Le tour de Bénin

Reisezeit: Juli - Oktober 2007  |  von Julian Schwartzkopff

10. - 16. Semptember: Achte Woche

Andreas Katze hat sich die Schnauze verbrannt. Während sie den Ofen anzünden wollte (Andrea, nicht die Katze) schoss eine Stichflamme aus dem Gerät hervor und fackelte dem armen Tier auf einer Seite alle Schnurhaare ab. Jetzt hat sie Gleichgewichtsstörungen und ein asymmetrisches Gesicht (die Katze, nicht Andrea). Doch das ist nur eine von vielen Neuigkeiten dieser Woche.

Seit dem 12. ist übrigens Ramadan. Im eher islamisch geprägten Norden ist das ein großes Ereignis. Wenn ich das Konzept richtig verstanden habe ist das eigentlich so gedacht, dass man am Tag fastet und mit der Entbehrung seinen Glauben an Allah demonstriert und an die denkt, die nichts zu essen haben. Askese und so. Rein technisch wird das hier auch so gemacht. Zwischen 6 und 19 Uhr wird nichts gegessen und getrunken. Allerdings wird ansonsten einfach der Tagesrythmus entsprechend verschoben. Viele stehen nachts um 2 oder 3 auf, um sich ordentlich den Bauch voll zu schlagen. Dann noch mal ins Bett und bis 10 schlafen. Am Abend gibt es dann wieder gemeinsame Fressgelage. Sehr geschickt. Auch wenn sich da Mohammed vielleicht im Grabe umdrehen würde... genau genommen hält man sich ja an alle Regeln und der Schein ist gewahrt.

Der Schein ist hier sowieso sehr wichtig. Das wichtigste Utensil, eigentlich sollte es jeder haben, ist ein Stempel. Wenn ein Dokument nicht gestempelt ist, ist es grundsätzlich wertlos. Auf eine stinknormale Rechnung kommt beispielsweise zuerst eine ausgefeilte Unterschrift. Leserlichkeit ist dabei nicht die Devise, sondern eher, dass das Ganze ungefähr wie Beethovens Neunte auf 2 cm² gekritzelt aussieht. Darauf kommt dann ein Stempel des Geschäftes. Das Sahnehäubchen ist dann der PAYE-Stempel: bezahlt. Ich muss immer grinsen, wenn ich mir z.B. in der Apotheke eine Rechnung ausstellen lasse (Medikamente werden von meiner Auslandskrankenversicherung zurückerstattet) und die Angestellten mir diese in einer Seelenruhe ausstellen, während die Schlange wartet. An Rechnungen und andere Dokumente stellt man hier einen gewissen künstlerischen Anspruch. Eine der ersten Sachen, die Nikolai hier machen musste, war, sich ein komplettes Stempel-Set für ProDOSC machen zu lassen. Sonst hätte ihn beim Beantragen von Strom und Telefon und beim Eröffnen seines Kontos niemand Ernst genommen. Das Ganze hat einen gewissen Charme - ich lass mir glaub ich auch ein Stempelset machen.

Da mir jetzt keine gescheite Überleitung einfällt, erzähle ich etwas vom Gender-Ansatz (approche genre) in der Entwicklungshilfe. Da spricht nämlich gerade jeder drüber. Gender, gender - das ist ungemein wichtig bei den Gebern und findet sich auch brav in den nationalen wie kommunalen Entwicklungsplänen Benins wieder. Wenn ich gender aber richtig verstanden habe, dann ist vor allem die Abgrenzung zu sex entscheidend. Während sex das biologische Geschlecht bezeichnet, bezieht sich gender auf das sozial konstruierte Geschlecht. Ein Gender-Ansatz müsste sich folglich auf die Änderung gesellschaftlich festgefahrener Rollenbilder konzentrieren. Die Rollenbilder sind hier jedoch so festgefahren, dass man anscheinend gar nicht erst versucht, diese zu ändern.

Ein aufgeklärter Mann ist hier jemand, der kein Problem damit hat, wenn seine Frau als Kandidatin bei den Munizipalwahlen antritt. Solange sie es schafft, gleichzeitig dafür zu sorgen, dass jeden Tag pünktlich Essen auf dem Tisch ist, die Kinder versorgt sind und die Wohnung blitzeblank geputzt ist. Manchmal sind sogar die Frauen chauvinistisch. Fati, die Präsidentin einer lokalen ONG argumentiert, warum es ungerecht für die Frauen ist, wenn jeder Mann nur eine Frau gleichzeitig haben dürfte: Im Durchschnitt gibt es auf der Erde ja ca. 52% Frauen und 48% Männer. Das macht 4% Unterschied. Wenn jetzt alle Männer nur eine Frau hätten, dann würden diese 4% ja auf der Strecke bleiben. Bestechend logisch eigentlich. Sie ist übrigens gerade mit der Durchführung eines Projektes zur Stärkung der Kandidatinnen bei den Munizipalwahlen im Dezember beschäftigt.

Damit man mich nicht falsch versteht: Frauenförderung ist meiner Meinung nach auch das einzig Sinnvolle in der gegebenen Situation. Machistische Strukturen sind hier nun mal ziemlich festgefahren. Außerdem, denke ich, können sich die Frauen hier langfristig nur auf der Basis einer zunächst gestärkten Stellung in der Gesellschaft von den Männern emanzipieren. Alles andere würde das Pferd von hinten aufzäumen. Im Großen und Ganzen finde ich die Strategie, die verfolgt wird, sinnvoll. Aber dann sollte man bitte auch von Geberseite ehrlich sein und aufhören, zu behaupten, es handele sich um einen Gender-Ansatz. Gender steht nur drauf auf dem Packet, aber Frauenförderung ist drin.

Außerdem sprießen hier in der Atacora (das département von dem Natitingou die Hauptstadt ist) gerade Netzwerke der Zivilgesellschaft wie Pilze aus dem Boden. Je nach Zählweise sind wir jetzt bei 4 oder 5 Parallelstrukturen. Zuerst gibt es das ROSCS, das schon im letzten Kapitel erwähnt wurde und sich als überregionales Netzwerk des Nordens gründen möchte. Gleichzeitig will ROSCS aber noch ein Netzwerk im département installieren, Gott weiß wieso. Dann gibt es das bis vor Kurzem noch funktionelle und jetzt inaktive SCONGA, in dem sich die ONGs abstimmen. Dieses wurde partiell geschluckt von einem Netzwerk auf département-Ebene, initiiert vom directeur départemental. Dieses ist nicht nur für ONGs, sonder für alle Akteure der Zivilgesellschaft offen - also auch für Gewerkschaften, Berufsvereinigungen, die traditionellen Könige, etc. In der Gründungssitzung scheiterte man allerdings direkt an der Wahl des Präsidenten und nach einer Sitzung bis spät in die Nacht und mehreren Wahlrunden wurde jetzt irgendein Handwerker gewählt, was den ONGs wieder nicht passt. Die meisten von ihnen ignorieren jetzt einfach die Sitzungen, ohne aber offiziell aus dem cadre de concertation auszusteigen. Dazu sind wir noch auf das PaSCiB (Plate-forme des Acteurs de la Société Civile au Bénin) gestoßen, das vor 2 Jahren von der Friedrich Ebert Stiftung initiiert wurde und zur Aufgabe hat, die Aushandlung der Europäischen Partnerschaftsabkommen (EPA) mit Afrika zu begleiten, die eigentlich eine ziemliche Mogelpackung sind. Dieses Netzwerk wirkt meiner Meinung nach aber etwas aufgepfropft und würde eher nicht funktionieren, wenn nicht Geld für Schulungen, Tagungen, etc. im Spiel wäre. Außerdem scheint da die Abstimmung der Geber (zur Abwechslung) mal nicht funktioniert zu haben, denn Nicolai, der im genau gleichen Bereich arbeitet, nämlich Zivilgesellschaftsförderung, wusste nichts von diesem Netzwerk.

Um dem ganzen die Krone aufzusetzen kommt noch OSCAR (Organisations de la Société Civile Apuyées et Renforcées), ein EU-Programm, dass hier massenhaft Geld in die Zivilgesellschaft pumpen wird. Teilweise bietet es genau den gleichen Service wie das ProDOSC an: Unterstützung von ONG und OSC bei der Durchführung eigener Projekte. Nur: diese "Mikro"-Projekte können bis zu 45.000 € gehen. Sehr Micro. Auf französisch könnte man jetzt ein lustiges Wortspiel bringen: On appuie la société civile jusqu'a ce qu'elle se trouve sous le sol. (Man unterstützt/drückt die Zivilgesellschaft so lange, bis sie sich unter der Erde wiederfindet.) Zumindest ist OSCAR nicht auch noch ein Netzwerk. Lustigerweise hat sich eine einheimische ONG, die gleichzeitig die Partnerorganisation von OSCAR vor Ort ist, gleichzeitig auf eine Partnerschaft mit dem ProDOSC beworben.

Wen die ganzen unhandlichen Kürzel stören, die eigentlich keine Kürzel sondern eher Längel sind: das ist hier sehr wichtig. Eine Organisation oder ein Programm ohne schickes Akronym wird nicht ernst genommen. Ich fühle mich an das Orwellsche "newspeak" erinnert, wo "ministry of truth" zu "minitru" wird. Somit das Kürzel komplett vom eigentlichen Wortsinn abgekoppelt. Das hat man hier auch öfters: Man benutzt die vielen Kürzel völlig sorglos und hat schon wieder völlig vergessen, was sie eigentlich bedeuten. Gut, ganz so dramatisch wie in 1984 ist die Situation dann vielleicht doch nicht.

Noch einmal zu den Netzwerken: Auch wenn es in diesem département gerade ziemlich chaotisch aussieht, gibt es andere, in denen die Abstimmung der Zivilgesellschaft sehr gut funktioniert. Die Donga zum Beispiel, das zweite département in Nicolais Interventionsgebiet, verfügt über einen funktionierenden cadre de concertation, der im letzten Bericht geschildert wurde. Auch auf nationaler Ebene funktioniert die Abstimmung in Social Watch wohl ganz gut. Das ist ein Verbund von ONG zur kritischen Begleitung des PRSP (Poverty Strategy Reduction Paper), einer Amutsbekämpfungsstrategie die Benin im Auftrag der Weltbank ausarbeitet.

Während die Zivilgesellschaft in der Atacora so ein bisschen vor sich hin kriselt - zwischen unzähligen Netzwerken und Gebern mit widersprüchlichen Vorstellungen (und damit meine ich nicht einmal OSCAR, sondern die ganzen anderen nationalen und konfessionellen Entwicklungsdienste), wird sie gerade auf nationaler Ebene neu definiert. In diesem Rahmen waren wir am Donnerstag dieser Woche auf einer "Journée de réflexion" der Zivilgesellschaft eingeladen, einer Diskussionsveranstaltung die der directeur départmental organisiert hatte. Es wurde darüber diskutiert, was das in Benin überhaupt ist, die société civile. Das ist meiner Meinung nach sehr sinnvoll, da es hier einige Unklarheiten gibt.

Zum Beispiel ist es eigentlich recht problematisch, die traditionellen Könige dazuzuzählen, weil einige auch politische Ambitionen haben oder zumindest einzelne Kanditaten unterstützen. Aber sollte sich die Zivilgesellschaft nicht eigentlich aus der Machtpolitik heraushalten? Auch die ONGs haben manchmal entsprechende Ambitionen - zumindest einige Mitglieder, die die Organisation als Sprungbrett in die Politik nutzen. Noch komplizierter wird das Ganze dadurch, dass die ONGs sowieso meistens stark in die Kommunalpolitik verstrickt sind, da sie viele Verwaltungsaufgaben bzw. Projekte durchführen, zu denen die Kommunalverwaltung nicht in der Lage ist.

Außerdem gibt's noch die Frage, in wie weit es als Akteur der Zivilgesellschaft zulässig ist, als Dienstleistungsunternehmen Aufträge der Geldgeber auszuführen. Bei manchen ONGs ist die Dienstleistermentalität so fest eingeprägt, dass sie eher irritiert reagieren, wenn man sie nach eigenen Projekten fragt. Nachdem die typische Gender-Frage in einem Interview von einer ONG mal wieder die standardmäßige Beteuerung wie wichtig Gender sei hervorbrachte, hat Nicolai mal ziemlich hartnäckig nachgebohrt warum denn die Frauen sich überhaupt in die Politik einbringen sollten. Da ist ihnen dann nichts mehr großartig eingefallen. So läuft's wenn man die Vorgaben der Geber übernimmt, ohne darüber nachzudenken.

Über all diese Probleme wurde ehrlich diskutiert, was mich sehr gefreut hat. Das spezifische Problem der Netzwerke in der Atacora kam bei der "Journée de réflexion" auch aufs Tapet. Sogar eine ganz brauchbare Definition der Zivilgesellschaft ist am Ende dabei rausgekommen. Die Debatte geht jetzt auf nationaler Ebene weiter, wo diese auch in die Diskussion eingebracht werden wird.

Außerdem habe ich beim ProDOSC nun endlich (tadaa!) eine richtige Aufgabe. Diese Woche bin ich die Bewerbungsschreiben der verschiedenen ONGs durchgegangen, um den angegebenen Bedarf an Ausbildungen in einer Tabelle zusammenzufassen. Damit man sich schon mal darauf einstellen kann, was für Consultants für die Ausbildung der ONG gesucht werden müssen. Außerdem lese ich gerade ich gerade das DSCRP von Benin. Ausgeschrieben heißt das Document de la Stratégie de Croissance pour la Réduction de la Pauvreté, also etwa "Strategiepapier der Armutsreduzierung durch Wirtschaftswachstum". Auf englisch heißt das PRSP und wurde weiter oben erwähnt. Es handelt sich um eine Strategie, die Regierungen von Entwicklungsländern in Zusammenarbeit mit der dortigen Zivilgesellschaft im Auftrag der Weltbank erstellen. Das Ziel ist die Geberharmonisierung, also dass dann die Weltbank sowie alle anderen Geber ihre Entwicklungshilfe an den von den Betroffenen selbst gesetzten Prioritäten ausrichten. In der Praxis krankt der Prozess noch ein bisschen, vor allem weil den entsprechenden Regierungen ja noch immer klar ist, was die Weltbank gerne hören will und auch eher unterstützen würde. Früher hieß das Ding noch DSRP. Ohne "C" also - "Croissance", das Wirtschaftswachstum, war noch im Titel. Ich finde diese Umbenennung etwas problematisch, weil es jetzt nicht mehr in erster Linie um Armutsbekämpfung geht, sondern um Wirtschaftswachstum (mit dem Ziel der Armutsbekämpfung).

Jedenfalls werde ich mich in den nächsten Wochen damit befassen, das Ding zusammenzufassen und in eine lesbare Form zu bringen. Außerdem gehe ich gerade die Entwicklungspläne der Kommunen durch (ein bisschen wie ein Mini-DSCRP), um eine Zusammenschau der 13 Kommunen der Interventionsbereiches von ProDOSC zu machen.

Nachdem ich jetzt wahnsinnig viel über Politikwissenschaft erzählt habe, zum Abschluss noch etwas weniger wissenschaftliches. Am Samstag waren wir mit Fall joggen. Fall ist ein Freund von Nikolai, der hier eine Basketballmannschaft trainiert und gerade mit einem Batzen Second Hand-T-Shirts aus Cotonou gekommen ist und versucht, diese hier an den Mann zu bringen. Das hat mir glaube ich ganz gut getan, denn die Beninische Küche setzt an. Wenn ich nicht aufpasse, züchte ich mir eine prächtige Wampe heran.

© Julian Schwartzkopff, 2007
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Von Juli bis Oktober 2007 mache ich ein Praktikum bei der afrikanischen NGO Centre Afrika Obota (CAO). Das ist das erste Mal Afrika für mich, abgesehen von einer einwöchigen Clubreise nach Tunesien... Hier werde ich von meinen Erfahrungen berichten.
Details:
Aufbruch: 23.07.2007
Dauer: 3 Monate
Heimkehr: 22.10.2007
Reiseziele: Benin
Togo
Der Autor
 
Julian Schwartzkopff berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.