Kenia - Tansania: Notizen aus dem Jahr 1990

Reisezeit: Juni / Juli 1990  |  von Peter Kiefer

Dodoma Chou Chou - der Weg nach Kondoa

Wir wollen es vermeiden auf demselben Weg wieder nach Morogoro zurückzufahren, den wir gekommen sind. Deshalb müssen wir auf eine Nebenstrecke ausweichen, um direkt nach Dodoma zu gelangen, der nominellen Hauptstadt des Landes, und von dort aus weiter zum Ngorongoro-Krater und zum Kilimandscharo. Erstes Ziel aber ist nun Kilosa und wir finden wieder einen Truck, auf dessen Ladefläche wir sitzen. Travelling as usual.
Die Straße, obwohl ungeteert, ist in einem passablen Zustand und führt am Rand eines Gebirges vorbei. Massaikrieger, mit Speeren bewaffnet, treiben eine Herde über die Steppe. Nicht alle Massai-Leute sind mehr Nomaden. In Mikumi war uns ein Mann aufgefallen, der über seinem wadenlangen Umhang ein dunkles Jackett trug und eine schwarze Aktentasche unter den Arm geklemmt hatte. Keine Seltenheit mehr, Business-Massais, ihr Outfit könnte bald die Modewelt erschüttern. (Nicht zu vergessen die von schweren Ohrringen weit heruntergezogenen Ohrläppchen, die man jetzt nicht mehr braucht und der Einfachheit halber über die Ohrmuschel klappt, genau wie die Bügel einer Brille.) Aber von all dem sind diese Hirten offenbar noch Lichtjahre entfernt. Einer von ihnen, der Älteste, läuft an der Spitze seines Zuges und schwenkt eine abenteuerlich zusammengepfriemelte rote Fahne, gedacht als Signalflagge, um den Autoverkehr auf seine Herde aufmerksam zu machen. Von denen, die mit uns auf dem Lkw sitzen, erntet er lautes Gelächter. Sie sehen sich offenbar schon mittendrin in der westlichen Zivilisation, weil sie T-Shirts tragen, verschlissen, verblichen und zerrissen zwar, genau wie ihre Hosen, aber eben der neuen Zeit folgend.

Kleine Baumwollfelder liegen am Rand, kurz vor Kilosa dann noch eine Sisalplantage. Dort verkehrt eine Eisenbahn. In der Nacht wird gegen halb drei ein Zug erwartet, der weiter nach Dodoma fährt. Damit scheint klar, dass wir, falls uns der Sinn nicht danach steht so lange zu warten (jetzt ist es erst Mittagszeit), einen Umweg in Kauf nehmen müssen, um erst einmal die große Überlandstraße zu erreichen und dort ein weiteres Fahrzeug zu finden.
Es kommt aber alles anders. Ein Güterzug soll nämlich zur selben Stunde noch eintreffen und der, sagt der Stationsvorsteher, wird uns dann mitnehmen. Vorn in der Lok!
Als der Zug einfährt, sind wir nicht die einzigen Lokstürmer. Unser erster Anlauf scheitert prompt, denn das Führerhaus ist sofort mit Leuten voll. Wir weichen erst einmal zum Plafond am hinteren Ende aus. Mit uns klettert ein Polizist hinauf. Der Aufenthalt hier sei nicht gestattet, sagt er. Ich mag's nicht glauben und verlege mich aufs Verhandeln. Seine Reaktion kommt etwas überraschend und hat mit meinem Wunsch nichts zu tun: Er möchte nämlich meine Adresse haben, als Souvenir. Da kein Papier zur Hand ist, zögert er nicht und fordert uns auf, unsere Namen ins Futter seiner Dienstmütze zu schreiben. So geschieht es.
Jetzt kommt der Stationsvorsteher und fordert uns seinerseits auf "da runter" zu kommen. Ich verhandle erneut. Die Folge: Es wird nun im Führerhaus der Lok ein wenig Platz für uns geschaffen. Und ob wir uns vorstellen könnten, dass man uns (damit die Polizei nichts erfährt?) eine Station vor Dodoma aussteigen ließe. Die Aufnahme von Passagieren sei nämlich... Ich weiß schon: verboten. Das betont unser Polizist eigens noch einmal und er setzt eine dienstliche Miene auf, als verkünde er das letztinstanzliche Urteil. Um dann hinzuzufügen: Aber ihr könnt trotzdem mitfahren. Bis Dodoma. Denn kaum sind wir mit dem Zugbegleiter, der gut Englisch spricht, ins Gespräch gekommen, ist alles andere kein Thema mehr.
Unser Güterzug hat eine Länge von 42 Waggons und, sagt man uns, er verfügt über 1.000 Tonnen, ist also ein sehr beachtlicher Zug. Es liegt eine Reihe von kleineren Bahnstationen auf der Strecke, an denen er anhält. Riesige Körbe werden dann jedes Mal nach oben auf die Diesellok gewuchtet, Passagiere springen hinab, neue klettern herauf. Die Lok als Buschtaxi ist offenbar ein einträgliches Geschäft für die Eisenbahner.

Alte Lok aus der deutschen Kolonialzeit.

Alte Lok aus der deutschen Kolonialzeit.

Der Lokführer ist eine pittoreske Gestalt, ein Araber mit einer kochmützenhohen Stoffkappe. Mit seinem breiten Gesicht und der etwas helleren Hautfarbe gleicht er der Vorstellung, die man von einem orientalischen Despoten haben könnte. Er kaut fettigen Räucherfisch, der in Zeitungspapier eingewickelt ist.
Seine Maschine, ein betagtes kanadisches Fabrikat (wie gelangt sowas hierher?) kommt in der gebirgigen Gegend selten über 30 km/h hinaus und das Buschland mit den Schirmakazien, den Baobabs und beeindruckenden Kakteenbäumen zieht wie im Zeitlupentempo an uns vorüber. Die Dörfer sind aus rotbraunem Lehm errichtet, demselben, dessen Staub uns auf den Landstraßen in den Kleidern haften bleibt.
Als die Sonne untergeht, ist sie ein riesiger Feuerball. Der letzte noch mit uns verbliebene Fahrgast, ein Massai, singt seine Lieder mit einer Kopfstimme, die sich akustisch kaum vom Rauschen des Fahrtwinds unterscheidet.
Dodoma ist die geplante Hauptstadt Tansanias. Von den Bauprojekten ist jedoch vieles in den Anfängen stecken geblieben. Und so ist diese Stadt im Zentrum eine Baustelle, die man allerdings vergessen zu haben scheint. Der Alltag wuchert darüber hinweg.
Wir suchen an diesem Abend ein billiges Hotel. Eine kleine Frau begleitet uns (mit dieser immer wieder selbstlosen Hilfsbereitschaft) durch die Dunkelheit. Alle Hotels sind jedoch belegt und es bleibt uns nichts anderes übrig als das "beste" Hotel zu nehmen (wenigstens ist es das teuerste). An diesem Abend spielt in der Bar eine Band. Die elektrischen Gitarren halten einen bis halb drei Uhr wach. Soweit kein Problem, nur ist es die - mit Abstand - schlechteste Band, die ich je gehört habe. Kaum einer von denen kann überhaupt ein Instrument spielen.
Von der Stadt gibt es weiter nichts mehr zu berichten. Mit Ausnahme vielleicht einer noch halbwegs erhaltenen deutschen Vorkriegs-Lok. Wir stibitzen ihr eine Schraube.
Der Weg nach Kondoa führt über eine holprige Piste. Der Bus ist dermaßen überfüllt, dass erstens im Gang mindestens genauso viele Leute stehen, wie sich auf den Sitzen zusammendrängen, und zweitens der Schaffner nur deshalb von vorn nach hinten schwirren kann, weil er sich ausschließlich auf den Schultern der Fahrgäste fortbewegt. Die Landschaft ist gebirgig und dünn besiedelt. Kühler wird's.

© Peter Kiefer, 2005
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Vor ein paar Wochen habe ich mehrere verschollen geglaubte Reisetagebücher wiederentdeckt. Eines davon dokumentiert diese Reise aus dem Jahre 1990, die durch Teile Kenias und Tansanias führte und mit sehr einfachen Mitteln bestritten wurde. Karin und ich haben ausschließlich lokale Verkehrsmittel benutzt, auch unsere kleinen Safaritouren haben wir außerhalb allen Reisebürotourismus abgewickelt.
Details:
Aufbruch: Juni 1990
Dauer: circa 4 Wochen
Heimkehr: Juli 1990
Reiseziele: Kenia
Tansania
Der Autor
 
Peter Kiefer berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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