Chile und Argentinien 2014
(Santa Maria de) Los Ángeles
10.1.
Das Busticket nach Los Angeles hatte ich auf den Rat meines dortigen Gastgebers relativ frühzeitig besorgt. Ich frühstücke in Ruhe und gehe zeitig zur Metro - zurecht, denn um halb zehn ist Stoßzeit, mit meinem großen Gepäck stehe ich im Wagen ganz schön im Weg - wobei die Leute recht duldsam wirken. Am Busterminal sehe ich, daß die meisten Busse ziemlich pünktlich bis zu einer Verspätung von 15 min abfahren - nur mein Bus hat 35 min Verspätung. Es fahren etwa alle 15 min Busse in meine Richtung - dadurch hat es gereicht, das Ticket einen Tag vorher zu kaufen; Chile ist vielleicht das einzige Land, wo man Fernbusse ein bis drei Tage vorher buchen muß, um noch einen Platz zu bekommen. Leider wird die Verspätung auch nicht angesagt. Als der Bus schließlich kommt bin ich wie auch Mitreisende erleichtert.
Santiago mit seinen 6 - 8 Millionen Einwohnern lassen wir schneller als erwartet hinter uns, wir fahren ein bis zwei Stunden durch eine Landschaft mir viel Sand, die dann langsam fruchtbarer wird. Auf den Rinderweiden stehen zwar deutlich mehr Tiere als auf den Pferdekoppeln, trotzdem bin ich darüber überrascht, wieviel Pferde ich sehe. Im Westen sieht man kleinere schneebedeckte Berge, teilweise Vulkane. Auf den Bildschirmen im Bus laufen spanisch synchronisierte US-Filme mit chilenischen Untertiteln (wobei sich chilenisch mehr durch die undeutliche Aussprache als durch die Schrift vom allgemeinen Spanisch unterscheidet).
Der letzte Halt vor Santa Maria de los Angeles, wie die Stadt vollständig heißt, ist Chillan, dort wird eine kleine Pause eingelegt und ich esse einen Hotdog, der in Südamerika komischerweise Italiano genannt wird.
Zuhause hatte ich in Googlemaps schon nach dem Weg vom Busterminal zur Adresse von meinem Couchsurfing-Gastgeber Luis geschaut, habe aber dort evtl. das lokale Terminal statt dem Fernbahnhof gewählt, von dort ist ein gutes Stück zu laufen. Außerdem hatte ich eine Offline-Karte von Chile und Argentinien aufs Handy geladen, die Navigation mit Straßennamen funktioniert aber nicht, anscheinend ist dazu der dazugehörige Stadtbezirk notwendig. Nach gut einer halben Stunde habe ich den Straßenblock erreicht, die Hausnummern zwischen 700 und 800 sind aber offensichtlich per Zufallsprinzip verteilt. Nach längerer Suche sehe ich die Hausnummer, öffne schließlich die Gartentür durch Übergreifen und klopfe an dem Garagentor - und schließlich kommt Luis. Es ist tatsächlich ein Wohnhaus, quasi im amerikanischen Stil mit dem Zugang zum Haus von der Garage aus. Im wilden hinteren Garten/Kellerersatz sind zwei Hunde - anscheinend als Alarmanlage für Einbrecher (ein Eindringling wird kaum so blöd sein, in den Garten zu gehen). Wenn man das Haus betritt ist rechts das große Wohn- und Esszimmer mit Kunstledergarnitur (wohl chilenischer Standard), einem soliden Esstisch und instabilen Stühlen um den Tisch; links sind die Treppe nach oben zu den Schlafzimmern und dem Bad, eine kleine Toilette, die kleine Küche und die Speisekammer. Entlang der Straßenseite sind große Fenster, vor denen aber schwere Vorhänge hängen, an der Stirnseite befindet sich eine offene Schrankwand, in der vor allem die weiße Büste einer Frau auffällt, laut Luis ist sie sehr alt. Gegenüber vom Tisch in der ehemaligen Durchreiche zur Küche stehen religiöse Gegenstände wie ein Jesusbild im Stil einer Ikone. Wie die anderen Bilder im Haus hat es keinen Rahmen; es ist erstaunlich, daß die Fotos scheinbar Jahrzehnte relativ gut überstehen.
Die Vorhänge wirken sich natürlich auch auf die Atmosphäre aus; ich frage mich im Laufe der Tage, ob Luis durch seine Arbeitslosigkeit depressiv gestimmt ist - aber auch Bruder und Mutter lassen die Vorhänge anscheinend geschlossen.
Luis zeigt mir das Bild, das er eben fertig gemalt hat: ein Geschenk für seine Freundin. Er erzählt, daß er gerne malt - insofern überrascht es mich, daß er nach einer Projektion vom Notebook gemalt hat. Er hat noch Farbe im Gesicht, was ihn aber kaum stört, dazu passt das Badezimmer: es gibt dort keinen Spiegel (bei seinem Bruder sehe ich später einen tragbaren), und für die Reinigung des Bades fühlt sich anscheinend niemand zuständig. Auch der Duschkopf scheint schon länger ab zu sein. Das Hinderlichste an der Körperpflege ist allerdings der Umstand, daß Luis - wenn überhaupt - nur kalt duscht und demzufolge auch für mich den Gasboiler nicht anwirft - wodurch Duschen praktisch nur nachmittags/frühabends möglich ist. Mutter und Bruder gehen gestylt aus dem Haus, was mit kaltem Wasser kaum möglich ist - ich vermute, daß Luis einfach mal eine Aussage seiner Mutter zum Boiler falsch interpretiert hat. Auch hier drängt sich mir der Verdacht auf, daß es mit Luis Situation zu tun hat: nachdem er drei Jahre bei der Armee war und zwei Jahre Englisch gelernt/ studiert hat hatte er wohl das letzte halbe Jahr nur noch kleinere Sachen im Umfeld der Universität gemacht, mal in einer Bar gejobbt und war ansonsten erfolglos auf der Suche nach Arbeit; es gab für ihn wohl wenig Anlaß, auf sein Erscheinungsbild zu achten.
Luis zeigt mir eine Anlage am Rande des Stadtzentrums, ca. 100m x 150m: eine künstliche Lagune, umgeben von großen Bäumen, ein beliebter Treffpunkt. Es gibt noch drei kleinere Grünanlagen, darunter den "Stadtpark", in dem diese Woche ein Programm der hiesigen Region Bio-Bio stattfindet: ein Dutzend Stände verkauft handwerkliche oder landwirtschaftliche Produkte der verschiedenen Communities (vergleichbar etwa einer Verwaltungsgemeinschaft) und auf der Bühne spielen Musiker, dazu tanzen Jugendliche die entsprechenden volkstümlichen Tänze - ziemlich grausam, wenn man nicht gerade auf Exoten wie etwa in Deutschland Carmen Nebel steht.
In Chile wird Englisch nur an sehr wenigen Schulen unterrichtet, laut Luis spricht nur 1% der Chilenen Englisch. Er hatte zwei Jahre lang 10 Stunden wöchentlich, kann sein Englisch außer mit den Couchsurfern auch kaum trainieren, dementsprechend ist seines immer noch um Einiges schlechter als meines. Dies spielt wohl außer der chilenischen Gastfreundschaft eine Rolle dabei, daß er mich auch recht zuvorkommend behandelt (mal abgesehen von erwähnten Unannehmlichkeiten) - auch das Exotische eines europäischen Gastes.
Abends erzählt er mir, daß er früher ein Punk war, hat auch einige Tätowierungen aus der Zeit. Sein Lebenslauf ist mir nicht ganz klar, in seiner Militärzeit war er einige Zeit im Norden und dann in Patagonien, danach hatte er wohl nicht mehr viele von den früheren Freunden, hat aber auch neue hinzugewonnen. Einige Male grüßt er auch unterwegs Kumpel, kommuniziert über PC und auch Prepaid-Handy aber auch mehr als erwartet über Facebook. Wir kaufen in einem großen modernen Supermarkt das Abendessen, daß Luis kocht (Spaghetti).
Über Facebook äußert ein Freund die Hoffnung, daß Luis ehemaliger Boss (wo er als Türsteher gejobbt hat) sie umsonst in seine neue Discothek lässt, meldet sich dann aber nicht mehr. Ich merke auch, daß meine Füße richtig müde sind. V. a. aber rächt sich ein Fehler recht schnell: statt Luis Äußerung, das Leitungswasser hier sei gut (in Santiago würde er auch keines trinken), mit einer gesunden Skepsis zu begegnen, trinke ich mehrere Gläser und spüre recht bald darauf, daß mein Magen bzw. Darm rebelliert; ich nehme gleich Perenterol Kapseln und wehre damit tatsächlich Schlimmeres ab, am nächsten Abend kann ich wieder normal Essen. Muß nicht zwangsläufig das Wasser gewesen sein, könnte auch die Mayonese oder die Tomaten im Hotdog mittags verantwortlich gewesen sein. Luis hat derweilen damit zu tun, die Überraschungsparty zum Geburtstag seiner Freundin zu koordinieren.
Ich schlafe im Zimmer von Luis Bruder, der praktischerweise die Nacht auf einer Party ist; die Bettwäsche hier ist aber wohl auch schon länger nicht gewaschen. Zuerst beeindruckt mich das Grammophon, daß im Zimmer steht, es geht aber natürlich nicht mehr, außerdem fehlt die Hälfte einer Tür; ich bin ratlos: wenn man sowas quasi als Dekoration stehen hat sollte es doch auch hier möglich sein, zumindest einen ähnlichen Ersatz für die kaputte Tür zu finden bzw. zurechtzusägen.
Die Nacht über höre ich ein paarmal lautes Hundegebell, ich stecke meine Stöpsel ins Ohr.
Sa. 11.1.
Zum Frühstück gibt es weißes, ziemlich hartes Brot/Salzgebäck ähnlich dem, daß ich aus Spanien kenne und meist getoastet wird, dazu Käse in Scheiben und Streichkäse in einer Verpackung wie Teewurst, den chilenischen Fleischwurstaufschnitt gibt es auch so in Spanien, ich trinke vorsichtshalber noch schwarzen Tee und esse eine Banane zum Käsetoast.
Wir lassen uns Zeit und sind um halb zwölf am lokalen Busbahnhof, wo auch die Markthalle ist, den Weg zum Wasserfall am Nationalpark fahren viele Busse. Ein paar Meter nach der Bushaltestelle ist eine Veranstaltung von Fiat Cinquento-Liebhabern mit Musik und Tanz, Luis kennt den Organisator, dem einer der vielen kleinen Fiats auf dem Platz gehört und der den Verein leitet.
Dann kommen viele Buden mit Souvenirs und Essen entlang des Weges zum Wasserfall.
Etwa 100 Leute stehen unten am Wasserfall, einige Wagemutige schwimmen auch darin, das Wasser ist vermutlich um 20°C kalt, alleine schon das Spritzwasser sorgt für Abkühlung in der heißen Sonne. Oben ist der Fluß sehr breit und man kann darin gehen, hier beginnt der eingezäunte Nationalpark, hier ist auch ein Campingplatz. Wir machen noch eine Fahrt mit dem Motorboot, mit dem wir an Badebuchten und kleineren Wasserfällen vorbeikommen.
Luis frägt noch wegen Sonntag im Touristenbüro hier nach der Laguna de Laja, wo wir mit dem Auto hinfahren werden; dort treffen wir auf eine Deutsche, die gerade per Anhalter angekommen ist. Der Fahrer der Bootstour erzählte vom Weg zum 2. Wasserfall, der durch das Gelände des angrenzenden Hotels führt, welches einem deutsch-chilenischen Paar gehört. Im Büro bestätigen sie das und auch Brigitte würde da gerne hin. Also fragen wir den Besitzer, der gerade bei der Cinquentoparty steht und dürfen wie erwartet den Garten benutzen. Irgendwie klärt sich nicht, welches der zweite bzw. der dritte Wasserfall ist - wir sehen uns schließlich den großen noch von dieser Seite aus an und gehen dann in den Swimmingpool im Garten; Brigitte erzählt, daß das in Chile ein Luxus ist, der normal etwa 10 € kostet. Sie war schon in Chile als Pinochet noch Präsident war, hat einen Chilenen geheiratet, mit ihm auch in Deutschland gelebt und dann eine traurige Trennungsgeschichte erlebt: die mittlerweile erwachsenen Kinder haben den Kontakt zu ihr abgebrochen und sie ist jetzt in Chile, weil sie den Anspruch auf ihr Haus in Santiago wahrnehmen will; sie hält nicht viel von der chilenischen Justiz. Es gibt übrigens soviele Notare hier, weil sie z. B. auch den Verkauf eines gebrauchten Motorrades beurkunden, trotzdem wird viel betrogen, Luis gibt ihr recht.
Brigitte fährt weiter per Anhalter, laut Luis ist das verboten, aber die eigentlich als stur geltende chilenische Polizei kümmert das nicht. Wir fahren zurück und Luis kocht wieder. Seine Mutter, die ich bisher nur im Hintergrund wahrgenommen habe, unterhält sich etwas mit uns. Sie ist fast in meinem Alter, aber man sieht ihr an, daß sie viel arbeitet (in einer Forstverwaltung) und sie hat einen desillousionierten Gesichtsausdruck.
Luis chattet eine Weile über Facebook, dann gehen wir in die Tanzbar, wo er gejobbt hat; laut Luis die beste Bar der Stadt (mit 125000 Einwohnern). Dort grüßt er ein paar Leute, entgegen meiner Erwartung bleiben wir aber zu zweit. Er erzählt aus seinem Leben: daß er früher viel Alkohol getrunken hat (nach der Trennung seiner Eltern?). Als er merkt, daß sein Leben so zu nichts führt - das war wohl etwa die Zeit, als er seine jetzige Freundin aus einer Armeefamilie kennenlernt - geht er für drei Jahre zum Militär (es gibt keine strenge Wehrpflicht). Dort haben sie an ihm ein System angewandt, von dem sie behauptet haben, daß es beim Milität üblich ist: sie haben ihm zu trinken gegeben, bis es sogar ihm gereicht hat und ihm dann befohlen weiter zu trinken, nach kurzer Zeit hatte er den Alkohol über (jetzt kann er wieder in Maßen trinken). Schließlich hatte er gute Zeugnisse bekommen, ein Aufstieg innerhalb der verkrusteten Hierachie ist aber wohl nur sehr schwer möglich. Ein Mann mit Kärtchen in der Hand kommt in der Bar zu uns; als ich ein Formular mit der Überschrift "Investigacion" sehe denke ich kurz, wir werden jetzt zu Drogenkonsum befragt, aber wir bekommen Eintrittcoupons für die Disco, von der Luis am Vorabend erzählt hat. Wir lassen uns schließlich von einem Fahrer der Bar zur Disco im Industriegebiet bringen; hier fehlen noch Gäste für den Liveauftritt einer Band. Die Disco ist moderner und unpersönlicher als die aus meiner - allerdings fernen - Erinnerung. Die Getränke gibt es nur an der Theke und sind noch etwas teurer als in der Bar, verglichen mit deutschen Preisen aber noch moderat; das Publikum ist recht gemischt, für hiesiege Verhältnisse wohl mehrheitlich exclusiv. Da zwischen uns und der Tanzfläche eine Wand steht können wir uns hier besser unterhalten als in der Bar. Nach Mitternacht ist der Soundcheck, dann wartet die Band noch eine halbe Stunde auf mehr Gäste, sie ist auch nicht besonders populär, der Auftritt dauert nicht allzu lange. In Südamerika hätte ich einen größeren Anteil Tänzer erwartet, aber das hat sich offenbar auch hier geändert. Oben sind noch eine Techno-Disco und eine Oldie-Disco (tja, in die Kategorie gehöre ich mittlerweile auch). Wir nehmen mit einem Dritten ein Taxi zurück, was mangels Nachtzuschlag recht günstig ausfällt.
So. 12.1.
Heute fahren wir zum Nationalpark Laguna del Laja, auch Luis' Freundin und ein guter Freund mit seiner Familie fahren mit. Luis Mutter hat ihr Auto zur Verfügung gestellt, wir fahren sie zuerst weg, weil sie heute Wäsche wäscht. Vielleicht riecht es im Haus auch deswegen so nach verschwitzter Wäsche, weil die Waschmaschine kaputt ist, dann fahren wir zum Busbahnhof. Ich kaufe das Ticket für die Weiterfahrt am Montag und wir holen den Freund mit Frau und vierjähriger Tochter ab, die aus Concepcion kommen (etwa 2,5 h entfernt), sie bleiben drei Tage hier. Luis spricht jetzt natürlich mehr Spanisch als Englisch, wendet sich aber auch weiter mir zu. Von Luis Plan, daß ich zusammen mit der Familie im Zimmer Bruders schlafen soll, bin ich allerdings nicht begeistert - aber schließlich überlässt er mir dann sein Zimmer.
Nachdem Luis das Frühstück heute schlichtweg vergessen hat mache ich mir zwei Brötchen bevor wir zu Patricia fahren, die in einer Wohnanlage von zivilen Militärs wohnt: etwa 60 chice Häuser, die Anlage könnte auch eine gated community in den USA sein, Patricias Famile wohnt im neuesten und größten Haus dort. Sie traut sich erstmal nicht recht, ihr Englisch anzuwenden (war im Kurs mit Luis) bzw. ist schüchtern. Danach halten wir uns noch relativ langet im Supermarkt auf, u. a. um Lebensmittel zu kaufen, und ich bin ziemlich gefrustet, weil ich im Park wandern wollte - auch weil Patricia nicht wandertaugliche Schuhe anhat; später legt sich das: ich wollte hier ja v. a. das chilenische Leben kennenlernen, und der Aufstieg auf den Vulkan in der Hitze wäre wirklich kaum attraktiv gewesen. Bis zum See sind es knapp zwei Stunden, auch dieser führt jetzt relativ wenig Wasser (er wird vom Schnee der Berge ringsum gespeist). 2005 sind hier 45 Soldaten ums Leben gekommen, weil ein Sergeant frische Soldaten mit schlechter Ausrüstung in einen aufziehenden Schneesturm gejagt hat und sie jämmerlich erfroren sind. Es gibt hier viele Gedenksteine für einzelne Verstorbene und mehrere Ehrenmale, das militaristische wirkt hier umso absurder, sogar der verantwortliche Sergeant wird extra genannt und damit "geehrt". Ich frage auch Luis, ob das Militär wirklich so angesehen in Chile ist, v. a. nach der Diktatur: er bejaht dies und meint, die Diktatur sei ja jetzt schon eine Weile vergangen.
Auf dem Weg zum Nationalpark frage ich Luis, warum er nicht die Klimaanlage benutzt und stattdessen die Fenster öffnet, zumal wir auf einer Sandpiste unterwegs sind. Er versucht es kurz, aber die Frau des Freundes verwehrt sich dagegen und schiebt dabei ihr Mädchen vor, die es die wenigen Minuten nicht aushalten könne, bis die Klimaanlage wirkt - von jemanden, die Physik studiert hat, hätte ich ein rationaleres Verhalten erwartet. Nachdem wir ein Stück den Weg oberhalb der Lagune gefahren sind zeigt sich wieder eine Gemeinsamkeit von Südamerikanern und Spaniern: mangelnder Respekt vor der Natur. Es gibt einen offensichtlich nicht offiziellen Pfad vom Rundweg die zweihundert Meter zur Lagune hinab, und auch Luis fährt mit dem Auto hinunter. Luis und sein Freund schwimmen in den Klamotten im relativ kalten See, irgendwann steckt Luis dabei sein Unterhemd in die Unterhose; niemand hat etwas zum Abtrocknen mitgenommen. Deshalb gehe ich auch wie die Frauen nur bis zu den Oberschenkeln ins Wasser, was in der Hitze ganz angenehm ist, die Lagune hat auch ein sehr schönes Türkis.
Schließlich essen wir die Brötchen vom Supermarkt mit Käse und Schinken (die ganz gut schmecken) und trocknen uns an der Sonne, Luis hält sein Hemd einige Minuten lang in den Wind. Beim Zurückfahren über einen anderen Pfad im Vulkansand drehen die Räder des Autos durch, auch Anschieben hilft kaum weiter. Die Parkverwaltung fährt gelassen vorbei, offenbar stört es sie nicht, daß dieser Pfad befahren wird.
Ein ausländischer Jeepfahrer schleppt das Auto schließlich bis auf den Weg hoch; an einem Reifen ist eine Ausbuchtung zu sehen - hoffentlich erzählt Luis es seiner Mutter.
Wir gehen noch einen ausgeschilderten Spazierweg oberhalb des Flußtales, auch im Tal sind schöne Wnaderwege zu sehen. Auf dem Rückweg will Luis anscheinend leider zeigen, wie gut die Klimaanlage arbeitet, und dreht sie lange bis zum Anschlag auf - obwohl es deutlich abgekühlt hat.
Wir fahren zu Patricia und sind bei ihrer Familie eingeladen. Wenn auch die Couch hier schon älter ist (abgewetzte Kunstledergarnituren passen wohl zum etwas rustikalen chilenischen Lifestyle) herrscht hier ein Kontrastprogramm zur Einrichtung im Haus, in dem ich schlafe, das Haus ist vor einem halben Jahr fertig geworden und hat u. a. ein relativ edel eingerichtetes Bad (in D würde man es Mittelklasse nennen) Luis bietet mir auch an, die Hände vor dem Essen zu waschen, er und die Kleinfamilie machen es nicht, soweit ich sehe. Anwesend sind die ältere Schwester von Patricia mit Kindern und Ehemann, die offensichtlich in der Nachbarschaft wohnen. Die Militärs hier gehören nicht zu einer Kaserne, sodern sind mit Verwaltungstätigkeiten beschäftigt, haben demzufolge höhere Ränge. Früher war der Vater in einer Brigade, die für die Wartung von Fahrzeugen zuständig war, dabon hängen noch Bilder an der Wand.
Es kommt mir fast unwirklich vor, wie hier Klischees aufleben: ein rotgesichtiger beleibter "alter Kämpfer", der vermutlich schon unter Pinochet gedient hat, freut sich, auf einen Vertreter des Landes zu treffen, daß seiner Armee all die guten Waffen liefert; außerdem trinkt er gerne Deutsches Bier - es gibt nicht weit von hier eine Brauerei eines Deutschstämmigen. Er frägt mich auch über meine Zeit in Chile aus und über manche deutsche Gepflogenheiten. Mir wird warm: schon deshalb, weil ich mit meinem kärglichen Spanisch versuche sinnvolle Antworten zu formulieren, aber auch durch seine übergewichtige Präsenz (bei der Gelegenheit wird mir auch bewusst, daß die chilenischen Häuser im Schnitt eher kleinere Fenster haben - hinter mir ist die Wand zum Nachbarhaus). Der Vater lacht über mein Schwitzen; gleichzeitig erfüllt ihn eine fast kindliche Freude über die exotische Unterhaltung mit einem Deutschen,wie mir Luis Freundin später sagt. Wir fahren kurz vor Mitternacht - vielleicht ist Patricia wirklich etwas sauer, weil Luis behauptet hatte, an ihrem Geburtstag viel beschäftigt zu sein.
Montag, 13.1.
Frühmorgens klingelt ein Handywecker auf dem Schreibtisch neben mir, den ich nicht ausbekomme ; Luis Bruder hat es hier vergessen, merkwürdigerweise steht er viel später auf (komische Highschool). Zumindest was Luis betrifft schlafen die Chilenen doch tiefer als ich dachte: auf den Handyalarm und mein Rufen vor der Tür reagiert er mit einiger Verzögerung. Um etwa 9 Uhr probiert sich die junge Mutter mit dilletantischer Freude an der Trompete von Luis Bruder, dann frühstücken wir lange, bis mich Luis schließlich mit einem Stadtbus zum Busbahnhof bringt, bevor er die Torte für Patricia abholt.
Luis und ich
Salto de Laja
Aufbruch: | 08.01.2014 |
Dauer: | 5 Wochen |
Heimkehr: | 12.02.2014 |
Argentinien
Großbritannien