Rundreise durch Guatemala
Allerheiligen
Am frühen Morgen, als wir Huewe, wie die Stadt im Volksmund genannt wird, verlassen, ist sie ruhig. Niemand würde sich vorstellen, dass die ganze Innenstadt noch vor ein paar Stunden gedröhnt hat und der Hauptplatz von Menschen vollgestopft war.
Heute ist nicht einmal viel Verkehr, so dass wir schon bald aus der Stadt hinaus fahren, Richtung Berge. Die Strasse steigt an. In steilen Kurven geht es den Hang aufwärts. Langsam und stetig kämpft sich unser Bus hinauf, immer höher und ein paarmal haben wir das Gefühl, wir sollten besser aussteigen und mit Stossen Hand anlegen. Doch Carlos hat sein Fahrzeug im Griff, es geht immer höher, die Aussicht auf die Stadt, die sich hinter Nebelschleiern versteckt, wird immer eindrücklicher. Auf 3000 m gibt es einen Mirador, damit wir den Ausblick geniessen können. Man spürt die Höhe beim Atmen. Die Vegetation hat sich geändert. Hier oben würden Kartoffeln angebaut, erzählt René. Agaven mit gewaltigen Blütenständen, wunderschöne rote Fackellilien, Pico de gallos.
Wir sind jetzt auf einem Hochplateau. Nachdem wir dieses überquert haben, geht es hinunter in ein langes Tal, Richtung Mexiko. In steilen Haarnadelkurven geht es wieder hinunter und dann noch einmal hinauf nach Todos Santos, einem kleinen Ort in den Bergen. Es ist ein reicher Ort, das sieht man an den vornehmen Villen, die überall an den Hängen neu entstanden sind. Früher waren die Leute so arm, dass viele junge Männer ausgezogen sind und ihr Glück in den USA gesucht haben. Manche haben sich dort einen kleinen Wohlstand erschaffen und unterstützen ihre Familien in der Heimat. Das führte dazu, dass sich viele Familien heute mehr leisten können, es führte aber auch zu einem Mädchenüberschuss.
Heute ist Fiesta im Todos Santos. Allerheiligen in Allerheiligen. Leute aus der ganzen Gegend sind gekommen. Die meisten in ihren traditionellen Kleidern. Die Männer in ihren Roten Hosen und weissen Hemden. Schon bald sind wir mitten drin. Aus allen Ecken ertönen Marimba-Klänge. Manchmal wird live gespielt, manchmal dröhnt es aus Lautsprechern. Die Strasse im Dorf führt hinauf und hinunter, kaum ein Stück geht geradeaus.
René zeigt uns, wo wir uns in ein paar Stunden wieder versammeln, erklärt, wo das Pferderennen stattfindet und wo der Friedhof sei und dann machen wir uns auf eigene Faust auf, den Ort zu erkunden. An Markständen werden Handarbeiten, aber auch Dinge des täglichen Bedarfs verkauft. Schöne Schuhe zum Beispiel, es gibt Glücksspiele an denen ein wenig geschummelt wird, Imbissstände, wo gebrutzelt und gebraten wird . Es gibt einfach ganz viel zu sehen.
Ein Frisör hat seinen Stand auf der Strasse aufgestellt. Puppenköpfe mit aufwändigen Frisuren demonstrieren, was man sich machen könnte und die Mädchen scheinen sich um das Angebot zu reissen.
Der Frisör mit seinen Modellen
Bei den Pferden herrscht ein Gedränge. Ich bin mit Lilo und Sepp unterwegs und wir versuchen, einen guten Platz zu ergattern. Dazu drängen wir uns durch die Einheimischen, drücken uns einer Mauer entlang, überwinden einen rutschigen kleinen Abhang und stehen am Schluss direkt am Zaun, wo wir direkte Sicht auf die Reiter haben.
Sie sind mit farbigen Kleidern extra herausgeputzt und versuchen zum Teil ohne einen Zügel zu halten, über die Piste zu rasen. Am Ende der Piste bekommen sie jeweils einen Schluck Schnaps und dann wird das Rennen in die umgekehrte Richtung wieder gestartet. Es scheint, dass es nicht um den schnellsten geht, sondern darum, wer am längsten durchhält. Dass die Pferde dabei gezwungen werden und oftmals nicht mehr weiter rennen möchten, gibt ein paar sehr unschöne Situationen. Das Verhältnis zu den Tieren ist noch nicht gross entwickelt. Tiere sind da zum Gebrauch.
Auch das Verhältnis zum Alkohol ist sehr bedenklich. Überall sehen wir stark betrunkene Männer. Oder es liegt jemand in einer Ecke und alle steigen darüber hinweg, lassen ihn seinen Rausch ausschlafen. Einmal sehen wir einen Mann, der versucht, einen anderen von der Strasse wegzuziehen. Da dieser ziemlich schwer ist, kann er ihn nicht weit bringen und da wo er ihn hinlegt ist zufällig ein Rinnsal, das der Strasse entlangläuft. Scheint keinen der beiden zu stören.
Wir haben uns von unserem Logenplatz wieder zurück auf die Strasse zurück gekämpft und streben den Treffpunkt an, der auch ein Restaurant ist. Da treffe ich auf Peter und Margrit. Sie haben weiter oben ein Riesenrad gesehen und wollen dorthin. Da muss ich natürlich dabei sein. Ich liebe Riesenräder und lasse mir keines entgehen.
Bald haben wir es entdeckt. Es steht auf einem Platz mit verschieden Karussells. Es gibt sogar noch ein kleineres, aber wir streben das grosse an. Für 35 Quetzales bekommen wir drei Tickets. Ich lasse Margrit und Peter vor und steige ein paar Gondeln hinter ihnen ein. Es sind offene Gondeln mit einer Eisenstange geschützt, wie auf einem Sessellift. Leider sind die Sitze für schmalere Menschen gedacht, so dass ich die Stange kaum zu bringe. Doch noch ein Mumpf vom Kontrolleur, und die Stange rastet ein – und ich bin bewegungslos festgezurrt. In der Gondel Nummer 13, wenn das nur gut kommt.
Langsam steige ich hinauf. Unten werden weitere Gondeln gefüllt. Und dann geht es los. Das Rad dreht sich, und wie. Es ist schnell, Leute schreien. Wie öfters in solchen Situationen frage auch ich mich: wie bin ich hier nur reingeraten? Das Rad dreht sich und die Gondel schaukelt. Sie würde nicht fallen, sondern würde weggeworfen, wenn die Halterung loslassen würde. Besser nicht daran denken, denn inzwischen dreht das Rad nach einem kurzen Stillstand auf die andere Seite. Jetzt geht das ganze rückwärts. In einem Höllentempo.
Die Aussicht ist atemberaubend - ich kann wegen der engen Eisenstange eh kaum atmen.
Und dann steht sie still, die Leute steigen aus, jetzt ist meine Gondel unten und ich werde wieder losgemacht. Margrit und Peter sind schon ausgestiegen. Wir sind völlig durcheinander, haben eine so verrückte Fahrt noch nie erlebt und machen taumelnd ein paar Schritte.
Zurück beim Treffpunkt finden wir ein paar andere der Gruppe, die beim Mittagessen sitzen. Auch ich bestelle mir ein kleines Sandwich mit Guacamole. Und dann ist es Zeit, zurück zum Parkplatz zu gehen. Wir sind auf über 3000 Metern und die Dorfstrasse geht ständig steil bergauf und bergab. Ich komme völlig ausser Atem. Zum Glück gibt es immer wieder etwas zu sehen und damit einen Grund, stehen zu bleiben und die Kamera zu zücken.
Kurt
Vor uns liegt jetzt eine lange Fahrt durch die Berge. Es ist eine neue Verbindungsstrasse, die nicht oft durch Dörfer führt. Dafür durch Wälder, in immer neue Täler, über Flüsse, auf immer neue Höhen. Kurz vor Chichicastenango geht die Sonne hinter den Wolken unter. Die Strahlen, die sie als letzten Gruss sendet, sehen spektakulär aus. Es scheint, als ob der Himmel brennt.
Nach dem Zimmerbezug treffen wir uns in der Bar zum Apero und gemeinsamen Nachtessen. Als das Restaurant um neun Uhr schliesst, verziehe ich mich ins Zimmer. Will endlich meinen Bericht schreiben und abschicken.
Doch leider funktioniert das Internet nicht. Da kann ich lange mit dem Laptop in der Hand durchs Zimmer gehen und versuchen, ob es von einem anderen Standort besser ist, die Verbindung bleibt ‚beschränkt‘ und der Zugang versperrt. Vielleicht klappt es am Morgen.
Mein Gutenacht-Engel steht auf dem Nachttisch
Aufbruch: | 22.10.2018 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 09.11.2018 |