Siyabangena! - Erfahrungsberichte aus Südafrikas Mutterstadt Johannesburg
Welcome, Brother Timo!
Es wäre ja langweilig, wenn es nur positive und erheiternde Erlebnisse zu berichten gäbe. Es ist also an der Zeit, die Sache ein wenig "kontroverser" auszuschmücken.
Samstag findet gewissermaßen der zweite Youth Day statt. In Brians Kirchengemeinde treffen sich heute young adults, um sich kennenzulernen, miteinander Zeit zu verbringen und um ein bisschen Spaß zu haben. Da ich Brian erzählt hatte, ihn gerne mal in die Kirche zu begleiten - aus rein interkulturellem Interesse -, lädt er mich zu dem Treffen ein.
Die "Kirche", in Uptown gelegen, erweist sich als ein Stockwerk in einem beigefarbenen Bürogebäude. Als ich den Eingang zum Treppenhaus betrete, kommt mir ein anderer young adult entgegen, der heute auch am Treffen teilnehmen will. Chimbi heißt der Bursche, etwas zurückhaltend, aber interessiert, wir kommen schnell ins Gespräch. Nach ein paar einführenden Fragen, z.B. was ich denn essen würde, und meiner Information, dass ich nicht religiös bin (was sich rückblickend als fataler Fehler erweist), werde ich sogleich mit der Frage konfrontiert, an was ich denn glaube. Erst antworte ich, dass ich an keinen Gott oder sonst irgendwas glaube. Mir schwant aber schon, dass ich mit dieser Antwort hier nicht gerade gut aufgestellt bin. Also sauge ich mir etwas aus den Fingern, nach fünf Minuten tische ich ihm eine halbgare Antwort auf - ich glaubte an die Kraft jedes Einzelnen, seine Umwelt in positiver Art zu beeinflussen und so einen Beitrag zu einer nachhaltigeren, gerechteren Welt zu leisten, oder so was. Seinem Gesichtsausdruck nach zu beurteilen steht dieses Glaubens"objekt" nicht auf einer Stufe mit Gott oder Jesus. Dann eben nicht!
Als der relativ kleine Raum gut gefüllt ist, wir sind etwa 50 Leute, ich freilich der einzige Weiße, werden wir in Gruppen eingeteilt. Ich stoße zum Unlimited-Team, das von Lesigno angeführt wird. Auf dem Programm stehen heute vier Spiele, bei denen Punkte verteilt werden. Ziel ist es, soviel Punkte wie möglich zu sammeln und am Ende als Gewinner gefeiert zu werden. So etwas scheint die (Süd-)Afrikaner ungemein anzuspornen, der Raum ist bald in helle Erregung versetzt, es wird mit Herzblut und Eifer um den Sieg gerungen, laut wird's - ein Mitteleuropäer kennt so was eigentlich nur aus einer Grundschule. Es dauert nicht lange, da bin auch ich voll bei der Sache. In einem Spiel werden Charaktereigenschaften zweier Mitspieler gesammelt, die anschließend durch die Moderatorin wie in einer Prüfung abgefragt werden. Ich höre von Visionen, "accounter", "ministry official", "manager" werden zu wollen, oder Größe und Bedeutung zu erlangen und seine Mitmenschen auf positive Art zu beeinflussen. Beim letzten Spiel werde ich dann sehr still, es geht darum, Figuren und Szenen aus der Bibel darzustellen. Die anderen Teams müssen das dann erraten, hier wird Bibeltreue und -kenntnis ausgezeichnet. Es folgt noch ein live gesungenes und gespieltes afrikanisches Lied namens "Modimo" (in Sotho), zu dem ausgelassen getanzt wird. Beeindruckend ist vor allem die Geschwindigkeit, mit der auf Tanzstimmung umgeschaltet wird. In Deutschland würde das vermutlich einen halben Nachmittag in Anspruch nehmen, hier dauert es dreißig Sekunden, bis die Meute in Fahrt kommt.
Bis dahin gab es eigentlich nur wenige Augenblicke, in denen ich nicht gelacht und gegrinst habe. Doch nun soll der (Nachmit)Tag eine entscheidende, tragische Wendung nehmen. Auf die "Bühne" tritt ein stämmiger, recht souverän wirkender Ende-Zwanziger, der frei heraus eine 20-minütige Rede bzw. Predigt schwingt. Er erzählt, wie wichtig es gerade heute sei, "strong relationships" zu bilden, dass der Tag nicht nur dazu da ist, ein bissel Spaß zu haben und anschließend wieder getrennte Wege zu gehen. Alles weise Worte, denen ich absolut zustimme und entsprechend nicke - auch ich bin daran interessiert, mit den Leuten hier in Kontakt zu bleiben - mehr aber auch nicht. Als er fertig ist, fangen alle an zu beten, ich bin mir unsicher, wie ich reagieren soll. Ob sich jemand auf den Schlips getreten fühlt, wenn ich gar nichts mache? Schließlich senke auch ich meinen Kopf und schließe meine Augen. Nach einer Weile, als alle etwas ruhiger geworden sind, nimmt mein Teamcaptain meine Hand, flüstert mir etwas zu, das ich nicht verstehe, ich nicke freundlich. Der Kerl auf der Bühne fragt irgendwas und wartet. Dann spricht mich Chimbi an, der neben mir sitzt, ich höre nur "do you want" "Lord", "Jesus". "What?" Wieder die gleiche dahin genuschelte Frage, wieder verstehe ich nur Brocken, diesmal sage ich einfach ja, um erneutes, lästiges Nachfragen zu vermeiden. Chimbis Augenbrauen wandern nach oben, er macht ein überraschtes Gesicht und fragt "Really?". Ich wieder "What, I don't understand you!" Er wiederholt zum dritten Mal seine Frage, aber es ist immer noch zu laut im Raum und er kriegt die Zähne nicht auseinander. Diesmal sage ich nein. Nun schaltet sich wieder mein rechter Nachbar ein und erzählt mir, dass der da (dabei zeigt er auf den Kerl auf der Bühne) für mich beten wolle. Ich lehne dankend ab, bin aber ziemlich verunsichert, weil ich eigentlich gar nichts mehr kapiere. Diese Unsicherheit sieht man mir offenbar an, wird aber zu aller Tragik von meinem Nachbarn so interpretiert, dass ich unsicher bin, ob ich nicht doch für mich beten lassen möchte. Da sind schon Dreiviertel aller Augen im Raum auf mich gerichtet. Noch ein letztes Mal frage ich, was eigentlich Sache ist, dann sagt Lesigno "ok, let's go together." Nun habe ich keinen Bock mehr und denke, na gut, dann lasse ich eben für mich beten. Warum nicht.
Als ich vorne stehe, bedankt sich der Anführer (so wirkt er jedenfalls) und eröffnet mir, dass dies die beste Entscheidung ist, die ich je getroffen habe und mein Leben in entscheidender Weise verändern wird. Die Schweißdrüsen meiner Oberlippe erhalten den Befehl zur sofortigen Mobilmachung, mein Herz überschlägt sich beinahe. Am liebsten würde ich nun endlich deutlich machen, dass ich das hier alles gar nicht möchte. Aber um mich herum stehen 50 bis 60 überzeugte und tiefgläubige Christen, deren Reaktion ich in so einem Fall nicht einschätzen kann. Also bleibe ich ruhig und mache ein ernstes Gesicht. Mir wird erzählt, dass ich nun als Kind Gottes neu geboren werde, die wichtigste Voraussetzung, Christ zu sein. Ich würde nun von der sündenempfänglichen Seite meiner Seele befreit und aus dem Reich des Teufels geholt werden. Gemeinsam mit der Gemeinde spreche ich mit erhobenen Händen und geschlossenen Augen die Worte des weisen Mannes vor mir nach. Anschließend legt er noch seine Hände auf meinen Kopf und meine Brust. Dann ist die Zeremonie beendet. Wie? Das wars? Das meinen die doch nicht ernst, denke ich. Meinen Eintritt in die Kirche und meine Geburt als Christ hätte ich mir etwas aufwendiger vorgestellt, zumal in Afrika, etwas mehr Vorbereitung auf ein solch entscheidendes Ritual. Aber es bleibt bei dieser - mit Verlaub - äußerst lächerlichen Veranstaltung. Sofort werde ich zum Ausgang des Raumes geführt, wo auch schon ein freundlicher Herr mit Unterlagen steht, der mich in einen anderen Raum führt, wo bereits drei Stühle bereit gestellt sind. Ich kann das alles immer noch nicht fassen und befürchte plötzlich, in einer Art Sekte gelandet zu sein. Aber Brian, und die anderen, die wirkten doch alle so... Eine halbe Stunde lang werde ich unter Zuhilfenahme von Bibel-Versen aufgeklärt, was nun eigentlich die Bedeutung dieser Zeremonie war (schönen Dank auch, dass ihr mir das danach erzählt). Mir wird erzählt, dass Nicht-Christen keine Verantwortung spüren würden, wenn sie beispielsweise ein kleines, armes Kind sehen würden. Mir wird erzählt, dass ich nun nicht mehr derselbe Timo sei wie vorher, die Leute, die mich am Freitag gesehen hätten, würden am Montag einen anderen Timo sehen. Heiliges Blechle!! Noch immer sage ich kein Wort dazu, nicke nur immerzu, irgendwo zwischen dem Bedürfnis laut rauszuprusten und schnell wegzulaufen. Ich werde nach meiner Adresse in Deutschland gefragt, damit wir in Kontakt bleiben könnten, eigentlich bin ich entschlossen, einen falschen Namen und eine falsche Adresse anzugeben, bringe es dann aber doch nur dazu, ein paar unwichtige Buchstaben und Zahlen in meinem Namen und meiner Adresse zu vertauschen. Zum Schluss werde ich mit Handschlag als "Brother Timo" in der Gemeinde willkommen geheißen. Endlich bin ich entlassen.
Mein Gott! Völlig fertig und wütend über diese widerwärtige Art, mich in eine solche Situation zu drängen und mir als Nicht-Christ solch unverschämte Anschuldigen an den Kopf zu werfen, fahre ich nach Hause. Der ganze Samstag und große Teile des Sonntags sind unter Anspannung der Frage gewidmet, wie wohl Brian reagieren wird, wenn ich mit ihm Tacheles rede. Abends nehme ich die wertvolle Beratung von Timon in Anspruch, der mich etwas runterholt.
Am Montag kommt dann Brian überraschenderweise vorbei. Nach einem ersten Small-Talk schwinge ich mich zur Klarstellung des Vorgefallenen auf und berichte, dass das alles ein fürchterliches Missverständnis war, dass das alles so nicht gemeint war. Natürlich sind meine Formulierungen wohl gewählt, ich versuche, so vorsichtig und feinfühlig wie möglich zu sein. Noch macht Brian ein ernstes Gesicht. Als ich fertig bin, schüttelt er den Kopf. - "No, that's ok. That's no problem and totally understandable. Things like that just happen. You don't have to worry about it." Ein Blitz der Erleichterung durchfährt meinen Körper, alle Glieder entspannen sich schlagartig. Brian nimmt es mit Humor und macht sogar noch Scherze, berichtet von vergleichbaren Erfahrungen aus Deutschland und beweist seine Aufgeschlossenheit und Weltläufigkeit. Für ihn habe ohnehin nur im Vordergrund gestanden, dass ich ein paar Leute kennenlerne, Spaß habe und sehe, wie Afrikaner ihre Zeit in der kirchlichen Umgebung verbringen.
Was für ein Happy End.
Aufbruch: | 10.06.2009 |
Dauer: | 12 Wochen |
Heimkehr: | 29.08.2009 |