Mit dem Boot durch Preußens Streusandbüchse

Reisezeit: April - September 2008  |  von Doris Sutter

Suum cuique - BERLIN -

Beluga durch das Zentrum der Macht

Sie war immer schon Hauptstadt. Sie war die Hauptstadt Preußens und des Deutschen Reiches, sie war eine geteilte Stadt, und heute ist sie die Keimzelle der Macht, nicht stromlinienförmig, sondern mit Ecken und Kanten. Sie ist aufgeblüht seit der Wende. Diese Stadt pulsiert. Nicht nur auf den Straßen und Plätzen, auch auf dem Wasser.
Auf 12 schiffbaren Wasserstraßen kann man sie erkunden, die Hauptstadt der Bundesrepublik. Berlin strotzt vor Grün. Parks, Gärten, grüne Ufer. Auf den ersten Blick wuchert Berlin zwischen Wannsee und Müggelsee mit kostenlosen Kurzliegeplätzen. Doch es sind viel zu wenige für viel zu viele Boote. Was Berlin dringend fehlt ist in fußläufiger Nähe einer U-Bahnstation ein Yachthafen in dem man unbesorgt einige Tage und Nächte verbringen kann, wie in Paris zum Beispiel. Platz gäbe es in einem der stillgelegten Hafenbecken der Berufsschifffahrt, oder dem Becken neben dem neuen Hauptbahnhof.
Da wo Grün nur reine Dekoration ist, da ist Berlin am spannendsten. In Berlin-Mitte, im Regierungs-, Banken-, Versicherungs- Medien-Viertel. Wer etwas auf sich hält guckt auf die Spree.

Tegeler See - Malche-Bucht -

Tegeler See - Malche-Bucht -

Wir beginnen unsere Berlin-Rundfahrt im wunderschönen Tegeler See. Glasklares Wasser, Badestrände, Freibäder, Inseln. Und daneben landen im Minutentakt, nein nicht mehr die Rosinenbomber, die landeten in Tempelhof, dem Flugplatz, der jetzt stillgelegt werden soll.
Wir biegen ein in den Hohenzollernkanal. Heute heißt er ein bisschen unromantisch Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal. Schnurgerade führt er zwischen grünen Ufern zur Schleuse Plötzensee, die uns einen stolzen halben Meter tief sinken lässt. Über Westhafenkanal und Charlottenburger Verbindungskanal erreicht man die Spree. Obwohl schon sehr nah an der Innenstadt ist es hier vielerorts immer noch ländlich grün. Doch dann kommt man aus dem Staunen nicht mehr raus. Supermoderne Hochhäuser mit spiegelnden Glasfassaden in erstaunlichen Formen wechseln sich ab. Bereits hier ist man schwer beschäftigt den Sightseeing Booten auszuweichen. Es geht unter vielen, sehr vielen Brücken hindurch, an Restaurantbooten, an Strandbädern und dem Bolle-Viertel mit seinen runden Türmen vorbei.

Bolle-Viertel

Bolle-Viertel

jetzt gehts ins Regierungsviertel

jetzt gehts ins Regierungsviertel

Von weitem sieht man den Alex, den Fernsehturm mit seiner markanten Kugel, die wie ein Mahnmal alles überragt und für lange Kilometer sichtbar bleibt. Das Innenministerium, Schloss Bellevue, der Sitz des Bundespräsidenten. Gleich danach die Muschel der ehemaligen Kongresshalle. Das Kanzleramt, futuristisch aus Glas und Beton. Der neue Berliner Hauptbahnhof, was für ein Bau. Brücken wie aus einer anderen Welt.
Der aufwändig restaurierte Reichstag. Seine große touristische Attraktion, die futuristische Glaskuppel von der Berliner Schnauze zur Glühbirne degradiert. Genauso strahlt sie in der Nacht, sichtbar in allen Himmelsrichtungen.
Noch hat man den Eindruck nicht verarbeitet, erreicht das Boot die Museumsinsel. Ihre Restaurierung ein Milliardenprojekt und noch lange nicht abgeschlossen. Der Dom, 1905 im Auftrag Kaiser Wilhelm II. als Hauptkirche des preußischen Protestantismus errichtet, mit einer Kuppel wie der Petersdom. Ein stolzer Bau, der die Überreste des Palastes der Republik überstrahlt.

der neue Hauptbahnhof

der neue Hauptbahnhof

die Glühbirne vom Reichstag

die Glühbirne vom Reichstag

Der Alex hinter dem Bode-Museum

Der Alex hinter dem Bode-Museum

die Reste des Palastes der Republik

die Reste des Palastes der Republik

Die Mühlendammschleuse bringt uns mit einem Ausflugsboot auf Höhe des Museumshafens. Alte Dampfschiffe mit dicken Schornsteinen, Nostalgie wohin man blickt und fürs Ohr Hans Albers auf der Reeperbahn.
Das Ver.di-Hochhaus verlangt gut sichtbar Mindestlohn für alle. Daneben Bauruinen.
Auf der anderen Seite die Überreste der Mauer, die East-Side-Gallery. Heute so unnütz wie der anti-imperialistische Wall unwirklich.

Museumshafen

Museumshafen

Oberbaumbrücke

Oberbaumbrücke

Reste der Mauer

Reste der Mauer

Molekul-Men

Molekul-Men

Vor uns die Oberbaumbrücke mit ihren braunroten Bögen und Türmen im Stil der Neugotik. Oben fährt die Bahn, unten die Autos. Unwirklich bei all dem blinkenden Chrom, Glas und Metall hinter uns. Doppelt überraschend die riesige Aluminium Skulptur Molecule Men. 30 m ragt sie hoch aus dem Wasser, wuchtig und doch irgendwie filigran. Die drei stahlharten Kerle halten sich am Arm und sollen den Berührungspunkt der Stadtteile Friedrichshain, Treptow und Kreuzberg markieren.
Als wir unter der Abteibrücke, gegenüber der Treptower Insel der Jugend anlegen, fährt ein Wasserflugzeug an uns vorbei. Was für eine verrückte Stadt.
Zwischen Treptow und Köpenick erstreckt sich eine Industriebrache. Hier findet das Auge keinen Platz wo es vor Anker gehen kann. Ein kleiner Netto- und Getränke-Markt liegt direkt am Ufer der Spree. Eine günstige Gelegenheit zum Bunkern. Man muss diese Fahrt unbedingt machen, auch wenn es eher unwahrscheinlich ist, dass man den cleveren Hauptmann persönlich trifft. Köpenick ist ein reizendes Städtchen, und man gelangt hier in die Dahme, dem grünsten und wasserreichsten Bezirk der Hauptstadt. Es heißt Dahme-Wasserstraße, aber eigentlich fährt man nur durch Seen. Es ist ein Urlaubs- und Wassersport-Eldorado. Kaum ein Uferstreifen an dem es nicht einen Bootssteiger oder eine Marina gibt. Dazwischen immer wieder mal ein kleiner Sandstrand. Ankerbuchten. Hier scheint es nur Urlaub, Spaß und Wassersport zu geben. Hinter Schmöckwitz, unterhalb des Zeuthener Sees, verläuft die Berliner Stadtgrenze. Wer weiterfährt erreicht nach vielen weiteren Seen den Scharmützelsee.

ein Wasserflugzeug landet zwischen den Booten

ein Wasserflugzeug landet zwischen den Booten

Beschaulicher Liegeplatz in Schmöckwitz

Beschaulicher Liegeplatz in Schmöckwitz

Zu einer Bootstour durch Berlin gehört unbedingt eine Fahrt durch den Landwehrkanal. Berlin ist aus dem Kahn gebaut, heißt es, und daran hatte der Landwehrkanal maßgeblichen Anteil. Er war einer der meist befahrenen Kanäle des alten Berlin. Fast 50 Jahre lang wurde ständig an seiner Vergrößerung gearbeitet. Wegen seiner labilen Wände wir er heute nur im Einbahnverkehr befahren, von der Ober- Richtung Unterschleuse. Man fährt durch, bzw. an 5 Stadtteilen vorbei, entsprechend interessant ist die Fahrt. Die Bibliothek in einem altehrwürdigen Gebäude, das Verteidigungsministerium, Grand Hotel, Daimler Gebäude, das Technik-Museum mit einem der legendären Versorgungs-Flieger auf dem Dach, die Hochbahn neben uns. Zwei 24 Stunden Anleger und ein riesiger Kinderspielplatz. Und wenn man Glück hat, sieht man sogar einige Tiere vom Zoo. Kaum eine der vielen Brücken hat die angegebenen 3,40 m. Einige sind so flach, dass ich auf dem Achterdeck kaum noch Stehhöhe habe

Man wird in Berlin auch seinen Müll los

Man wird in Berlin auch seinen Müll los

die Oberschleuse im Landwehrkanal

die Oberschleuse im Landwehrkanal

für uns nur "oben ohne"

für uns nur "oben ohne"

Kunst am Bau

Kunst am Bau

Die Ufer sind beschädigt, deshalb nur Einwegverkehr

Die Ufer sind beschädigt, deshalb nur Einwegverkehr

Rekrutenschelte?

Rekrutenschelte?

Ein Rosinenbomber auf dem Technischen Museum

Ein Rosinenbomber auf dem Technischen Museum

Zurück auf der Spree erscheint backbord Schloss Charlottenburg. Auch hier ist ein kostenloser Liegeplatz, denn das Lustschloss der Sophie Charlotte, Kurfürstin und erste Königin in Preußen, muss man unbedingt bewundern. Und natürlich das Mausoleum für die beliebteste aller Preußen-Königinnen, Luise.

Weiter über Spree und zwei Schleusen erreicht man Spandau. Gleich hinter der Schleuse ist ein Gelbe Wellen Anleger beim Bootshaus WS 04. Ein guter Platz um einen Spaziergang auf die Zitadelle zu machen. Sie beherbergte Jahrzehntelang nur einen einzigen, ihren letzten Gefangenen Rudolf Hess. So liest man es, doch auf der Zitadelle wird eine andere Version erzählt. Hess wurde im Gefängnis der Zitadelle gefangen gehalten und das war in der Stadt. Nach seinem Tod wurde es sofort abgerissen um keine Pilgerstätte für ewig Gestrige daraus machen. Die Spandauer winken jedoch ab. "Inne Zitadelle war der, wa!" Es ist heute wohl nicht mehr wichtig. Eine Stunde im Schritt fahren und man ist zurück im Tegeler See. Der Kreis hat sich geschlossen.

Im Spandauer See

Im Spandauer See

Tegel

Tegel

Wer Zeit hat, muss unbedingt Ausflüge einplanen in die Dahme-Seen, die Potsdamer Seen, die Ruppiner Gewässer, vielleicht in den Finowkanal Richtung Oder? Eine Stadtrundfahrt mit Fahrradrikscha, Pferdekutsche oder Panorama-Bus gehört natürlich zu einem Berlinbesuch, genauso wie der Besuch von Museen und Szenekneipen.
"So wohl ist mir jedes Mal, wenn ich meine Schreiberei liegenlassen kann, wenn ich, vor der Tür meines Hauses stehend, mir die Frage stelle: Wohin nun mein Freund, ganz Berlin gehört dir, entscheide, triff deine Wahl," so sagte es vor über hundert Jahren Berlin-Feuilletonist Julius Rodenberg. Warum sollte es heute nicht mehr gelten?

Suum cuique - Jedem das Seine!
Beluga wünscht euch einen schönen Sommer in Berlin.

© Doris Sutter, 2008
Du bist hier : Startseite Europa Deutschland Suum cuique - BERLIN -
Die Reise
 
Worum geht's?:
Begleitet Beluga und ihre Crew auf ihrer Bootstour durch Preußens Gloria und die neuen Bundesländer. Die Bootsreise begann am Rhein, führte über den Dortmund-Ems- und Mittellandkanal zur Elbe, über die mecklenburgische Seenplatte nach Berlin, die Oder ins Stettiner Haff und in den Amazonas des Nordens, in die Peene. Aber lest doch einfach selber.
Details:
Aufbruch: April 2008
Dauer: 5 Monate
Heimkehr: September 2008
Reiseziele: Deutschland
Polen
Der Autor
 
Doris Sutter berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Doris sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
Bild des Autors