Siyabangena! - Erfahrungsberichte aus Südafrikas Mutterstadt Johannesburg

Reisezeit: Juni - August 2009  |  von Timo Eckhardt

Siyabangena!

"Um Gottes Willen, was willst du denn dort als Weißer, viel zu gefährlich." "Hui, da hätt ich Schiss, würd ich nicht machen." Solche und andere klischeehafte Kommentare hört man von einigen Weißen immer wieder zum Thema Soweto. "If you want to see South Africa, you need to go to Soweto", sagen Shola und andere (meist schwarze) Mitarbeiter im Department. Soweto: Das ist der Ursprung, das Herz des schwarzen urbanen Südafrikas. Ich will fühlen, wie dieses Herz schlägt. Und ich bin eigentlich nicht gewillt, mir von irgendwelchen vagen Behauptungen oder Warnungen die Neugier und das Interesse nehmen zu lassen. Brian ist sowieso der Ansicht, dass es völlig ungefährlich ist - wenn man die richtigen Leute kennt. Und die kennt er freilich. Bungi, der jeden Freitag im Department putzt, wohnt in Soweto. Brian spricht mit ihm ab, dass er uns eine kleine "Führung" durch die bevölkerungsreichste Township des südlichen Afrikas gibt.

An einem Freitag machen Brian, Gertrud und ich uns auf den Weg. Soweto, das übrigens die Abkürzung für "Southern Western Townships" ist, liegt, wie der Name schon sagt, südwestlich von Johannesburg und war ein 1963 gegründeter Zusammenschluss mehrer Townships, der für mehrer Jahre auch eine eigenständige Stadt war. Insgesamt besteht Soweto aus 30 Townships, die von oben aus betrachtet - also aus Sicht der google maps zuarbeitenden Satelliten - völlig unüberschaubar wirken. Was heute als Stadtteil gilt und sich über eine Fläche etwa so groß wie Freiburg erstreckt, ist Heimat für geschätzte 3,5 Millionen Menschen (zumindest behaupten das inoffizielle Schätzungen...).

Bei der Einfahrt nach Soweto bin ich etwas aufgeregt. Einerseits wegen dem eher lästigen, wenn auch sicher nicht unberechtigten Gerede von Soweto als Kriminalitätshotspot Südafrikas. Andererseits, weil ich weiß, dass ich jetzt aus der kuscheligen und trügerischen Atmosphäre des wohlhabenden Melville herausgerissen und mit der Realität Südafrikas konfrontiert werde. Zumindest soweit, wie das an einem Tag möglich ist. Das ruft ambivalente Gefühle in mir hervor.

Wir halten auf einem Parkplatz, am Rande eines kleinen Parks, in dem ein Denkmal für Nelson Mandela errichtet wurde. Auf der anderen Seite der Wiese steht eine große Videoleinwand. Bungi erklärt uns später, dass hier immer Confed Cup Spiele geguckt werden - viele Sowetaner haben keinen eigenen Fernseher und versammeln sich dann hier. Auf der Wiese sehe ich wieder (wie vorher schon in einem anderen Park) Schwarze auf dem Bauch liegen und ahne, dass das kein Zufall sein kann. Einige Tage danach erzählt mir Shaatuna beiläufig davon, dass sie nie auf dem Rücken liegend einschlafe - in ihrer Kultur glaube man daran, dass das Pech und Unglück bringe und man so ungeschützt sei.

Nach einer Weile kommt Bungi in gemütlichem Gang um die Ecke und wir marschieren los. Als Weißer zu Fuß durch Soweto - fühlt sich erstmal mulmig an, wird aber bald zu einem guten Gefühl. Wir schlendern zunächst zu Bungis Wohnung, wo er uns mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern bekannt macht. Die Wohnung liegt in einer Art Hinterhof, die umliegenden Häuser sind alle einstöckig, ausgestattet mit einem kleinen Vorgarten. Die Siedlung macht einen gemütlichen, fast spießigen Eindruck. Im Vorderhaus stehen zwei Männer, die fröhlich ihren schwarzen Skoda in der prallen Sonne waschen. Zusammen mit dem beigen Putz der Häuser erinnert das an sonntägliche DDR-Idylle. Vielleicht ist das hier das schwarze Kleinbürgertum Südafrikas, denke ich.

Wir packen die Vuvuzelas ein, dann beginnt die Rundfahrt. An einem Tag die sehenswerten Orte Sowetos zu erkunden - das ist Bungis Plan - ist per Fuß wohl kaum möglich. Zuerst fahren wir nach Orlando, zu Nelson Mandelas Haus, wo er mit seiner Frau Winnie und seinen Kindern jahrelang lebte und das seitdem ungeheuer populär geworden ist. Als Mandela 1991 aus dem Gefängnis kam und dort zunächst wieder einzog, wurde es ununterbrochen von hunderten ANC-Anhänger umlagert. Heute ist es ein Museum und nach wie vor Pilgerstätte für Mandela-Begeisterte, vor allem für Soweto-Touristen, deren Zahl in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen ist. Anschließend geht es zum Jabulani Stadium in Orlando. Bungi fragt am Haupteingang, ob wir das Stadium besichtigen dürfen. Nein, ist die knappe und deutliche Antwort. Wir fahren einmal um das Gelände herum und nähern uns dem Hintereingang, wo Bungi einen Bediensteten anspricht. Er scheint, genau wie Brian, hier jeden zu kennen, und scherzt mit ihm, als sei es sein Nachbar. Mir klingen Brians Worte vom ersten Tag in den Ohren: "That's something what you will learn about Africa: We communicate so easily". Und tatsächlich, Bungi versteht sich so gut mit dem Kerl, dass der uns die Pforten öffnet, sich freuend, dass er uns einen Gefallen tun kann. Völlig unvorstellbar in Bürokratie-Deutschland. Auf den leeren, stillen Rängen des Stadiums zu stehen, wo jedes Wochenende die Orlando Pirates mit dröhnendem Vuvuzela-Sound bejubelt werden, ist ein beeindruckendes Gefühl. Wir Vier freuen uns wie kleine Kinder. Zur Feier des Moments geben Bungi und Brian ein kleines Blaskonzert.

Auf der Weiterfahrt ruft Bungi plötzlich den vorbeilaufenden Menschen etwas zu, das ich erst nicht verstehe. Wenn ich bei den Leuten Sympatien wecken wolle, solle ich einfach "Siyabangena!" rufen. Das ist isiZulu (die Sprache des Zulu-Volks) und bedeutet soviel wie "We're beating them!". Vor allem wird das Wort beim Fußball gebraucht, wenn die eigene Mannschaft am gewinnen ist, es passt aber eigentlich zu jeder Lebenslage, wenn man seine Freude zum Ausdruck und Südafrikaner zum Jubeln bringen will. So wird "Siyabangena!" zum running gag des Tages - Bungi und Brian können sich kaum halten, wenn ich als weißer Europäer es rufe. Auch Bungis Frau und Töchter brechen in lautes Gelächter aus, als ich unerwartet damit rausplatze. Da die Wirkung meines Ausrufs mit der Zeit in ihrer Intensität nicht abzunehmen scheint, entdecke ich bald, dass ich ihn nach Belieben einsetzen kann, sobald ich mich am afrikanischen Lachen ergötzen möchte. Ein außerordentlich praktisches Instrument.

Später halten wir auch am Hector Pieterson Memorial, einem der Orte, wo der Schüleraufstand von Soweto 1976 blutig niedergeschlagen und Hector Pieterson zur tragischen Ikone einer ganzen Generation von schwarzen Jugendlichen wurde, die mit einem neuem Selbstbewusstsein gegen das Apartheid-Regime rebellierten. Als wir die Tafel lesen und die Atmosphäre des Ortes auf uns wirken lassen, spüre ich, wie uns alle ein Gefühl des Respekts und der Demut ergreift, Respekt vor dem Mut dieser jungen Menschen, die bereit waren, für ihre Würde und ihr Recht auf ein freies Leben bis zum Äußersten zu gehen.

Eine weitere, sehr beklemmende Station unserer Tour ist Kliptown, eine sogenannte "Shanty Town" (Barackensiedlung). Eigentlich hätte ich hier nicht gehalten, aber Bungi besteht darauf und führt uns auf die andere Seite der Straße, von wo aus wir über das "informal settlement" sehen können. Unten reiht sich eine Wellblechhütte an die andere, dazwischen sandige Wege, bunte Wäsche. Ich komme mir ziemlich bescheuert dabei vor, als weißer Tourist wie in einem Zoo dazustehen und auf die Armen in ihrem Gehege hinunterzuschauen. Ich male mir aus, wie mir von dort unten verachtende Blicke zugeworfen werden. Und werde eines Besseren belehrt: am Fuße des Hangs, 70 Meter unter uns, hinter der ersten Häuserreihe, sehe ich plötzlich ein Kind mit seiner Mutter, die beide zu uns hoch schauen, herzlich lachen und winken, als würden sie sich freuen, uns zu sehen. Ein Moment, der so überwältigend ist, so voller Menschlichkeit, dass er mich noch Tage danach packt.

Als langsam die Dämmerung einbricht, beginnt sich Soweto in eine Dunstglocke aus Rauchschwaden zu hüllen. Essenszeit. Es ist Winter in Südafrika und sobald die Sonne weg ist, wird es eisig. Viele Haushalte heizen und kochen hier mit Paraffin, Kohle oder Holz. In den informal settlements passiert das häufig auf wackeligen Untergründen und instabilen Öfen, Licht gibt es oft "nur" durch Kerzen. Dort kommt es deswegen regelmäßig zu so genannten shack fires. Gibt es in einer Hütte ein Feuer, brennt wegen der dichten Bebauung innerhalb von wenigen Minuten das ganze Viertel ab. Das Problem ist die fehlende oder unprofessionell hergestellte Elektrifizierung der Siedlungen, mit deren Hilfe die Siedlungen wesentlich sicherer werden würden. Harold und sein Team vom Department, bei dem ich angesiedelt bin, forschen seit Jahren zu der Frage, wie das Risiko der shack fires eindämmt werden kann und beteiligen sich an der Entwicklung und Verbreitung von sicheren Öfen.

Am Abend kehren wir noch einmal bei Bungi und seiner Familie ein. Seine beiden Töchtern, die eine 4 und noch recht schüchtern, die andere 9, bieten uns eine kleine Tanzeinlage dar. Sie haben es einfach im Blut. Eine Neunjährige, die ihren Körper zur Musik bewegt wie hierzulande eine 20jährige mit mindestens zehnjähriger Tanzerfahrung. Bungi erzählt mir, dass er bald gerne studieren möchte, und dafür spart, seiner Familie ein eigenes Haus bauen zu können.

Der Abschied von einer solch herzlichen Familie nach einem solchen Tag fällt schwer. Am liebsten würde ich noch ein paar Tage hier Urlaub machen. Am Ende bleibt uns nur noch Lachen. Siyabangena!

© Timo Eckhardt, 2010
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Eindrücke, Erzählungen, Stimmungen und Begegnungen aus Johannesburg, die etwas vom Alltag in Südafrika und seiner Kultur, Geschichte und Politik erzählen. Der Reisebericht basiert auf einem 11-wöchigen Forschungsaufenthalt in Gauteng, Südafrika und dokumentiert, was mir außerhalb der Recherche begegnet ist.
Details:
Aufbruch: 10.06.2009
Dauer: 12 Wochen
Heimkehr: 29.08.2009
Reiseziele: Südafrika
Der Autor
 
Timo Eckhardt berichtet seit 14 Jahren auf umdiewelt.