Sahara - Grenzfahrten zwischen den Welten

Reisezeit: November 2001 - Februar 2002  |  von Angelika Gutsche

Über die Tanezrouft von Mali nach Algerien

Bis zum Einbruch der Dunkelheit fahren wir durch buschiges Sahelgebiet. Es ist klar, dass in diesem unübersichtlichem Gelände Rebellen erfolgreich operieren können. Immer wieder treffen wir auf Tuareg mit ihren Herden. Die Piste besteht nur aus einer schlechten Fahrspur und ist bis an die Seitenränder zugewachsen, d.h. kaum mal über eine längere Strecke freie Sicht. Wir kommen an abseits der Piste gelegenen Dörfern vorbei. Anderen Fahrzeugen begegnen wir an diesem ersten Tag nicht. Abends erreichen wir den Ort Almoustarat. Nachdem wir uns bei einem Posten gemeldet haben, leitet uns Abdullah an den Rand des Dorfes, wo wir in einer Art Gehöft, bestehend aus drei einfachen Lehmbauten, die Feuerwehr abstellen. Wie uns Abdullah erklärt, wohnt in diesen Gebäuden die Familie des Schullehrers. Er selber ist nicht da, aber seine Frau und der jüngere Bruder übernehmen es, uns eine der Lehmhütten für die Nacht zuzuweisen. Auf dem Sandboden breiten wir unsere Schaumgummimatratzen und Schlafsäcke aus.

Überall liegen im Sand alte, zum Teil schon erheblich beschädigte Transistorradiobatterien, mit denen der kleinste Spross der Familie, ein Dreijähriger, wie mit Bauklötzen spielt und sie mit Begeisterung in den Mund steckt, um darauf herumzukauen. Erfolgreich kann ich ein Honigbrot gegen die abgelutschten Batterien tauschen. Ob mein Versuch, die Mutter davon zu überzeugen, dass Altbatterien entsorgt werden sollten und kein geeignetes Spielzeug für kleine Tuareg sind, Erfolg hat?
Heute gibt es in unserer Feldküche Kuskus mit Dosenhühnchen. Da sich immer mehr Kinder um uns versammeln, von denen wir annehmen, dass sie zur Familie gehören, koche ich ein ganzes Kilo Kuskus. Bevor wir uns mit Abdullah an den Tisch setzen, lasse ich unserer Gastgeberin eine große Schüssel als Gastgeschenk von einem Kind überbringen. Die Schüssel verschwindet sofort im Haus und wird mir kurze Zeit später gereinigt zurückgebracht. Abdullah isst seinen Teller zwei Drittel leer. Zu unserer Überraschung gibt er ihn dann mit den Essensresten in die Gruppe von vielleicht sieben Kindern, die neben unserem Tisch im Sand sitzen. Diese stürzen sich mit einem wahren Heißhunger auf die wenigen Bissen. Da wird uns klar, dass diese Kinder wohl nicht zur Familie gehören, sondern aus dem Dorf sind und wirklich Hunger haben. Es ist noch genügend Kuskus mit Fleischsauce und Brot da, um alle satt zu machen. Zufrieden ziehen die Kinder nach dem Essen ab.

Abdullah zieht sich mit der Familie in eines der Lehmhäuser zurück um Tee zu trinken. Auch uns wird Tee angeboten. Plötzlich taucht aus dem Dunkel ein älterer Targi in einem blauen, Gandura genannten Umhang, auf, sieht uns verdutzt an und möchte wissen, wer wir sind und was wir hier machen. Wie sich herausstellt, ist das der Schullehrer, der über seine nächtlichen Logiergäste höchst erstaunt ist. Wie kommt eine rote Feuerwehr mit Weißen drin und einem Schäferhund in sein Gehöft mitten auf der Tanezrouft? Als wir ihn aufklären, dass wir heute Nacht seine Logiergäste sein werden, bricht er in lautes Gelächter aus und seine braune Augen blitzen lustig.

Die Nacht im Lehmhaus haben wir gut verbracht. Heute ist mein 47. Geburtstag. Dass Hellmut vergessen hat, ein Törtchen mitzunehmen, verzeihe ich ihm unter den gegebenen Umständen. Wir bedanken uns bei der Familie für die Unterbringung, bezahlen mit einigen CFA. Mama-Targa bittet um ein paar Suppenlöffel, die sie gut gebrauchen könnte. Davon haben wir genug und können gerne aushelfen. Im Morgenlicht stellt sich Almoustarat als trostloser Ort mit einigen im Sand verstreuten Häusern und Gehöften dar. Es strömt Kargheit, Armut, Hunger und Hoffnungslosigkeit aus. Welch ein Widerspruch zwischen diesen erbärmlichen Lebensumständen und der darin beheimateten stolz-aristokratischen Bevölkerung, deren Verhalten auch gerne in Arroganz umschlägt. Ein Wunder, dass bewaffnete Banden diesen Widerspruch zwischen Anspruch und realen Lebensbedingungen mit Waffengewalt zu lösen versuchen?

Der zweite Tag auf der Tanezrouft unterscheidet sich auch landschaftlich nicht sehr vom ersten. Gegen Mittag kommt uns ein Fahrzeug entgegen, ein Pick-up, auf der Ladefläche mit aufgepflanztem Maschinengewehr. Der Fahrer und die drei Männer auf der Ladefläche sind in Zivil mit Uniformversatzstücken gekleidet. Alle tragen Turban. Ist das eine reguläre Militärpatrouille oder sind das die gefürchteten Rebellen? Ein Blick in Abdullahs Gesicht verrät nichts. Er hat sein Pokerface aufgesetzt und starrt angestrengt nur geradeaus. Lange Zeit zum Nachdenken bleibt sowieso nicht. Schnell kommt das Fahrzeug heran und hält neben uns. Auch die Männer auf dem Pick-up scheinen verunsichert zu sein. Eine Münchner Feuerwehr mit einem Targi, der stur gerade zum Fenster raussieht, und ein Weißer, der ganz höflich sagt: "Bonjour! Ca-va? Gibt es ein Problem?"? Erst staunen sie, dann grüßen auch sie: "Bonjour! Ca-va! Nein, kein Problem. Weiterfahren! Bonne Chance!", hier wünscht man unterwegs "Viel Glück!" anstatt "Gute Fahrt!". Und viel Glück hatten wir wohl auch bei dieser Begegnung. Erst später wird uns bewusst, dass es sich bei dieser Gruppe um "Tuareg-Soldaten" des Rebellen Ibrahim Bahanga gehandelt haben muss, der hier das gesamte Gebiet kontrolliert und für die Anerkennung von Tuareg-Belangen kämpft.

Am Nachmittag kommen wir durch das Dorf Aguelhok. Man winkt uns anzuhalten. Eine Menschentraube steht um unser Auto und wir werden gebeten, eine kranke Frau nach Tessalit zur Krankenstation mitzunehmen. Wir erklären uns dazu bereit. Es dauert etwas, bis die Targa-Dame kommt. Zuerst wird ihr Gepäck ins Auto gereicht, dann laut ächzend und lamentierend steigt die ältere, schwarz gekleidete Targa bei uns ein. Dann steigt noch eine Tochter von ihr ein, und dann steigt noch eine Tochter von ihr ein und als wir protestieren, als auch noch ein Sohn zusteigen will, wird uns empört klargemacht, dass es unmöglich wäre, die Damen ohne männliche Begleitung reisen zu lassen. Also steigt auch noch ein Sohn mit ein. Die Targa-Dame legt ein recht robustes Benehmen an den Tag, gibt mir zu verstehen, dass sie mal das Fenster geöffnet mal geschlossen haben möchte, ist verärgert, dass unser Rex die Sitze gegenüber belegt und sie dadurch nicht die Füße darauf stellen kann. Als wir gegen abend Tessalit erreichen und die Familie bitten auszusteigen, weil wir hier beim Militärposten die Ausreiseformalitäten aus Mali erledigen müssten, kommen sie dieser Aufforderung nur recht unwillig nach. Wir haben das Gefühl, irgendetwas falsch gemacht zu haben. Nur was?

Der Militärposten ist auf einem Hügel postiert. Nach Zahlung eines kleinen Cadeau bekommen wir alle nötigen Stempel in unsere Pässe. Tessalit ist eine kleine Oase mit Palmerien und in den Sand gebauten Lehmhütten. Es hält für Besucher immerhin eine richtige Herberge bereit. Der Besitzer führt uns in einen Raum, auf dessen Sandboden wir wiederum unsere Matten und Schlafsäcke ausbreiten können. Es wird uns ein Abendessen aus Reis, Fleisch und Gemüse bereitet, anschließend der obligatorische Tee in einem Glas serviert, das immer wieder von neuem gefüllt die Runde macht. Der Besitzer erzählt, dass Tessalit als zweiter Austragungsort des Tuaregfestivals in diesem Jahr seit langer Zeit wieder einige Gäste beherbergen konnte.

Der Grenzort, auf den wir am nächsten Tag zuhalten, heißt Bordj-Moktar. Ein Sandsturm taucht die Gegend in ein unwirkliches, trüblich-gelbes Licht. Wir begegnen nicht einem Fahrzeug. Ibrahim weist in Tuaregmanier lässig mit dem Zeigefinger die Richtung. Doch dann, noch an die 15 km von der malisch-algerischen Grenze entfernt, erreichen wir einen quirligen Ort, der, wie uns Abdullah erklärt, Chabil heißt. Eine Unmenge Trucks und Lkws aller Größen, zum Teil neuwertig, stehen kreuz und quer. Die Fahrer sind ausschließlich in Gandura mit Gesichtsschleier gehüllte Tuareg, die in Gruppen zusammenstehen und sich unterhalten oder uns gelangweilt, an ihre Trucks gelehnt, beobachten. Junge Männer dienen als Laufburschen und tragen Teetabletts durch die Straßen. Hier ist wirklich was los. Viele der einfachen Lehmhütten tragen die Aufschrift "Restaurant" oder "Café". Wo sind wir denn hier hingekommen? Auf keiner Karte finden wir diesen Ort vermerkt. Abdullah lässt uns anhalten und bittet um seine Entlohnung. Wir legen als Geschenk noch eine Lesebrille auf die CFA, da er sich am Abend vorher beklagte, den Koran nicht mehr richtig lesen zu können. Mit Vierzig lässt halt auch bei Tuareg die Sehschärfe nach. Er freut sich sehr über die Brille, steigt aus und bedeutet uns zu warten. Er hätte hier ein Haus und würde dort sein Geld deponieren. So haben wir Gelegenheit, das Treiben hier im Ort weiter zu beobachten. Abdullah hat uns erzählt, dies wäre ein Kreuzungspunkt vieler Pisten und Karawanenestraße, von hier ginge es nach Norden, zu den algerischen Städten Tamanrasset, In Salah, aber natürlich auch in alle anderen Richtungen, nach Süden zu den Städten Gao, Timbuktu, Agadez und natürlich weiter zur Hafenstadt Cotonou in Benin, einem Hauptumschlagplatz für Drogen. Wir sind in ein Schmugglernest geraten. Ein gesetzter, älterer Targi nähert sich mit Abdullah unserem Wagen. Er wird uns als "Patron de Village" vorgestellt. In einem der vielen Cafés werden wir von ihm zu einem Nescafé eingeladen. Nachdem wir höflich gefragt wurden, ob mit oder ohne Milch, die nächste Frage, ob wir vielleicht Dollar in Algerische France wechseln wollten. Wir handeln einen recht günstigen Kurs aus, doch als wir dann drei Zwanzig-Dollar-Scheine ausbreiten, ernten wir lautes Gelächter. Bedauernd wird uns mitgeteilt, hier wäre man nur an 100-Dollar-Noten interessiert. Man gibt sich noch besorgt um unsere Sicherheit, die Tanezrouft würde sich auf algerischer Seite stark auffächern und es wäre nicht einfach, die Piste zu halten. Man bietet uns einen Führer an. Als wir dankend ablehnen, werden wir mit dem nun schon so bekannten "Bonne Chance!" verabschiedet. Abdullah kommt noch bis Sichtweite des Grenzortes Bordj-Moktar mit, bittet dann aussteigen zu dürfen, weist uns zum letzten Mal mit der Hand die Richtung und macht sich zurück auf den Weg nach Chabil oder wie immer der Ort hieß, den wir gerade verlassen haben.

Kamelgerippe

Kamelgerippe

Wüsteneinsamkeit

Wüsteneinsamkeit

© Angelika Gutsche, 2004
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Auf den Spuren der Tuareg durch die Sahara: eine Abenteuerreise durch Algerien, den Niger und Mali.
Details:
Aufbruch: 05.11.2001
Dauer: 3 Monate
Heimkehr: 10.02.2002
Reiseziele: Algerien
Niger
Mali
Der Autor
 
Angelika Gutsche berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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