Auf dem Jakobsweg - von Pamplona nach Santiago de Compostela

Reisezeit: Mai / Juni 2014  |  von Hilde Lauckner

Vorbereitungen. Hamburg - Bilbao. Start in Pamplon: Hontanas - Castrojeriz

Vor Castrojeriz

Vor Castrojeriz

25. Mai 2014 - Von Hontanas nach Castrojeriz - 13 km

Jede volle Stunde läutet die Glocke der Kirche nebenan, gegen Morgen kräht ein Hahn. Es ist jetzt rich­tig kalt, ich lege noch den Schlafsack über die Bettdecke. Wir hatten über Nacht das Fenster offenge­lassen und haben jetzt so ca. 5 Grad im Zimmer. In der Bar gönnen wir uns eine Tortil­la zum Frühstück. Dort sitzt schon Ruth, die wir aus Obanos kennen und die heute schon 12 km gelaufen ist. Am Orts­ausgang hält ein Bus aus Darmstadt, aus dem Luxuspilger steigen. Sie laufen 5 km und werden dann wie­der eingesammelt. Der hier schmale Weg schlängelt sich zwischen einem lieblichen Tal auf der einen und einem verkarste­ten Hang auf der anderen Seite hin­durch. Am Hang sind Tausende winziger Pinien ge­pflanzt worden. Am Weg sieht man eine Vielfalt von Blumen und Vögeln. Kurz vor Erreichen der Teerstraße überholt mich ein Mann grußlos. Normalerweise ist es üblich, dass man beim Überholen ein Buen camino oder Hola wünscht. Aber dieser Mann hastet verbissen an mir vorbei, eine Frau schnauft hinter ihm her und schimpft: "Du woll­test mich wohl abhängen!" Er an­twortet unwirsch in hessischem Dialekt: "Ich wollt halt mal mein eigenes Tempo gehen." Dann taucht auch schon der Bus auf, der die Hessen einsammeln wird.
Auf einer Lindenallee geht es weiter nach San Anton, wo es in alten Klosterruinen eine kleine Herber­ge gibt, ohne Strom und fließend Wasser, auf einer Seite anstelle einer Mauer nur ein Vorhang. Das kann ja nachts lausig kalt werden!
An der Straße nach Castrojeriz bezaubern mich immer wieder große Felder von Klatschmohn. Der Him­mel ist trüb, die Wandertemperatur ist wunderbar, aber es ist kein Fotowet­ter. Hier lerne ich Mary aus Australien kennen, die immer wieder irgendwo auf ihren Mann wartet, der starke Schmerzen in der Hüfte hat. Er braucht dringend ein neues Gelenk, hat sich aber trotzdem auf den Weg gemacht. Er be­wegt sich nur humpelnd vorwärts, und ich kann es kaum mitansehen, muss an meinen Mann denken, dem es mit seinen beiden neuen Hüften und dem neuen Knie wieder gut geht.

Inzwischen bin ich schon zwei Wo­chen unterwegs, kann es aber gut ertragen, stundenlang allein zu lau­fen. Ich habe aufgehört, mir Gedanken über Mann und Sohn zu machen. Während einer Pause kann ich sitzen und in die Land­schaft schauen ohne gleich ein Buch in die Hand nehmen zu müssen. Überhaupt hatte ich nur ein einziges dünnes Taschenbuch mitge­nommen: Hermann Hesses: "Siddhar­ta", das ich aber noch nicht einmal in die Hand genommen habe. Ich nä­here mich dem Ort Castrojeriz mit der Kirche aus dem 13. Jahrhundert und einer Burgruine auf ei­nem steilen Hügel da­hinter.
Das Dorf zieht sich endlos und ist heute, am Sonntag, wie ausgestorben. Die Herberge, zu der Heide ihren Rucksack hat schicken lassen, ist heute geschlossen. Später hören wir, dass es dort Ungeziefer­befall gab und der Kammerjäger tätig werden musste. Am Ortsaus­gang liegt die städtische Herberge. Die Wander­schuhe müssen draußen auf der Terrasse bleiben, da kann man immer froh sein, wenn sie am nächsten Morgen noch da sind. Es wird sicherlich mal vor­kommen, dass die eigenen schlechten gegen fremde bes­sere Schu­he "getauscht" werden. Allerdings habe ich unterwegs nie­manden getroffen, dem solches wi­derfahren ist. Der einzige Raum, mit etwa 30 Betten ohne einzelne Unterteilungen, wirkt auf mich ab­schreckend, aber jetzt wieder zurück zu einer anderen Herbergen zu ge­hen, halten wir auch nicht für sinnvoll, weil ständig neue Pilger eintreffen. Auf meine Bitte hin bekommen wir die beiden einzigen Bet­ten, die direkt unter dem Fenster stehen und deshalb keine obe­re Etage haben. Um 13 Uhr sind alle Schlafstätten belegt, es müssen so­gar noch Matratzen in die Mitte des Raumes gelegt werden. Da fühlen wir uns auf unse­ren beiden Betten wie Könige. Der Herbergsvater hängt ein Schild auf: "Completo". Mit uns zusammen im Schlafsaal sind Tsche­chen, Koreaner, Kanadier, Japaner und wer weiß was noch. Die Umgangssprache ist hier - wie in allen Herbergen - Englisch. Wer Spanisch spricht, genießt jedoch Vorteile.

Wir sitzen auf der gemütlichen Terrasse mit weitem Blick über die Landschaft und freuen uns über die Hühnchenreste vom Vorabend und über eine große Tomate, die Heide schon ein paar Tage im Rucksack hat. Ein kleiner Hund ist über die Knochen glücklich. Am Terras­senzaun sind Wäscheleinen angebracht und mir fällt auf, dass die Asiaten immer sehr viel Wäsche haben. Eine Japane­rin hat sogar ein kleines Plastikgestell mit Klammern zum Auf­klappen dabei. Ich hat­te eine Wäscheleine in meinem Gepäck, habe sie aber nirgendwo gebraucht, jedoch die Wäscheklammern.
Die Japanerin sitzt mit ihrem Mann neben uns auf der Terrasse, ich komme mit ihnen ins Ge­spräch und deute lachend an, dass es heute Nacht im Schlafsaal sicher laut werden könnte. Da antwortet sie, für den Fall, dass sie schnarchen würden, wollten sie sich schon mal vorsichtshal­ber entschuldigen. Tatsächlich ist ihr Mann dann der erste, der laut Bäume sägt.
Nachmittags erkunde ich das Straßendorf Castrojeriz. Wie in den meisten Orten am camino woh­nen auch hier nur wenige Leute. Es gibt viele verfallene Häuser, in deren Mauer­werk schon Bäume wach­sen. Bei anderen sind die Fensterläden verschlossen und ver­rammelt. Wie schon in Los Arcos fallen mir auch hier wieder die Schotten auf, die den unteren Teil der Haustü­ren verdecken. Als ob man eine Sintflut fürchte, die sonst unter den Türen hin­durchfließen könnte. An der Hauptstraße steht eine Haustür weit offen und im Flur liegen einladend auf einem Stuhl Erdbeeren und Schokolade zur Selbstbedienung. Ein Einheimi­scher, der auf dem Sofa im Wohnzimmer sitzt, winkt mich mit einer Handbe­wegung herein. Er hat ein schönes liebes Gesicht und die langen Haare zu­sammengebunden. Auf einem anderen Sofa sitzt ein großer junger Ungar, den wir vor ein paar Tagen schon ken­nengelernt und ihn das "Nilpferdbaby" getauft hatten. Nun sitzt er schniefend und hustend im gemütlichen Wohnzimmer, in dem ein Ofen wohlige Wär­me verbreitet und möchte am liebsten hierbleiben. Der menschenfreundliche Hausherr erinnert mich an den Südamerikaner Paulo Coelho, der Alle mit weiten Armen auf­nimmt und jedem, der sie braucht, seine Liebe gibt. Ich frage ihn, ob er auch Zimmer vermietet. Nein, aber vor einigen Tagen kam eine Frau wei­nend zu ihm, weil sie kein freies Bett gefunden hatte. Da hat er sie bei sich übernachten lassen. Ich gehe durch das Haus in den Garten, hinter dem drei Höhlen in den Berg gehauen sind. Im Garten spielen Kin­der mit Katzenbabies. Im Obergeschoss werkelt die schöne Frau des Spaniers, die mich freundlich anlä­chelt. Das Haus scheint sehr alt zu sein, aber alle Räume sind schön und geschmackvoll ein­gerichtet. Wie mögen sie wohl ihr Geld verdienen? Wie ungewöhnlich, dass es sie für sie völlig normal ist, wildfremde Menschen durch ihr Zuhause laufen zu lassen.
Im Dorf entdecke ich ein Hotel mit Restaurant, aber hier herrscht gähnende Leere, deshalb set­zen wir uns abends lieber in die Bar neben der Herberge. Wir lernen die Amerikanerin Gaye Lynn ken­nen, die sehr sparsam zu sein scheint, denn sie nimmt den Teebeutel aus ih­rem Glas mit, um später in der Herberge einen zweiten Aufguss zu machen.

Koreanische Pilger

Koreanische Pilger

Ein Baum-Methusalem

Ein Baum-Methusalem

26. Mai 2014 - Von Castrojeriz nach Boadilla del Camino - 20 km

Wie schon befürchtet gibt es im Schlafsaal heute Nacht ein vielstimmiges Schnarchkonzert. Ich erhöhe meine Schlafta­blettendosis von einer viertel auf eine drittel Tablette und ziehe mir den Schlafsack über den Kopf. Man muss es einfach akzeptieren, aber mir fällt es nicht leicht. In der Herberge ste­hen morgens Kekse und Zwieback bereit, auch einen Tee oder Instantkaffee kann man sich zubereiten und dafür eine Spende in einen Kasten werfen. In der Hoffnung auf etwas Bes­seres gehe ich zur Bar, die aber noch ge­schlossen ist. So bin ich schon vor 7 Uhr auf dem Weg. Es ist noch sehr kalt, und auf der Holzbrücke über dem Fluss ist der Boden raureifüberzogen.
Nach einer halben Wegstunde kommt ein steiler Anstieg. Oben ange­kommen gibt es zur Belohnung einen wunderbaren Weitblick. Über der Hochebene trillern viele Lerchen. Mit 18 % ist der Abstieg noch steiler als der Aufstieg, aber zum Glück mit rauem Zement befestigt. Mitten in der Landschaft lädt eine Quelle zum Rasten ein. Hier haben zwei geschäftstüch­tige spanische Rentner einen Tisch und ein paar Stühle aufgestellt. Gegen eine Spende bie­ten sie Kaffee und Obst an. Mit dieser Masche fahren sie sicherlich gut, weil so die meisten Pilger eine großzügige Spende geben. Heide wird später die Erfah­rung machen, dass den Spaniern ihr spärliches Klein­geld nicht ausreicht und sie mit unfreundlichen Worten bedacht wird.
Zwei Kilometer weiter komme ich an eine alte Kapelle, in der es für Pilger einen Stempel und auch Kaf­fee gibt. In einer Ecke stehen sogar ein paar Stockbetten zum Übernachten. Kurz vor Itero de la Vega fährt eine Spanierin mit ihrem Auto den Weg ab und verteilt Werbezettel an die Pilger, um sie in ihre Kneipe zu locken. In Erwartung ihrer Verheißungen gehe ich an einem schönen Gartenrestaurant vor­über und lande an der angepriesenen Bar. Leider stehen hier nur ein paar popelige Stühle auf dem schmalen Bürgersteig. Aber die Tortilla ist lecker und der Kaffee auch ok.

Hinter Itero lerne ich Acey aus Australien kennen. Sie ist 71 Jahre alt, schleppt einen rie­sigen 10 kg schwe­ren Rucksack und dazu noch eine Bauchtasche, in die sie immer wieder greift, um mit der Kame­ra Land­schaft und Getreidefelder zu filmen. Sie kommt, sagt sie, aus einer ähnli­chen Ge­gend und fühlt sich hier an ihre Heimat erinnert. Ihr Großneffe studiert Landwirtschaft und für ihn macht sie die Film­aufnahmen. Sie erzählt von ihrer Familie und dass sie die Erste seit 100 Jah­ren ist, die Wein trinkt. Da­mals war der Ur­großvater auf dem Rückweg vom Verkauf der Ernte mit dem Erlös in einer Kneipe hän­gengeblieben und hatte dort das ganze Geld verspielt und versoffen. Nachdem dies ein zweites Mal passiert war, schwor die ganze Familie dem Alkohol ab. Acey ge­hört der Religionsgemeinschaft der Quäker an, die jegliche Gewalt und Krieg ablehnt. Schade, dass es davon nur so wenige gib! Als junge Studentin lernte sie einen Hong­kong-Chinesen ken­nen, den die Mutter zum Studium nach Australien geschickt hatte. Sie heiratete ihn und bekam zwei Töchter. Nun ist sie mit drei Freundinnen auf dem ca­mino, die jüngste ist 66 Jahre alt und wird das "Baby" genannt. Ich bleibe nach 20 km Wanderung in Boadilla del Camino zurück, sie will noch weitere 6 Kilometer laufen.
In der Herberge "En el Camino" haben Heide und ich zwei Betten reserviert. Als ich ankomme, werden wir von Eduardo herzlich begrüßt, er bringt unsere Rucksäcke zu unseren Betten. Eduardo ist der erste Spanier, der meinen Namen richtig aussprechen kann. Die Herberge hat einen schönen großen Garten de­koriert mit vielen alten Mühl­steinen. Heide, Jo­nathan aus Odense und Gaye Lynn sind inzwischen auch eingetroffen. Vom Garten aus sehe ich zur Kirche, auf deren Dach vier bewohnte Storchennester. Ab und zu klappert einer. Es ist schön warm geworden und ich kann meine Liege­matte auf der Wiese ausbreiten und die schnell ziehenden Wolken und die Störche beobachten. Jonathan liegt neben mir auf der Wiese und liest in einer dicken Bibel. Auf der anderen Seite ein Pärchen, das sich wohl erst auf dem Weg ken­nengelernt hat, sie sprechen Englisch mit einem westlichen und einem osteuropäi­schen Akzent.

In den meisten Herbergen gibt es kostenlos Wifi. Ich habe mein Iphone dabei und lese zufällig in einem Jakobsweg-Forum, dass Hape Ker­keling einen spanischen Verdienstorden bekommen hat. Mit seinem Buch: "Ich bin dann mal weg" hat er Tausende deutsche Pilger auf den Jakobsweg gebracht und so auch den Tourismus ange­kurbelt. Bei meinem Nachmittags-Rundgang durch den Ort entdecke ich vor der Kir­che, die leider geschlossen ist, eine uralte Gerichts­säule. Vor der Bar einer anderen Herberge steht ein Schild, das für die Spezialitäten des Hauses wirbt. Auch hier gibt es kostenlos sogenanntes "Wiffi". Die anderen Herbergen sind nur schwach besucht. Eduardo versteht es, mit seinem Charme das Haus zu fül­len.
Um 19 Uhr gibt es ein gemeinsames Pilgermenü. Eduardo ruft auf Deutsch laut durch den Garten: "Hil­de, Hilde, komm essen". An den Tischen sitzen 35 Leute. Es gibt eine deftige Suppe als Vor­speise, dann Fisch oder Fleisch mit Salat, einen Griespudding als Nachspeise, dazu Brot, Wasser und Rotwein, alles für 9 €. An einem der Tische sitzen mehrere Koreane­rinnen, von denen eine während des Essens anfängt zu sin­gen. Beim Nachtisch legt sie rich­tig los, schmettert auf spanisch: "Besame mucho". Das scheint die jodelnd­e Koreanerin zu sein, die ich schon zu Beginn des Pilgerns getroffen habe. Alle klatschen laut vor Begeisterung. Um 20.30 Uhr muss das Esszimmer geräumt werden, weil für die zweite Schicht gedeckt wird.
Vor dem Schlafraum ist ein großes Wohnzimmer mit Kaminofen, in dem ein gemütliches Feuer brennt. Der Däne Jonathan spielt auf einem Keyboard und singt dazu. Wir sitzen um ihn herum und genießen die nette Atmosphäre. Um 22 Uhr ist Nachtruhe.

Pilgerherberge "En el Camino" in Boadilla del Camino

Pilgerherberge "En el Camino" in Boadilla del Camino

Eduardo, der beste Herbergsvater

Eduardo, der beste Herbergsvater

© Hilde Lauckner, 2015
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Wanderung auf dem berühmten Jakobsweg mit Übernachtung in den Pilgerherbergen
Details:
Aufbruch: 13.05.2014
Dauer: 5 Wochen
Heimkehr: 14.06.2014
Reiseziele: Spanien
Der Autor
 
Hilde Lauckner berichtet seit 12 Jahren auf umdiewelt.
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