Siyabangena! - Erfahrungsberichte aus Südafrikas Mutterstadt Johannesburg
Youth day
Schon am frühen Morgen, noch im Halbschlaf schlummernd, wundere ich mich, warum es so ungewöhnlich ruhig auf dem Campus ist. Normalerweise pflegen die Studenten ab 7 Uhr herumzukrakelen, sodass man nur noch ein Auge zukriegt. Um halb neun bin ich endlich fertig, mache mich auf den Weg zum Department. Das ist verschlossen, zu meinem Erstaunen, da die Tür üblicherweise ab kurz vor 8 offen steht. Erst jetzt fällt mir auf, dass der Campus leer ist, wie ausgestorben, ich auf meinem Weg keinem einzigen Studenten begegnet bin. Leer ist eigentlich falsch, denn als ich wieder runter gehe, bemerke ich, dass heute die Vögel den Campus annektiert haben. Immer wieder ein Flügelschlag oder ein kreischender Vogel, der die Stille zwischen den gigantischen Betonblöcken erschüttern lässt. Ein Laubblatt, das sich vom Wind über den rauen Boden schieben lässt. Die Wolken wandern heute schnell. Eine fast apokalyptische Stimmung.
Langsam beginne ich, in meinem Gedächtnis zu wühlen und zu ahnen. 16. Juni, das hast du doch schon mal gelesen, in einem dieser Reiseführer. Endlich läuft ein Student auf mich zu, ich frage, was hier heute los ist - "oh, it's a holiday today, 16th of June". Klick macht es da noch nicht wirklich. Erst als ich mit Brian telefoniere, werde ich schlauer: Youth day!
Südafrika erinnert am 16. Juni den Tag, an dem vor 29 Jahren, im Jahr 1979 der 12-jährige Schüler Hector Pieterson und einige seiner Mitstreiter von Polizisten erschossen wurden. Hector war Teil einer Gruppe von protestierenden Schülern, die dieser Tage im ganzen Land gegen die Zwangseinführung von Afrikaans als Unterrichtssprache protestierten. In einem Zeitungsinterview berichtet seine Schwester, der 16. Juni habe wie ein ganz normaler Tag begonnen. Sonniges, mildes Wetter. Am Morgen war es ruhig auf den Straßen Sowetos. Nur habe sie etwas Ungewöhnliches in der Luft gespürt. Irgendwann seien Schüler zu ihrer Schule gekommen, hätten sie aufgefordert, sie zu einer Polizeistation zu begleiten, um dort zu demonstrieren. Vor einer Polizeistation seien dann mehrmals Schüsse auf die Schüler abgefeuert worden, plötzlich sah sie jemanden am Boden liegen - Hector. Die Kinder wehrten sich mit Stöcken und Steinen, wodurch auch zwei Weiße getötet wurden. Sein Tod machte innerhalb Südafrikas und auch über die Landesgrenzen hinaus viele auf die Brutalität des Apartheid-Regimes aufmerksam und führte zu weiteren Protesten, bei denen insgesamt 550 Schüler getötet wurden. Hector also als eine Art südafrikanischer Benno Ohnesorg. Mandela schreibt: "Plötzlich waren die jungen Leute in Südafrika vom Geist des Protests und der Rebellion beseelt. Der Geist des Massenprotests, der in den sechziger Jahren eingeschlafen schien, flammte in den Siebzigern wieder auf. Die Bantu-Erziehung war zurückgekommen und verfolgte nun ihre Schöpfer, denn diese verärgerten, verwegenen jungen Leute waren ihre Sprösslinge."
Der Autor des Zeitungsartikels fragt, wessen oder was heute erinnert wird. Dem Tod der 550 Schüler, deren einzige "Sünde" es war, schwarz zu sein? Den hunderttausenden demonstrierenden Schülern im ganzen Land? Und was wird gefeiert? Die scheinbar unendliche Fähigkeit der vielen südafrikanischen Verwandten zur Vergebung? Ihre konstruktive Art, mit dem Erlebten umzugehen? Hectors Schwester leitet heute das Hector Pieterson Museum, wo sie junge Menschen über das Apartheid-Regime und dessen Unterdrückung der Schwarzen Bevölkerung aufklärt. Ihre Stimme hat laut dem Journalisten nicht einen Hauch von Verbitterung oder unverarbeiteter Wut, wenn sie von den Ereignissen erzählt.
In einem Stadion in Pretoria spricht Jacob Zuma, der neue südafrikanische Präsident, heute zu tausenden Jugendlichen. Pathetisch schließt er: "We have heard the voices of the youth". Als ich am Nachmittag am Computer sitze, höre ich sie tatsächlich. Aus einem Hörsaal nebenan ertönt ein Gospel-Chor. Ich werde neugierig und sehe etwa 100 Schüler, die zusammen mit einem Studenten-Chor ausgelassen ein wunderbares Lied begleiten. Alle klatschen, lachen, tanzen. Hier wird heute mit von den Schülern vorbereiteten Theaterstücken, Lesungen, Liedern das Thema Apartheid aufgearbeitet und beleuchtet. Und die Freiheit gefeiert! Das können sie wirklich gut, die Südafrikaner.
Aufbruch: | 10.06.2009 |
Dauer: | 12 Wochen |
Heimkehr: | 29.08.2009 |