Chile und Argentinien 2014
Buenos Aires
6.2.
Nachdem wir die Nacht durchgefahren sind halten wir ein paar Mal in den Außenbezirken von Buenos Aires, am riesigen zentralen Busterminal kommen wir relativ pünktlich um 7.40 h an. Die Cafés haben schon geöffnet, wenn sie auch natürlich etwas teurer sind; ich hatte nochmal eine Couchsurfing - Anfrage versucht, lese jetzt aber die Absage - wie vermutet, deshalb hatte ich auch schon in einem Hostel reserviert. Es regnet weiter, wenn auch nicht mehr so stark wie während der Fahrt. Zum Glück ist es nur ein Stück zum Hauptbahnhof, wo ich weitgehend geschützt bin, daneben geht es zur Ubahn.
Ich fahre zwei Stationen und stehe am Ausgang der Ubahn wieder in einer Traube Menschen vor strömenden Regen. Endlich denke ich an das Cape, das ich extra für diese Reise für 5 € gekauft habe; damit bin ich und ist mein Rucksack recht gut geschützt. Ich sehe einige wenige Leute mit Gummistiefeln: in der Mehrheit Müllsammler, außerdem ein paar in sonst ausgesprochen formeller Kleidung.
Im Gebäude des Hotels sehe ich zum ersten Mal während der Reise einen Aufzug mit schmiedeeisernem Käfig. Die Haustür war offen, im 3. Stock öffnet ein Gast, der gerade aufbrechen will, und klopft für mich an der Wohnungstür der Besitzerin, die offenbar noch geschlafen hat. Sie ist über mein frühes Kommen überrascht, ich darf aber schon ein Zimmer nutzen und duschen, dazu bietet sie mir an, nachmittags in das eigentlich vorgesehene größere Zimmer zu wechseln (dieses hat kein Fenster nach außen).
Das Hotel liegt sehr zentral an der Fußgängerzone; es gibt hier einige Tiefgaragen in der Fußgängerzone, trotzdem nehme ich weniger Verkehr war als in der Mannheimer Fußgängerzone. Ich habe es nur 5 Blocks bis zur Plaza de Mayo - erst jetzt wird mir ein Fehler in meinem Unterbewußtsein klar: als ich in meiner Jugend in den Nachrichten von Demonstrationen von Müttern Verschwundener auf der Plaza de Mayo hörte hatten sich die Wörter "Mütter" und "Mayo" miteinander verquickt - obwohl ich damals vermutlich schon das Wort "madres" gehört hatte - und erst jetzt fällt to dem Amtssitz der Präsidentin (die sich in der gegenwärtigen Krise aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat) und anderen historischen Gebäuden steht hier die Kathedrale, der frühere Arbeitsplatz des aktuellen Papstes, auch sie ist in erster Linie ein nationalhistorisches Monument, denn in ihr steht das Mausoleum des José de San Martín, General der Unabhängigkeitskriege, das von Militär in Paradeuniformen bewacht wird. Auffällig ist auch ein farbiger Heiliger, Sohn einer Schwarzen und eines Spaniers: San Martin de Porres war Anfang des 17. Jh eine Mischung aus Krankenpfleger, Arzt und Apotheker - und die Kirchenoberen dachten sich damals wohl, wenn schon so einer verehrt wird, dann zeigen wir ihn mit Besen.
Ich gehe zum nahen Puerto Madero, ein relativ typisch teuer aufgemotzter ehemaliger Hauptstadthafen, jetzt liegen hier viele Sportboote und an Land stehen vor allem neue glitzernde Bürogebäude mit teueren Läden im Erdgeschoß. Danach kommt ein Naturschutzgebiet, da es immer noch regnet betrete ich es aber nicht.
Ich schlendere durch die Straßen der City, gerate dabei u. a. In ein Technik-Einkaufszentrum mit sehr grünem Innenhof und komme zur berühmten Galeria Pacifico, ein historischer Bau, der einen ganzen Häuserblock einnimmt, vor ca. 20 Jahren "wiederentdeckt" wurde und - was Wunder - zu einem Einkaufszentrum umgebaut wurde; hier sieht man überwiegend ökologische Restaurants und entsprechend gehobene Geschäfte, am Eingang gibt es Hüllen für Regenschirme, damit der schöne Boden nicht nass wird und in der Kuppel sind Wandbilder von bekannten argentinischen Malern. In dem Komplex ist auch ein Kulturzentrum mit Ausstellungen und Veranstaltungsräumen: hier laufen Tangovorführungen und es gibt eine Fotoausstellung zu den Rolling Stones.
In den Hauptstraßen der City stehen Schilder, auf denen jeweils eine Karte mit den Sehenswürdigkeiten in der 5 Minuten-Gehzone gezeigt wird, mit deren Hilfe bewege ich mich weiter gen Norden zur Plaza San Martin, wo das Außenministerium und das Militätmuseum liegen, gehe in ein oder zwei Kirchen und schließlich ins hispanoamerikanische Museum.
Hier kommt man nach dem Eingang in einen auch architektonisch schönen Hof mit mir unbekannten Vögeln; leider sind nach den Regenfällen auch die Moskitos aktiv und ich werde ein paarmal gestochen. An der Ausstellung selbst ist das Ungewöhnlichste die Sammlung von Musikinstrumenten, u. a. wertvolle Geigen.
Ich gehe zum Hafen, will mich über die Schiffe nach Uruguay informieren. Leider existiert die Überquerung oder Unterführung der Gleise nahe dem Bahnhof Retiro nicht mehr, die nächste Brücke gehört zu einer Autobahn, also gehe ich weiter nach Norden - mir ist später nicht mehr ganz klar, wie ich gelaufen bin, aber zum Hafen wäre es über den Bahnhof sicher sehr viel kürzer gewesen. Wegen des starken Verkehrs setze ich den in Cordoba gekauften Nasen-/Mundschutz auf. Teilweise steht das Wasser auf dem Gehweg und im Rinnstein, dementsprechend zahlreich sind die Mücken, in wenigen Minuten erschlage ich alleine auf meiner Hose Dutzende von ihnen - ich frage mich mal wieder, wie es zu der Legende kam, daß helle Kleidung Moskitos abhält. Als die Straße dann endlich die Bahngleise überquert verwandelt sie sich in eine Art Highway: sechs Spuren und der Gehweg wird immer kümmerlicher. Ich glaube, meinen Augen nicht zu trauen als ich dann "Aeroparque" lese und Flugzeuge abheben sehe, aber der Inlandsflughafen ist tatsächlich sehr zentral. Von hier ist es noch etwa ein Kilometer durch ein Industriegebiet mit viel Lkw-Verkehr zum Hafen. Es ist fast 19 Uhr, als ich schließlich den Rand des Hafens erreiche, am nördlichen Ende angeln einige Männer und am Straßenrand parken bereits viele Laster, die Fahrer kochen sich Abendessen und die meisten sind wohl einfach froh, sich erholen zu können. Es dämmert schon langsam und die Atmospäre ist mir nicht ganz geheuer, obwohl man sich mit manchem Fahrer vermutlich auch gut unterhalten könnte. Hier wird noch nicht verladen, im Wasser liegen einige große Schiffe und verrostete Kähne, angesichts der Tageszeit gehe ich aber dann doch landeinwärts.
Hinter einem höheren Zaun tauchen sehr einfache Häuser auf: ich vermute Tagelöhner bzw. die Familien von Hafenarbeitern darin. Plötzlich hört der Gehweg entlang der Straße auf, mir bleibt der Weg zwischen den Häusern, die ich eben noch als exotisches Motiv mit dem Handy fotografiert habe. Zu meiner Verwunderung zeigt sich hier ein ganzes Netz von Straßen, komplett mit Restaurants, Läden aller Art wie Supermärkten und vielen Leuten auf den schmalen Straßen, es fehlen nur die Autos. Es reizt mich, mich in ein Restaurant zu setzen und eine Verständigung mit den Leuten zu versuchen. Aber mir ist bewusst, daß ich schon auf der Straße wie ein Fremdkörper wirke, zudem habe ich noch das Handy, die Kamera im Rucksack und das heute von chilenischen Pesos gewechselte Geld im Bauchgurt - genug, um zwielichtige Gestalten zu Dummheiten zu verlocken. Als ein Hund angerannt kommt und mich ankläfft (kein Kampfhund) spannen sich eine Minute lang meine Muskeln an. Ein größerer Platz, auf dem Fußball gespielt wird, vermittelt fast sowas wie Idylle. Als ich kurz darauf an einem hohen Zaun stehe, der die Hafenanlagen abgrenzt, werde ich wieder nervöser. Zum Glück wird es hier langsam dunkel, als ich nach einer knappen halben Stunde in diesem Viertel Bundespolizisten sehe bin ich erleichtert. Sie reagieren überrascht bis amüsiert und fragen mich, wie ich hierher gekommen bin, auf meine Frage nach dem Weg hinaus zückt der ranghöchste das Telefon und frägt, wann der Bus des Viertels durchfährt. Zwei von den vier Polizisten warten schließlich mit mir an der nächsten Haltestelle und der Polizist sagt dem Busfahrer noch, zu welcher anderen Linie er mich am Hauptbahnhof schicken soll. Ich lese nach, daß ich im Viertel "Villa 31" war, das größte "informelle Viertel" - kein klassischer Slum mehr, Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen Staat und Stadt, als ehemaliges Bahnhofsgelände im Bundesbesitz.
Die Schiffe nach Paraguay gehen übrigens von Puerto Madero ab (im Schickimicki-Viertel).
Das Zimmer im Hostel hat eine große Fensterfront und einen kleinen Balkon zur Fußgängerzone, an der übernächsten Kreuzung zeigen Tango - Tanzpaare in entsprechender Kleidung ihr Können, die Lautsprecherboxen für die dazugehörige Musik sind an Autobatterien angeschlossen.
7.2.
Ich will in den Stadtbezirk Recoleta, wo das Kunstmuseum und der Prominentenfriedhof sind. Es schüttet den ganzen Vormittag wieder kräftig und dank des komplizierten Verkehrssystems kann mir auch die Besitzerin des Hostels keinen einfachen Weg zum Museum nennen. Die nur schwer nachzuvollziehende Organisation der Buslinien, rudimentäre Haltestellenangaben und die unübersichtliche Verteilung der Haltestellen zusammen mit einem unverhältnismäßig kleinen Ubahnnetz machen die Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs schwer. Es gibt zwar eine App zum Nahverkehrssystem, dazu muß man aber erstmal die Namen der Haltestellen herausfinden. Am vorletzten Tag gelingt es mir, durch den riesigen Stadtplan, den ich im Hotel bekommen habe, eine Verbindung herauszufinden - dort ist nämlich angegeben, welche Linie in welchem Kartenquadrat fährt. Am Bahnhof kann ich die Sprungfähigkeiten mancher Passanten beim Überwinden von Wasserlöchern bewundern, bei Anderen wiederum die Kaltschnäuzigkeit beim Durchqueren der Wasserlöcher.
Weil ich wieder mal die richtige Haltebucht nicht finde bzw. der passende Bus nicht kommt nehme ich ein Taxi - aber auch das ist nicht bedingungslos zu empfehlen: nachdem mich der Fahrer erstmal nicht versteht fährt er dann größere Schleifen, um seine Tour profitabler zu gestalten.
Dazu bin ich noch eine dreiviertel Stunde zu früh dran: eigentlich wollte ich ja am Wochenende hinein, aber wochentags macht das Museum erst um 12.30 h auf. Also warte ich mit zuletzt etwa 30 Touris unter dem zum Glück großen Dach, während es weiter gießt. Das Museum ist das vielleicht beste Kunstmuseum Südamerikas, hat aber mehrere Eigenheiten. Es fängt damit an, daß die Angestellten am Haupteingang an die Scheibe klopfen und hineingelassen werden statt einen separaten Eingang zu benutzen; der Eintritt ist kostenlos, es gibt kein Museumscafé und der Museumsshop ist in einer vom Eingang weit entfernten Ecke; die Räume sind zum Teil nicht, zum Teil durch eine recht einfache Anlage klimatisiert und nur in einem Raum werden Temperatur und Luftfeuchtigkeit überwacht; die Beleuchtung ist miserabel: beim ersten Foto (fotografieren ist erlaubt) frage ich mich, ob mit der Kamera des Telefones was nicht stimmt - aber die Lichtkegel leuchten fast alle Bilder unvollständig aus; vor allem argentinische Bildern aus dem letzten Jahrhundert scheinen mir als Laie in einem augenfällig schlechten Zustand: z. B. Ist die Leinwand gewellt oder nicht richtig im Rahmen befestigt. Die Dauerausstellung zum 20. Jh ist geschlossen, so ist der Anteil europäischer Gemälde und Skulpturen ausgesprochen hoch; zu meiner Freude ist ein Raum für Goya reserviert, auch Manet, Monet, Renoír und Toulouse-Lautrec sind öfter vertreten.
Als es zu regnen aufhört mache ich eine Pause vom Museum und gehe zum berühmtesten Friedhof des Landes. Auf dem Friedhofsplan sind sehr viele Grabmäler gekennzeichnet: Generäle, Politiker, Künstler, Geldadel... das bekannteste sieht eher unauffällig aus, hier liegt die Familie Duarte mitsamt Evita. Noch vor dem Lageplan fallen einem die Katzen auf: schon zwischen den ersten Grablegen liegen die ersten für Fotos bereit, viele lassen sich auch streicheln, das Futter der Besucher reicht aber anscheinend nicht für die vielen Katzen - einige sind abgemagert, vielleicht auch krank.
Nebenan ist ein ehemaliges Kloster, daß in B.A. keine Mönche mehr aktiv sind zeigt mal wieder den Gegensatz der Hauptstadt zum Rest des Landes. Im jetzigen Museum hört man gregorianische Gesänge, die hier gesungen wurden.
Abends gehe ich in ein gutes peruanisches Lokal mit moderaten Preisen. Da hier keine tel. Reservierungen angenommen werden lässt man sich im Lokal auf die Warteliste setzen und setzt sich dann auf die Fensterbank außen bzw. wartet im Stehen bis man aufgerufen wird. Für die halbe Stunde Wartezeit sehe ich mich schon durch die Standard-Vorspeise entschädigt: gerösteter Mais mit einer pikanten und einer zweiten Soße; als Hauptspeise esse ich Kanninchen.
Wie jeden Abend sammelt sich der Müll an den Kreuzungen, zum Großteil bereits von Resteverwerten durchstöbert - fast erstaunlich, daß ich die meisten Ratten auf den Plätzen mit Büschen sehe.
8.2.
Ich fahre in den südlichen Stadtteil La Boca, früher Hafen- und jetzt Arbeiterviertel, aber auch Heimat des berühmten Fußballclubs. Bekannt geworden ist es u. a. durch die farbigen Häuser: hier haben die Hafenarbeiter den übrige Schiffslack verwendet. Mittlerweile sind auch Bilder eines "Hafen-Malers" professionell an öffentlichen Gebäuden hier (natürlich gibt es auch Graffitti). Ich steige etwas vor dem touristischen Zentrum aus und sehe erstmal verfallene Bankpaläste. Das Zentrum Caminato (sprich Fußweg, überwiegend Fußgängerzone) ist dann recht modern, es gibt ähnlich wie im Viertel Lavalle größere eingeschossige Einkaufszentren mit offenen Läden, auch Edelshops mit Halbedelsteinen und so. Samstags sind viel Touristen unterwegs und in den etwa ein Dutzend Straßen sehe ich ca. 10 Polizisten; Touristen werden von scheinbar professionellen Tangotänzern dazu animiert, sich kostümiert mit ihnen in Pose fotografieren zu lassen.
In einem angesehenen Museum hier stellt gerade Ron Muck aus. Der Australier hat früher für die Sesamstraße und die Muppets Puppen gemacht und arbeitet seit 15 Jahren als international anerkannter Künstler, wobei er im Grunde weiterhin überlebensgroße Menschen und Tiere fertigt.
Auf dem Rückweg steige ich an der Grenze zum Nachbarviertel San Telmo aus, in einem Park ist hier ein Wochenendmarkt: verkauft werden v. a. Werkzeug und Kleidung, überwiegend gebraucht - also nicht wirklich interessant. Ich gehe durch San Telmo zur Avenida de Mayo und komme an sehr vielen Antiquitätenläden vorbei, manche richtig groß (in einem dicht bebauten Stadtteil).
Die Av. de Mayo ist über zwei Häuserblocks gesperrt, an diesem Wochenende hat ein Künstler/Tüftler bzw. Aktivist eine riesige beweglich Skulptur, hauptsächlich aus Grünpflanzen, gebaut, Passanten unterhalten sich angeregt mit ihm. Leider gibt es in Buenos Aires kaum noch historische Kaffeehäuser (in Reiseberichten von Zeitungen wurde noch ein anderer Eindruck vermittelt), in dieser Straße steht noch eines quasi ausschließlich für Touristen (was bedeutet, daß ich keine Lust darauf habe). Ich esse Pizza und gehe dann in ein modernes Café - in dem der Kuchen nicht soo gut ist, dann fahre ich per Ubahn zur Markthalle von San Telmo. Zwei Ecken vor der Markthalle ist ein größerer Platz, auf dem Kunsthandwerk verkauft wird, Teil ist wie die angrenzenden Straßen mit Antiquitätenläden belegt, die Vielfalt und das Durcheinander (in den Läden) ist echt beeindruckend.
Abends will ich eigentlich noch zu einer Kneipentour von Couchsurfing-Mitgliedern, aber nach meinem einen Gastgeber sollte auf dieser Reise mit CS nichts mehr klappen: ich laufe wieder mal in die falsche Richtung, und als ich es endlich merke habe ich auch angesichts des Wetters keine Lust mehr auf die Tour.
So. 9.2.
Beim Frühstück im Restaurant frage ich, wie man mit der Ubahn zum zentralen Platz von Palermo kommt und bekomme auch Auskunft - denke aber leider so wenig wie der andere Gast daran, daß heute keine Ubahn fährt; die Suche nach den richtigen Bussen nervt zunehmend.
Schließlich fahre ich zuerst zum Japanischen Garten in Palermo. Der ist zwar recht groß (angeblich der größte außerhalb Japans), die Lage an der vierspurigen Straße vermittelt aber schwerlich Ruhe und der Teich ist sehr groß, so sind die Mücken trotz Autan lästig - der in Kaiserslautern gefiel mir besser.
Dieses Viertel besteht aus zwei Teilen, ich fahre zwei Stationen nach Alt-Palermo, die zweispurigen Straßen mit großen Bäumen sind ganz schön. An der Plaza Serrano ist der Kunsthandwerkermarkt von Palermo, auch dieser hat seinen eigenen Charakter: es gibt hier relativ wenige Antiquitätenläden, in einer Disco am Platz werden v. a. gebrauchte Klamotten verkauft (originellerweise ist die Bar der Disco nur durch ein Absperrband gesichert); auf dem Platz wird v. a. Kunst verkauft. Ich habe durch die umgetauschten chilenischen Pesos noch viel Bargeld und sehe mir die modernen Bilder eines älteren Malers an, kaufe schließlich mein erstes modernes Bild.
Nachmittags will ich zu einer "Fiesta de los matadores" im außerhalb der politischen Grenzen gelegenen Stadtbezirk Matadores mit den Beinamen nueva Chicago (wegen der vielen Schlachthöfe). Ich hatte im Fernsehen mal kurz die Reitkünste gesehen, die auch hier stattfinden sollen (zwischen Rodeo und Dressur), doch leider stimmen die Angaben im Reiseführer und auf der verstaubten Webseite nicht: obwohl noch Hochsommer ist beginnt und endet die Veranstaltung bereits wieder früher und ich sehe nichts mehr von den Vorstellungen. Ich höre noch etwas Gaucho-Musik in einem Schulhof und private Musik an einem Straßencafé, dann fahre ich zurück.
Auf dem Weg zum Hostel sehe ich noch eine Kirche, in der gerade Gottesdienst ist: ein Dutzend Besucher bestätigt die große Differenz zum Rest Argentiniens. In meiner Straße sehe ich wieder die gleiche Gruppe von Straßenkomikern wie am Vorabend - sie wirken recht professionell, vermutlich sind sie gestern aber nicht dazu gekommen, rechtzeitig vorm Wolkenbruch Geld zu sammeln.
Mo. 10.2.
Ich fahre mit dem Zug von Retiro etwa eine Stunde in den Vorort Tigre, bekannt durch die Lage am Flußdelta des Parana, der dort in den Rio de la Plata fließt. Tigre mit 100000 Einwohnern hat seinen Namen übrigens von einer Verwechslung: in der Gegend gab es keine Tiger, sondern Leoparden - nichtsdestotrotz ist das offizielle Logo der Stadt ein Tigerkopf. Um halb zehn ist hier noch Rush hour, der von Tigre ankommende Zug ist sehr voll. Das Rückfahrticket kostet 7 Peso (1€ = 10,50 Peso). Nahe des Bahnhofs von Tigre sind die Piers für die Schiffsrundfahrten, ich kaufe ein Kombiticket für eine einstündige Schiffstour und eine Stadtrundfahrt mit dem Bus. Ein Veranstalter hat auch geführte Wanderungen im Programm, aber am Ende meiner Reise und nach den feuchtheißen Tagen in Buenos Aires habe ich mittlerweile müde Beine. Bis zum Beginn der Schiffstour gehe ich in der Stadt am Parana entlang: die meisten Museen haben montags geschlossen, aber die Stadt ist trotz seiner Größe in weiten Teilen ein angenehm ruhiger, beschaulicher Gegenpart zum nahen Buenos Aires.
Die Fahrt mit dem Katamaran ist schön und informativ (zweisprachig): hier wurde viel Obst angebaut, in Tigre befand sich der größte Obstmarkt des Landes - heute ist es ein Markt v. a. für die Touristen aus der Hauptstadt, nebenan ist der größte Vergnügungspark Argentiniens, außerdem war und ist das feste Holz der hiesigen Bäume ein größerer Wirtschaftsfaktor. Einzelhandelsschiffe versorgen die Bewohner des Flußdeltas mit dem alltäglichen Bedarf wie Trinkwasser (zum Waschen wird Flußwasser gefiltert), auch z. B. Zahnärzte besuchen auf diesem Wege ihre Opfer , zur Schule müssen die Kinder allerdings gefahren werden. Ich sehe schöne Vögel auf Pfählen sitzen, am Ende kommen wir am Haus eines frühen Präsidenten vorbei, von einem Glaskubus gegen Wind und Wasser geschützt. Bis zum Rio Plata mit seinen 30 bis 220 km Breite kommen wir bei dieser Fahrt nicht.
Schließlich sehe ich mir den Markt an, wo jetzt v. a. Stoffe und Holzartikel verkauft werden, bis wieder ein kräftiger Regen kommt, den ich mir am Fluß unter dem Zeltdach eines Restaurants ansehe, dann folgt die Busfahrt an historischen Gebäuden vorbei.
Im Zug zurück erlebe ich das erste Mal einen Musiker in einer Bahn, die nicht unterirdisch fährt - dafür spielt er unterirdisch: das eintönige Geklampfe ist angesichts des ruckelnden Zuges ja noch einigermaßen verständlich, aber die lange Ansage (vermutlich stand er unter Drogen) und die derben Zoten bzw. hirnlosen Texte in Verbindung mit seiner schwachen Stimme und seinen falschen blonden Haaren machten ihn zu einem abschreckenden Beispiel, zum Glück kann ich Abstand halten.
Am Bahnhof fahre ich mit der Ubahn weiter zu einem Kaffeehaus, daß die Tradition noch hochhält. Angesichts der Größe des Hauses und der abendlichen Tangoshows, die erstmal entsprechend Besucher anlocken müssen verstehe ich allmählich daß es nur noch so wenige Häuser gibt. Ich trinke Irish Coffee und esse eine Torte, die tatsächlich besser ist als in den wohl meisten anderen Cafés.
Zurück im Hotel regnet es wieder und ich werde der Stadt müde - soweit ich in Erfahrung bringen kann regnet es während meines Aufenthaltes hier deutlich mehr als sonst im Februar. Später am Abend will ich zumindest noch einen Abstecher in eine der (überraschend seltenen) Bars mit Livemusik machen. Etwa beim Überqueren der vermutlich breitesten Straße der Erde verliere ich aber die Orientierung und kehre schließlich um. Zurück zähle ich die Spuren der Straße bzw. der beiden Straßen (die äußeren Spuren haben einen zweiten Namen): 14 Bahnen für Autos, 4 für Busse (dazwischen durchgehend die Haltehäuschen, da wieder etliche Linien auf viele Stops verteilt) und außerdem mittendrin eine zweispurige Tiefgaragenein- und ausfahrt.
11.2. Di Ende
Mein Flug geht am frühen Nachmittag, ich würde gerne noch etwas Souvenirs in einem bestimmten Shop kaufen, aber vormittags regnet es mal wieder kurz nachdem ich gefrühstückt habe und ich habe letzte Nacht meinen Schirm verloren, dazu werden meine (alten) Wildlederschuhe tropfnass.
Die kurze Strecke zum Shuttleservice nahe dem Bahnhof nehme ich im Regen dann doch lieber ein Taxi; der Shuttleservice hat zwar wenig Nutzer für diese Stadt, läuft aber recht gut.
Im Flughafen zeichnen die Duty-free-shops die Preise nur in US-Dollars aus, ein letztes Zeichen für die Krise. Ich habe nochmal Lust auf argentinischen Wein und trinke ein Glas zu einem Sandwich, im Restaurant nehmen sie Peso. Hier erlebe ich allerdings zum ersten Mal, daß Regen durch die Decke tropft und (teilweise) von einem Sektkübel mitten im Gästebereich auf einem Tisch stehend aufgefangen wird. Vielleicht kein ganz unpassender letzter Eindruch: nach mir die Sinflut .
Aufbruch: | 08.01.2014 |
Dauer: | 5 Wochen |
Heimkehr: | 12.02.2014 |
Argentinien
Großbritannien