Guatemala - Land des ewigen Frühlings
Karfreitag
Die ganze Nacht vom Donnerstag auf Karfreitag werden in den Strassen von Antigua Teppiche hergestellt. Es sind eigentliche Kunstwerke, kreiert von Künstlern, geplant, ausgemessen und erstellt von unzähligen Helfern.
Die Materialien sind ganz unterschiedlich: lange Piniennadeln, die an vielen Festen verwendet werden, um den Festplatz schöner zu machen und den heissen Boden zu entlasten. Hier werden sie oft als Untergrund genommen, um die unebene Strasse auszugleichen. Darüber kommt Sägemehl, grobes oder ganz feines, das in den verschiedensten Farbnuancen eingefärbt ist. Ausserdem werden viele Blumen verwendet. Sehr beliebt sind auch die wohlriechenden Palmblüten und deren grosse Schalen, die ein weiteres Dekoelement sind. Auch Früchte und Gemüse werden eingebaut. Die Bilder sind oft religiös und meist von der farbenprächtigen Natur inspiriert. Gearbeitet wird mit vorgefertigten Schablonen oder einfach nach Gefühl.
So entstehen über Nacht Kunstwerke für ein paar Stunden.
Man muss sehr früh, am besten vor Sonnenaufgang aus dem Haus gehen, wenn man die schönsten Teppiche sehen will. Viele der Teppiche stehen dann noch kurz vor der Vollendung, bei anderen stehen die Künstler stolz daneben, freuen sich, wenn ihr Werk möglichst oft fotografiert wird, denn ein paar Stunden später wird es vernichtet sein.
Dass unter diesen wunderschönen Bildern die extrem holperige Strasse mit dem groben Kopfsteinpflaster versteckt ist, kann man sich aufgrund der Fotos kaum vorstellen.
Ein paar vor unserer Gruppe sind schon um 5 Uhr unterwegs. Die nachfolgenden Fotos vom frühen Morgen verdanke ich Silvana.
Wenn man so am frühen Morgen unterwegs ist, weiss man kaum, wohin man sehen soll, jede Strasse überbietet die andere mit noch schöneren Sujets, noch feineren und filigraneren Mustern.
Die erste Prozession ist lange vor Sonnenaufgang bei der Merced gestartet.
Als ich gegen sieben Uhr auch endlich bereit bin, mich dem Tag zu stellen, gerate ich gleich in die erste Prozession des Tages.
Lange Reihen von violett gekleideten Männern gehen der Prozession voraus. Sie halten die Strasse frei, so dass der Schrein ungehindert durchkommt. Mit ihnen sind ganze Legionen von Römern unterwegs. Mit Helm und gepanzertem Oberkörper vermitteln sie eine Stimmung wie im Mittelalter, oder eben zu Christi Tod.
Soldaten auf Pferden, Lanzenträger, weihrauchschwenkende, violett gekleidete Männer, der Zug nimmt kein Ende. Und alle achten sorgfältig darauf, die schönen Teppiche in den Strassen nicht zu zerstören.
Ich weiss gar nicht, wo ich mich hinstellen soll, was fotografieren, wo ist die Sicht am besten, wo der Effekt am grössten. Und natürlich bin ich nicht allein, mit mir ist der Rest der Stadt unterwegs mit Handy und Kamera. Und über allem fliegen ein paar Drohnen. Alle suchen wir den besten Platz, die beste Einstellung. Es reicht jetzt nicht mehr, etwas grösser als die Einheimischen zu sein, man muss jetzt auch seine Arme höher ausstrecken können um nicht vor allem andere Bildschirme vor sich zu haben.
Ich gehe der Prozession entgegen, dränge mich zwischen Zuschauern und Lanzenträgern auf dem schmalen Trottoir vorwärts. Immer darauf bedacht, keinen falsche Schritt auf dem unebenen Untergrund zu tun.
Und dann kommt sie, die schwere Lade, getragen von 80 Männern, die unter der Last im Gleichtakt schwanken. Vorne in der Mitte der Lenker. Er ist der erste, der über die wunderschönen Teppiche schreitet, Mit seinen Schritten, die ganze Kunst zerstört. Mit den ganz langen Lanzen werden die tief hängenden Stromkabel angehoben, so dass das Kreuz unten durch gehen kann. Es sind sehr viele Kabel, auf die die Lanzenträger in den schmalen Strassen aufpassen müssen.
Hinter dem Kreuz kommen die grossen Pauke und die Blasmusik. Und dann kommen die Frauen mit der weinenden Maria. Viele nehmen das Sujet so stark in sich auf, dass sie tatsächlich weinen. Ein Trauerzug.
Und dann wird es prosaisch, Die Teppiche sind zerstört, die ganze Pracht zu einem unförmigen Haufen Sägemehl reduziert. An einigen Stellen wird er gleich wieder zu einem Teppich zusammengetragen, man fängt wieder an, ein neues Kunstwerk, diesmal etwas weniger aufwändig zu erstellen, für die anderen folgt jetzt die Müllabfuhr.
"Tren de Aseo" steht auf dem Plakat des LKW. "Zug der Sauberkeit". Männer putzen mit grossen Besen und schaufeln die Überreste in den Bagger, der alles in einen der LKWs kippt. Es sind vier Reinigungsequipen und sie nehmen alles mit, wenn die Leute nicht klar deklarieren, dass sie einen neuen Teppich machen wollen.
Ich habe jetzt genug gesehen, gehe zurück ins Hotel. Das Frühstück wartet.
Später spaziere ich noch einmal durch die Strassen, denn irgendwie kann man von dem ganzen Spektakel gar nicht genug bekommen.
Überall werden neue Teppiche erstellt. An den Seiten stehen die Säcke mit dem farbigen Sägemehl, Schablonen liegen bereit, Leute geben Anweisungen, andere, auch spontane Zuschauer und Touristen, sind zur Mithilfe eingeladen.
Es hört überhaupt nicht auf. Die Prozession ist irgendwo noch unterwegs, in jeder Strasse wartet eine neue Überraschung, Teppiche oder die Prozession, die alles wieder zerstört.
Ich bin mit einem Teil der Gruppe unterwegs. Nachdem wir genug von Weihrauch, Sägemehl und Teppichen haben, gehen wir ins Kaffee Fernando. Es ist eines der älteren Kaffeehäuser mit einer eigenen Rösterei und einer eigenen Schokoladenproduktion.
Bei meinem ersten Besuch in der Stadt hatte er in dem winzigen Ecklokal eine der ersten Kaffeemaschinen der Stadt. Heute gibt es einen schönen kleinen Hofgarten und unzählige Spezialitäten aus Kaffee und Schokolade zum hier geniessen oder mit nach Hause nehmen.
Für den frühen Nachmittag hat René eine Rum-Degustation organisiert. Wir gehen ins Casa del Ron, ins Haus dem Rums, wo uns eine elegante Aufmachung erwartet.
Edwin, der uns den Rum vorstellt hat den Humor leider nicht erfunden, zu ernsthaft ist diese Sache mit dem besten Rum der Welt. Zwei Qualitäten stehen zur Auswahl und er zeigt uns, wie der Rum riecht, schmeckt, wie sich die beiden Qualitäten schon beim Ausgangsprodukt, dem Zuckerrohrsaft und der Melasse unterscheiden.
Dann gibt es kleine Häppchen, um das Aroma des Rums noch zu unterstreichen. Und ganz spannend wird es, als er die Gläser auch noch mit seiner speziellen Apparatur räuchert. Alles in allem eine sehr gelungene Degustation.
Allerdings interessieren sich am Schluss mehr für die wirklich sehr feine Orangenkonfitüre, die mit dem Käse serviert wurde, als für den Rum. Weil diese Konfitüre im Rum-Laden nicht verkauft wird, schafft René das Kunststück und organisiert ein paar Gläser in einem anderen Laden ganz in der Nähe. Sie kommt übrigens aus dem Kapok-Restaurant, in dem wir ganz am Anfang unserer Reise auf dem Weg nach Chichi eingekehrt sind.
Zacapa ist übrigens die bekannteste, und wahrscheinlich einzige Rum-Distillerie von Bedeutung Guatemalas. Genau wie beim Bier liegt auch diese Produktion ganz in einer Hand.
Nach der Rum-Degustation ist es für mich Zeit, mich ins Hotel zurück zu kehren. Bald treffen wir uns in der Lobby zu einem speziellen Treffen.
Köbi hat heute Geburtstag und hat uns zu einem Apero eingeladen. Hoch soll er leben, dreimal hoch und Happy Birthday muss er sich von unserem begeisterten Chor auch noch anhören.
Für den letzten Abend haben wir einen Tisch im besten Hotel der Stadt reserviert im Casa Santo Domingo.
Das Hotel wurde in den Ruinen eines Klosters erbaut. Dabei wurde sehr acht gegeben, dass die Bausubstanz und die Athmosphäre des Ortes nicht zerstört wurde. Das Hotel ist auch ein Museum und wir machen vor dem Essen eine kleine Besichtigungstour.
Und dann werden Reden geschwungen, ein paar Tränen zerdrückt, weil die lang ersehnte Reise bereits wieder Vergangenheit ist, Pläne geschmiedet, was man in Zukunft noch vorhat, wohin man noch möchte, was man noch nicht gesehen hat.
.Und natürlich wird Köbis Geburtstag noch einmal besungen. Diesmal mit Hilfe des Servicepersonals. Cumpleanos feliz lieber Köbi.
Es ist der letzte Abend in der Stadt.
Am Morgen holt uns Ismael mit dem Bus um 10.00 Uhr ab. Für mich Zeit, um noch einen kurzen Spaziergang durch Antigua zu machen, noch einmal in die Bodega zu gehen, um schwarze Bohnen zu besorgen. Andere gehen zum Casa Santo Domingo um die Räumlichkeiten bei Tag noch einmal zu sehen und andere geniessen den Blick von der Dachterrasse des Restaurants, wo sich heute vor einem blauen Himmel die Vulkane in ihrer ganzen Pracht zeigen.
Und dann ist diese Reise zu Ende. Was bleibt ist die lange Heimreise. Angefangen mit der Fahrt nach Antigua, bei der uns fast der Bus-Chauffeur verhaftet wurde. Irgend etwas muss mit seinem Papieren nicht in Ordnung gewesen sein. Als er nach einem langen Gespräch mit der Polizistin wieder hinter dem Steuer Platz nimmt, empfangen wir ihn mit einem Applaus. Abenteuer bis zum letzten Moment.
Und dann gibt es nur noch die Flüge über Panama und Amsterdam bis zur Ankunft in Kloten. Ein letztes Gruppenfoto, eine letzte Verabschiedung. Wir werden uns irgendwann noch einmal treffen. Bestimmt.
Fladi und Listo
Warum sich Fladi am Vormittag mit Blöterliwasser begnügte, war nicht ganz klar, niemand weiss, wie er den gestrigen Abend verbracht hatte.
Am Nachmittag bei der Rum-Degustation waren die beiden dann allerdings wieder sehr interessiert dabei. Bekamen auch beide ein passendes Glas. Jedenfalls, wenn Edwin nicht gerade hinsah, denn der konnte mit unseren Spielereien nicht viel anfangen und verzog nicht einmal den Mund, wenn wir unsere Spassfotos machten. Komische Truppe, hat er sich wohl gedacht.
Doch das verdarb den beiden die Lust nicht, den Rum zu verkosten. Immerhin war das eine Alkohol-Art, die sie bisher nicht gekannt hatten. Wir übrigens auch nicht in dieser hohen Qualität.
Am Abend versuchte Listo dann noch, für seinen Freund Fladi eine Möhre in der Küche zu ergattern. Leider funktionierte das nicht, weil sie nicht auf der Karte stand und das Personal mit solchen Sonderwünschen nichts anfangen konnte.
Schade, Fladi hätte sich bestimmt gefreut.
Kurz darauf mussten sich die Freunde endgültig trennen. Fladi verliess schon in den frühen Morgenstunden das Hotel und flog mit René nach Nicaragua um neue Ziele zu rekognoszieren und Listo versteckte sich von da an in meinem Rucksack und wollte sich nicht mehr zeigen.
Auch die beiden hoffen wohl auf ein Wiedersehen.
Fortsetzung folgt...
Aufbruch: | 04.04.2019 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 21.04.2019 |
Honduras