KAMBODSCHA SOLO
Phnom Penh - Zwiespältige Gefühle
Phnom Penh, 12.-13.11.2004
Die Nennung des Namens Phnom Penh in Nachrichtensendungen verhieß früher nichts Gutes. Die Khmer Rouge wurden am 17. April 1975 bei ihrem Einzug in die Stadt von der Bevölkerung, die endlich auf Frieden hoffte, bejubelt -nur Stunden später begann die Evakuierung, Tage später war Phnom Penh eine Geisterstadt. Eines der brutalsten Regime der Geschichte zeigte sein wahres Gesicht, schickte die Bevölkerung aufs Land und tötete alles, was sie in weitestem Sinne zur Intelligenz zählte. Dazu gehörte z.B. schon das Tragen einer Brille. In ihrem Wahn waren sie konsequent. Um den neuen Menschen ihres Steinzeitkommunismus zu schaffen, mussten sie die alten töten.
Originalbilder vom Einmarsch der Khmer Rouge in Phnom Penh.
Eine Generation später hat das Land noch immer unter den Folgen zu leiden. Es ist meilenweit in seiner Entwicklung hinter seinen Nachbarstaaten zurück. Aber in einer Hauptstadt wie Phnom Penh sind Statistiken, die Kambodscha als eines der ärmsten Länder der Welt ausweisen, weit weg. Phnom Penh hat mit seinen breiten, von Bäumen gesäumten Boulevards, die nach den Krönungsfeierlichkeiten für Sihanouks Sohnemann abends noch prachtvoll erleuchtet sind, viel von dem einstigen Flair der französischen Kolonialzeit bewahrt, das ich in Ho-Chi-Minh-Stadt etwas vermisst habe.
Nicht für jeden gehören der Besuch eines Folterzentrums und von Massengräbern zu den Höhenpunkten einer Urlaubsreise. In Kambodscha sind sie aber m.E. Pflichtprogramm einer Sightseeing-Tour. Und so beginne ich die Stadtrundfahrt mit meinem Taxifahrer, den ich für diesen Tag engagiert habe, in seiner ehemaligen Schule, Toul Sleng, die von den Roten Khmer als Folterzentrum, dem berüchtigten S 21, benutzt wurde und heute als Genozidmuseum dient. Manche Räume sind so belassen, wie sie von den Vietnamesen nach ihrem Einmarsch 1979 vorgefunden wurden, mit vielen Bildern des damaligen Geschehens. Trotzdem fällt es schwer, sich vorzustellen, was hier geschah. Die Khmer Rouge haben alles penibel aufgezeichnet, jeden fotografiert, der durch ihre dreckigen Hände gegangen ist. Viele, viele Fotos dieser Menschen hängen hier. Auf Einzelheiten der genau beschriebenen, damals praktizierten Foltermethoden will ich an dieser Stelle verzichten. Es sind viele Touristen hier, aber es ist ganz still. Man geht wortlos durch die Räume, und jeder ist mit seinen Gedanken allein.
Zelle 2004.
1979.
Wenn schon, denn schon, dann habe ich den Horror hinter mir - also weiter zu den Killing Fields von Choung Ek, die etwas außerhalb der Stadt liegen, wo die Gefangenen von Toul Sleng hingerichtet wurden, am Anfang noch mit Gewehrkugeln, später, um Munition zu sparen, wurden sie erschlagen. In einem Massengrab wurden vorwiegend Kinder verscharrt, daneben steht noch zum Gedenken der Baum, gegen den sie geschlagen wurden.
In der Mitte der Anlage befindet sich ein durchsichtiger Turm, das Choung Ek Memorial, in dem die Schädel von 9.000 Menschen aufgestapelt sind, die 1980 aus den Gräbern geborgen wurden. Killing Fields - der gleichnamige US-Spielfilm, basierend auf einer wahren Begebenheit, hatte mich früher im Kino sehr beeindruckt. Nun stehe ich selber hier und denke an Dinge, die nicht zu begreifen sind.
Das ist harte Kost für den Anfang, aber es gibt auch erfreulichere Punkte eines Besichtigungsprogramms von Phnom Penh. Die Märkte natürlich, die aber wesentlich schmutziger sind als in Vietnam, das Wat Phnom auf einem Hügel, das der Stadt seinen Namen gab, das Unabhängigkeitsdenkmal und schließlich natürlich der Königspalast mit der Silberpagode.
Wat Phnom.
Während meines Aufenthaltes in Phnom Penh finde ich mich jeweils am späten Nachmittag an der Riverside ein, einer breiten Fußgängerpromenade am Tonle Sap Fluss, vor dem Zusammenfluss mit dem Mekong. Tagsüber eher leer, verwandelt sie sich nun in ein großes Freilufttheater, Imbissverkäufer stellen ihre Stände auf, Sportbegeisterte üben ihr Hobby aus, Gaukler zeigen ihr Können, und an der gegenüberliegenden Straßenseite stehen die westlichen Restaurants dicht an dicht und manche bieten von ihren Terrassen im ersten Stock einen herrlichen Blick auf das Treiben.
In einem Cafe lasse ich mir von einer Kellnerin etwas in Khmer-Schrift aufschreiben und male es auf meine Ansichtskarten ab. Im Hauptpostamt frage ich eine Angestellte hinter dem Schalter nach dem Porto für Europa. Sie nimmt meinen ganzen Schwung Karten, sucht aus ihrem Sortiment ein paar schöne Briefmarken heraus, klebt diese eigenhändig auf, stempelt sie gewissenhaft ab und zeigt mir anschließend jede einzelne. Ich zeige mit dem Daumen nach oben, hat sie prima gemacht. Das freut sie sichtlich, sie bedankt sich, dass sie diese Arbeit für mich erledigen durfte. Hat etwas von Tom Sawyer, die Sache mit dem Gartenzaun. Es zeigt aber, wie unglaublich freundlich die Leute hier sind, ich kann mich im ganzen Urlaub an keine Begegnung mit einem unfreundlichen Menschen erinnern. Es ist eine natürliche Freundlichkeit, nicht verbunden mit der Erwartung auf irgendeine Gegenleistung. Ich habe aufgrund meiner Erfahrungen auch auf anderen Reisen in Dritte-Welt-Staaten fast den Eindruck, die Freundlichkeit der Menschen steigt mit dem Grad ihrer Armut.
Anschließend gehe ich im Viertel noch etwas abseits der Hauptstraßen spazieren. Nur wenige Meter neben den breiten, gut asphaltierten Boulevards beginnt schon wieder das andere Kambodscha, mit armseligen Behausungen und huckeligen Staubwegen.
Die Autos werden im Stadtbild Phnom Penhs auch immer zahlreicher. Sie stammen oft aus Thailand, manchmal aus dunklen Quellen und sind rechtsgesteuert, obwohl in Kambodscha ja Rechtsverkehr gilt. Für die Umrüstung ist kein Geld da, Gewöhnung ist alles. Nur beim Überholen ist man auf Intuition, Fatalismus oder einen Beifahrer angewiesen, der sagt, ob der Zeitpunkt zum Überholen gerade günstig ist.
Dass Nummernschilder, ordentliche Zulassungen, Steuern und Versicherungen, vielleicht auch Führerscheine in einem Land wie Kambodscha nicht unbedingt obligatorisch sind, braucht ohnehin kaum erwähnt zu werden.
Moped fahren macht mir zur abendlichen Rush Hour besonderen Spaß. Wegen der Polizisten. Sie mögen ja als korrupt verschrien sein (wer ist das eigentlich nicht in Kambodschas Staatsapparat?), können sich aber zumindest zu dieser Tageszeit meines vollen Mitgefühls sicher sein. An besonders neuralgischen Punkten, auf großen Kreuzungen, wo jeder nur an sich denkt und fährt wie er gerade will, sind sie eingesetzt, versuchen, durch unablässiges, schrilles Pfeifen mit der Trillerpfeife, Umherhüpfen wie ein HB-Männchen und Anschreien von Verkehrsteilnehmern, die es besonders dreist treiben, dem Chaos Einhalt zu gebieten, sind aber völlig machtlos. Besonders schlimm geht es meist dort zu, wo mehrere dieser armen Teufel eingesetzt sind und durch ihre unkoordinierten Anweisungen das Wirrwarr noch zu vergrößern scheinen.
Auf dem Psar Thmei, dem zentralen Markt der Stadt, finde ich das, was ich unbedingt fotografieren wollte, Stände mit einheimischen "Knabbereien", geröstete Spinnen, Heuschrecken, Käfern und Maden. Sie sollen etwa wie scharf geröstete Kartoffelchips schmecken, riechen auch so ähnlich und finden reißenden Absatz. Zu Hause habe ich mir vorgenommen, das Zeug mal zu probieren, sozusagen mein persönlicher Dschungeltest, falls ich für die nächste Staffel der Dschungelshow eingeladen werden sollte. Zu Hause ist man mutig, hier in live bringe ich das nicht über mich, zu eklig sehen die Tierchen aus.
Die Bevölkerungsstruktur würde Herrn Eichel gefallen. Überall, wo man hinschaut, Kinder und Jugendliche. Mein Taxifahrer gehört mit seinen 53 Jahren zum ganz alten Eisen. Die Kambodschaner sind ein sehr junges Volk, eine Generation fehlt fast völlig. Auch in dieser Beziehung haben die Khmer Rouge ganze Arbeit geleistet.
Die Sache mit dem Geld will mir nicht in den Kopf, gefällt mir auch nicht. Es gibt zwar eine einheimische Währung, den Riel, 4.000 Riel = 1 Dollar. Der Dollar ist hier aber praktisch die Leitwährung. Man zahlt wild durcheinander, gibt z. B. Dollar und bekommt Riel als Wechselgeld zurück. Oder mischt beides, zahlt die krummen Beträge in Riel, denn Cent-Münzen gibt es nicht. Eine Rechnung von beispielsweise 10.000 Riel wird i.d.R. mit 2 Dollar und 2.000 Riel beglichen. Die kleinste Einheit ist die 1 Dollar Note, Riel kommen kaum kleiner als im 500er Schein vor. Das sind umgerechnet immerhin etwa 10 Euro-Cent, für ein so armes Land wie Kambodscha sehr erstaunlich.
Das Nachtleben von Phnom Penh hatte früher einen legendären Ruf, ungefähr das, was die Engländer als "wild and wicked" bezeichnen. Die Zeiten sind vorbei, seit die Regierung durch Dekrete dem allzu hemmungslosen Treiben Einhalt zu gebieten versucht und NGOs (Non-Government-Organisations) die Kinderprostitution bekämpfen. Der Kampf ist glücklicherweise erfolgreich, ein Paradies für Pädophile ist Kambodscha heutzutage nicht mehr.
Clubs wie das Sharkeys, Walkabout oder Martini sind weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt und ein Paradies für Freunde des englischen Fußballs. Auf Bildschirmen in jeder Ecke kann man non-stop die Spiele der Premier League verfolgen, daneben bieten zahlreiche Pool-Billardtische Gelegenheit zum Spiel. Gegenüber den keuschen Lokalen in Vietnam bieten solche Clubs eine weitere Zerstreuungsmöglichkeit: hier finden sich auch Massen von mehr oder weniger jungen Girls. Die zeichnen sich durch folgende Merkmale aus: sie haben alle schwarze Haare, sind kleinwüchsig und dünn, kichern die ganze Zeit und können kein Pool-Billard spielen. Aber sie passen sich der Freundlichkeit der übrigen Bevölkerung an und merken schnell, dass sie überflüssig sind, wenn der männliche Gast sich mit betontem Interesse der Fussballübertragung, seinem Essen oder Bier widmet und ihnen keine Beachtung schenkt.
Aufbruch: | 06.11.2004 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 24.11.2004 |
Cu Chi
Kambodscha