Sahara - Grenzfahrten zwischen den Welten
... und wieder nach Gao...
Wir brechen Freitagmittag auf und erreichen nach einer Fahrt über schlechte Pisten aber entlang wunderschöner Flusslandschaften bei schon einbrechender Dämmerung den Ort Yassane, wo sich der nigerische Grenzposten befindet. Nach Erledigung der langwierigen Ausreiseformalitäten und einer anschließenden Fahrt durchs Niemandsland kommen wir zur malischen Grenzstation Labbézanga. Dort werden wir zwar noch abgefertigt, da die Piste aber dann durch unsicheres Rebellengebiet führt, werden wir aufgefordert, im Ort zu übernachten. Wir schlagen unsere Zelte mitten in Labbézanga direkt neben dem Polizeiposten auf. Freundliche Soldaten mit Maschinengewehren im Anschlag versichern uns, für unsere Sicherheit zu sorgen. Gepinkelt wird zehn Meter vom Zelt entfernt an die Mauer des Zollamts. Die ganze Nacht kommen Lastwagen an, die nicht mehr weiterfahren dürfen. Es brennen Feuerchen, Tee wird gekocht, Nachtlager werden aufgeschlagen. Wie weit weg erscheint mir in dieser Nacht meine europäische Heimat! Hier mitten in einem Banditengebiet in Westafrika, in einem gottverlassenen Grenzort zwischen Niger und Mali, ohne Algerien-Visum für die Heimreise, fühle ich mich ziemlich verloren.
Am nächsten Morgen sind diese Gedanken vergessen. Weiter geht die Fahrt entlang des Niger. Wir kommen an einem Flusspferd-Pool vorbei und bestaunen die grauen Rücken, die aus dem Wasser ragen. Auf der Piste sind viele Fußgänger unterwegs. Den Weg säumen einzelne, gerissene Plastiksandalen in grün, gelb, rot, blau, derer sich die Besitzer wohl auf ihren Märschen entledigt haben. Joo macht uns auf Gruppen von Kindern aufmerksam, die auf dem Weg nach Gao sind. Es sind Straßenkinder. Sie haben eine Metallschüssel umgehängt und hoffen, dass ihnen barmherzige Menschen Essen oder sonstige Almosen einfüllen. Hungrig und zukunftslos flüchten sie bangend um eine Chance zum Überleben in die großen Städte.
Am frühen Nachmittag erreichen wir Gao und beziehen Quartier in einer Fulbe-Hütte auf dem Bongou-Campement. Abends lernen wir die Familie von Joo kennen, seine attraktive Mutter, seine Geschwister und seine "Verlobte". Die ist fünf Jahre alt und lebt bereits bei der Familie ihres Zukünftigen. Im nächsten Jahr soll die Vermählungszeremonie stattfinden. Als Geschenk bringt Joo seiner "femme" Kinderkleidung aus Niamey mit. Wir essen bei Joos Familie, die ein Anwesen mit großem Innenhof ihr eigen nennt, sehr schmackhaften Reis mit Gemüse und Fleisch zu Abend.
Montag früh erscheinen wir pünktlich um 10 Uhr mit Passfotos, geknipst in Atelier in Gao, auf dem algerischen Generalkonsulat. Wir werden in einen Warteraum gebeten und füllen die Visaanträge aus. Joo begleitet uns. Er will bis zur algerischen Grenze mitkommen. Mit ihm als Führer, der hier bei allen Tuareg bekannt ist, wollen wir es wagen, die Tanezrouft zu befahren. Sie stellt die kürzeste Verbindung zwischen Nord- und Schwarzafrika dar. Früher lief der gesamte Transsaharahandel über diese Piste. Aber dann kam es immer häufiger zu Überfällen durch Tuaregrebellen. Der Teil der Tanezrouft, der durch Mali führt, gilt als extrem unsicher. Touristen wurden die Autos abgenommen, sie wurden beraubt und einige sogar ermordet, zuletzt vor einigen Monaten drei Holländer. Wir rechnen uns trotzdem gute Chancen aus, unbehelligt nach Algerien zu kommen, da unsere Oldtimerfeuerwehr nicht gerade die Begierde von Rebellen wecken dürfte, unser Bargeld fast restlos ausgegeben und Joo ein Garant für unsere Sicherheit ist.
Doch dann die große Überraschung: bevor wir nachmittags um 13.00 Uhr unsere Visa abholen, eröffnet uns Joo, dass er jetzt leider doch nicht mitkommen könne. Seine Schwester sei an Malaria erkrankt und er müsse sie ins Krankenhaus bringen. Er gibt uns den guten Rat, unsere restlichen US-Dollar gut zu verstecken, falls man uns überfallen sollte. Dieser Hinweis wirkt nun auch nicht gerade beruhigend. Wir spekulieren, was der tatsächliche Grund für seinen Rückzug sein mag. Es ist uns mulmig zumute.
Der algerische Generalkonsul erweist sich ganz im Gegensatz zu seinen Kollegen in Niamey als äußerst charmant, hilfsbereit und kooperativ. Er stellt uns kostenfrei ein achttägiges Transitvisum für Algerien aus, gibt uns gute Ratschläge für unterwegs und versorgt uns auch noch mit einem neuen Tuareg-Führer, der namentlich auf dem Generalkonsulat bekannt ist und sich gegen ein gemäßigtes Entgelt bereit erklärt, uns zur algerischen Grenze zu bringen. Abdullah ist Mitte vierzig, groß, hager und hellhäutig Wir fahren mit Abdullah zu seiner Familie, um sein kleines Gepäck abzuholen. Dann verständigen wir telefonisch Hellmuts Bruder in Deutschland, dass wir uns heute auf die Tanezrouft wagen. Und los geht es noch am gleichen Tag!
Straßenkinder auf den Weg nach Gao
Aufbruch: | 05.11.2001 |
Dauer: | 3 Monate |
Heimkehr: | 10.02.2002 |
Niger
Mali