Siyabangena! - Erfahrungsberichte aus Südafrikas Mutterstadt Johannesburg

Reisezeit: Juni - August 2009  |  von Timo Eckhardt

Eindrücke, Erzählungen, Stimmungen und Begegnungen aus Johannesburg, die etwas vom Alltag in Südafrika und seiner Kultur, Geschichte und Politik erzählen. Der Reisebericht basiert auf einem 11-wöchigen Forschungsaufenthalt in Gauteng, Südafrika und dokumentiert, was mir außerhalb der Recherche begegnet ist.

What a day!

Bei meinen bisherigen Flügen - drei waren es bislang an der Zahl - bin ich noch nie abends oder in der Nacht gestartet. Diesmal soll es so sein, der Koloss setzt gegen 22.40 Uhr vom Frankfurter Boden ab. Je höher wir steigen, desto faszinierender wird die Kulisse unten, von deren Studium mich nur mein bald schmerzender Nacken abhält: Ein Flickenteppich aus mal kleinen, mal großen, wie späte Glut glimmenden Inseln, die regelmäßig wie Mikrochips von (Licht-)impulsen durchdrungen werden. Dieser Flickenteppich scheint wie ein Wucher, ein krankhaftes Geschwür, das so gleichmäßig und beinahe systematisch die Landschaft durchwächst, dass sich in mir zwei widersprüchliche Gefühlen etablieren: Ablehnung gegenüber dieser Zerstückelung der Landschaft, die nur noch ein Bruchteil an Platz für andere Organismen übrig lässt, und doch auch Faszination ob dieses ästhetisch und beinahe künstlerisch anmutenden Bildes. Am Horizont dazu ein Gewitter, das in unregelmäßigen Intervallen den Nachtschwarzen Himmel orange aufblitzen lässt und so ein passendes Lichtspiel darbietet.

Über den Moment, bevor er das erste Mal Johannesburger Luft atmet, schreibt Nelson Mandela in seiner Autobiographie Der lange Weg zur Freiheit: "Die Verheißung Johannesburgs war so erregend, dass ich trotz des harten Fußbodens, auf dem wir lagen, das Gefühl hatte, in einem wunderschönen Federbett zu schlafen." Auch wenn ich Mandelas Vorfreude auf die Mutterstadt Südafrikas durchaus teilen kann, bin ich, was meine Schlafgelegenheit betrifft, nicht ganz so überzeugt. Nach ein paar Stündchen gequälten Dösens und einem Plastik-Frühstück, das von stetig lächelnden Plastik-Stewardessen serviert wird, nähert sich der Boden wieder. Erst taucht das Flugzeug in das graue Wolkenmeer, dann sehe ich zum ersten Mal (süd-)afrikanischen Boden. Mich ergreift ein Gefühl der Exotik, Fremde, plötzlich rauschen all die letzten Monate, Ereignisse, Entwicklungen an mir vorbei, die mich hierher geführt bzw. es mir ermöglicht haben, hierher zu kommen. Ich spüre, nicht zum ersten Mal, aber durchaus intensiver, eine tiefe Dankbarkeit für das Institut, für Timon, für Michael, für Johannes, dass sie mir so viel Vertrauen entgegenbringen. Und mir wird wieder, wie schon bei der Australien-Reise, bewusst, dass nicht etwa ein Plan, ein konkretes Ziel oder ein bestimmter, seit langem gehegter Wunsch dahinter stand, sondern ich mich mehr oder weniger habe treiben lassen. Nicht, dass ich schon lange unbedingt nach Südafrika (wie es bei einigen meiner internationalen Nachbarstudenten hier der Fall ist) (bzw. nach Australien) reisen und das Land und Kultur kennen lernen wollte. Es kam eher eins zum anderen, hier ein Tipp, da ein Gespräch oder Ereignis, im Detail alles wie Zufall wirkend und ohne mittel- oder langfristiges Ziel. Schon irgendwie faszinierend, so ein Werdegang. Deswegen verbringe ich auch immer wieder so viel Zeit damit, mir irgendwelche Lebensläufe von wildfremden Menschen im Internet anzuschauen - immer mit der Frage im Hinterkopf: Auf welchem Weg ist die oder der wohl hergekommen? Neulich sah ich auf dem Titelblatt einer Zeitung (war es vielleicht P.M.?), dass es sogar eine ganze Lebenslauf-Forschungsrichtung gibt...

Warten in der Ankunftshalle. Ein Meer aus Schildern, mit irgendwelchen Namen versehen, englisch, holländisch, südafrikanisch, deutsch und anderswie klingende. Nur kein "Timo Eckhardt". Nun, du bist jetzt in Südafrika, sage ich mir. Aber Bev verspätet sich laut Institut nie, sagt ein anderer in mir. Zwei Telefonate später bin ich beruhigter und kurz darauf sitze mit Bev in ihrem Auto.

Bev ist, wie ich bald merke, ein Wiesel, flink, energiegeladen bis in alle Ecken, eine Organisatorin vor dem Herrn, und wie man es sich nun schon vorstellen mag, klein und mit einem Bäuchlein mittleren Ausmaßes versehen und freilich recht redselig. Sie ist weiß, ihre Familie lebt aber seit Generationen in Südafrika. Als ich sie frage, was sie über die Kriminalität und damit verbundene sinnige und unsinnige Maßnahmen zur Steigerung der eigenen Sicherheit denkt, erzählt sie ihre Geschichte, bzw. ihren, wie sie es nennt, "background". Sie lebt seit Jahren mit ihrer Familie auf einer Farm etwas außerhalb von Pretoria. Vor einigen Jahren seien sie plötzlich mitten in der Nacht überfallen worden, Bev musste zusehen, wie ihr Vater halb tot geprügelt wurde. Ein Jahr später starb er an den Folgen. "He didn't get over it" - ob physisch oder psychisch spielt eigentlich keine Rolle.

Sie meint, natürlich hätte sie fortan alle Schwarzen - es waren Schwarze, von denen sie überfallen wurden - verdammen, fürchten und einen (auf Schwarze projizierten) paranoiden Sicherheitswahn verfallen können. Doch die ersten, die sie nach dem Überfall unterstützten und ihr wieder auf die Beine halfen, waren ebenfalls Schwarze, ein Großteil ihrer Freunde und Bekannte. So hat Bev eine recht gesunde und realistische Einstellung zur "schwarzen" Kriminalität entwickelt. Ob das repräsentativ für einen Großteil der hier lebenden Weißen ist? Weiß ich nicht, meine Vermutung ist - angesichts der Berichte über "gated communities" etc. - eher nein. Aber soweit lehne ich mich an meinem ersten Tag in Südafrika noch nicht aus dem Fenster.

Angekommen auf dem Kingsway-Campus der University of Johannesburg (kurz UJ), erlebe ich eine Überraschung, mit der auch Bev, die mir meine nach ihren Erzählungen 10 Minuten vom Campus entfernt liegende Unterkunft organisiert hat, nicht gerechnet hat. Mein "Zimmer": eine zweiräumige, mit geräumiger Küche, großzügigem Bad, zwei Betten und Sofas ausgestattete Wohnung, die direkt auf dem Campus liegt. Donnerlippchen! als erster Gedanke, "Wozu brauche ich diesen Luxus eigentlich?" vermischt mit einem eher unwohlen Gefühl ob diesen Luxus' als spätere Reaktion - ich fühle mich fast wie ein weißer Gutsherr während des Apartheid-Regimes. "That's your priviledge", meint Brians später. Mittlerweile habe ich mich dazu überredet, my little castle wertzuschätzen. Direkt auf dem Campus zu wohnen, ist schon nicht von schlechten Eltern.

Brian? Brian ist Zimbabwer und vor 8 Jahren nach Südafrika gekommen, um hier zu studieren. Relativ klein und kompakt, offen, interessiert, ein Kumpeltyp (wobei es das eigentlich nicht genau trifft) und auf eine sympathische Art zurückhaltend, mit diesem temperamentvollen, ansteckenden, herzlichen (i.S.v. vom Herzen kommend) und typisch schwarzafrikanischem Lachen. Wie ein Zauber, wenn die Schwarzen plötzlich zum Lachen ansetzen und ihre glänzend weißen Zähne zeigen - es hat etwas archaisches, das ich stundenlang beobachten könnte. Brian arbeitet als PhD-Student ebenfalls am Projekt in dem Department, wo ich vom Projekt aus angesiedelt bin. Erst vor zwei Wochen ist er von einem viermonatigen Aufenthalt in Stuttgart zurückgekommen, meine Fragen zu Südafrika und seinen Eigenheiten stoßen also durchaus auf Gegeninteresse an der deutschen Kultur. Von Bev wurde er bei meiner Ankunft "beauftragt", sich um mich zu kümmern. Diese Aufgabe nimmt er in der Tat verantwortungsbewusst war, ich bekomme sofort die afrikanische Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit zu spüren. Der erste Einkauf, die ersten Erledigungen, alles mit freundlicher Unterstützung von Brian.

Gleich am ersten Tag führt er mich, um Euros in die südafrikanischen Rand zu tauschen, nach Downtown, das einstige Business-Zentrum Joburgs. Als nach dem Ende des Apartheid-Regimes (1994) die Kriminalität in Downtown stark zunahm, zogen viele Firmen und Unternehmen nach Sandton im Nordwesten Joburgs um, wo heute der neue inoffizielle Central Business District ist. Downtown erscheint seit dato im Gewand eines verlassen wirkenden und heruntergekommenen Stadtteils, unvollendete Baustellen an vielen Ecken, leere Geschäfte, kaputte Bürgersteige. Trotzdem impulsiv. Schon in den einschlägigen Reiseführern wird aufgrund der häufigen Überfälle von einem Abend- oder Allein-Spaziergang durch Downtown abgeraten. Von Weißen wird Downtown offensichtlich stark gemieden, sie sehe ich eigentlich nur in Autos, entsprechend rar und exotisch fühle ich mich - kein Mensch, der mich nicht mit einem gewissen Erstaunen ansieht. Vor einigen Geschäften sitzen Menschen, die irgendwelche Dinge zu verkaufen versuchen, ihre Armut ist unübersehbar. Eine ziemlich bedrückende Stimmung.

Die Kriminalitätsrate in Downtown sinkt seit einiger Zeit wieder, die Lage hat sich etwas entspannt, einige Firmen haben ihren Sitz bereits wieder zurückverlegt. Bev meint, bis Downtown wieder den Status erreicht, den es einmal hatte, wird es jedoch wohl noch einige Zeit dauern.

© Timo Eckhardt, 2010
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Die Reise
 
Details:
Aufbruch: 10.06.2009
Dauer: 12 Wochen
Heimkehr: 29.08.2009
Reiseziele: Südafrika
Der Autor
 
Timo Eckhardt berichtet seit 14 Jahren auf umdiewelt.