Mit dem Boot durch Preußens Streusandbüchse
Über die Oder ins Haff
Die Oder entspringt in Tschechien und bildet ab der Neißemündung den Grenzfluss zwischen Deutschland und Polen.
Ab Berlin erreicht man die Oder auf zwei Wegen. Der Oder-Spree-Kanal trifft die Oder in Eisenhüttenstadt. Da die Oder genau wie die Elbe mit stark schwankenden Wasserständen kämpft, ist der sicherere Weg über den Oder-Havel-Kanal mit Anschluss an die Hoohensaaten-Friedrichtsthaler-Wasserstraße, die sich kurz vor Gartz mit der Westoder vereint. Ab hier laufen beide Oder-Arme auf polnischem Gebiet. In Stettin erreicht man das Stettiner- oder Oderhaff.
Genau das ist unser Ziel.
Von Berlin kommend verlassen wir die Havel-Oder-Wasserstraße um den Finow-Kanal kennenzulernen. Dass wir dadurch das Schiffshebewerk Niederfinow verpassen ist nicht weiter tragisch, denn wir werden auf dem Rückweg hier wieder vorbeikommen. Unterhalb des Hebewerks erreichen wir wieder den Oder-Havel-Kanal. Die Wasserstraße ist betonnt. Eigenartigerweise befinden wir uns auf Bergfahrt, obwohl es doch mit dem Hebewerk, genauso wie im Finow-Kanal mehr als deutlich 36 m abwärts geht. Eine Stilblüte des Deutschen Beamtentums oder der Preußischen Eigenheit? Seenartige Ausbuchtungen, wie der Oderberger See sind durch gelbe Tonnen als Ruhezonen für Fische ausgewiesen und für die Schifffahrt gesperrt. Nach Einmündung der Wriezener Alten Oder, die 3 km befahrbar ist, erreicht man Oderberg. Mehrere Wasserwanderrastplätze, teilweise sehr flach oder nur für ein einzelnes, größeres Boot geeignet, lassen uns lieber die Marina Oderberg aufsuchen, obwohl sie eine teure Angelegenheit ist. 1 € pro m Boot, 1 € pro Person und Tag, 2 € für Duschen, 2 € für Strom. Nur Wasser kostet nichts. Immerhin kann man morgens frische Brötchen kaufen. Der Hafen ist ein Sammelpunkt für alle Boote, die weiter in die Ostsee wollen. Entsprechend voll ist er abends
hier treffen Finow-Kanal und Havel-Oder-Wasserstraße zusammen
man sieht es, nicht immer war uns das Wetter hold
Vor der Schleuse Hohensaaten warten schon einige Sportboote und ein polnisches Schubschiff auf Schleusung, als wir kommen. Diese Schleuse und das Hebewerk sind regelrechte Nadelöhre und Wartezeiten muss man einkalkulieren.
Leider erlaubt uns der Wasserstand der Oder nicht die ca. 2 m zu ihr abwärts zu schleusen. Wir nehmen den Hohensaaten- Friedrichstaler-Kanal. Er verbessert den Ablauf der Alten Oder und ist nach Osten, zur Oder hin, vollständig, nach Westen zu großen Teilen eingedeicht. Zwischen Kanal und Oder befinden sich Polder, wie man sie von Holland her kennt. 90 % dieses Gebietes gehören zum Nationalpark Unteres Odertal. Im Winter werden die Fluttore gezogen und der Polder wird überschwemmt. Im Frühjahr wird ein großer Teil des Wassers wieder abgepumpt. In den zurückbleibenden Pfützen und Gräben entwickeln sich kleine schwarze Mücken, die es auch in der Camargue gibt. In manchen Jahren eine wirklich Plage für die Anrainer.
Kleine Orte säumen den Kanal. Jeder hat eine Anlegemöglichkeit für Sportboote geschaffen. Streckenweise schlängelt sich der Kanal an dichtem Wald vorbei, dann wieder wird das Tal breiter und erlaubt einen Blick auf Acker- und Weideland.
Funk und Kanal werden eindeutig polnisch dominiert. Deshalb versteht man nicht, wenn sich die polnischen Schiffsführer darüber unterhalten, warum sie sich trotz Begegnungsverbot aneinander vorbeidrängen. Abstandhalten ist kein Nachteil für Sportboote.
Übrigens, auf den Grenzgewässern, Oder und Westoder gilt eine Grenze der Blutalkoholkonzentration von 0,2 Promille.
beim 6. Brandenburger Junior-Ranger-Camp haben 200 kleine, fleißige Hände viele dieser Floße gebastelt, eines davon haben wir gefischt
Vor Schwedt wird gerade der Deich erhöht. Beim großen Oderhochwasser 1997 fehlten nur 10 cm, dann wäre der Deich überspült worden und Schwedt vollständig untergegangen. Im Sportbootanleger unterhalb der Brücke liegt man gut, wenn es auch zur Stadt ein kleiner Fußmarsch ist.
Schwedt war einst eine blühende Tabakstadt. Heute zieht sich nur noch ein kleines Feld am Kanal entlang. Der verliert immer mehr das künstliche, von Menschenhand geschaffene. Die Uckermark schiebt blickdichte Föhren- und Birkenwälder bis an seinen Rand. Dann wird das Tal breiter und flacher. Alte Oderarme vereinen sich mit dem Kanal, der bei km 135 endlich auf die Westoder trifft. Ihr Wasser ist schleimig grün von Grünalgen durchsetzt. Die Ufer sind schilfig, sumpfig. Auf unserer backbord Seite markiert Deutschland mit schwarz-rot-goldenen Grenzpfosten diskret aber nachhaltig sein Territorium, während auf polnischer Seite rot-weiß dagegen gehalten wird.
Wir durchfahren ein wunderschönes Flusstal, voller Stille und Beschaulichkeit. Kein Wellchen kräuselt das Wasser, es sei denn ein Hecht ist auf Beutezug. Strömung gibt es hier nicht mehr. Wie ein See liegt der kleine Fluss vor uns. Hin und wieder schaukelt ein Möwe oder Ente im Wasser, Fischreiher glotzen angestrengt in die Tiefe. Obwohl doch Vogelschutz- und Naturschutzgebiet, gibt es hier erstaunlich wenig Tiere. Die Ufer sind wild-romantisch und natürlich. Bruchwald, Wildnis, Schilf.
Wir erreichen die polnische Grenzstation. Sie ist geschlossen. Polen ist dem Schengener Abkommen beigetreten. Später das erste polnische Dorf zu unserer Linken. Ein wenig exotisch mutet es an mit seinen winzigen Häuschen. Vielleicht sind es Wochenendhäuser oder Fischerhütten?
Im Einzugsbereich von Stettin ist es schlagartig vorbei mit Idylle. Hochhäuser und Industrie dominieren. In Stettin ist der Teufel los. Wer zwischen West und Ostoder wechseln will, kann das über die Klützer Querfahrt tun. Wir bleiben auf der Westoder und schippern an Werften und Häfen der Berufsschifffahrt vorbei mitten durch die Stadt. Liegeplätze für Sportboote sind hier dünn gesät. An keiner Mole würden wir Beluga alleine lassen. Schon gar nicht in dem lebhaften Bahnhofsviertel. Nördlich des Bahnhofs, steht die Hauptpost, ein mächtiger Bau der Neurenaissance. Das Neue Rathaus wurde nach Berliner Vorbild Rotes Rathaus genannt, es beherbergt heute Einrichtungen der Hafenverwaltung.
Das Schloss der Herzöge von Pommern kommt strahlend weiß in Sicht. Etwas weiter das beeindruckende Bauensemble der Hakenterasse. Drei monumentale Großbauten stehen an der Uferstraße: die Seefahrthochschule, das Stadtmuseum (heute Theater und Meeresmuseum) sowie das Gebäude der Regierung von Pommern, das heute als Sitz der Wojewodschaft Westpommern weiterhin seiner ursprünglichen Funktion dient. Die flussseitige Straßenseite schmücken zwei Jugendstilpavillons und eine große Freitreppe.
Dann erreichen wir den Seehafen. Zwei Kümos werden gerade entladen. Zu Beginn des Hafens können auch Sportboote liegen. Ein Engländer ist so freundlich ein wenig aufzurücken, damit wir auch noch dazu passen. Sehr viel ruhiger würde man natürlich in den Jachthäfen der Ostoder liegen, aber lange nicht so zentral. Direkt neben uns eine Restaurant-Terrasse. Das dazugehörende Restaurant eine richtige Hafenbar, sehr edel und elegant.
Ein Kreuzfahrer, groß wie ein Hochhaus schiebt sich an sein Terminal, Rundfahrtboote, ein Tragflächenboot, Hotelschiffe der Deilmann Reederei und Croisi Europe, alle sind eilig und ziehen kräftigen Schwell hinter sich her. Da es der kürzeste Weg ist, fahren auch die großen Schubverbände und Binnenschiffe mit Kohle oder Schrott mitten durch die Stadt. Ich hätte nie gedacht, dass hier so viele Sportboote, Motor- wie Segelboote, aller Nationalitäten unterwegs sind. Langweilig wird es hier nie.
Eigentlich ist es Sportbooten nicht erlaubt durch das Hafengebiet Richtung Haff zu fahren. Wir tun es trotzdem. Die Fahrt ist umwerfend. Mitten durch Werften, Trockendocks, Verladestellen. Hier steht ein Steuerhaus, da ein Bug, auf der anderen Seite werden Rümpfe zusammen geschweißt. Bugsierboote, Schlepper, Lotsenboote, Fähren. Große Schwärme von Möwen schaukeln auf dem Wasser. Darunter dicke braune Seemöwen. Dieses Erlebnis wäre uns jeden Knollen recht, doch wir kommen ungeschoren davon, mit einem leicht schlechten
Gewissen, aber einem Ordner voller faszinierender Bilder. Gleich hinter diesem lebhaften Flussstück erobert die Natur wieder das Ufer der Oder. Sie wird breiter und breiter. Kann man das Meer schon riechen? Eher nicht. Leuchttürme stehen am Ufer, Seezeichen mit Leuchtfeuern weisen uns den Weg. Ein Seeadlerpaar macht mit seinem Jungen Flugübungen.
Zwei kleine Leuchttürme hintereinander markieren den Beginn des "Großen Haff", einem Teilstück des Stettiner Haffs.
Die See ruft!
Aufbruch: | April 2008 |
Dauer: | 5 Monate |
Heimkehr: | September 2008 |
Polen