne Cope zusammen mit den Schwestern Leopoldina Burns und Vincentia McCormick in Kalaupapa an und übernahm das Bishop Home für Mädchen.
Viele Gebäude des Bishop Home aus den 1930er Jahren existieren heute nicht mehr. Der National Park Service bemüht sich heute, den Rest so gut wie möglich zu erhalten, um weiterhin die Wichtigkeit dieser Einrichtung während des Bestehens der Leprasiedlung von Kalaupapa zu dokumentieren.
Die Klippen von Moloka'i fallen bis zu 1000 Meter fast senkrecht ins Meer ab. Wo kann man so etwas sonst auf diesem Planeten sehen? Früher haben in jeder dieser engen Schluchten Menschen gelebt. Seitdem die Hawaiianer im 19. Jahrhundert von importierten Seuchen heimgesucht wurden (Masern, Röteln, Mumps, TBC, Lepra, Syphilis), sind diese Täler verwaist.
1873 wurde ein Bakterium als Ursache der Lepra identifiziert, seit den 1940er Jahren ist Lepra mit Antibiotika heilbar. Nach der Heilung der Lepra entschlossen sich jedoch viele der ehemaligen Kranken, in Kalaupapa zu bleiben, weil sie den Ort als ihre Heimat betrachteten – sie hatten ihr Leben lang nichts anderes gesehen, also warum fortgehen? Die Regierung erlaubte den Patienten und ihren Familien zu bleiben, verhinderte aber eine Zuwanderung. Folge war, dass heute nur noch 6 ehemalige Patienten im Ort leben. Einige Helfer und Beamte kommen dazu, aber die Siedlung ist an sich nicht mehr lebensfähig.
Vor einigen Jahren versuchte eine grosse Hotelkette, die Halbinsel Kalaupapa aufzukaufen, um ein Luxushotel über die gesamte Halbinsel auszubreiten. Diese Pläne wurden vom National Park Service der U.S.A. dadurch vereitelt, dass Kalawao und Kalaupapa zum geschützten „Kalaupapa National Historical Park“ gemacht wurde. Das Gebiet der Leprasiedlung ist heute streng geschützt, um die Lebensbedingungen der Leprakranken der Siedlung, die von 1866 bis 1969 bestand, der Nachwelt anschaulich vermitteln zu können. Über die Jahre hatte die Siedlung insgesamt 8500 internierte Bewohner.
In der ersten Leprasiedlung in Kalawao sind heute im wesentlichen die beiden Kirchen Siloama und Saint Philomena Catholic Church zu besichtigen. Sie liegen in der Nähe eines Aussichtpunktes, von dem man einen Teil der Nordküste Moloka‘i‘s überblicken kann. Der amerikanische Autor historischer Romane, James A. Michener, hat diesen Ort wie folgt beschrieben: „es gab nie einen Ort der Hölle in einer himmlischeren Umgebung“.
Die Halbinsel Kalaupapa ist so abgelegen, dass selbst im 21. Jahrhundert der einzige Zugang zu Lande ein ausgetretener, steiler Pfad ist, dessen Höhenunterschied von 600 Metern nur Mulis oder geübte Wanderer überwinden können – in beide Richtungen.
Aufbruch: | 02.05.2016 |
Dauer: | 15 Tage |
Heimkehr: | 16.05.2016 |