Le tour de Bénin

Reisezeit: Juli - Oktober 2007  |  von Julian Schwartzkopff

3. - 9. September: Siebte Woche

Die Woche begann gut, nämlich mit einer warmen Dusche. Ein geradezu orgiastisches Erlebnis nach 6 Wochen kaltem Wasser und Eimer. Im Boiler war noch ein Rest gewesen. Ab jetzt dusche ich wieder kalt - man darf ja nicht weich werden. Als Entwicklungshelfer lebt es sich übrigens gar nicht schlecht. Die offizielle Philosophie vom DED ist es, nicht auf Bezahlung zu arbeiten. Entsprechend gibt es auch kein Gehalt, sondern eine "Aufwandsentschädigung". Weil hier das Leben generell billiger ist als in Deutschland spart sich über den Zeitraum des Dienstes dennoch einiges an. Haus, Einrichtung, Personal und Dienstwagen stellt der DED. Und das ist noch gar nichts - wer bei der GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) oder der Weltbank arbeitet, macht echt einen Reibach. Woher das Geld kommt? Aus dem Entwicklungshilfebudget Deutschlands. Wem hilft die Hilfe, fragt man sich manchmal.

Den Montag Morgen frühstückten wir - wie mittlerweile jeden Morgen - bei Daniel. Daniel hat ein kleines Restaurant nicht weit von Nicolais Wohnung. Er ist freundlich und wir essen gut. Es gab Omelett. Er hat sich gerade selbständig gemacht und Nikolai hat ihm einen Mikrokredit als Starthilfe gegeben. Danach ging es ins Büro, wo ich Monique kennen lernte. Monique ist Nikolais Arbeitskollegin vom CAO. Sie ist eine resolute Dame in den späten Dreißigern, die schon viel in der Region gearbeitet hat und die NGOs/ONGs vor Ort gut kennt. Das ist auch gut so, denn die lassen sich allerlei einfallen, um an Gebergelder zu kommen. Aber erst einmal zum Projekt.

Es heißt ProDOSC (Promotion de la Démocratie par l'appui des Organisations de la Societé Civile) und ist eine gemeinsames Projekt von CAO und DED. Ich bin also eigentlich noch beim CAO, arbeite aber eher beim DED. Wie die etwas unhandliche Abkürzung schon andeutet, geht es primär um Demokratieförderung. Um dies zu erreichen, bietet ProDOSC Fortbildungen für ONGs an, die sich erfolgreich auf eine Partnerschaft mit dem Programm beworben haben. Danach können Mikroprojekte (Mikrosonstewas ist gerade ein Modewort in der EZ) finanziert werden, in denen die gewonnenen Kenntnisse angewandt werden sollen. Allgemein sollten diese Projekte dazu beitragen, dass sich die Beniner stärker in politische Entscheidungen einbringen. Dabei arbeitet das Projekt auf Nachfrage, es werden also die eigenen Projekte von ONGs finanziert. Das ist durchaus nicht selbstverständlich, denn die meisten anderen Entwicklungsdienste schreiben komplett ausgearbeitete Projekte aus, deren Durchführung dann den einheimischen ONGs zufällt. Diese werden so zu Dienstleistern degradiert und geraten in ökonomische Abhängigkeitsverhältnisse. Das ProDOSC grenzt sich klar von dieser Strategie ab.

Das Leben mit Nikolai ist übrigens echt angenehm. Wir haben einen sehr ähnlichen Hintergrund: Wir sind auf die gleiche Grundschule und die gleiche Universität gegangen und haben das gleiche Fach studiert. Sogar auf der Sciences Po in Paris hat er studiert, und da will ich ja auch hin. Wir sitzen oft bis spät abends zusammen und quatschen. Wenn wir uns nicht gerade über alte Lehrer und Profs unterhalten, dann planen wir die Weltrevolution (bald ist es soweit). Er ist 9 Jahre älter als ich und hat viele nützliche Tipps, was Studienplanung, etc. angeht.

Abends unternehmen wir oft etwas mit Andrea. Manchmal gehen wir in die "brèche". Das ist ein hoch gelegenes Lokal von dem aus man den Sonnenuntergang über dem Tal von Natitingou genießen kann.

La brèche

La brèche

v.l.n.r.: Andrea, Nikolai, ich

v.l.n.r.: Andrea, Nikolai, ich

Oder wir gehen zu Andrea. Die hat eine echt süße Katze. Die will mit allem spielen, was sich bewegt. Spielen heißt: Klauen und Zähne hineinschlagen. Das tut zum Glück nicht besonders weh, denn sie ist winzig - kaum größer als meine Handfläche. Nicolai hingegen hat ein uraltes Riesenvieh von einem Katze, das auch noch völlig faul ist. Wenn es Liebe oder Essen will, dann setzt es sich irgendwo in den Raum und fängt an zu maunzen. Wenn man die Hand in offensichtlicher Streichelbereitschaft ausstreckt, reicht das noch lange nicht. Von dieser Vorleistung offensichtlich unbeeindruckt, sieht sie es nicht ein, sich auch nur einen Zentimeter diese Richtung zu bewegen. Ruhe gibt sie erst, wenn man sich zu ihr begibt um sie zu streicheln. Ein ziemlicher Gegensatz.

A propos Gegensatz (um mal wieder einen Übergang übers Knie zu brechen): Der Nord-Süd-Gegensatz ist hier deutlich spürbar, auch wenn das Land von einer Bürgerkriegssituation wie in der Elfenbeinküste weit, weit entfernt ist. Dennoch sind die départements des Nordens die Armenhäuser des Landes. Eine stetige Migration in den relativ reicheren Süden, findet statt, wo sich auf 5% der Landesfläche in der Küstenregion 40% der Bevölkerung konzentrieren. Manchmal drückt sich das in einer latenten Feindseligkeit aus. Ein nettes Beispiel: In Cotonou hat man sich ganz ernst und ein bisschen besorgt mit mir zusammengesetzt und mir erklärt, dass ich mich bei den Frauen des Nordens vorsehen müsse. Manchmal würden sie Männern die Genitalien verhexen, dann werde man impotent oder wahnisinnig.

Doch zurück zum ProDOSC. In Natitingou befindet sich das Projekt gerade in der Selektionsphase. Die ONGs des départements bewerben sich also auf eine Partnerschaft und werden dann gecastet. Am Donnerstag war ich beim ersten Auswahlgespräch mit einer ONG dabei. Sie nannte sich POTAL MEN. Nein, das heißt nicht "Potal Männer". Vielmehr steht das für "gemeinsam sind wir stark" oder so in der Peuhl-Sprache. Die Peuhl (Pöll) sind in Benin eine marginalisierte Gruppe. Traditionell Nomaden, sind sie wenig in die Gesellschaft integriert und meist noch ärmer dran als der Rest der Bevölkerung. Eine Sache gesteht man ihnen allerdings zu: Kühe. Wenn hier jemand eine Kuhherde durch die Gegend treibt, ist es mit Sicherheit ein Peuhl. Außerdem schneiden sie ihren Mädchen oft noch die Schamlippen ab. Damit sind sie aber nicht die einzigen in der Region. Genitalverstümmelung gibt es hier noch immer, vor allem in ländlichen Gegenden und abgelegenen Dörfern. Und das, obwohl vor kurzem in Deutschland feierlich das Ende der Genitalverstümmelung verkündet wurde. Sacre Bleu, wie ist das möglich! Die Ausgrenzung aus der Gesellschaft macht es auch noch besonders schwer, die Peuhl zu erreichen. Naja, dafür machen sie guten Käse.

Aber zurück zum Interview. Die ONG ist eine reine Peuhl-ONG und fördern vor allem die Alphabetisation der Peuhl. Monique stellt manchmal echt fiese Fragen. Ich bin froh, auf ihrer Seite zu sitzen. Einmal verplappert sich der Buchhalter und spricht von "Einkommen". Sie hakt nach: "donc, vous êtes une entreprise?" (aha, sie sind ein Unternehmen?). Sie hat auch mich mit eingebunden, faul rumsitzen und zuhören war nicht drin. Das hatte ich mir jedoch schon gedacht und in weiser Voraussicht einige Fragen notiert, so dass ich dann auch etwas sagen konnte. 3 Stunden hat das Interview gedauert.

Für den Samstag waren wir als ProDOSC dann zur Generalversammlung eines cadre de concertation der Zivilgesellschaft im département Donga eingeladen. Dabei handelt es sich um ein Abstimmungsgremium oder Netzwerk der wesentlichen Akteure der Zivilgesellschaft - also vor allem ONGs und Gewerkschaften. Diese cadres sind eigentlich für alle 12 départments und noch eine Ebene tiefer für alle Kommunen vorgesehen. Manche existieren aber nur auf dem Papier. Wir trafen uns also in dem Restaurant "La Corbeille" was sich angeblich hinter dem Bürgermeisteramt befinden sollte. "Hinter" heißt hier aber noch lange nicht hinter. Eher so grob in die Richtung und dann zweimal links abbiegen. Die Sitzung begann mit einem Eklat: Neben dem schon funktionalen Netz gibt es noch das ROSCS (Réseau des organisations de la société civile de irgendwas). Dieses hat sich mal einfach so als Dachstruktur der GESAMTEN Zivilgesellschaft des Nordens gegründet. Völlig abgehoben. Das schon existierende Netzwerk fühlt sich verständlicherweise übergangen und ist sauer.

Mit einiger Verspätung kommt dann der président von ROSCS mit seinem Gefolge endlich an. Ein kleiner Mann mit Anzug und schwarzem Cowboyhut. Er erklärt mit großen Worten das Ziel von ROSCS und bietet dem cadre der Donga den Beitritt an. Dieser beschwert sich, dass man ihn zuerst hätte fragen müssen, bevor man Parallelstrukturen aufbaut. Die Entscheidung für oder gegen den Beitritt wird auf die nächste Sitzung vertagt. In der Zwischenzeit gehen wir mit Vertretern des ROSCS und dem directeur départmental de la société civile in ein Restaurant. Der directeur ist ein Regierungbeamter, offiziell beauftragt vom Ministerium für die Zivilgesellschaft (ja, so was gibt's hier). Vermutlich handelt es sich dabei um einen Versuch, ein bisschen die Hand über die Zivilgesellschaft zu halten, sanfte Kontrolle auszuüben.

Interessante politische Verwicklungen verwickelten sich vor unseren Augen. ROSCS erklärte erneut seine Mission. Es gehe darum, dem Norden mehr politisches Gewicht zu verleihen. Die Regierung mache nämlich eine Politik des Südens. Als erste Aktion wolle man gemeinsame Märsche in allen 4 départements des Nordens organisieren - und zwar gegen die Handygesellschaften um Entschädigungen zu fordern. A propos: Moov, eine der abgeschalteten Handygesellschaften, geht wieder! Juhu, jetzt wo ich schon fast wieder weg bin kriegen die das mal endlich in den Griff! Wie dem auch sei, der directeur schmiert dem président von ROSCS mit beachtlichem rhetorischen Talent Honig um den Bart. Und zwar eine Menge davon. Honig ist hier übrigens sehr billig - ein Liter weniger als ein Euro. Der directeur bestärkt ihn jedenfalls in seiner Argumentation: Der président spreche von realitäten, die man heutzutage viel zu selten anspreche und so weiter. Es war sogar irgendeine Metapher mit einem aufgehenden Sonnenaufgang dabei. Der président sprach den directeur von da an nur noch mit "mon directeur" an. Dann kam der Hammer: Der directeur sprach den Wunsch aus, dass ROSCS zusätzlich zu seinen Märschen ausdrücklich die Unschuld der Regierung an der ganzen Misere herausstelle und sich gegen die Handygesellschaften wende. Der président steigt darauf ein: Man habe schon immer so gehandelt, man sei sogar schon in Verdacht gekommen, mit der Regierung unter einer Decke zu stecken, so sehr habe man die Regierung unterstützt. Nicolai meint, es stecke ein Politiker hinter ROSCS.

Am Sonntag haben wir uns dann den Luxus von etwas Tourismus gegönnt. Zuerst haben wir uns Tanéka-Dörfer angeguckt. Die Tanéka haben ganz besondere Häuser. Tata Sombas heißen sie. Die sehen aus wie kleine Festungen aus Lehm. Historisch sind sie das auch, denn sie wurden als Schutz gegen die Sklavenjäger gebaut. Danach haben wir uns die Wasserfälle von Kota angeschaut. Zuerst mussten wir durch einen Bergbach waten. Es ist gerade Regenzeit, entsprechend handelte es sich eher um einen reißenden Bergfluss. Einmal wäre ich fast reingefallen. Meiner Kamera geht es gut.

Am Abend haben waren wir dann noch bei Monique zum Essen. Es gab reichlich Ignam pilée. Ich hatte damit jedoch einige Probleme, weil ich kurz davor intelligenterweise noch ein Hirschsteak gegessen hatte. Vielleicht war es auch Antilope - das heißt hier alles Biche. Nikolai ging es ähnlich. Moniques Bruder ist etwas komisch. Er ist bei den Zeugen Jehovas und Schriftsteller. Als ich ihm erzähle, dass ich gerne Fantasy-Literatur lese, mit Magie und so, sagt er das möge er nicht so. Wieso? Das verbiete ihm sein Gott. Zum Glück ist so eine verkrampfte Religiosität hier eher untypisch. Die meisten sehen das alles ganz gelassen. Viele Glaubenssätze werden eher als Richtlinie verstanden, was teilweise zu lustig-bizarren Situationen führt. Doch davon nächste Woche mehr.

© Julian Schwartzkopff, 2007
Du bist hier : Startseite Afrika Benin 3. - 9. September: Siebte Woche
Die Reise
 
Worum geht's?:
Von Juli bis Oktober 2007 mache ich ein Praktikum bei der afrikanischen NGO Centre Afrika Obota (CAO). Das ist das erste Mal Afrika für mich, abgesehen von einer einwöchigen Clubreise nach Tunesien... Hier werde ich von meinen Erfahrungen berichten.
Details:
Aufbruch: 23.07.2007
Dauer: 3 Monate
Heimkehr: 22.10.2007
Reiseziele: Benin
Togo
Der Autor
 
Julian Schwartzkopff berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.