Mit dem Boot durch Preußens Streusandbüchse
Die Müritz-Elde-Wasserstraße
Langsames Reisen hat den Vorteil, dass die Seele Schritt halten kann!
Das ursprüngliche Flussbett der Elde ist von ihrer Quelle im Landkreis Müritz bis zu ihrer Mündung bei km 504 in die Elbe 220 km lang. Der kanalisierte Verlauf kommt auf eine Länge von 208 km. Schiffbar mit 17 Schleusen und einem Höhenunterschied von 49 m sind 180 km, die Müritz-Elde-Wasserstrasse (MEW). Nach 120 km beginnt die Mecklenburgische Seenplatte.
Das Wasser- und Schifffahrtsamt garantiert auf dem staugeregelten Fluss eine Tauchtiefe von 1,20 m. Das heißt aber nicht, dass sie je nach Wasserstand nicht auch tiefer ist.
Beluga hat trotz Vertrimmung mehr als 1,20 Tiefgang. Unsere Dieseltanks im Heck sind nur noch viertelvoll, während wir den Wassertank im Vorschiff randvoll machen. Das bringt die Schrauben ein bisschen aus der Gefahrenzone. So sind wir sehr gespannt, ob es uns gelingt auf diesem Weg in die Müritz zu gelangen.
Jeder warnte uns vor einem Drempel vor der Mündung der Elde in die Elbe. Als wir von der Elbe abbiegen, hat diese einen sehr hohen Wasserstand. Ca. 2m über Normal. Die Elbauen sind überschwemmt, Sandbänke und sandige Ufer sind nicht auszumachen. Unter Echolot zeigt in der Einfahrt zur MEW bis zur ersten Schleuse 3,10 m Wassertiefe unter dem Boot. Hier dürfte es also erst ein Problem geben, wenn die Elbe extremes Niedrigwasser hat. Aber dann können größere Boote auch auf der Elbe nicht mehr fahren.
Die bemannten Schleusen der MEW haben keinen Funk. Telefonisch bitten wir den Schleusenmeister der Schleuse Dömitz die Hebebrücke für uns zu öffnen. Das Maß an der Spundwand zeigt eine Höhe von 3 m, da müssten wir alles abbauen.
Normalerweise hat die Schleuse eine Hubhöhe von 1,50 m. Wir schleusen nur ca. 30 cm hoch. Wir entscheiden uns für den Hafen oberhalb der Schleuse. Die Stege sind in einem schlimmen Zustand, doch es gibt Wasser, Strom, Mülleimer und Container mit Sanitären Anlagen. Auch eine Slipanlage. Hier liegt man sehr ruhig. Auch unterhalb der Schleuse sind zwei Anleger, einer davon ganz neu. Wer Action liebt und gerne am Puls des Lebens ist, ist dort sicher richtig. Das große Panorama-Cafe und der Beach-Club sind unmittelbar daneben. Nahe der Schleuse sind ein Aldi und ein Supermarkt. Sehr nah für einen üppigen Einkauf. Dömitz als Ausgangspunkt für Fahrradtouren zu nehmen bietet sich an. Auch der Ort selbst ist interessant, die Festung sehenswert.
Bis zur Schleuse Neu-Kaliß haben wir ständig 1,5 m Wasser unter dem Schiff. Erst im Schleusenkanal zeigt das Echolot kurzfristig 50 cm. Diese Schleuse und Dömitz haben Spundwände. Vor den Schleusen sind Warteplätze eingerichtet, die man auch benötigt, weil sich die Automatik-Schleusen sehr behäbig in Betrieb setzen. Auch der Schleusenvorgang selber bringt die Boote nicht in Schwierigkeiten. Durchgängig haben wir jetzt 1 Meter Wasser unter uns.
Klappbrücke und Schleuse mit dem lustigen Namen "Findenwirunshier" werden von einer Schleusenmeisterin bedient. Zwei Brüder trafen sich nach langer Trennung zufällig an diesem Ort wieder, daher der Name. Sie siedelten sich hier an, bauten eine Mühle und ihre Nachkommen leben immer noch hier. Der Wasserwanderrastplatz "Find's hier", kurz dahinter, liegt wunderschön an einer Wiese. Schleuse Eldena ist eine Baustelle. Im Mai 2008 soll sie fertig automatisiert sein, erzählt uns der Schleusenmeister. Jetzt begleitet ein Betriebsweg den Kanal bis Grabow, geeignet wenn sich die Crew Körper ertüchtigen will. Die Fahrt ist unheimlich beschaulich. Wie ein Wiesenbach schlängeln sich Elde oder Kanal durch Föhren- und Birken-Wälder, durchbrochen von Maulwurfswiesen. Wenige Ansiedlungen. Kraniche stehen in der Wiese, manchmal Rehe und Karnickel. Störche und Greifvögel kreisen über uns. Es ist Natur pur.
Grabow hat eine sehr schöne, neue Uferpromenade. Gleich daneben sind mehrere Einkaufsmöglichkeiten und ein Eis-Cafe. Aus Grabow kommen die Küsse, nein, nicht Negerkuss oder Mohrenkopf, die richtige Bezeichnung ist Schaumkuss. 6,5 Millionen Schaumküsse können täglich hier produziert werden. Wer will, kann gleich einen Sack voll bei der Fabrik kaufen. Vielleicht die zuckerfreie Sorte, um sein Gewissen etwas zu beruhigen? Also ein richtig guter Platz, nicht nur um auf die Öffnung der Hubbrücke zu warten. Sie öffnet nach Anmeldung alle 1,5 Stunden. So richtig gut funktioniert sie nicht immer. Heute braucht sie zwei Anläufe, bis sie sich endlich hebt. Dafür haben wir gleich in der nächsten Automatik-Schleuse Zwangsaufenthalt. Manchmal fahren wir durch die Elde, dann gluckert sie wieder fröhlich neben uns her. Vor der Schleuse Hechtsforth mündet sie in den Kanal. Sie bringt Schlamm mit und wir hoppeln zum ersten Mal durch den Dreck. Sie wären schon am Baggern, sagt uns der Schleusenmeister. So wird dieses Problem nur vorübergehend sein. Die Wasserwanderrastplätze unterscheiden sich von Jachthäfen meist dadurch, dass die oft Strom und Wasser anbieten, häufig aus dem Münzapparat, aber selten Sanitärräume. Trotzdem haben die meisten ihren Preis.
Es ist noch nicht so lange her, da galt das Gebiet um Neustadt-Glewe als unwegsames Bruch- und Sumpfgelände. Unzählige kleine Gräben und Kanäle entwässern es. Die MEW schlängelt sich nur abgedeicht von Dämmen durch ein Seen- und Sumpfgebiet, bevor sie sich immer schmaler werdend durch wildes Busch- und Baumland windet. Bieber haben ihre Spuren an den Bäumen hinterlassen, Eisvögel verschwinden wie ein blauer Blitz, wenn wir uns nähern. Der würzige Duft von Waldboden liegt in der Luft. Das optimistisch sprießende Grün vertreibt jeden negativen Gedanken, auch wenn es regnet. Hier befinden sich die größten Karpfenteiche Europas. Am Eldedreieck zweigt die Elde mit scharfem Rechtsknick zur Mecklenburgischen Seenplatte ab, während man scharf backbord in den Störkanal Richtung Schweriner See abbiegt. Der Anleger in einem Seitenarm im Unterwasser der Schleuse Parchim liegt sehr romantisch, aber leider kommen wir nicht dran. Mangelnde Wassertiefe verwehrt uns anzuladen. Ein Anleger im Oberwasser ist kostenlos und etwas weiter gibt es einen Wasserwanderrastplatz im Seitenarm. Die Orgel der Parchimer Marien-Kirche ist sensationell, und um ihren Turm flattern Turmfalken wie aus einem Taubenschlag. Unsere Weiterfahrt hat etwas Verwunschenes. Wir schippern durch urwüchsige Wälder. Nichts stört die Ruhe der Landschaft. Vögel jubilieren, der Kuckuck ruft, die Nachtigall schlägt, selbst etwas so alltägliches wie Stockenten werden Teil eines vollkommenen Ganzen. Die Natur hat sich längst die Ufer des kleinen Wassers zurückerobert. Über uns kreist unerreichbar für das Objektiv des Fotoapparates ein Adler. Die Menschenleere dieses Gebietes hat ihren Teil zur Wahrung der Natürlichkeit beigetragen. Es ist bedauerlich, dass es nicht mehr Anleger in freier Natur gibt, oder dass man nicht einfach an einer Wiese anlegen kann. Fischotter und Bieber lassen sich nur in absoluter Stille beobachten, nicht im Jachthafen oder mitten in einer Stadt. Vor Lübz plötzlich einen Windpark über die Bäume ragen zu sehen, ist wie ein Kultur-Schock. Er verschandelt, wie überall, die Natur nachhaltig. Da muss man die Gunst der Stunde für ein leckeres Lübzer Bier nutzen. Die Brauerei ist zu besichtigen. Kommt in der Schleuse Neuburg das Wasser wie ein Geysir unter dem Trempel hervor, schießt es in der Schleuse Bobzin wie eine Fontäne aus der Schleusenmitte, je nach dem wie schnell die Schleusenmeisterin die Schütze öffnet. Sie kann das selbst regeln, sagt sie uns. Hier muss keiner Angst haben, sie passe schon auf, dass jeder zu recht kommt. Als wir uns nach einem netten Plausch verabschieden, wünscht sie uns eine gute Reise und viele nette Bekanntschaften, denn die Mecklenburger wären gar nicht so stur wie ihr Ruf. Bis jetzt kann ich es nur bestätigen.
Zwischen Lübz und Plau haben wir streckenweise nur 40 cm Wasser unter dem Boot. An den ausgebaggerten Abschnitten sind es 1 m und mehr. Der Schleusenmeister der Schleuse Plau ist auch für die Hebebrücke zuständig. Normalerweise öffnet er die Brücke 3 Minuten nach der Schleuse, erklärt er uns, doch heute wird es etwas länger dauern, denn im Oberwasser steht eine holländische Hotelpenische, die hat Vorrang und muss erst noch geschleust werden. Wir wollen aber gar nicht weiter. Der kleine Luftkurort Plau mit seiner hübschen Altstadt ist uns einen Tag Aufenthalt wert. Besser zum Liegen als der flache Kai im Oberwasser, der eigentlich von Einheimischen voll belegt ist, ist ein Steg im Unterwasser der Schleuse. Hinter der Hubbrücke findet man auch eine Marina, aber da ist es wegen der vielen Ausflugsboote am anderen Ufer recht unruhig. Bis hierher hatte die Elde im April 2008 einen Wasserstand nicht unter 1,60 m.
Ab Plau schlängelt sich die Elde noch 60 km gut betonnt durch die Mecklenburger Oberseen. Eine Reise auf der Müritz-Elde-Wasserstraße bietet für jeden etwas, Natur, Kultur, viel Geruhsamkeit und Erholung. Wir haben viele freundliche Menschen getroffen. Schleusenmeister und -Meisterinnen mit Humor, Kompetenz und viel Verständnis.
Lasst euch nichts anderes erzählen. Bootsfahrer sind willkommen in Mecklenburg.
Törnführer:
Mecklenburgische und Märkische Gewässer
Törnatlas und Törnplaner Verlag Quick Maritim Medien, www.quickmaritim.de
Aufbruch: | April 2008 |
Dauer: | 5 Monate |
Heimkehr: | September 2008 |
Polen