Ruinen und Regen: eine Albanienreise

Reisezeit: Mai 2010  |  von Kathrin Hentzschel

21.5., Butrint: Ein verwunschener Ort

Wenigstens Letzteres hat er dann doch beherzigt. Der Wasserhahn bleibt zu, doch die Sonne lässt sich auch nicht blicken. Die Anfahrt geht mit einem uralten Bus deutscher Provenienz vonstatten. Das macht nichts, denn auch ein neueres Fahrzeug hätte auf dieser gänzlich fehlenden Straße nicht mehr Land gewinnen können. Neben mir sitzt der Franzose von Gjirokaster, Jean-Christophe. So trifft man sich wieder. Als ich ihm sage, dass mich Albanien an Asien erinnere, stimmt er zu. Wie Südamerika vor 30 Jahren, findet er.

Dieser Ausflug ist etwas Besonderes. Der Ort Butrint, das antike Buthrotum, wurde der Sage nach an dem Ort, an dem ein Ochse verblutete, den Flüchtlinge aus Troja geopfert hatten, gegründet. Eine gute Wahl, die später auch die Römer trafen - strahlt doch diese Stätte eine eigentümlich beruhigende Magie aus. Hatte ich eine kahle Ebene mit ein paar Steinen erwartet, so wurde ich eines Besseren belehrt. Verwunschen ist es hier; der eigentliche Star ist die Natur, in die sich die Überreste der antiken Siedlung harmonisch einfügen: Hier ein Bad, den Nymphen gewidmet, dort eine Wohnsiedlung, andernorts die Säulen einer Basilika. Ein Tor, durch das der Besucher auf moosüberwachsenen Stufen schlüpft. Obwohl die Vegetation mediterran ist - Eichen, Oliven, Eukalyptus, Mimosen und Lorbeer - fühlt es sich tropisch an. Die Halbinsel ist umstanden von meterhohem Schilf und weiteren feuchtigkeitsliebenden Pflanzen, was den dschungelartigen Reiz noch erhöht. Ja, es ist magisch und erinnert mich an die großen Kultstätten Angkor Vat und Palenque. Im Amphitheater steht Wasser, faustgroße Frösche tummeln sich darin. Vom Tempel, dem Asklepios gewidmet, nehme ich Rosmarin mit und hoffe, dass er angeht.

Unterwegs treffen wir Cornelia und Silke. Wir verabreden uns für den Abend zum Pizzaessen und bitten auch den Franzosen hinzu. Alle reisen wir individuell, im eigenen Rhythmus, und haben doch dieselben Beweggründe, dieses Land zu bereisen, und dieselben Ziele. Immer wieder freut man sich über eine Begegnung mit Gleichgesinnten und tauscht sich gerne aus.

Was den Tag allerdings krönt, ist eine Entdeckung, als wir mit Jean-Christophe Kaffee trinkend auf den Bus warten. In der Nähe der Ausgrabungen hat sich ein recht gepflegtes Restaurant angesiedelt. Und auf dem Grasrondell davor grasen - Kaninchen! Ich bin hingerissen von der Schönheit dieser Tiere: groß und schlank sind sie, mit schmalen Gesichtern und langen Ohren, ein schwarz-weißes und ein weißgraues. Zahm sind die obendrein. Natürlich muss ich meiner Freude Ausdruck darüber verlieren, dass die Tiere "te lire", also frei sind, frage aber doch, ob sie nicht zum Essen ...? Nein, wird mir versichert. Ich hoffe, nicht wieder das albanische "nein" (jo) mit "ja" verwechselt zu haben ... Gefreut hat mich der Anblick allemal.

Da das Wetter fortwährend keine sommerliche Garderobe zulässt, beschließen wir vor dem Abendessen: Jeans müssen her! Denn meine einst weiße Trainingshose hat sich ins Graubräunliche verfärbt, während Reni ihre Jeans auch nur noch mit spitzen Fingern anfasst. Ich werde zuerst fündig. Doch als ich meine Wanderschuhe (Jahrzehnte alt und erst im letzten Sommer für teures Geld restauriert) anziehe, halte ich die Hälfte der Sohle in der Hand. Drama! Nein, eigentlich nicht, denn wir sind ja in Albanien! Die Verkäuferin hat einen Freund, der uns zu einem Schuhmacher bringt. Und so sitze ich strümpfig in einem winzigen, schmalen Lädchen, während der Schuhmacher dem Schuh mit Leim, Nadel und Faden zu Leibe rückt. Wir sind begeistert von seiner Handwerkskunst, die ich gerne gut honorieren möchte. Doch er lässt mich nicht bezahlen. Ein Geschenk, verstehe ich. Das darf doch nicht wahr sein! Was macht man in solch einer Situation?! Da Reni die Prozedur fotografiert hat, was ihm sichtlich schmeichelt, und er uns seine Adresse gibt (ohne Postleitzahl und Straßennamen, aber mit der Ortsangabe "neben dem Gericht", wie es in Albanien üblich ist), verspreche ich ihm einen Brief auf Albanisch mit den Bildabzügen. Was zu lachen hat er dann allemal.

Reni ersteht in einem anderen Geschäft ebenfalls ein Beinkleid, und alle sind glücklich. Beim Abendessen reift der Plan, am nächsten Tag gemeinsam mit einem Furgon oder zwei Taxis weiterzureisen. Die Mädels haben Dhermi geplant, wo sie bereits eine Reservierung klar gemacht haben; Jean-Christophe zieht es nach Himare, einige Kilometer davor. Die Busse Richtung Durres/Tirana fahren nämlich morgens zwischen fünf und sechs, und darauf hat keiner Lust.

Der verhangene Himmel unterstreicht nur das Geheimnisvolle und Anziehende dieses Ortes (Bild: Reni Neuer)

Der verhangene Himmel unterstreicht nur das Geheimnisvolle und Anziehende dieses Ortes (Bild: Reni Neuer)

Das Amphitheater von Butrint von oberhalb des Asklepios-Tempels gesehen, war zurzeit unseres Besuchs ein Freibad für Frösche ...
(Bild: Reni Neuer)

Das Amphitheater von Butrint von oberhalb des Asklepios-Tempels gesehen, war zurzeit unseres Besuchs ein Freibad für Frösche ...
(Bild: Reni Neuer)

Schuhmacher Azbi Seiti beim Retten meines Wanderschuhs (Bild: Reni Neuer)

Schuhmacher Azbi Seiti beim Retten meines Wanderschuhs (Bild: Reni Neuer)

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nur die Grobroute der Rundreise (eiförmig, um genau zu sein) durch den Süden Albaniens stand fest: Der Hin- und Rückflug Tirana – Frankfurt, Berat und Gjirokaster mit ihren historischen Altstädten waren Pflicht (UNESCO-Weltkulturerbe!), Saranda mit der Ausgrabungsstätte Butrint im Süden ebenfalls. Zurück nach Tirana ging es die Küstenstraße entlang; „nice to have“ wäre ein Abstecher nach Kruja gewesen. Dafür reichte die Zeit nicht mehr, anstelle dessen besuchten wir die Hafenstadt Durres.
Details:
Aufbruch: 16.05.2010
Dauer: 11 Tage
Heimkehr: 26.05.2010
Reiseziele: Albanien
Der Autor
 
Kathrin Hentzschel berichtet seit 14 Jahren auf umdiewelt.
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