Auf dem Jakobsweg - von Pamplona nach Santiago de Compostela
Vorbereitungen. Hamburg - Bilbao. Start in Pamplon: Salceda - Monte de Goza
10. Juni 2014 Von Salceda nach Monte de Goza - 25 km
Der Morgen ist kalt, aber sonnig und der camino verläuft weiter durch den Wald. Am Wegesrand liegt ein handgeschriebenes Schild von einem jungen Mann, der "Hunger hat, verloren ist", oder was auch immer er ausdrücken will. Zwischen den Bäumen steht etwas weiter weg ein kleines Zelt, in dem er wohl noch schläft. Ein guter Mensch hat eine große Tafel Schokolade für den Schreiber hingelegt, das Schälchen für Geld ist aber noch leer. Wäre ja zu schön, wenn man aufsteht, und für Geld und Essen ist gesorgt.
Im nächsten Dorf treffe ich auf zwei muntere Schwaben; einer von ihnen ist Hannes mit kurzgeschnittenem weißen Vollbart und vielen Blumen auf dem Hut. Zu Beginn meiner Wanderung habe ich ihn schon einmal getroffen und fotografiert, auch heute hat er wieder frische Blumen am Hut. Er ist im April im französischen Zentralmassiv gestartet und läuft insgesamt 1.500 km bis Santiago. Er schleppt schwer an seinem Rucksack und einem Zelt. Eine Knochenhautentzündung zwang ihn zu ein paar Tagen Pause. Hannes ist gerade Rentner geworden und will den neuen Lebensabschnitt mit der Pilgertour beginnen. Ich laufe nur eine kurze Strecke mit den beiden Männern, dann muss ich passen, sie laufen mir zu schnell. An der Gedenktafel für Guillermo Watt, der mit 69 Jahren auf dem Jakobsweg verstorben war, lasse ich die beiden vorausgehen.
Das Wetter bessert sich, die Sonne kommt heraus, der camino - hier mit vielen Pfützen - verläuft parallel zur Straße. Auf einer sonnigen Lichtung mache ich eine Mittagspause, von gestern Abend habe ich noch Schweinebraten übrig. Schon wieder ein Gedenkstein. Dieses Mal für eine Frau, die nach Ankunft in Santiago mit 51 Jahren im Schlaf gestorben ist. Ich nähere mich dem Flughafen, der östlich der Stadt Santiago liegt. Den Pilgerweg gibt es schon seit vielen hundert Jahren, aber den Flughafen erst seit 1937. Seitdem führt der Weg um das Flughafengelände herum, und die alten Kilometerangaben werden vielleicht nicht mehr stimmen. Tatsächlich gibt es ab hier keine Kilometersteine mehr. Der Weg macht eine scharfe Rechtskurve und ich höre ein Flugzeug im Landeanflug. Mitten im Wald steht ein junges spanisches Paar, das auf einem Tisch Obst, Kuchen und Getränke anbietet.
In dem kleinen hübschen Ort Lavacolla fließt der berühmte Bach, in dem sich im Mittelalter die Pilger wuschen, um sauber in Santiago einzutreffen. Erst gegen 16 Uhr erreiche ich Monte de Gozo, Heute bin ich 25 km gegangen. Hier, im letzten Ort vor dem Ziel, bekommen wir in einer EU-geförderten Herberge, die von Polen betreut wird, ein kleines Doppelzimmer mit eigenem Bad für 20 €. Grauer verwitterter Beton lässt die riesige Anlage wie ein Straflager aussehen, das Restaurant gleicht einer kommunistischen Kantine. Für 4,50 € bekomme ich einen Teller leckere Linsensuppe und zwei Gläser Wein.
Lavacolla. An diesem Bach haben sich Pilger in früheren Zeiten gewaschen, um sauber in Santiago de Compostela anzukommen.
11. Juni 2014 Von Monte de Gozo nach Santiago de Compostela - 5 km
Heute ist unser letzter Wandertag, in den wir bei Sonne und blauem Himmel starten. Nach Santiago de Compostela geht es jetzt nur bergab. Wir überqueren Autobahn und Bahnschienen, kommen an ein riesiges Schild, das den Ortsbeginn anzeigt. Jeder Pilger hält hier für einen Fotostopp. Die Vororte von Santiago sind freundlich und sauber, keine tristen Industriegegenden. Eine Stunde brauchen wir bis zur Altstadt mit den schönen alten Häusern und den engen Gassen. Vor zwei Tagen fand ich auf einer Steinmauer die Werbezettel der Pension Christina, die mitten im Zentrum Doppelzimmer für 30 € anbietet. Ich hatte in der Pension angerufen und in meinem mäßigen Spanisch ein Doppelzimmer reserviert. Um zehn Uhr erreichen wir die Pension und dürfen das Zimmer schon beziehen. Es ist ein sonniger hübscher Raum in einem schönen alten Haus und wir sind begeistert. Für einen so günstigen Preis hatten wir kein schönes Zimmer erwartet.
Vor dem Pilgerbüro stehen bereits unzählige Pilger, die sich hier ihre Pilgerurkunde abholen wollen. In dem Café nebenan sitzen die Schwaben Friedrich und Walter und beobachten die Ankommenden. Weitere bekannte Gesichter sehen wir wieder.
Wir haben keine Zeit, uns jetzt anzustellen, sondern gehen in die Kathedrale, die schon brechend voll ist. Im Eingang sitzt eine Zigeunerin, die jedem Besucher die Hand hinhält. Der Gottesdienst soll um 12 Uhr beginnen, aber schon eine Viertelstunde vorher singt eine Nonne mit heller Stimme. Es gibt keine freien Sitzplätze mehr, aber in einer Bank mit nur vier Personen ist noch Platz für mich und ich drängele mich dazwischen. Links neben mir sitzen zwei stämmige Kanadier mit nackten Beinen, rechts ein fülliger Farbiger mit einer weißen Frau. Der Kanadier neben mir reißt ständig den Mund zum Gähnen auf, ohne die Hand davor zuhalten. Ansonsten blättert er gelangweilt in einem Stadtplan. Dann klingelt die Armbanduhr des Farbigen und er weiß nicht, wie er sie ausstellen kann. Seine Frau schüttelt nur missbilligend den Kopf. Vor mir sitzt ein großer Mann mit einer blöden Comicfigur auf dem Rücken seines rosa T-shirts. Wenn wir alle beim Gottesdienst aufstehen, habe ich nur die Figur vor Augen. Während der Predigt schlafen etliche Besucher einfach ein, bei einem fällt dabei die Brille zu Boden. Auf der anderen Seite entdecke ich Ingeborg. Auch während der Messe laufen immer wieder Leute herum, fotografieren mit Blitzlicht und vor einem Beichtstuhl hockt eine Asiatin und schreibt in ihr Tagebuch. Bei diesem respektlosen Verhalten vieler Besucher kommt bei mir keine feierliche Stimmung auf.
Schließlich wird die Kommunion verteilt, die meisten Besucher lassen sich von den Priestern die Hostie in die Hand geben oder auf die Zunge legen. Gegen Ende des Gottesdienstes steigt die Spannung. Wird auch heute der Weihrauchkessel geschwenkt? Eigentlich wird diese Zeremonie nur an bestimmten Feiertagen durchgeführt oder aber wenn die Kosten von 300 € von Jemandem bezahlt werden. Da tauchen tatsächlich die Männer in langen Kutten auf, lösen die festgesteckten Seile, glühende Holzkohle und Weihrauch werden in den Kessel gefüllt. Mit ihrer ganzen Kraft bringen die Männer die Ampel zum Schwingen und die Massen sind begeistert. Das ist der absolute Höhepunkt und Abschluss der Pilgerreise, alle zücken ihre Kameras. Absperrungen und Aufseher verhindern, dass alle nach vorne stürmen. Obwohl eine Nonne über Lautsprecher dazu ermahnt, kein Blitzlicht zu verwenden, wird pausenlos unnötig geblitzt. Bei den vorhandenen Lichtverhältnissen würden alle modernen Digitalkameras auch ohne Blitzlicht gute Fotos machen.
Nach dem Gottesdienst reihen sich die Besucher in eine lange Schlange ein, um sich in einem Nebengelass von der Statue des Heiligen Jakob segnen zu lassen. Dazu treten die Pilger von hinten an die vergoldete Statue heran, umarmen sie mehrfach und küssen sie schmatzend auf den Hinterkopf. Wenn ich mir vorstelle, wieviele Bakterien auf ihrem Kopf wimmeln?! Aber vielleicht ist der Heilige ja immun.
Die Altstadt von Santiago de Compostela ist sehr eindrucksvoll, mit einem einheitlichen Stadtbild ohne moderne Häuser. Die Straßennamen sind in Steinplatten eingraviert. Aber natürlich gibt es unzählige Touristengeschäfte mit Nusch. Die Pensionen sind preiswert, auch im alten ehrwürdigen Kloster kostet ein Doppelzimmer nur 65 €, aber im vornehmen Parador sind die Preise höher. In der Nähe der Kathedrale warten viele Zigeuner auf ihre Chance, einer fischt Münzen aus dem Brunnen.
Angela und Melba stehen bereits in der Schlange vor dem Pilgerbüro, aber uns ist sie immer noch zu lang, wir haben keine Lust, eine Stunde anzustehen. Auf einer Treppe treffen wir Otto, der bei den Pilgern selbstbemalte Muscheln an den Mann bringen will. In unserer Straße entdecken wir ein nettes Gartenlokal, zu einem Glas Wein werden Oliven und Chips gereicht. Weinranken und Bäume bilden ein schattiges Dach, und so ist es hier herrlich bei 30 Grad im Schatten. Das Lokal wird von vielen Einheimischen besucht, auf dem Tisch liegt eine Zeitung, in der Lokalsprache Gallego geschrieben. Mir fällt ein Artikel auf, in dem über die örtliche Schule berichtet wird. Die Kinder haben sechs Wochenstunden Spanisch und sechs Stunden Unterricht in Gallego. Der Dialekt scheint dem Portugiesischen ähnlich zu sein, es kommen viele x und Zischlaute vor.
Die Fußballweltmeisterschaft hat begonnen und heute Abend spielt die spanische Mannschaft gegen die der Niederlande. Ich hatte mit grölenden Massen gerechnet, aber auch während des Spiels bleibt es ruhig. Eine 1:4 Niederlage ruft entsetztes Schweigen hervor. Der abendliche Lärm wird wohl nur von ausländischen Pilgern verursacht, die angeheitert in ihre Pensionen zurückkehren.
Aufbruch: | 13.05.2014 |
Dauer: | 5 Wochen |
Heimkehr: | 14.06.2014 |