Asia Express – In 6 Monaten von Delhi nach Denpasar
Mutter Ganges und Kamasutra
Varanasi und Khajuraho
3. April - 16. April 2010
Nach dem üblichen Bahnhofsgerangel sitzen wir im Rahadjani Express einem der komfortabelsten Züge Indiens. Es ist nicht unbedingt die preiswerteste Variante, da man für diesen Zug grundsätzlich nur Fahrkarten bis zur Endstation Delhi lösen kann, egal wie weit man wirklich fahren möchte. In unserem Fall ist es etwa die halbe Strecke aber bei auf Wochen ausgebuchten Zügen haben wir keine andere Wahl. Für den höheren Preis gibt allerdings auch den für Indien nicht alltäglichen Luxus eines sehr sauberen Zuges und eine kulinarische Rundumversorgung mit dem klangvollen Namen "Meals On Wheels". Alle Mahlzeiten sind inkludiert und davon gibt es reichlich. Lunch mit mehreren Bestandteilen, Eiscreme, zum Nachmittagstee werden Sandwiches und Süßigkeiten serviert... Wir genießen die angenehme Fahrt und erfreuen uns an der Landschaft. Um das Aussteigen nicht zu verpassen, gönnen wir uns im Zug keinen Schlaf, denn wir treffen mit dem Radjhani-Express gegen 1.30 Uhr in Mughal Serai ein, einem Verkehrsknotenpunkt 12 km vor den Toren der Stadt. Die Unterkunft ist bereits gebucht und der Transfer organisiert, so dass wir unserer Ankunft recht gelassen entgegen sehen. Aber schließlich sind wir in Indien, und so läuft es auch diesmal nicht wie geplant. Am Bahnsteig spricht uns ein Autorikshaw-Fahrer an, der uns abholen soll, doch kurze Zeit später wird uns ein Taxi offeriert - selbstredend zum doppelten Preis - und wir finden uns zusammen mit drei Indern in einem Fahrzeug auf einer stockfinsteren Straße wieder. Auch die Tatsache, dass alle erkennbaren Straßenschilder ausschließlich auf Hindi beschriftet sind trägt nicht gerade zu unsrer Beruhigung bei. Nach kurzer Fahrt, die kaum die im "loony planet" angegebenen 27 Kilometer lang sein kann, erreichen wir die Altstadt von Varanasi. "Walking Area" - die Gassen der Altstadt sind für Fahrzeuge tabu, ab hier geht es zu Fuß weiter. Einer der Mitfahrer führt uns im sportlichen Tempo durch verwinkelte, nächtlich finstere, von Kuhs... gepflasterte Gassen. Dann sind wir endlich angekommen. Unser "Guide" fordert sein Tip. Egal, wir wollen nur noch ins Bett.
Die heilige Stadt am Ganges, früher auch als Benares oder Kashi bekannt, versprüht trotz ihrer 1,2 Millionen Einwohner einen recht provinziellen Charme. Die Altstadt ist für motorisierte Fahrzeuge nicht zugänglich, zu eng sind die schmalen Gassen, die nebeneinander allenfalls einer Kuh und einem Fahrrad Platz bieten. Auch auf den Straßen der Neustadt findet man deutlich mehr zwei- und dreirädrige Gefährte als Autos.
Unsere Unterkunft, das Sita Guesthouse, liegt strategisch günstig direkt an einem der zahllosen Ghats, den langgestreckten Stufen, die auf einer Länge von mehreren Kilometern das Gangesufer säumen. Von hier aus sind die Entfernungen zum Nord- und Südende der Ghats etwa gleich und in wenigen Minuten erreicht man das Dasaswamedh Ghat, das Hauptghat Varanasis.
Wir schlafen zunächst aus und nutzen den restlichen Tag für die Erkundung des Terrains. Einen ersten Eindruck gewinnen wir schon beim Blick aus dem Fenster. Von den Booten dröhnt lauter Hindu-Pop zu uns herauf, und direkt vor der Hoteltür plantschen etwa zwanzig Kinder vergnügt im Wasser. Wir orientieren unsere Ausflüge zu Beginn auch bewusst in Richtung Fluss, denn alle Sehenswürdigkeiten der Stadt sind über diesen Weg zu erreichen, und das Labyrinth der Gassen, die durch die Altstadt führen, hat uns bei unserer nächtlichen Ankunft mit unserem Guide verwirrt, um nicht zu sagen abgeschreckt. Am Ufer des Ganges versammeln sich Einheimische und Pilger aus ganz Indien in den frühen Morgenstunden und zum Sonnenuntergang zum Gebet, zum Darbringen von Opfergaben und für das spirituelle Bad im heiligen Fluss. Zwei der Ghats dienen der traditionellen hinduistischen Verbrennungszeremonie, denn unter streng gläubigen Hindus gilt der nach wie vor der Grundsatz, dass der Kreislauf der Wiedergeburt unterbrochen wird und die Seele ins Nirwana gelangt, wenn man in Varanasi stirbt und bestattet wird. Vielleicht wird dieser Prozess auch durch das stark belastete Flusswasser beschleunigt, dem Heilkräfte nachgesagt werden und das von den Indern mit Begeisterung und Vertrauen getrunken wird. Wir jedenfalls haben sogar Fußkontakt mit dem schmutzigen Nass vermieden. Darüber hinaus dient der Fluss jedoch auch ganz profanen Tätigkeiten: Bereits bei Sonnenaufgang kommen die Bewohner der nahegelegenen Altstadt zur ausgiebigen Körperpflege hierher, gleich nebenan wird mit vollem körperlichen Einsatz Wäsche gewaschen.
Dazwischen drängen heilige Kühe ans Ufer, um ihren Durst zu stillen und sich in den Fluten abzukühlen. Kleine Fischerboote steuern die Flussmitte an, in der Hoffnung auf einen bescheidenen Fang. Auf den breiteren Treppenabsätzen der Ghats kann man Jugendliche beobachten, die mit Hingabe den indischen Nationalsport Kricket trainieren.
Die nächsten acht Tage, die wir in Varanasi verbringen, haben einen den ewig gleichen Rhythmus und folgen den hinduistischen Ritualen und der Temperaturkurve. Das geschäftige Treiben am Ufer des Ganges beobachten wir vorzugsweise ab 5.00 Uhr morgens. Eine gute und für schwer bepackte Fotografen bequeme Möglichkeit besteht darin, eines der Ruderboote zu mieten, die zu Hunderten am Ufer vertäut sind und wie warme Semmeln angeboten werden: "Sir, boat? Very cheap." Das Spektrum der Bootsführer reicht jedoch von völlig unmotiviert bis hoch professionell, und so wünschen wir gelegentlich, wir wären doch zu Fuß gegangen.
Bei unseren Spaziergängen entlang der Ghats warten inmitten von auffällig orange gekleideten heiligen Männern, den Sadhus, aufdringlichen Bootsvermietern, geschäftstüchtigen Verkäufern von Opferschalen und Scharen von Pilgern jede Menge farbenfrohe Motive.
Doch hier ist Eile angesagt, denn es bleiben nur maximal zweieinhalb Stunden zum Fotografieren. Schon ab 7.30 Uhr steht die Sonne hoch am Himmel und das Licht wird viel zu grell. Auch die Ghats leeren sich um diese Zeit merklich. Für viele beginnt jetzt der ganz normale Tagesablauf, alle anderen flüchten sich in den Schatten, denn auf den steinernen Stufen ist man der glühenden Hitze schutzlos ausgeliefert. Schon in den Morgenstunden klettert das Thermometer in dieser Jahreszeit auf unerträgliche 45 Grad.
Die heiße Zeit des Tages verbringen wir entweder in unserem Zimmer, in dem die Klimaanlage den Kampf gegen die Außentemperatur jeden Tag ein bisschen mehr verliert, oder in einem schattigen, bestenfalls klimatisierten Restaurant. Varanasi bietet nicht allzu viele kulinarische Offenbarungen, und mittlerweile sind wir der fettigen, immer gleichen indischen Küche so überdrüssig, dass wir beständig zwischen einigen wenigen Lokalen hin und her wechseln. Unsere Favoriten sind die von einem schwäbischen Bäcker geführte "Brown Bread Bakery", die Roggenbrot und eine große Käseauswahl serviert, das "Haifa", das mit ausgezeichnetem arabischen Essen punktet und McDonalds, das uns das erste nicht-vegetarische Essen seit sieben Wochen, einen FishMac, offeriert.
Erst am späten Nachmittag wird es draußen wieder einigermaßen erträglich, und zum zweiten Höhepunkt des Tages, der täglichen Ganga Aarti-Zeremonie, strömen unzählige Menschen an das Hauptghat zurück, um dem Fluss ihre Ehrerbietung zu erweisen. Von fünf jungen Priestern werden Feuerschalen geschwenkt und die Hymne an die als Gottheit verehrte Mutter Ganges hingebungsvoll zelebriert.
Hier starten wir auch regelmäßig unsere zweite Fotorunde, die wir etwa anderthalb Stunden später schweißgebadet und mit völlig überreizten Sinnesorganen beenden, denn die musikalische Untermalung, die dichten Rauchschwaden und der Geruch hunderter Räucherstäbchen gehen an einem Mitteleuropäer nicht spurlos vorüber.
Für Archäologen und Buddhisten sicher hochinteressant, für uns eher nüchtern präsentiert sich Sarnath, ein kleiner Ort 10 km nördlich von Varanasi. Wir unternehmen eine Fahrt mit der Autorikshaw zu der Stätte, an denen Buddha seine ersten Jünger um sich geschart haben soll. Ausgrabungen haben sorgfältig alte Klosterruinen inmitten eines gepflegten Parks freigelegt, eine gewaltige, reich verzierte Stupa und mehrere buddhistische Tempel sind zu sehen, aber es will keine wirkliche Atmosphäre auskommen, und wir kehren recht bald nach Varanasi zurück.
Nach etwas mehr als einer Woche verlassen wir Varanasi in Richtung Khajuraho. Zu unserer Überraschung gibt es inzwischen eine Zugverbindung in diesen für seine außerordentlich attraktiven Tempel bekannten Ort inmitten des Nirgendwo, und so rollen wir auf einer entspannten Übernachtfahrt in einem völlig einsamen Schlafwagen unserem nächsten Reiseziel entgegen.
Khajuraho empfängt uns am nächsten Morgen, kurz nach 6.00 Uhr, mit erstaunlicher Gelassenheit. Nach dem allgegenwärtigen indischen Gewusel fühlen wir uns sofort gut aufgehoben in dieser Oase der Ruhe.
Der Ort ist weit über die Grenzen Indiens hinaus für seine beeindruckenden Tempelanlagen bekannt. Die zum Welterbe gehörenden Anlagen wurden größtenteils zwischen 950 und 1050 unter der Herrschaft der Chandela-Fürsten errichtet. Unter den kunstvoll gearbeiteten Reliefs, die die Fassaden schmücken, befinden sich eine Reihe erotischer Darstellungen, die nicht nur dem englischen Offizier T.S. Burt bei der Wiederentdeckung der Tempel im Jahre 1838 die Schamesröte ins Gesicht trieben.
Gleich am ersten Abend besuchen wir die Light & Sound Show auf dem Tempelgelände. Die einstündige Veranstaltung lässt die altehrwürdigen Tempel in magischem Licht erstrahlen, gibt in erzählerischer Form einen historischen Überblick über die Jahrhunderte alte Geschichte der heiligen Stätten und würdigt die Arbeit tausender Bildhauer, die mit ihrer kunstvollem kunstvollen Handwerk dazu beigetragen haben, eine der schönsten Tempelanlagen auf diesem Planeten zu schaffen.
Für den nächsten Morgen haben wir für 5.30 Uhr die Abholung durch eine Autorikshaw organisiert. Wir wollen das erste Morgenlicht nutzen, um Aufnahmen von der westlichen Tempelgruppe machen und gleichzeitig den Besucherstrom meiden, wenn nach dem Frühstück die Touristengruppen in Bussen herangekarrt werden. Unser Plan geht nur bedingt auf: Die offizielle Besuchszeit beginnt bei Sonnenaufgang, aber da heute im benachbarten Shiva-Tempel ein Fest gefeiert wird, zieht es den Kartenverkäufer wohl zunächst dorthin und nicht an seinen Arbeitsplatz. Als er endlich erscheint, pflegt er zunächst seinen Büroschrein, schwenkt mit indischer Gründlichkeit Räucherstäbchen durch das Schalterhäuschen und beginnt mit dem Ticketverkauf, nachdem die Sonne schon seit einer halben Stunde ihre Bahn am Himmel zieht. Während er gerade auf unserer Eintrittskarte vermerkt, dass wir später noch 50 Rupien zurückbekommen (wir sind schließlich die ersten Besucher und er hat logischerweise noch kein Wechselgeld), strömt aufgeregt schnatternd fünf Meter neben uns eine japanische Reisegruppe durch das Tor, Vorverkaufskarten in der Hand schwenkend. Wir wählen der Ruhe halber die umgekehrte Besichtigungsreihenfolge und genießen die einmalige Tempelarchitektur doch noch weitestgehend ungestört. Nur eine Familie wild tobender Hanuman-Languren leistet uns auf unserem Rundgang Gesellschaft.
Zweiter Programmpunkt für den heutigen Tag ist das Ken Gharial Sanctuary 20 km nördlich von Khajuraho. Die seltenen Gangesgaviale sind das Objekt unserer Begierde. Wir wissen, dass die Chancen, eines der vom Aussterben bedrohten Krokodile zu sichten, in dieser Jahreszeit äußerst gering sind, aber wir wollen es trotzdem nicht unversucht lassen. Doch bei der glühenden Hitze suchen die Tiere kühle Verstecke in Höhlen und Felsspalten auf oder tauchen einfach für längere Zeit ab. Und so bringt die Bootsfahrt auf dem strahlend blauen See des Schutzgebietes auch nur eine kurze Erholungspause für uns, nicht aber die erhofften Fotos, und unsere Beobachtungen beschränken sich auf Hirsche, Antilopen und Wildschweine.
Am frühen Nachmittag kehren wir in unsere Unterkunft zurück. Wir haben uns für ein "Rund-um-sorglos-Paket" im Vier-Sterne-Resort "Usha Bundela" entschieden, die mit Abstand teuerste Unterkunft auf unserer bisherigen Reise. Die Freude über das elegant eingerichtete Zimmer von der Größe eines kleinen Tanzsaales und den wunderschönen Swimming Pool hält allerdings nur eine Nacht an - danach wachen wir mit Stichen übersät auf und finden etliche blutgesättigte kleine Tierchen auf unseren Laken. Wir wechseln das Zimmer, aber die erhoffte Entspannung stellt sich nicht mehr ein.
Auch für unseren letzten Besichtigungstag in Khajuraho stehen noch einmal Tempel an, diesmal die östliche Tempelgruppe. Wieder nutzen wir die halbwegs angenehmen Morgenstunden, doch wir verlieren alsbald die Lust an den steinernen Monumenten, die sich in Aufbau und Gestaltung gleichen wie ein Ei dem anderen. Daher lichten wir lieber Hindu-Racken und Mangusten ab, die sich zahlreich auf dem Tempelgelände tummeln.
Am nächsten Morgen brechen wir zu unserer letzten großen Etappe auf dem Subkontinent auf. Zunächst geht es nach Jhansi. Die Taxipreise sind in der Nebensaison moderat, und so legen wir die knapp 200 km entspannt im klimatisierten Fahrzeug zurück. Hier warten wir auf unseren Zug, den Kerala-Express, der uns in 41 Stunden nach Kochi in Südindien bringen soll.
Aufbruch: | 23.02.2010 |
Dauer: | 6 Monate |
Heimkehr: | 26.08.2010 |
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