Kenia - Tansania: Notizen aus dem Jahr 1990
Das Geisterkrokodil - Amboni
Das Geisterkrokodil - Amboni. Nach eineinhalb Stunden Herumlungern und Warten auf dem Busbahnhof ist noch immer nicht das richtige Gefährt in Sicht, das uns zu den Höhlen von Amboni bringen könnte. Der Name steht für das weitverzweigteste Höhlensystem in ganz Ostafrika. Warten ist eine afrikanische Tugend, Karin und ich haben es auch schon weit darin gebracht, wir geben jedoch, um endlich Bewegung in die Angelegenheit zu bringen, einem Fußmarsch den Vorzug. Wir können uns darauf verlassen, dass bald irgendwer, irgendwas uns an der Straße aufgabeln wird.
Es dauert dann aber doch eine Weile, ehe einer dieser Überlandbusse vorüberkommt, der überquillt vor Menschen. Eher, denkt man, werden ein paar Fahrgäste durch den Druck der drinnen Eingequetschten hinausgeschleudert werden, als dass man selbst ein Chance hätte in eine solche Sardinenbüchse einzutauchen. Aber etwas geht immer, und schon kurz darauf holpern wir Wange an Wange über eine schlechte Straße und gelangen nach einer Viertelstunde oder so an unser Ziel, heißt, wir werden wieder aus der Masse rausgequetscht und ausgespuckt. Dann ist es noch ein kleiner Fußweg bis zu einem Dörfchen, von wo aus man einen schmalen Pfad entlanggeht und, wenn man Glück hat - und wir haben welches -, Ali Mustafa trifft, den Führer durch die Kalksteinhöhlen von Amboni. The one and only, behauptet er.
Einer der Überlandbusse, die ihren Versprechen nicht immer ganz gerecht werden.
Ali Mustafa ist ein kräftiger Mann mit einer Neigung zu melodramatischem Mienenspiel und er lädt uns zuerst einmal zu einem Schluck Palmwein ein. Es ist mit Sicherheit nicht sein erster am heutigen Tag. Aber - das scheint sinnvoll - wir sollen erst nach der Besichtigung der Höhlen in den Genuss seiner Einladung kommen.
Ali Mustafa redet viel, besser gesagt, ununterbrochen, und das Erste, was er uns erzählt, ist, dass der Pangani-Fluss, dem wir noch eine kleine Wegstrecke folgen, "voller Krokodile" sei. Dass man aber ganz leise sein müsse, um eines sehen zu können. Fünf Sekunden lang schweigt Ali Mustafa. Dann ruft er: Da! Da hat sich was bewegt! Habt ihr's gesehen?
Haben wir's gesehen? Wir reiben uns die Augen. Und Ali Mustafa sagt: Seht ihr, ich hab's ja gesagt.
Er führt uns in sein Büro in der Nähe des Höhleneingangs, ein winziges Häuschen mit drei Stühlen und einem Schreibtisch. Der Schreibtisch hat eine große Schublade, aus der er ein großes Buch holt. Wir tragen unsere Namen darin ein und müssen eine "Regierungsabgabe" entrichten, 400 Schillinge. Als Gegenleistung haben wir die Sicherheit nicht verloren zu gehen (und wenn doch, immerhin namentlich bekannt zu sein). Nachdem das Buch wieder sorgfältig zuerst in zwei löcherigen Plastiktüten, dann in der Schublade verschwunden ist, beginnt die Führung.
Ali Mustafa benutzt eine Fackel aus trockenen Palmzweigen. Und während er sie zum Brennen bringt, fängt er an, alle möglichen Legenden zu erzählen, die zu diesen Höhlen gewöhnlich im Umlauf sind. Eine ist die, dass, wer hier drinnen eine Opfergabe ablegt, Krankheiten bannt und seine Fruchtbarkeit steigert. Der verantwortliche Gott höchstselbst sei nämlich hier zu Hause. Wir opfern jeder einen bundesdeutschen Pfennig, einen weiteren kriegt Ali Mustafa als Souvenir.
Dann steigen und kriechen wir durch die Gänge, die - eine weitere Saga - bis zum Kilimandscharo reichen. Beweis: Zwei ehemalige Armeeoffiziere, Europäer, hätten es ausprobiert und seien zwar seither verschollen, dafür aber sei der Hund, der sie begleitet habe, nach 400 Kilometern (so weit ist es nämlich bis zum Kilimandscharo) wieder zum Vorschein gekommen! Diese Höhlen streckten ihre Fühler selbstverständlich auch in die Städte Nairobi und Mombasa aus, auch kein Katzensprung.
Zwei üble Burschen, die einstmals die Menschen in der Gegend um Tanga in Angst und Schrecken versetzt haben, hätten hier unten ihre Räuberhöhle gehabt. Ein anderer Mann habe es aus religiösen Gründen ganze sechs Jahre in diesem finsteren Labyrinth ausgehalten. Hat er sich von verirrten Krokodilen ernährt oder von den zahlreichen Fledermäusen, deren Laute uns umgeben und auf deren weichem Kot wir wandeln?
Einmal geht es steil bergauf, ein andermal fällt ein schwaches Licht in die Höhle. Eine Todesfalle, sagt Ali Mustafa, denn wer glaubt, man müsse diesem Strahl nur folgen, um wieder ins Freie zu gelangen, der verirre sich auf Nimmerwiedersehen. Nur die dunklen, schlauchartigen Gänge führten ans Ziel.
Zum Beispiel in einen kleinen Höhlendom, wo man, nachdem man zuvor auf allen Vieren gekrochen ist, endlich wieder gerade stehen kann. Soeben habe ich mich aufgerichtet, als ich die größte Spinne meines Lebens vor Augen habe. Etwa einen Schritt entfernt klebt sie an der Wand und hat endlos lange Beine.
Ali Mustafa vergleicht die Ausformungen dieser Kalksteinhöhlen mit Tieren, Häusern, Schiffen, Fußstapfen und er leuchtet mit seiner Fackel Stalaktiten- und Stalagmitenformationen an. Insgesamt sind es sechs Höhlen, die sich in dieser Gegend kreuzen. Einige dürfen nicht betreten werden, es sollen sogar wilde Tiere darin hausen. Die größte Höhle heißt Mabavu, die Mächtige, und mächtig sind vor allem die darin lebenden Geister, von denen Ali Mustafa mit einiger Ehrerbietung spricht.
Dann ist der Rundgang zu Ende, wir stehen wieder am Ausgang, und in derselben Minute ist auch die Palmfackel heruntergebrannt. Eine choreografische Leistung, zweifellos, vielleicht von Geisterhand arrangiert.
Aus der Palmweinparty wird es leider nichts. Da sind schon wieder Zwei, die auf Ali Mustafa warten. Auch ihnen wird noch ein Krokodil begegnen.
Zurück im Dorf gesellen wir uns dann aber doch noch zu jener freundlichen Palmweinrunde, aus der wir unseren Höhlenführer zuvor herausgerissen hatten. Palmwein kann man mit Reisbier vergleichen oder mit Federweißem. Es ist spritzig, säuerlich und hat nicht viel Alkohol, trotzdem genug, um die Gegend deutlich beschwingter wieder zu verlassen. Auf einem Lkw trampen wir in die Stadt zurück.
Aufbruch: | Juni 1990 |
Dauer: | circa 4 Wochen |
Heimkehr: | Juli 1990 |
Tansania