Kenia - Tansania: Notizen aus dem Jahr 1990

Reisezeit: Juni / Juli 1990  |  von Peter Kiefer

Wunschomelette - der Amboseli-Park

Unser Matatu hat auf seinem Weg mehr als nur eine Panne. Die Dauer der Fahrt verlängert sich dadurch beträchtlich, trotzdem überrascht es mich ein wenig, dass nicht alle der Mitreisenden die Verzögerungen wie sonst üblich mit Gleichmut hinnehmen. Eine Frau, die zu schimpfen anfängt, wird nach einigem Hin und Her von der Matatu-Crew deshalb aus dem Bus gedrängt. Sie erscheint aber nach zwei Minuten wieder und lenkt ein.
An der Grenze spricht uns ein Fahrer an, der uns für eine erkleckliche Summe zum Park transportieren will. Wir überlegen uns, was ein solcher Trip uns wert sein könnte und sprechen unsererseits ein paar Touristen an - und haben urplötzlich Glück.
Eine fünfköpfige Gruppe von Belgiern lässt sich auf einem dieser für Safaris ausgebauten Lkws durch die Landschaft kutschieren. Ein wenig unzufrieden sind sie deshalb, weil das Fahrzeug, mit dem sie ursprünglich gestartet waren, einen Achsenbruch erlitten hat. Nun sitzen sie schon zwei Tage lang auf einem Ersatzgefährt, ohne genau zu wissen, wie ihre Kenia-Tansania-Tour weiter verlaufen wird. Nur eben, dass sie jetzt Amboseli ansteuern werden. Außerdem haben sie wohl einen leichten Gruppenkoller und so kommen wir ihnen als Abwechslung gerade recht. "You are free", sagt einer von ihnen mit einem Seufzer in der Stimme, als wir ihm erzählen, auf welch andere Weise wir uns durch die Gegend bewegen.
Das Safari-Team besteht aus drei Leuten. Ein Kenianer wechselt sich mit einem Australier am Steuer ab. Anthony ist der Jüngste, ebenfalls ein Einheimischer, und fungiert als Koch. Das Unternehmen vereinigt ein bisschen Pfadfinderromantik mit einem täglichem Büffetangebot. Für einen Tag und eine Zeltnacht im Amboseli-Park haben wir nichts dagegen einzuwenden. Der ausgehandelte Preis von 1.000 Kenia-Schillingen geht in Ordnung. Damit allerdings verabschieden wir uns von der ursprünglichen Vorstellung den Park von einem zum andern Ende zu durchqueren und kommen deshalb nun doch nicht um Nairobi herum, das wir am folgenden Tag mit dem Safari-Truck ansteuern werden.

Anthony verkündet, im Amboseli begegne man "thousands and thousands of elefants". Am Ende werden es dann jedoch bloß ein paar Dutzend gewesen sein; es ist die falsche Jahreszeit sie hier anzutreffen. Aber sie haben, wie man bald entdeckt, deutliche Spuren der Verwüstung hinterlassen. Überall liegen umgeknickte Baumstämme und Äste herum, und man befürchtet, dass in absehbarer Zeit weite Teile des Parks verwüstet sein werden. Die Fahrer der Geländewagen tun das Ihre, wenn sie wahllos kreuz und quer jeder Wildlife-Sensation hinterherjagen. Die menschliche Neugierde ist zwar verständlich, aber irgendwie passt sie nicht mehr, weil immer massenhafter geworden, ins hergebrachte Gleichgewicht, wo die mit Speeren bewaffneten Massai-Krieger noch mannhaft dem Löwen ins Auge blicken und Natur nicht mit Freizeitpark verwechseln.
Gerade die Massai bleiben uns ferner als alle Gnus, Zebras und Gazellen, die es natürlich auch hier in großer Zahl gibt. Weil wir nicht mit ihnen umherziehen, können wir allenfalls freundlich grüßen oder sie in den engen Bussen, in die sie sich gelegentlich verirren, auch unschwer riechen. Sie riechen nach warmer, süßlicher Milch. Ihre Ernährung ist ganz auf ihre Kühe gegründet, Früchteanbau ist bei Nomaden wie ihnen verpönt. Ich wundere mich auch, wie selbstverständlich die meisten noch die Stammestraditionen in Frisur, Bemalung und Kleidung zur Geltung bringen. Und in einem Fall haben wir auch ihren Stolz, um nicht zu sagen, ihre Verachtung gegenüber dem Gebaren der Bantu-Mehrheit entdecken können. Das war noch in Tansania gewesen, als diejenigen, die im vollgestopften Bus zwischen den Sitzreihen standen, sich auf Anweisung des Fahrers plötzlich alle ducken sollten, um nicht an einem Straßenposten der Polizei aufzufallen, die wir gerade im Begriff waren zu passieren. Einer blieb beharrlich stehen, der Massai.

Im Amboseli-Park gibt es einen Campingplatz. Zunächst sammeln wir etwas von dem am Eingang gelagerten Brennholz auf. Zwei dicke Stücke werden außerdem von einem Baum gesägt. Die Feuerstelle, die wir wählen, ist von einer Schirmakazie geschützt. Gleich dahinter zwischen ein paar Büschen stellt jeder sein Zelt auf, gemeinsam mit uns sind es drei Paare und der gelangweilte Ronni, der häufig gähnt.
Heute gibt es - wir sind nun Abenteuerurlauber! - Hammelkoteletts mit Ratatouille und Kartoffeln. Weil eine der belgischen Frauen Geburtstag hat, gibt es außerdem noch Torte. Karin und ich futtern wie die Weltmeister. Noch lange sitzen wir um das Feuer, trinken das säuerliche Bier, das von Massais an einem Kiosk verkauft wird, und der Australier, der schon zwei Jahre lang nicht mehr in seiner Heimat war, erzählt uns glühende Geschichten von da.
In der Nacht hat mein Schnupfen einen qualvollen Höhepunkt erreicht. Ich schlafe kaum und höre trotzdem nicht viel von den Hyänen, die draußen heulen. Andere sagen, das seien knurrende Löwen gewesen.
Der Kilimandscharo liegt nun genau vor unserer Nase, aber er zeigt sich nicht, ist in ein Wolkenmeer gehüllt. [Ich werde seinen Gipfel erst auf einer späteren Reise vom Flugzeug aus zu Gesicht bekommen.] Wie sich's in der Wildnis gehört, fragt uns Anthony am nächsten Morgen, wie wir unser Omelette zubereitet wünschen. Aber ehe das Frühstück beginnt, hüpfen wir mit gezückten Fotoapparaten und Ferngläsern auf die mit breiten Sitzen ausstaffierte Ladefläche des Lkws und unternehmen eine Zwei-Stunden-Safari.
Die Bilder vom Vortag wiederholen sich: Man entdeckt eine Vielzahl von Antilopen und Gnus, Elefanten kaum. Giraffen sind da, Zebras natürlich und einmal eine Hyäne. Ein Kaffernbüffel watet durch einen Tümpel, zwei Vögel picken ihm das Ungeziefer aus der ledrigen Haut. Strauße laufen herum und, in kleinen Dreier- oder Vierergrüppchen, Perlhühner. In den Baumwipfeln sitzen Geier und warten auf ihre Stunde, Marabus hocken auf den Abfällen der Lodges.

Die Tour ist deshalb kaum ergiebig, weil wir die meiste Zeit nur Kilometer fressen und dem Fahrer immer wieder lautstark signalisieren müssen, dass wir da oder dort eine Stelle etwas langsamer passieren oder dass wir kurz einmal anhalten möchten. Ich habe den Eindruck, dass auch die Belgier letztlich nur ein Pflichtprogramm absolvieren. Ronni jedenfalls gähnt unmunter weiter. Erst das anschließende Mahl mit Wunschomelette genießt wieder seine volle Aufmerksamkeit.
Die Straße nach Nairobi ist in gutem Zustand. Zunächst fahren wir allerdings noch einmal zurück zum Grenzort. Mit unseren buchstäblich letzten Schillingen - der Rest besteht nur noch aus uneingelösten TCs - können wir dort eine Zeitung kaufen, sogar vom selben Tag! Aber das mit den Traveller Checks wächst sich bald zum Problem aus und führt in der Folge zu einem geradezu peinlichen Abschluss dieser Tour.
Auf Strecke nach Nairobi entdecken wir eine in dieser Gegend recht seltene Tierart, Kamele. Normalerweise findet man sie bei den Nomaden im Norden. Zahlreiche Rundhüttendörfer liegen am Weg, aber dann so allmählich taucht ein anderes Kenia auf. Zunächst in Gestalt flacher Swahilihäuser, kleinerer Fabriken und Märkten mit zum Teil aus dem Ausland importiertem Obst (Pampelmusen aus Kalifornien zum Beispiel). Dann - und da wird es noch ganz anders - tauchen an der Einfahrt nach Nairobi Bauten aus Glas und Beton auf, gepflegte Straßen, teure Autos und besser gekleidete Menschen, die jetzt am Nachmittag den Büroetagen entströmen. Fast ein Kulturschock, und plötzlich wird mir sogar bewusst, wie schmuddelig mein eigener Aufzug ist, obenan mein hellblauer Pullover, von Hugo Boss zwar, aber ziegelrot eingestaubt und überdies zerrissen. Karin lacht mich wegen meiner Bedenken natürlich aus. Und tatsächlich ist so etwas im Augenblick das kleinere Übel.

Das größere sind die vermaledeiten Traveller Checks. Die Banken scheinen bereits alle geschlossen zu sein, zudem soll das mit der Bezahlung nun recht schnell gehen. Der Lkw muss noch vom Reisegepäck leer geräumt werden und Anthony setzt sich mit den Belgiern bereits zu einem Hotel in Bewegung. Ich händige dem Australier einen meiner 50$-Schecks aus und kriege noch 140 Schillinge dafür zurück (immerhin wieder ein bisschen Bargeld). Dann holen wir die anderen wieder ein und nehmen wie sie ein Zimmer im "Africana", einem ziemlich gesichtslosen Hotel mit Mittelklassepreisen. Aber wir haben einfach keine Lust noch eine halbe Ewigkeit in der einbrechenden Dämmerung herumzulaufen; man wird faul als Abenteuertourist. Erkältet, wie wir immer noch beide sind, freuen wir uns auf eine heiße Dusche und die wenigen noch verbliebenen sauberen Klamotten zum Wechseln.
Ich komme gerade aus dem Badezimmer, als es an der Tür klopft. Draußen stehen der Australier und Anthony. Für sie, behaupten sie, sei mein Traveller Check hier ein wertloses Stück Papier, niemand würde ihnen den einlösen. Ich solle mir sofort etwas anziehen, mit ihnen in ein wartendes Taxi steigen, um zu einem größeren Hotel zu fahren, das ihn einlöst. Was uns nun ein wenig verwirrt, ist die Aussage der Belgier zuvor, wonach eigentlich sie die Reiseveranstalter seien und deshalb, wenn schon, ihnen das Geld zustünde. Das bestreiten der Australier und Anthony aber vehement. Mir kann's im Prinzip egal sein. Was mir aber missfällt, ist der Druck, den sie auszuüben versuchen. Ich lehne es deshalb ab sofort und einfach so eben mal mitzukommen. Sie reagieren damit, dass sie mir den (nun schon zweimal unterschriebenen) Scheck wieder zurückgeben und dafür ihre 140 Schillinge zurückverlangen. Kriegen sie selbstverständlich. Dann verabschieden sie sich mit höhnischen Segenswünschen und ich stehe ziemlich begossen da. [Hinterher habe ich meine Ablehnung, im Taxi mitzukommen, durchaus bereut. Ich hätte nur einfach ein wenig Druck aus der Situation nehmen sollen.]
Die Belgier, denen ich die Sache erzähle, schütteln nur den Kopf; sie sind ohnehin nicht gut auf die Crew zu sprechen, mit der sie die Reise später werden fortsetzen müssen. Aber das ist nun einmal deren Sache. So hat uns die Safari mit einem Trinkgeld für den rührigen Anthony am Ende zwanzig Mark gekostet. Da bleibt zumindest ein fader Nachgeschmack.
Bald stellt sich heraus, dass auch die größeren Hotels nicht wechseln, es sei denn, man hat bei ihnen ein Zimmer gebucht. Aber dann findet sich zufällig doch noch eine geöffnete Bank. Eine Minute, nachdem wir sie betreten haben, schließt sie.

Das Ende vom Bocksgesang.

Das Ende vom Bocksgesang.

[An dieser Stelle bricht das Tagebuch ab. Die Reise ist freilich noch nicht zu Ende, sie führt uns zunächst wieder zurück nach Mombasa, danach zur Insel Lamu im Norden, einer Idylle besonderer Art. Zwar schon zu diesem Zeitpunkt touristisch, aber noch nicht für den Massenandrang erschlossen und daher ein beinahe exklusives Erlebnis. Auf dem Weg dorthin werden die Busse teilweise von Militärfahrzeugen begleitet - zum Schutz gegen Rebellen, die vom nahen Somalia aus operieren. Dann wieder zurück nach Mombasa und Heimflug nach Berlin.]

Ich selbst im Spiegel der Reise.

Ich selbst im Spiegel der Reise.

© Peter Kiefer, 2005
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Vor ein paar Wochen habe ich mehrere verschollen geglaubte Reisetagebücher wiederentdeckt. Eines davon dokumentiert diese Reise aus dem Jahre 1990, die durch Teile Kenias und Tansanias führte und mit sehr einfachen Mitteln bestritten wurde. Karin und ich haben ausschließlich lokale Verkehrsmittel benutzt, auch unsere kleinen Safaritouren haben wir außerhalb allen Reisebürotourismus abgewickelt.
Details:
Aufbruch: Juni 1990
Dauer: circa 4 Wochen
Heimkehr: Juli 1990
Reiseziele: Kenia
Tansania
Der Autor
 
Peter Kiefer berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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