Auf dem Jakobsweg - von Pamplona nach Santiago de Compostela
Vorbereitungen. Hamburg - Bilbao. Start in Pamplon: Azofra - St. Domingo
22. Mai 2014 - Von Azofra nach St. Domingo - 16 km
In dieser Nacht ist es recht kalt und am nächsten Morgen hängt der Himmel voller Wolken. Ab und zu fällt ein Sonnenstrahl auf Weinberge und Weizenfelder. Viele verschiedene Grüntöne wechseln sich mit dem Rotbraun der unbestellten Felder ab. Der Weg ist unbefestigt, aber breit und gut. Bei starkem Regen dürfte der lehmige Boden sehr rutschig sein. Am camino steht jetzt nach jedem Kilometer ein Holzpfosten mit der Entfernungsangabe bis Santiago. Unglaublich, wie lang ein Kilometer sein kann. Bei moderaten Temperaturen und gutem Weg brauche ich fünfzehn Minuten für tausend Meter.
An einem Picknickplatz mit Brunnen machen wir Pause. Heide legt ihr Regencape auf die nasse Bank und vergisst es beim Weitergehen. Kurz vor Cirueña durchqueren wir eine neue Siedlung mit Hotel und Golfplatz. Es ist eine reine Geisterstadt, ein Mahnmal der Bauspekulationen. Alle Rollläden sind heruntergelassen, nur gelegentlich stehen ein paar Blumenkästen in den Vorgärten. Zwischen den Häusern gibt es ein eingezäuntes Gelände mit Schwimmbad. Ein Pilger kommt uns entgegen, der Santiago de Compostela schon erreicht hat und den Weg auch zurückgehen will.
Mittags kommen wir nach Santo Domingo de la Calzada, wo wir in der Altstadt für 5 € in einem alten Zisterzienserkloster Unterkunft finden. Weil wir heute die ersten sind, können Annemarie, Heide und ich ein Dreibettzimmer mit wunderbaren Matratzen beziehen. Nachmittags besichtigen wir die Kathedrale. Tickets dafür gibt es auf der anderen Straßenseite in einem großen Andenkengeschäft. Die Kathedrale aus dem 12. Jahrhundert ist riesig und voller Prunk und berühmt für die Hühner in einem goldenen Käfig, die an das Wunder von Santa Domingo erinnern, eine der populärsten Legenden des Jakobsweges.
Die Geschichte soll sich im 14. Jahrhundert zugetragen haben. Ein junger Pilger machte mit seinen Eltern Station in Santa Domingo. Weil der junge Mann die Liebe der Wirtstochter nicht erwiderte, bezichtigte sie ihn des Diebstahls und er endete am Strick. Als die Eltern auf ihrem Rückweg von Santiago wieder durch den Ort kamen, fanden sie ihn noch lebend am Galgen hängend vor. Dies trugen sie dem Richter vor, der gerade zu Mittag aß, und der sagte: "Euer Sohn ist so tot wie meine Brathühner auf dem Teller". Daraufhin erhoben sich die Hühner mit lautem Gegacker und flatterten vom Tisch. Die Richter des Ortes mussten lange Zeit zur Mahnung einen Strick um den Hals tragen. Die Hühner bleiben nur drei Wochen in ihrem goldenen Gefängnis und werden dann ausgetauscht.
In der Kathedrale entdecken wir in etwa drei Metern Höhe den Käfig mit einem prächtigen weißen Pärchen. Der Hahn verhält sich regungslos, obwohl die Henne immer wieder an seinen Federn herumzupft. Leider warten wir vergeblich auf ein Kikeriki des Hahns. Für die meisten Besucher sind die Hühner natürlich viel interessanter als die vielen alten Kunstschätze. Zur Erinnerung an den jungen Mann liegen in den Schaufenstern der Bäckereien "Ahorcaditos" (kleine Erhängte) aus, mit Creme gefüllter Blätterteig in Form einer Pilgermuschel und einem gehängten Männchen.
Unsere Herberge hat einen netten Aufenthaltsraum. Am offenen Kaminfeuer können wir uns aufwärmen. Etliche junge Leute haben gekocht und bieten uns noch Suppe und Kirschen an. Am Kamin treffen wir auch Neill aus Kapstadt, der sich eine Schienbeinentzündung zugezogen hat und deshalb seinen Rucksack transportieren lässt. Ein älteres Paar betritt den Aufenthaltsraum. Aus der Küchenecke holt die Frau eine große Schüssel mit warmem Wasser, am Esstisch nimmt der Mann völlig ungeniert ein Fußbad. Später höre ich die Geschichte von einem Mann, der seine Füße in einem großen Topf badete. Ein Italiener wollte darin Spaghetti kochen und schimpfte ganz schrecklich über diesen Missbrauch. Gegen Abend betreten zwei Polizisten die Herberge. Jemand hat Ausweispapiere eines Ausländers gefunden und nun suchen sie in den Herbergen nach ihm. Ich glaube nicht, dass deutsche Polizisten sich diese Mühe machen würden.
Die kathedrale in Santo Domingo de la Calzada mit dem golddenen Kafig, in dem ein lebendiges schneeweißes Hühnerpaar lebt, das aber - zur Beruhigung der Tierfreunde - alle drei Wochen ausgetauscht wird.
23. Mai 2014 - St. Domingo - Belorado, Villafranca (8km) nach Burgos
Was nützt ein Dreibettzimmer, wenn einer schrecklich schnarcht. Annemarie ist stark erkältet und schnarcht wegen der verstopften Nase noch mehr. Heute Morgen ist es sehr kalt und es regnet stark. Heide kauft ein neues Regencape und wir beschließen spontan, mit dem Bus weiterzufahren. Annemarie war schon vorausgelaufen, und so verlieren wir sie aus den Augen. An der Bushaltestelle sitzt neben mir ein Rentner aus Karlsruhe, von wo er Ende März losgelaufen ist. Er spricht weder Spanisch oder Französisch. Mit meinem fragenden Blick auf seinen ansehnlichen Bauch erzählt er, dass er schon 20 kg abgenommen und trotzdem jetzt Probleme mit den Füßen habe. Unterwegs hat er einen Mann mit einem Holzbein getroffen, der sein Gepäck auf einer Karre hinter sich herzog. Auf der anderen Seite sitzen ein Kanadier und ein japanisches Paar.
Wir fahren 12 km gemütlich mit dem Bus, es regnet und auf dem neben der Straße verlaufenden camino sehe ich die finnische Familie unermüdlich gegen Wind und Regen ankämpfen. Da bekomme ich direkt ein schlechtes Gewissen, weil ich faul im Bus sitze. In Belorado steigen wir aus und ein ganzer Pulk von Wanderern, die das Wetter leid sind, will einsteigen. Der Weg schlängelt sich an Erbsen-, Dicke-Bohnen- und Weizenfeldern entlang. Es ist sehr kalt, ich habe Fleece- und Daunenjacke (sehr leicht, nur 200 g) an, könnte sogar noch Handschuhe vertragen, Windstärke 5-6 von vorn.
In Tosantos machen wir Rast vor der Kirche, treffen Robert und Verena, die die ganze heutige Strecke gelaufen sind. Inzwischen scheint die Sonne und an der leider geschlossenen Kirche gibt es ein windgeschütztes Plätzchen. Weiter geht es nach Villafranca-Mentes de Oca, welches schon Hape Kerkeling so öde fand. Von hier aus fahren wir mit dem Bus nach Burgos.
In Burgos erschlägt uns der Anblick der Kathedrale, so gewaltig und beherrschend ist dieses Bauwerk. Aber erstmal ein Bett finden, denn es ist schon 16 Uhr. In der kommunalen 166-Betten-Herberge finden wir Schlafplätze für 5 €. Die Stockbetten sind über sechs Etagen verteilt, zwischen einzelnen Bettengruppen sind halbhohe Wände gezogen. Die ganze Anlage ist sehr modern und zweckmäßig hinter einer historischen Fassade versteckt. Im Erdgeschoss stehen Schränke für die Wanderschuhe. Es ist immer wieder spannend, in eine Herberge zu kommen: Wie sieht sie aus und wie wird man hier schlafen? Grundsätzlich sind kleine Herbergen persönlicher und gemütlicher. Für mich gehört das Schlafen in einer Herberge zum Pilgern auf dem Jakobsweg dazu, obwohl ich mich eher als Wanderer denn als Pilger sehe.
Gegenüber der Herberge ist eine nette Bar, in der heute Abend eine Geburtstagsfeier stattfindet. Während ich vor der Bar sitzend mein Tagebuch schreibe, emails checke, ein Glas Rotwein für 1,30 € trinke, herrscht drinnen ein ohrenbetäubender Lärm. Alle Leute scheinen gleichzeitig zu reden. Inzwischen ist es 20.30 Uhr und zu kalt, um draußen zu sitzen. Um 22 Uhr wird die Herberge geschlossen und das Licht ausgemacht. Bald danach herrscht Ruhe, die Schnarcher liegen zum Glück ein Stück entfernt.
24. Mai 2014 Burgos - Tardajos - Hornillos (11km) - Hontanas
Mit dem Bus von Burgos nach Tardajos, zu Fuß nach Hornillos (11 km), weiter mit dem Taxi nach Hontanas
Heute morgen haben wir Sonne mit Wolken, ca. 9 Grad. Wir bringen die Rucksäcke ins Schließfach am Busbahnhof und besichtigen die Kathedrale. In einem Seitenflügel kommen uns Spanier entgegen, die schon die Messe besucht haben. Sie begrüßen uns freundlich, geben uns ihren Segen mit auf den Weg. Mit dem Pilgerausweis zahlen wir nur den halben Eintrittspreis (3,50 €). Die Kirche ist unglaublich schön, vielleicht etwas überladen mit Kunstschätzen, vielen Nischen mit Altären, filigraner Stuck in den Kuppeln. Das Chorgestühl mit geschnitzten skurrilen Figuren, die an Hieronymus Bosch erinnern.
Inzwischen ist es warm geworden und wir genießen die Sonne vor einem Café neben der Kathedrale. Hier treffen wir Katja wieder, die noch immer keinen passenden Mann gefunden hat. Inzwischen ist sie so erholungsbedürftig, dass sie sich für zwei Nächte im Hotel einquartiert hat, um zu baden und ihre Füße zu pflegen. Sie schimpft, weil sie den vollen Preis für die Kathedrale zahlen soll und findet das unverschämt, nur weil sie den Pilgerausweis im Hotel vergessen hat. Die 7 € Eintritt sind ihr zu viel, aber die Kosten für ihr Hotel von 50 € pro Nacht findet sie in Ordnung. So verschieden sind die Wertigkeiten. Wir bummeln noch eine Weile bei heiteren 15 Grad durch die Altstadt von Burgos. Es ist Samstag Vormittag, die fein angezogenen Spanier flanieren über die schöne Promenade am Fluss. Die Parkanlagen sind gepflegt und es gibt viele große Stein- und Bronzeskulpturen. Der Stadtkern wirkt sehr vornehm und wohlhabend.
Am Busbahnhof treffen wir die Amerikanerinnen Melba und Angela, die auch mit dem Bus weiterfahren wollen. Sie machen uns mit Jerry bekannt, der die Wanderung aufgeben und nach Hause fahren will. Er ist schon älter, hat mindestens 30 kg Übergewicht, zwei künstliche Knie, trägt aber strahlend weiße Socken in seinen Sandalen. Per Bus geht es weiter nach Tardajos und von dort aus laufen wir noch weitere drei Stunden bis Hornillos. Unterwegs beobachten wir Hänflinge und Lerchen, an einer feuchten Stelle Massen von Bläulingen. Vor einem Dorfladen am Ortseingang von Hornillos sitzen unfreundliche Matronen, die stricken und tratschen. Der Ort besteht nur aus zwei Reihen von Häusern an einer langen baumlosen Straße. Jede Herberge hier ist schon voll belegt. Schließlich gelangen wir zur letzten, der kommunalen, Herberge. Sie hat einen engen übervollen Schlafsaal, vor der die Pilger schon frisch geduscht und zufrieden sitzen und uns Neuankömmlinge beäugen, die wir kein Bett mehr bekommen. Die nette Herbergsmutter fragt im Dorf erfolglos nach einer privaten Unterkunft für uns und bestellt uns dann ein Taxi, das wir uns mit Bill und Linda aus Colorado teilen. Zum nächsten am camino gelegenen Ort Hontanas führt die Straße einen riesigen Bogen; zum ersten Mal vermissen wir eine Straße parallel zum Pilgerweg. Statt für 12 km auf dem camino müssen wir ca. 30 km auf der Straße zurücklegen, kommen an Feldern mit leuchtenden Mohnblumen vorbei und erreichen schließlich den hübschen Ort Hontanas mit seinen alten Häusern und der mittelalterlichen Kirche. In der Herberge El Puntido können wir wählen zwischen Schlafsaal und Doppelzimmer, da nehmen wir doch gern mal ein Doppelzimmer 25 €.
Von unserem Zimmer aus haben wir einen herrlichen Blick auf die weite Landschaft, es gibt saubere Bettwäsche, ein großes weißes Handtuch und die Gemeinschaftsdusche ist gleich nebenan. Das Abendessen besteht aus einem reichlichen Pilgermenü mit allem drum herum für 9,50 €, das übriggebliebene Hühnchen lasse ich mir einpacken. Nach dem Essen sitze ich noch eine Weile am Nachbartisch mit Sven aus Neumünster und zwei passionierten "Motorradfahrern auf Pilgertour" zusammen. Alle haben den camino in St. Jean begonnen und den Weg bisher ohne Probleme überstanden. Sven weigert sich, in einer Pilgerherberge oder in einem Schlafsaal zu übernachten, nimmt immer ein Einzelzimmer in einem Hotel oder einer Pension und wird von den beiden anderen als Einzelzimmerfetischist bezeichnet. Dann ist Fußball angesagt, zwei spanische Mannschaften spielen und die Bar ist rappelvoll. Zeit, ins Bett zu gehen, welche himmlische Ruhe!
Aufbruch: | 13.05.2014 |
Dauer: | 5 Wochen |
Heimkehr: | 14.06.2014 |