Brasilien - Von Sao Luis nach Sao Paulo
Ponta Negra
Die Brasilianer gehen mir mit ihrer ungetrübten Selbstzelebrierung ihres Landes langsam auf den Wecker. Dabei stelle ich einen erstaunlichen Lokalpatriotismus fest. Die Region, von woher gerade mein Gesprächspartner herkommt, ist immer die Schönste und die Frauen sind die heissesten. Zu Kritik scheinen sie nicht fähig. Über andere Themen ausser Sex, Frauen, die Zelebrierung ihrer Heimat und je nach Interesse, Erzählungen über das schwere Leben ist es sehr schwierig zu reden, zumindest hier im Nordosten.
Mit Zurückhaltung kommt man auch nicht weit. Wer etwas will, zum Beispiel ein Bier in einer Bar, der schreit ein 'Oi' Richtung Kellner und lässt Zischlaute von sich. Mir gefällt das total. So ist die Luft erfüllt mit 'Oi, zschzschz, Oi. Ich jedoch kann mich nicht zu ähnlichen Verhalten durchringen und wenn mir nicht der Gringobonus zu Teil wird, dann wird es mitunter nicht ganz einfach, des Kellers Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
Am Morgern hab ich immer noch kein Wasser in der Dusche, doch was mir noch mehr Sorgen macht, ist meine mentale Verfassung. Ich strotze vor Gesundheit, bin jedoch völlig demotiviert. Ich weiss nicht, was mit mir los ist. Ich packe früh meine sieben Sachen und mach mich auf den Weg nach Natal. Mein Ziel ist Ponte Negra, denn dort soll es eine besonders sehenswürdige Sanddüne geben. In Ponte Negra angekommen, klappere ich die Pousadas ab, aber sie liegen alle weit ausserhalb meiner finanziellen Möglichkeiten. Schliesslich finde ich die Pousada Express und kann den Preis auf 35 R. runterhandeln.
In Ponte Negra ist alles Schein und Sein. Hier trifft der reiche brasilianische und internationale Tourismus auf diejenigen, die auch gerne an diesem schönen Leben teilnehmen würden: Blutjunge weibliche Teenager! Vond er Sanddüne bin ich enttäuscht, aber bei meiner Stimmung hätte sie wohl 1000 Meter hoch sein müssen, um Begeisterung zu wecken. Alles hier ist sehr teuer und so kaufe ich im teuren Supermarkt Dosenbier und setz mich auf die Strandpromenade, was zur Tortur werden wird. Es ist Freitagabend und unzählige bildhübsche junge Frauen flanieren am Boulevard. Ab und zu wird ein 'Geschäft' abgewickelt. Ich werde dauernd angesprochen, doch das Ziel ist immer dasselbe: Sie wollen von mir Geld! Eine Frau spricht Deutsch. Sie ist pleite und will ein Dosenbier von mir. Morgen soll angeblich ein Norweger kommen, der sie wieder durchfüttert. Ich gebe ihr die Hälfte meines Dosenbiers. Somit ist der Zweck des Gesprächs erfüllt, sie verschwindet. Auf ein Danke warte ich vergebens. Sei noch erwähnt, dass wenn ich so Party feiern würde wie die Brasilianerinnen, auch schnell pleite wär. Doch es gibt auch durchaus positive Kontakte. Einige sprechen Englisch, haben meist eine skandinavische Freundin. Natürlich ist auch hier Sex ein Thema und wie die meisten Nordestinos prahlen auch sie mit ihrem reichhaltigen Sexleben. Doch wie ich bereits auf meiner ersten Reise festgestellt habe, bezahlen - zumindest zu einem grossen Prozentsatz - auch diese Prahler für ihre frivolen Stunden. Ich weiss nicht, ob man sie als stinknormalle Freier bezeichnen kann. Es scheint einfach ein System zu sein, ein Teil des brasilianischen Lebens.
Natürlich gerate auch ich bald ins Interesse der weiblichen Teenager und sie versuchen auf äusserst kindische Weise mit mir in Kontakt zu kommen. Aber heut ist mit mir nicht gut Kirschenessen. Ich treff noch einen Mann, der auf einer Art grossem Schubkarren Getränke verkauft. Ihm schenke ich eine 5-Franken-Münze und eine zwielichte Kreatur, der mit mir am nächsten Tag schnorcheln will.
Natürlich gehe ich alleine schnorcheln und rufe diese zwielichte Type nicht an. Ich tauche zu den Felsen hinaus, aber oh schreck - das Wasser ist viel zu trüb. Am Abend leiste ich mir einen Chopp (Vergleichbar mit einem Pils oder Stange, wie wir in der Schweiz sagen), als mich dieser zwielichte Typ wieder findet. Er heisst Stefano, setzt sich zu mir, bestellt ein Bier, nachher für uns beide noch eins. Angeblich wartet er auf einen Italiener, der sich eine Frau wünscht, aber keine Prostitierte will und er vermittelt ihm eine Freundin von ihm. Er ist arbeitslos, träumt von einem Getränkewagen und für den spart er und ich soll ihm dabei finanziell unterstützen. Mir geht dieser Typ voll auf die Nerven. Der Wagen kostet 400 R., wenn er zwei Monate arbeiten würde, dann könnte er ihn sich leisten. Aber hier scheinen viele das einfache Leben zu suchen. Nichts arbeiten und jeden Abend Party. Dazu brauchen sie natürlich einen Sponsor. Er will noch mehr Bier, aber ich lehne ab - schliesslich muss ich ja sein Bier auch bezahlen und mein Budget, obwohl auf 30 Dollar erhöht, ist schon fast aufgebraucht.
Ich stelle fest, dass es viel weniger Prostituierte hat und es beginnt zu regnen, die Party ist zu Ende. Ich gehe zum Getränkeverkäufer, dem ich die 5-Franken-Münze geschenkt habe. Sie hängt um seinen Hals, er hat aus ihr ein sehr schönes Halsband gebastelt. Dann erzählt er mir seine erstaunliche Geschichte: Er sei ein armer Schlucker gewesen, als eine schwedische Touristin ihm zuerst eine Wohnung gemietet und dann diesen Getränkewagen gekauft hat. Er ist mit seiner Arbeit offensichtlich glücklich. Ich frage ihn über die Teenager von gestern. Er antwortet, dass Ponte Negra als Ort der Prostitution bekannt sei. Die 18-20 Jährigen kommen hierher und hoffen, einen reichen Westler fürs Leben zu gewinnen. Lange denke ich über die Worte nach. Das brasiliansiche Leben gibt mir viele Rätsel auf.
Aufbruch: | August 2005 |
Dauer: | circa 9 Wochen |
Heimkehr: | Oktober 2005 |