Mauretanien - Senegal - Kapverden

Reisezeit: Mai / Juni 2001  |  von Peter Kiefer

Senegal: Saint Louis: Eis am Stiel

11. Juni 2001, Saint Louis:

Der Besitzer der Jazzbar Blue Note spricht deutsch; er habe, sagt er, viele Jahre in Hamburg gelebt. Auch unser Hotelbesitzer beherrscht die Sprache fließend; sein Vater sei im diplomatischen Dienst in Bonn gewesen. Ein Lehrer erzählt, dass gerade eine Schulklasse aus Deutschland zu Besuch gewesen sei. Deutsch ist hier, wo es auffallend viele Schulen gibt, sogar die erste Fremdsprache und ein paar Brocken beherrschen offenbar viele Leute in der Stadt. Aber Saint Louis ist natürlich französisch geprägt. Franzosen waren es, die bereits Mitte des 17. Jahrhunderts hier einen ersten Stützpunkt in Afrika errichtet haben und speziell auf dem Areal der Insel leben noch immer zahlreiche Eu-ropäer. Die entspannte, multikulturelle Atmosphäre könnte den, der von diesem Land noch nicht viel gesehen hat, dazu verleiten Saint Louis mit dem Senegal schlechthin gleichzusetzen. Aber es ist eine Insel - nicht gerade der Seligen, in jedem Fall aber der Bessergestellten. Die Armut, die turbulenten Straßen und Märkte machen hier vor der großen Pont Faidherbe einfach Halt und lassen den alten Stadtkern mit seinen Kolonialbauten noch eine Weile weiterträumen. Dennoch, auch das jenseitige Saint Louis ist präsent. An einem Stand mit richtigem Milcheis strecken mir vier kleine Jungs ihre Hände entgegen, sie wollen etwas Kleingeld. Statt einer Münze gebe ich ihnen mein Eis am Stiel. Dass sie nur verwundert darauf reagieren, gut und schön, aber sie sind völlig hilflos, wissen mit dem Geschenk überhaupt nichts anzufangen. Ich muss es ihnen vormachen, wie man Eis isst, mache Beißbewegungen. Schüchtern und anscheinend nur um mir diesen Gefallen zu tun, beißt der, der das Eis in der Hand hält, endlich hinein. Es muss das erste Mal in seinem Leben sein und es sieht nicht so aus, als ob er schnell auf den Geschmack kommen würde. Die mauretanische Grenze reicht bis an den Festlandteil der Stadt; von unserem Hotel aus können wir sie sehen. Aber Mauretanien ist weit. Selbst der Islam, der hier im Senegal gepflegt wird, ist anders geartet. An einzelnen Häusern entdeckt man ein besonderes Zeichen. Es verweist vermutlich auf Mouriden, deren geistiger Führer ein Marabut ist, ein Volksheiliger, im arabisch geprägten Islam undenkbar. Jetzt ist es wieder da, das offene Lachen der Mädchen, die bunten Frauen, die aufregenden Körperrundungen. In jenem Restaurant vom Vorabend war uns ein etwas aufgespreizter Mensch aufgefallen. Da ich mitbekommen hatte, dass er der Leiter der lokalen Radiostation von RTS ist, will ich mir die einmal von innen anzusehen. Ich stelle mich als Kollegen vor und sogleich ist Monsieur, ein schlanker, geradezu dünner Mensch, in seinem Element, hält einen langen Vortrag, von dem ich wenig verstehe. Dann führt er uns ins Sendestudio mit einigen alten und verstaubten Geräten, deren Funktion sich mir im Einzelnen gar nicht gleich erschließt. Es läuft eine Sendung mit Hörerbeteiligung. Die Moderatorin ist durch eine Glasscheibe sichtbar; sie ist mitten im Gespräch. Im Augenblick spielt sie keine Rolle mehr, für den Toningenieur ist unser unverhofftes Erscheinen wesentlich aufregender. Monsieur redet ohne Punkt und Komma weiter, unterbricht sich nur ein einziges Mal kurz selbst, fragt, wie seine Stimme klinge und ob sie nicht besonders gut fürs Radio geeignet sei. Schließlich will er eine Adresse haben, hat aber keinen Kugelschreiber zur Hand und geht, weiter und weiter redend, ins Studio, wo die füllige Moderatorin noch immer mit einem Hörer plaudert, nimmt ihren Kugelschreiber, redet, kommt zurück, schreibt und komplimentiert uns umgehend wieder hinaus. Wir brauchen neues Geld. An einem Bankautomaten (von einem freundlichen älteren Polizisten bewacht) drücke ich die Taste für 30.000 Franc CFA. Als ich bei der nächsten Gelegenheit etwas zahlen will, stelle ich fest, dass ich dem Automaten 300.000 entnommen habe. Hatte ich mich mit der Taste geirrt? Oder ist es ein Bankirrtum zu meinen Gunsten? Mit welcher Summe wird wohl unser Konto belastet werden? Wir haben jedenfalls die Taschen voller Geld und wir vergessen darüber nicht Granmas 111. Geburtstag, den wir feuchtfröhlich-unislamisch begehen.

© Peter Kiefer, 2005
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Eine Rucksackreise durch Teile Mauretaniens, des Sengal und der Kapverdischen Inseln, nur um irgendwo unterwegs meinen 50. Geburtstag zu feiern.
Details:
Aufbruch: Mai 2001
Dauer: circa 5 Wochen
Heimkehr: Juni 2001
Reiseziele: Mauretanien
Senegal
Kap Verde
Der Autor
 
Peter Kiefer berichtet seit 19 Jahren auf umdiewelt.
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