Kenia - Tansania: Notizen aus dem Jahr 1990
Des Meeres und des Magens Wellen - nach Pemba
Die Überfahrt beginnt lange, bevor wir ein Schiff namens "Tawakali" besteigen. Zunächst einmal hat eine kleine Unachtsamkeit gewisse Folgen. Die erste dieser Folgen ist, dass wir uns länger als geplant, nämlich vier Tage, in Tanga aufhalten. Nachdem es bereits in Mombasa schwierig gewesen ist eine Dhau nach Sansibar zu finden, ist es, wie sich bald herausstellt, in Tanga leider nicht viel anders. Zwar liegen inzwischen etwa ein Dutzend Boote im Hafen, aber darunter ist keines, das die Inseln ansteuert. Wir gehen mehrfach zum Hafen, immer denselben Weg über die Schienen des Hafenbähnchens, fragen hier, fragen da und erhalten ein paar Antworten, die eher dazu angetan sind uns bei Laune zu halten, als dass sie etwas nützen könnten.
Dann aber scheinen wir endlich Glück zu haben. Ein Matrose spricht ein wenig Englisch. Sein Segler, so viel kriege ich mit, legt morgen früh um vier Uhr ab nach Pemba. So früh am Morgen? - In der Nacht. - Gut, also von mir aus um vier in der Nacht. - In der Nacht, ja.
Man muss nur rechtzeitig da sein und dann abwarten, wie lange es dauert, bis es wirklich losgeht. Wir sind schon etwas vor der Zeit am Anlegesteg. Über uns flimmert ein prächtiger Sternenhimmel und die Stimmen der Muezzins, die zum Frühgebet rufen, wehen aus der Stadt zu uns herüber. Die kleinen Dhaus schaukeln und knarren. Auf einer einzigen brennt schwach eine Lampe, niemand ist irgendwo auf Deck, alles schläft noch. Rufen ist wohl zwecklos und auch wir werden wieder müde, breiten unsere Schlafsäcke auf den Bohlenbrettern aus und legen uns ebenfalls schlafen. Geweckt werden wir erst durch die Bootsleute, die ihr Wasser ins Hafenbecken abschlagen (ein geradezu anheimelndes Geräusch), und von der aufgehenden Sonne.
Dann regt sich auch etwas auf dem Schiff, das wir anpeilen und dessen Vier-Uhr-Abfahrt wohl allenfalls geträumt war. Es ist von denen, die hier vor Anker liegen, das kleinste, verfügt aber auch als einziges über einen Außenbordmotor. Ich winke hinüber. Der Kapitän sieht nur halb zu mir hin. Es gelingt zum Glück, jemanden zu finden, der dolmetscht. Danach ist so viel klar: Das Boot wird erst am Abend seine Segel setzen, genauer, gegen Mitternacht. "Gegen Mitternacht" ist nicht vier Uhr - ein Missverständnis, wie uns erst im Nachhinein klar wird, weil es zwei verschiedene Einteilungen der Tageszeit gibt, die "englische" und die "Swahili-Zeit". Es gilt: 6 Uhr "Swahili" gleich 0 Uhr "englische" Zeit. 4 Uhr "Swahili" gleich 10, afrikanisch aufgerundet dann gleich Mitternacht. Aber eben Nacht, nicht Morgen! Das Datum also stimmt, aber sonst nicht viel. Wir eilen müde ins Hotel zurück, dort steht uns das Zimmer noch ein paar Stunden zur Verfügung.
Vor Einbruch der Dunkelheit sind wir wieder auf dem Anlegesteg zurück, und doch kommen wir zu spät. Nicht weil die Dhau bereits losgesegelt wäre, im Gegenteil, wir unterhalten uns sogar ein weiteres Mal mit dem Kaptän. Aber als der auf einmal eine Passagierliste hervorholt, auf der unsere Namen nicht auftauchen, wird klar, dass die Bürokratie dazwischengeschaltet ist. Anders gesagt, wir hätten uns mit dem Hafenbüro in Verbindung setzen müssen, danach mit der Einwanderungsbehörde. Letztere hat bereits seit den frühen Nachmittagsstunden geschlossen.
Wir waren dem Hinweis des Hafenmeisters gefolgt, dass, um an Bord zu gehen, der Reisepass ausreichen würde. Jetzt stehen wir da und setzen unseren letzten Funken Hoffnung auf einen älteren Hafenbediensteten, der sich bemüht eine Lösung für uns zu erreichen. Die Lösung soll sein, jemanden zu suchen, der an den entsprechenden Behördenstempel gelangen könnte. Bei der ganzen Herumrennerei lernen wir beiläufig den Hafen besser kennen. Er hat unvermutete Ausmaße, ist, wie versichert wird, gut ausgerüstet, aber schlecht ausgelastet. Derzeit sieht man nur ein einziges größeres Schiff vor Anker liegen.
Die Bemühungen des hilfsbereiten Mannes bleiben an diesem Abend leider fruchtlos. Mürbe und enttäuscht checken wir wieder im "Planter's" ein. Zwei Tage später erst soll das nächste Boot fahren.
Ein Fischer verkauft seinen Fang direkt am Strand.
Dieses Mal erledigen wir alle Formalitäten und sind wieder "pünktlich" an der Anlegestelle. Von der "Tawakali" ist aber nichts zu sehen, auch von den Passagieren nicht. Wir finden jemanden, der uns erzählt, dass das Einschiffen woanders vor sich gehe, "weiter unten". Er meint eine Frachthalle, in der bereits etliche Passagiere warten, viele andere trudeln erst im Lauf der nächsten drei Stunden ein. Sollen die wirklich alle an Deck Platz haben? Zweifel scheinen angebracht. So gegen vier am Morgen trifft das Schiff endlich ein. Die Frauen lässt man zuerst an Bord. Dann kommen die Männer dran und auf dem Boot herrscht bald ein ziemliches Chaos. Karin und mir gelingt es, uns vor einer aufgespannten Plane auszustrecken, unsere Beine sind mit anderen Beinen verwurstet. Der Bootsrand ragt nicht weit aus dem Wasser, und als ein Motor angeschmissen wird, beginnt eine romantische Fahrt übers Meer.
Nach einer halben Stunde schwappt das Wasser zum ersten Mal über mich. Allgemein hat bereits das große Kotzen angefangen, denn das Boot macht eine steile Berg- und Talfahrt durch die Wellen. Karin hat viel damit zu tun mich gegen das ins Boot spritzende Wasser zu schützen (sie schützt mich wortwörtlich mit ihrem Körper, was ist Liebe!) und singt mir dabei einiges aus ihrer Shantie-Kollektion vor. Ich liege nur da, sehe dem ganzen Treiben zu, als sei ich im Kino (erste Reihe rechts, wohin sich manchmal noch die eine oder andere Kugel verirrt, in diesem Fall die Wellen), sehe den alten Mann neben mir, der in kleinen Portionen vor sich hin reihert, sehe die entsetzlich schwarzen Wolken, die aus dem schmalen Schiffsschornstein qualmen, erlebe eine See, die ich zum Glück nicht in der kleinen Dhau erleben muss, die nebenbei Zementsäcke geladen hatte.
Erst im Lauf des Morgens beruhigt sich alles wieder, gegen Mittag sind wir in Pemba angelangt, der Nachbarinsel von Sansibar. Boote kommen an die "Tawakali" herangefahren, auf schwankenden Brettern verlassen die Passagiere das Schiff. Auf einer jungen Europäerin klebt noch ihr ganzer Magen- und Darminhalt, sie springt einfach ins Wasser, es ist wie eine große Wiedergenesung. Lachen, Jauchzen, Durcheinanderreden, es ist geschafft. Ich trete allen möglichen Leuten auf die Füße und bin am Ende auch an Land angekommen.
Aufbruch: | Juni 1990 |
Dauer: | circa 4 Wochen |
Heimkehr: | Juli 1990 |
Tansania