Brasilien - Von Sao Luis nach Sao Paulo

Reisezeit: August - Oktober 2005  |  von Roland E.

Rio de Janeiro

Auf meinen Reisen halt ich mich nicht gerne in Hotels auf. Am liebsten bin ich draussen. Mitunter kommt es vor, dass ich nicht selten 15, 16 Stunden unterwegs bin. Meist hab ich ein paar Fixpunkte und wandere sonst einfach ziellos umher. Ich möchte einen Ort in mich aufsaugen, spüren, schmecken. Keine Ahnung, wieviele Kilometer ich an einem Tag absolviere, aber da meine Tage natürlich lang sind, komme ich zwangsläufig auch zu mehr Bekanntschaften, unabhängig davon, ob sie positiv oder negativ sind. Irgendwie muss man einfach seinem Bauch vertrauen. Dennoch hat mich Reisen auch misstrauischer gemacht. Wer so reist wie ich, kann sich Naivität nicht leisten. Doch jetzt schmerzen meine Füsse. Sie sind geschunden, überall kleine Risse oder verhornte Stellen. Aber da muss ich durch. Ein echter Backpacker kennt keinen Schmerz. Oder wie war das mit diesem Sprichwort...
Der Busbahnhof von Rio ist eine Enttäuschung. Alt, hässlich, nicht besonders spannend und teuer. Bereits 2 Meter vom Busbahnhof entfernt bekomme ich die Wasserflasche zum halben Preis und noch etwas eigenartiges stelle ich fest. Auf der einen Seite kostet das WC 1 Real, auf der anderen Seite ist es gratis. Es ist 06.00 Uhr früh und ich habe etwas Respekt vor Rio. Wie komme ich am effizientesten vom Busbahnhof zur Copacabana? Da entdecke ich doch tatsächlich innerhalb des Busbahnhofs einen Metrobus! So komme ich sicher via Metrobus und Metro zur Copacabana. Ich bezahle 30 Real für ein Bett im Riobackpackers. Doch der einzige Grund hier zu sein ist der Kontakt mit anderen Reisenden. Die Duschen sind schmutzig, auch alles andere macht keinen sauberen Eindruck. In meinem Zimmer sind 5 nette Mädchen aus Deutschland, daneben schlafen noch 6 andere hier. 30 Real für ein Bett im 12er-Schlag! Da sind ja die Schweizer Jugendherbergen noch billiger! Dazu schmutzig! Im Zimmer herrscht, wie die Franzosen sagen würden, ein Bordell! Ich schaffe es kaum, eine Gasse zu finden um zu meinem Bett zu gelangen. Zudem ist mein Bett voll von fremden Kleidern. Aber da wird nicht lange gefackelt. Alles in die Ecke auf einen Haufen.

Ich verbringe den Tag an der Copacabana. Ich mag Rio nicht, aber die Faszination der Stadt liess mich schon auf meiner ersten Reise nicht los. Rio ist Himmel und Hölle - und mit Sicherheit die gefährlichste Stadt Südamerikas. Erstaunlich, denn man redet nur vom gefährlichen Kolumbien, doch Rio ist ein viel heisseres Pflaster. Zumindest sind das meine Erfahrungen.
Ich liebe in Rio diese kleinen 'Strasseneckenbars', wie es sie an der Copacabana zu Hauf gibt. Am Abend gehe ich in die Avenida Junior. Sicherheitshalber habe ich eine armselige Trainerhose an und den Rucksack durch einen Plastiksack ersetzt. Vor 5 Jahren war ich damals in der Avenida Junior in einer Bar, in der sich die braslianischen Ehefrauen reicher Europäer ihre Ferien verbrachten. Ein Brasilianer bleibt seiner Bar treu! Und so kommen sie in die Ferien nach Rio. In ihre Bar und ich vermute, dass sie damals als Prostituierte gearbeitet hatten. Dennoch war damals die Stimmung so locker, dass ich selten an einem Ort so gelacht hatte.
Meine Bar gibt es nicht mehr! Überhaupt: War damals die Avenida Junior der Ort, an dem sich alle möglichen komischen Vögel trafen, scheint es sich hier beruhigt zu haben. Ich setz mich in eine Bar, in der Livemusik gespielt wird. Nur etwa 5 Besucher sind hier, aber es gibt für 2,50 0,6 Liter Bier, während man an den meisten anderen Plätzen für 3 Real 0,3 Liter bekommt. Die Musik ist gut, das Publikum älter und bald wecke ich ihr Interesse und ich werde 'aufgenommen'. Am Sonntag sei wieder ein Konzert, sagt eine ältere Frau, sie singt und ich soll kommen. Nach diesem wunderbaren Abend laufe ich via Avenida Atlantica zum Hostel zurück. Es ist 1.00 Uhr, hunderte von Prostituierten säumen die Strasse, es hat viel Polizei. Das Gesindel ist nicht sichtbar. kein Wunder, es regnet immer wieder. Ich fühle mich sicher, aber ich habe einst selbst erlebt, wie schnell es gehen kann.

Ich stehe früh auf. Ich habe schon längst kene Uhr mehr. Wurden meine beiden Wecker geklaut? verloren? Was weiss ich, es geht problemlos ohne Uhr. Doch ich bin nicht der Erste der wach ist. Ein Norweger ist auch schon im Aufenthaltsraum. Wie ich braucht er kaum schlaf. Er sollte nach Hause, entschied sich aber gerade via Belem - Amazonas - Leticia nach Cartagena (Kolumbien) zu gehen. Wie gerne würde ich ihm folgen, aber ich bin pleite!
Ich entscheide meist erst beim Aufstehen, wohin die Reise heute geht. Der Norweger meint dazu, dass ich somit schon eher Brasilianer sei als Europäer!
Ich packe meine sieben Sachen und gehe nach Lapa. ich bin nicht bereit 30 Real für ein schmutziges Hostel zu bezahlen. Gleich neben der Metrostation Gloria ist die Pousada Benjamin Constant und ich bekomme ein Zimmer für 15 Real mit allgemeinen Bad. Der Angestellte ist sehr lustig, die Dusche und Toilette sauber, das Zimmer ein Loch. So klein, dass gerade ein Bett reinpasst. Doch irgendwie fühle ich mich in kleinen Zimmern wohl.
Heute fahre ich mit der Bonde, einem Tram, dass nach Santa Teresa fährt. Ich weiss nicht, wie alt es ist, schätze es aber auf das vorletzte Jahrhundert. Die Fahrt eröffnet einem einen Blick auf einen Teil von Rio: Endlose Häuser, ich schätze, es sind Favelassiedlungen, daneben moderne Türme. Alles in allem scheint Rio aber eher aus besseren und schlechteren Favelas zu bestehen. Ab und zu hüpfen Fahrgäste auf und ab, ein Polizist an Bord sogt für ein sicheres Gefühl. Die Reise endet an einer Baustelle. Keine Ahnung, ob hier jede fahrt endet oder ob die Baustelle schuld ist. Zutun gibts hier nichts, also zurück.

Im Supermarkt stehe ich jeweils kurz vor einem emotionalen Ausbruch. Die Schlangen sind lang, doch das kümmert die Verkäuferin nicht. Langsam und gemächlich wird getippt oder eingescannt. Und als sie endlich fertig ist, fängt sie an die eben verkaufte Ware in Plastiksäcken einzupacken! Unglaublich langsam. Eigenartigerweise wird mir die Ware jeweils nicht eingepackt. Vielleicht sieht man mir meine Ungeduld an. Nicht wenige Kunden warten, bis alles eingepackt ist und kämen wohl nie auf die Idee, selber mitanzupacken. Interessant ist auch das Kaufverhalten. Zuerst wird alles in einen Einkaufswagen gelegt. Einfach alles, was dem Brasilianer auffällt. Dann an der Kasse entscheidet er sich, was er effektiv kaufen will. Den Rest lässt er im Wagen und dieser Wagen bleibt vor der Kasse und ist fortan allen im Weg, bis ein Angestellter ihn wegräumt. Nun hat der Brasilianer seine Ware auf dem Band, doch jetzt fällt ihm auf, dass etwas fehlt und so läuft er noch x-Mal hin und her.
Es ist Freitagabend, in Lapa solls abgehen. Es wimmelt von Partysüchtigen und als ich mitten in der Menschenmenge den berühmten Äquadukt des Trams unterquere, sehe ich einen kräftigen Mann mit einer kaputten Bierflasche in der Hand. Diese hält er drohend in seiner Hand! ich begreife zuerst nicht, was hier geschieht, doch dann höre ich ihn sagen: "Give me your money!" Ich sehe einen blonden Gringo, der bedroht wird. Er schüttelt den Kopf und läuft gemächlich weiter. Ich bin fasziniert ab seiner Coolheit und es wirkt. Der Täter droht noch ein paar Mal, gibt dann aber auf. Das Ganze geschieht einen halben Meter neben mir! Ich bin sofort hellwach gehe in die Mitte der Strasse und dann in eine Bar um die Gedanken zu ordnen. Ich hatte unglaubliches Glück! Die Menschenmenge gab dem Täter Sichtschutz, denn die Polizei ist hier überall präsent. Er hat wahrscheinlich gar keine Absicht gehabt, sein Opfer zu verletzen - es hätte die Aufmerksamkeit der Polizei geweckt. Ich komme in eine Bar, in der junge Gäste die Musik machen. Herrlich. Wie ich hier in Rio feststelle, ist es sehr leicht mit alten Leuten in Kontakt zu kommen, etwas schwieriger ist es mit den Jungs und mit den jungen, nichtprostituierten Frauen eher schwierig. Zumindest, wenn man nicht gerne tanzt.

Ich lerne hier in dieser Bar zuerst ältere Leute kennen, worauf die Jungs die Chancen packen und sich ebenfalls ins Gespräch einlinken. Ihre Frauen halten sich auf Distanz. Es beginnt zu regnen; heftig. Finish Party!
Ich lauf nach Lapa zurück und tatsächlich ist hier nicht mehr viel los in den Strassen, dafür in den Clubs. ich stelle fest, sie sind sehr günstig. Ich verpflanz mich in den ersten, Samba und Forro. Frauen werden zum Tanz aufgefordert und drei Minuten später wird bereits rumgeknutscht! Unglaublich! Ich spreche ein Mädchen an. Sie interessiert mich, weil sie aussieht wie eine Vietnamesin. Sie versteht mein Interesse für ihre Herkunft nicht. Bald kommt ein anderer Gringo und fordert sie zum Tanz auf.
Ich gehe in einen anderen Club. Hier läuft HipHop! Ich lerne hin und wieder Leute kennen, aber die Kontakte sind meist kurz. Dennoch überrascht mich die Generosität der Jungs. Plötzlich kommt einer, füllt mein Bierglas auf und geht wieder! Ein Mädchen steht alleine auf dem Balkon. Lucia, in Manaus geboren. Sie muss jedoch gleich nach Hause, möchte sich mit mir aber morgen treffen. Sie verlässt die Disco allein. Bisher hielt ich es für unmöglich, dass Brasilianer alleine etwas unternehmen! Ich laufe nach Gloria zurück. Ich laufe schnell, die Gegend ist dunkel, Menschen schlafen in den Ecken unter Kartonschachteln, auf der anderen Seite ist ein Park. Alles geht gut. Wie immer.

Ich rufe Lucia nicht an. Einerseits muss ich bald nach Hause, andererseits bin ich fast pleite und koennte nichtmal generoes sein. Zu guter letzt sind die Brasilianerinnen Meister der Taeuschung. Wie soll man da einer Vertrauen?

Mein letzter Tag in Rio! Ich bereue es, hier soviel Zeit investiert zu haben. Es ist wie auf meiner letzten Reise! Ich verbrachte 10 Tage in Rio, ich kann mich einfach nicht von dieser Stadt losreissen.
Heute ist Sonntag und am Sonntag ist an der Copacabana jeweils Strandparty. Doch heute nicht. Es stuermt und regnet, es ist kalt: Finish party.
Ich fahre U-Bahn. Die Linie 2 ist oberirdisch und ich so fahre ich an diesem Riesenbetonkuebel Maracana vorbei. Von aussen wirkt es nicht besonders schoen. Dann der Blick auf Rio. Ich sehe wieder Huetten, deren Waende aus Kehrichtsaecken bestehen. Daneben weniger armselige Huetten, doch so weit man Auge reicht: Ich sehe nur diese typischen Haeuser aus den Favelas. Besteht Rio fast nur aus Favelas? Rio mag eine wunderschoene Lage haben, wunderschoene Ausflugsziele, doch abseits der Touristenstroeme finde ich Rio ausserordentlich haesslich. Eine Stadtplanung scheint es hier nicht gegeben zu haben.
Nachdem ich mich an der Copacabana vergewissert habe, dass tatsaechlich nirgends Partystimmung ist, laufe ich ein bisschen durch die Gassen, als ich an einer Bar vorbeikomme und mich jemand ruft. Es ist die Saengerin, die ich am Donnerstag kennengelernt hatte und heute Abend ein Konzertn gibt. Sie sitzt an der Theke mit ihrer Kollegin und trinkt einen Caipirinha und bittet mich um einen Real! Ich fasse es nicht. Sie trinkt einen Caipirinha und bittet mich um Geld? Ich frage mich langsam, ob dieser Satz in Brasilien einfach zur Gespraechseinleitung dazu gehoert. Eigentlich wollte ich den Abend an der Avenida Atlantica verbringen. Doch es windet heftig, alle Restaurants sind leer, ausser diejenigen mit den 'Schwalben'. Ich moechte aber nicht mutterseelenallein den letzten Abend verbringen. Ich brauche etwas Geräusche um mich rum und so rueste ich mich mental und gehe in die Schwalbenbar. Ich schaue auf die Karte und bestelle einen Chopp fuer 3 Real. Geht noch, denke ich. Visa akzeptieren sie hier nicht. Die Frauen gehen in Position. Die erste kommt und bittet mich um ein Bier. Glaubt sie wirklich, dass dies jemals funktioniert? Eine beherrscht das Naeherkommen perfekt und ich fange mit ihr an zu reden - nicht zuletzt, weil sie konsumiert und mir die anderen Frauen vom Halse haelt. Dabei muessen Brasilianer im voraus bezahlen, Gringos nicht. Sie ist aus Fortaleza, besucht ihre Schwester, bleibt 4 Monate hier. Sie beginnt mich zu umwickeln, staendig Beruehrungen, ein Kuss. Es laeuft ueberall gleich ab. Sie fragt mich, ob ich noch einen Chopp wolle, doch ich sage, ich hab kein Geld mehr und VISA akzeptieren sie nicht. Sofort fragt sie die Kellnerin, ob sie VISA tatsächlich nicht akzeptieren! Danach will sie mir ein Bier offerieren. EIn alter Trick. Dein Bier kriegst du sowieso nie. Meinen Chopp nehm ich mit auf die Toilette. Zuviele negative Geschichten ueber Drogen im Getraenk sind mir bekannt.

Ich frage sie, ob wir nicht in eine guenstige Bar wollen und sie sagt zu.
Nun steckt die Frau aus Fortaleza ihre Ziele ab. noch bin ich der Lustigste und Coolste. Dann sagt sie, dass sie niemals fuer Sex Geld annimmt, aber wenn ich sie kaufen wuerde, wieviel waere sie mir Wert? Sie fragt sehr detailiert ueber Unterkunft etc.. Da sie feststellt, dass sie mit mir kein Geld verdienen wird, muss sie mich nun los werden. Ploetzlich ist sie kalt und unnahbar. Ich gehe meinen Chopp bezahlen. Doch nun kostet er 4.40 R.! Ich stelle fest, dass sie mir vor der Bestellung eine andere Karte hingehalten haben, diese Abzocker!
'Mein' Maedchen laesst den Wein, den sie gerade trank, zurueckstellen und sagt 'Moment' und schon ist sie weg. Der verdutzte Blick der Kellnerin macht mir klar, dass erst wieder kommt, wenn ich weg bin. Nun spiele ich aber mein "Game". Sie wird mich so schnell nicht los. Ich laufe kurz um die Ecke und komme zurueck. Schon habe ich sie erwischt, denn kaum war ich um die Ecke kam sie aus ihrem Versteck hervor. Sie behauptet, dass sie noch auf eine Amiga warten muss, die ihr Geld bringt. (Diese Geschichte kenn ich ja auch schon von irgendwo) Ich biete ihr an, dass sie nicht mit mir mitzukommen brauche. Aber sie ist feige und verlogen und sagt, dass sie mitkommen will. Also warte ich neben ihr. Ab und zu spielt sie mit ihrem Handy. Ab und zu laeuft sie zur Telefonzelle um ihrer Amiga zu telefonieren. Fuer wie dumm haelt sie mich? Um halb elf Uhr dann entlasse ich sie wieder in ihre Bar, ich muss auf die letzte Metro. Doch die eine Station ist ausser Betrieb - wegen Bauarbeiten. So 'rase' ich zur naechsten. Ein Typ mit Black Sabbath T-Shirt und langen Haaren bittet mich um Hilfe. Er sei im Bus ausgeraubt worden und muesse noch nach Niteroi. Er kann Englisch. Keine Ahnung, ob er die Wahrheit spricht, aber was habe ich denn fuer eine Wahl? Ich will die Wahrheit gar nicht wissen. Er macht mir aber einen ehrlichen Eindruck. Aber was heisst das schon in Brasilien? Sie scheinen hier nicht die gleichen Moralvorstellungen zu haben wie ich.
Ich biete dem Mann an, ihm ein Metroticket zu kaufen, den Rest besprechen wir in der Metro. Hier ist es zu gefaehrlich. Es ist erst 22.50 Uhr haben und die Metro fährt ofiziell bis 23.00 Uhr - heute nicht. Der wunderbar beleuchtete Busersatz verweigert uns die Fahrt. Und jetzt bin ich froh um meinen 'Kumpel'. Er fuehrt mich zum richtigen Bus, und sagt mir, wo ich aussteigen soll. Als Gegenleistung verschaffe ich ihm die finanziellen Mittel, damit er nach Hause kommt. Alleine waere es nicht so einfach gewesen. Ich fuhr zuvor noch nie Bus in Rio, schon gar nicht im dunkeln. So sind wir beide gluecklich.

© Roland E., 2006
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Leider ohne Fotos - Ich 'verlor' meine Digicam...:(
Details:
Aufbruch: August 2005
Dauer: circa 9 Wochen
Heimkehr: Oktober 2005
Reiseziele: Brasilien
Der Autor
 
Roland E. berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.