Von Mexiko bis Argentinien
Kinderhandel
Das andere Gesicht Boliviens
Nach fast vier Wochen bei Hilando Sueños kennen wir ‚unsere’ Kinder ein wenig. Wir wissen, wer die Unterstützung bei den Hausaufgaben am dringendsten benötigt, wir wissen, wer in erster Linie unsere ungeteilte Aufmerksamkeit möchte, wer gerne mit uns Sprach- und Rechenspiele macht. Und wir haben auch gemerkt, dass unsere gut gemeinten und gut überlegten Planungen für die Förderung der Kinder nur sehr bedingt umsetzbar sind.
Wir haben gemerkt, dass der sechsjährige Juan David, der bei seiner Großmutter lebt, verlässlich jeden Tag in die Fundación kommt, ebenso wie die 12-jährige Abigail, die immer ihre drei jüngeren Geschwister im Schlepptau hat, ja nicht nur das, die sogar die Schulsachen der Kleinen in ihrem Rucksack mitbringt und über die Hausaufgaben ihres kleinen Bruders Bescheid weiß.
Wir haben aber auch bemerkt, dass manche Kinder nicht regelmäßig da sind, so die siebenjährige Noelia oder die Schwestern Daisy und Aleida oder auch der zehnjährige Joaquin. Das beeinträchtigt natürlich unsere Möglichkeiten, mit den Kindern kontinuierlich zu arbeiten, um die Lücken in ihren schulischen Kenntnissen ein ganz klein wenig zu stopfen. Es hat wohl damit zu tun, dass einige Kinder nur dann auftauchen, wenn sie Schularbeiten haben, an Tagen, an denen das nicht der Fall ist, also nicht da sind. Dass wir gerade an solchen Tagen Zeit und Muße zum gemeinsamen Arbeiten hätten, ist verständlicherweise nicht unbedingt in ihren Köpfen verankert und ist völlig aus unserer Perspektive gedacht.
Und dann gibt es das völlig Unvorhergesehene; Kinder, die eigentlich immer da sind, weil die Fundación der einzige Ort weit und breit ist, an dem sie in Ruhe sein können tauchen plötzlich nicht auf. Es genügt schon ein Blick in die besorgten Gesichter der Sozialarbeiterinnen, um zu verstehen. José Luis, sechs Jahre alt, kam zwei Tage lang nicht. Seine um ein Jahr ältere Schwester erzählte Verwirrendes, meinte, er komme bestimmt am nächsten Tag wieder und wirkte dabei selbst recht verstört.
Lidia, eine Projektverantwortliche, erläutert ihre Besorgnis. Sie sagt uns, dass in Bolivien immer wieder Kinder verschwinden. Sie spricht leise, die Kinder sollen ihre Ausführungen nicht mitbekommen. Sie zählt die Gründe für das Verschwinden der Kinder auf. Es geht um Kinderhandel. Und sie erläutert die verschiedenen Formen des Kinderhandels, die Ausbeutung der Kinder durch Zwangsarbeit, die sexuelle Ausbeutung (Prostitution), die Einbindung von Kindern in den Drogenhandel, den Adoptionshandel.
Leise fügt sie hinzu: und den Organhandel.
Delina, ihre Kollegin ergänzt, dass sie erst kürzlich auf einer Polizeistation eine ganze Reihe von Fotos von verschwundenen Kindern gesehen habe.
Am nächsten Tag ist José Luis wieder da. Wir atmen erleichtert auf.
Und es bleibt doch ein Atemanhalten. Was wäre gewesen, wenn?
Wir erfahren, dass der größte Teil der Kinder, die Opfer des Menschenhandels werden, verschwunden bleiben. Gerade, wenn die Kinder über die Grenze nach Argentinien, Brasilien oder Chile gebracht werden, verliert sich ihre Spur.
In Bolivien, dem ärmsten Land des südamerikanischen Kontinents, ist der Menschenhandel, insbesondere der Kinderhandel, die trata, ein Problem. Die Anfänge bleiben nebulös: Teils sind es die Eltern, die aus materieller Not ihre Kinder verkaufen; teils werden die Kinder selbst mit verlockenden Angeboten ins Ausland gelockt. Oft sind es Frauen, die sich das Vertrauen der Kinder mit kleinen Geschenken erkaufen, bis sie sie soweit haben, dass die Kinder einer Einladung zu einer Fahrt in einem tollen Auto zustimmen... und für immer verschwinden. Die kriminellen Netzwerke der trata arbeiten international. Die OEA (Organisation Amerikanischer Staaten) berechnet für 2012 einen Verdienst durch Menschenhandel von 6,6 Mrd. US-Dollar – an dritter Stelle hinter Waffen- und Drogenhandel.
Es ist ein sehr trauriges Kapitel, doch finden sich erste Ansätze, dem Problem zu begegnen. Der bolivianische Staat hat ein Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels verabschiedet. Die bolivianische Regierung startet Öffentlichkeitskampagnen mit Plakaten, Fernsehspots und Kurzreportagen gegen Kinderhandel.
Mehrere NGOs versuchen in den sozialen Brennpunkten des Landes die Situation der Kinder der Ärmsten zu verbessern, um ihnen so einen Schutz zu gewähren.
Wer – so wie ich- weiterlesen möchte, hier ein paar Hinweise:
https://www.kindernothilfe.at/%C3%9Cber+uns/Aktuelles/Die+verlorenen+Kinder+Boliviens.html
http://www.aktiv-gegen-kinderarbeit.de/produkte/anderes/kinderhandel/#identifier_5_3068
http://www.la-paz.diplo.de/contentblob/4671034/Daten/6086627/BOLetin22015.pdf
Aufbruch: | 27.09.2017 |
Dauer: | 5 Monate |
Heimkehr: | 11.02.2018 |
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