Auf dem Jakobsweg - von Pamplona nach Santiago de Compostela
Vorbereitungen. Hamburg - Bilbao. Start in Pamplon: Los Arcos - Logrono
19. Mai 2014 - Mit dem Bus von Los Arcos nach Logrono
Schon um 6 Uhr stehen die Holländer auf und machen einen Höllenlärm. Wir haben noch Zeit, weil wir mit dem Bus nach Logroño fahren wollen. Die Frau fragt mich doch tatsächlich "heimtückisch", ob wir gut geschlafen haben. Als ich ihr entgegne, dass ihr Mann fürchterlich geschnarcht hat, lacht sie nur. Sie kennt natürlich ihren Pappenheimer. Heute morgen ist im Bad großes Gedränge; zwei mal zwei WCs und Waschbecken für 70 Leute sind arg wenig. Zum Frühstück gibt es leckeres selbstgebackenes Brot, dazu aber wieder nur Marmelade, Nutella und Honig. Ich frage Petra, ob es auch Wurst oder Käse gibt. Nein, grundsätzlich nicht, weil die sparsamen Pilger dann ihre Brote für unterwegs schmieren würden. Ein Marmeladenbrot aber nimmt niemand mit.
An der Bushaltestelle warten etwa zehn Fußkranke. Mit dem Bus fahren wir in 40 Minuten die 28 km nach Logroño. Wie viele Stunden brauchten wir diese Strecke zu Fuß? Am Busbahnhof schließt sich uns Annemarie auf dem Weg zur Herberge an. Sie ist Anfang 70 und nicht mehr gut zu Fuß. In der Innenstadt nehmen wir in einer neuen privaten Herberge direkt neben der Kathedrale ein Bett für 10 €. Es ist noch früh am Tag, deshalb können wir die hintersten Betten nehmen. Ein junger Däne hat schon ein Bett bezogen und pflegt seine geschundenen Füße. Während Heide ihrer Achillessehne Ruhe gönnt, erkunde ich die Stadt, besichtige die Kathedrale und eine weitere Kirche und komme an der kommunalen Herberge vorbei, wo im Innenhof schon mehr als zwanzig Pilger auf Einlass warten. Dabei sitzt auch Friedemann aus Schwaben, der, wie man uns später erzählen wird, darauf achtet, dass sich in der Sitzordnung keiner vordrängelt. Friedemann hatte ich gestern Abend schon gehört und wird uns in den nächsten Tagen als Dauerschwätzer und Klugscheißer immer wieder auffallen. Durch Logroño fließt der mächtige Ebro. Am anderen Ende der Brücke gibt es in einem Pilgerbüro Auskunft über die Herbergen. Ich treffe den Amerikaner Richard wieder, der heute morgen zu Fuß von Los Arcos aufgebrochen ist. Für ihn waren die 28 km kein Problem.
Direkt vor unserer Herberge ist ein nettes Straßencafé, das viele Pilger anzieht. Wir kommen mit dem deutschen Neuseeländer Robert ins Gespräch, der uns seine Lebensgeschichte erzählt. Als sein jüngerer Sohn zwölf Jahre alt war, erfuhr er durch Zufall, dass in Wirklichkeit sein bester Freund der Vater des Jungen ist. Danach scheiterte seine Ehe endgültig und er wanderte nach Neuseeland aus. Ein paar Tische weiter monologisiert Friedemann, der außer seiner Frau noch ein weiteres Opfer gefunden hat. Gegen Abend kommt Gewitterstimmung auf; im benachbarten Lokal fallen immer wieder die Blumenkästen um, und bald fängt es an zu regnen.
Um 21.30 Uhr liege ich mit Kopfhörern im Bett und höre dann mal wieder Hape Kerkelings Geschichte: "Ich bin dann mal weg". Manche Kapitel höre ich mehrfach, weil ich oftmals beim Hören einschlafe. Für einen Euro haben wir uns "Einmalbezüge" gekauft, die aber viele Nächte halten. Im benachbarten oberen Bett liegt ein Engländer ohne Laken auf dem gummiartigen Bezug der Matratze und schnarcht schon. In manchen Herbergen sind normale Stoffspannbettlaken auf den Matratzen, die aber nicht jeden Tag gewechselt werden. Die Zimmertür quietscht fürchterlich, ab und zu geht jemand zur Toilette. Aber irgendwann kehrt Ruhe ein, durch das offene Fenster höre ich nur den Gewitterregen rauschen.
20. Mai 2014 - Von Logrono nach Ventosa - 20 km
Mitten in der Nacht gibt es einen lauten Rumms und die Österreicherin ist aus dem oberen Bett gefallen. Ihr Mann, der unten schläft, hat davon nichts mitbekommen, flucht aber laut: "Giab a Ruh, du Sauviech". Sie hat sich zum Glück nicht verletzt und tauscht mit ihrem Mann dann das Bett. Erst gegen drei Uhr falle ich in tiefen Schlaf, der um kurz nach sechs wieder zu Ende ist, weil die ersten Pilger ihren Rucksack packen. Um 7.30 Uhr mache ich mich auf den Weg. Heide und Annemarie nehmen den Bus. Annemarie hat uns inzwischen ihre bewegende Lebensgeschichte erzählt. Sie und ihr Mann hatten in der Nähe von Berlin ein Café, mit dem sie nach der Wende gutes Geld verdient haben. Zu DDR-Zeiten wurden sie wegen ihrer politischen Einstellung bespitzelt und in den Unterlagen der Gauck-Behörde wurden 46 Informanten genannt, darunter der eigene Bruder. Später haben sie das Café gut verkauft, waren aber das viele Arbeiten gewohnt. So setzte Annemarie sich in einem Supermarkt an die Kasse, wurde von einem Verrückten überfallen und mit vielen Messerstichen schwer verletzt. Ihr Oberkörper ist von Narben übersät und an den psychischen Folgen hat sie noch zu knacken. Bei der Bettsuche bleibt sie deshalb immer direkt neben der Tür, um schnell flüchten zu können, wogegen ich eher die Nähe der Tür meide. Annemarie und ihr Mann haben im Winter für insgesamt 40.000 € eine dreimonatige Kreuzfahrt rund um Südamerika gemacht, aber hier läuft sie mit einem uralten unbequemen Rucksack herum, vom dem ihr Mann gesagt hat, "er sei doch noch so gut".
Gefrühstückt wird wieder in einer Bar. Heute bekomme ich für 1,50 € einen Milchkaffee und ein Croissant. Nach dem starken Regen der letzten Nacht wird überall gefegt und viele Reinigungsfahrzeuge sind unterwegs. Zum außerhalb der Stadt gelegenen See (Parque de la Grajera) sind schon viele Spanier unterwegs. Bei 15 bis 17 Grad und Wolken schaffe ich im Nu die 12 km bis Navarrete. Unterwegs treffe ich Katja aus Dresden, die in Los Arcos über mir geschlafen hatte, und Anna aus Regensburg. Anna erzählt mir von ihrer Suche nach einem Neuanfang als Sozialarbeiterin. Navarrete hat eine sehr schöne alte Kirche mit einem sehenswerten Barockaltar. Der ganze Altarraum ist goldverziert. Danach geht es eine Weile neben der Autobahn entlang und immer wieder an Weinbergen vorüber. Gegen 13 Uhr bin ich in Ventosa in der netten privaten Herberge, in der wir vier Betten reserviert haben. Die vierte ist Anne, die Annemarie über eine Anzeige in der Heimatzeitung kennengelernt hat, weil sie eine Mitpilgerin suchte. Die Herberge ist vorbildlich, schön eingerichtet, mit einem gemütlichen Garten und einem großen Raum, in dem wir zu acht Frauen schlafen.
Nach dem Wäschewaschen erkunde ich den winzigen Ort und bleibe dabei gleich in der ersten Bar bei Anna und Katja hängen. Die beiden sind jung, haben einen ordentlichen Appetit und schon zu Mittag das komplette Pilgermenü bestellt. Ich probiere eine Portion Calamares, die nur halbgar auf den Teller kommen. Katja will zwar pilgern, hält aber immer auch Ausschau nach einem passenden Ehekandidaten. Als ich erzähle, dass mein Sohn auch noch auf der Suche ist, bekommt sie große Augen. Leider habe ich kein Foto von ihm dabei, aber facebook macht es ja möglich. Sofort hat sie die Fotogalerie von Jens vor sich und er gefällt ihr. Ich behalte für mich, dass ich mir kaum vorstellen könnte, dass sie ihm gefallen würde. Katja und Anna haben schon konkrete Pläne für die Zukunft und sogar schon Namen für ihre Kinder festgelegt.
Auf der Straße vor der nächsten Bar treffe ich auf Heide, Annemarie und Anna. In der Bar sehe ich Robert mit der Schweizerin Verena zusammensitzen. Verena ist schon durch die ganze Schweiz gewandert. Dann gesellt sich noch Gert aus Holland dazu, der wie Pinocchio ohne lange Nase aussieht und den Robert "Einstein" nennt. Wir haben noch eine lustige Runde bei gutem Rotwein. Hinter mir höre ich Friedemann, der auch hier wieder sein Unwesen treibt. Es gelingt ihm immer wieder, Zuhörer für seine Schwätzerei zu finden. Am Nebentisch sitzt eine finnische Familie, die ich schon mehrfach gesehen habe. Der Mann ist blind, hat seinen Blindenhund dabei, die Frau schiebt unterwegs eine Karre mit zwei Kindern. Sie sind drei und vier Jahre alt und spielen fröhlich am Tisch. Eine sympathische Familie, die den ganzen Jakobsweg bis Santiago pilgern will. Wegen des Hundes haben sie manchmal Probleme, eine Unterkunft zu finden. Zum Glück spricht die Frau gut Spanisch und Englisch, so dass sie sich immer verständigen können. Das sind die Menschen, die mich auf dem Weg am meisten beeindrucken.
21. Mai 2014 - Von Ventosa nach Azofra 16 km
Nachts weckt mich Annemarie durch ihr lautes Schnarchen. Trotz der Ohrstöpsel ist der Krach unglaublich. Ich stehe auf und wecke Annemarie, damit sie sich umdreht. Kaum liege ich wieder im Bett, legt eine andere Frau los und ein Dorfköter kläfft anhaltend. Heute morgen gönne ich mir Spiegeleier und Schinken und gegen 8 Uhr gehe ich los. Heide und Annemarie lassen ihren Rucksack transportieren. Das ist ein wunderbarer Service. Für 7 € kann man sich sein Gepäck in die gewünschte Herberge vorausbringen lassen. Der einzige Nachteil ist, dass man morgens schon sein Ziel bestimmen muss. In den privaten Unterkünften rufen die Herbergsleute die Transportfirma an, in den kommunalen Herbergen muss man selbst anrufen. Mit dem Eintreffen des Gepäcks in der Herberge hat man allerdings nicht automatisch ein Bett gebucht. Das geht nur bei den privaten Herbergen. Für den Fall, dass man den Wanderrucksack transportieren lässt, ist es gut, einen kleinen Tagesrucksack dabeizuhaben.
Auch heute ist es wolkig bei 17 Grad. Der Weg schlängelt sich durch die Weinfelder von Rioja. Immer wieder gibt es starke Böen. An einer Gabelung nehme ich versehentlich den falschen Weg und lande vor einer Autobahn. Ich hatte mich schon eine Weile gewundert, unterwegs keine anderen Pilger mehr zu sehen, aber nun gehe ich besser zurück und treffe mit Anna und Katja zusammen. Inzwischen sieht der Himmel bedrohlich aus, aber das Unwetter geht an uns vorbei. In Najera treffe ich wieder mit Heide und Annemarie zusammen. In einer Bar am Fluss kehren wir ein, die beiden nehmen den Bus, ich wandere weiter. Kurz vor dem Ortsausgang komme ich an einem Kloster aus dem 11. Jahrhundert vorbei, danach steigt der Weg stetig an. Unterwegs lerne ich Marc kennen, der Lotse in Le Havre ist. Er kann gut Englisch und auch langsam Französisch sprechen. Bei der Unterhaltung erscheint mir der Anstieg nicht so beschwerlich und die Zeit vergeht sehr schnell. Wir kommen an einer eingepferchten Schafherde vorbei, der Hütehund liegt vor dem Gatter und schläft fest.
Gegen 13.30 Uhr erreichen wir Azofra. Die kommunale Herberge ist groß, aber zu unserer Überraschung gibt es kleine Zweibettkabinen. Wenn die gemeinsamen Waschräume nicht so winzig wären, wäre es fast wie im Hotel. Aber auch Steckdosen gibt es hier nur auf dem Flur und die Türen lassen sich auch nicht abschließen. In der Matratze fühlt man jede Feder, aber für 5 € ist alles wunderbar. Etwas außerhalb soll es einen botanischen Garten geben, den Heide und ich uns ansehen wollen. Leider finden wir den Garten nicht, dafür aber einen Kirschbaum, dessen Früchte über den Zaun hängen und uns zum Naschen einladen. Zum Abendessen finden wir vor einer Bar einen Platz in der Sonne, daneben arbeitet ein Bagger mit Getöse. Es dauert endlos bis das Essen serviert wird, aber dann ist es sehr lecker. Gegen acht Uhr wird es draußen zu kalt und wir gehen ins Bett. Zur Zeit sind in Deutschland 27 Grad und hier haben wir nur 15 Grad.
Aufbruch: | 13.05.2014 |
Dauer: | 5 Wochen |
Heimkehr: | 14.06.2014 |