Le tour de Bénin
13. - 19.August: Vierte Woche
Montag und Dienstag ging es direkt wieder mit Marino ins Terrain. Selbes Programm, selbe Mission - aber in einem anderen Arrondissement. Es ist eine reine Freude, Marino in Aktion zu sehen. Er hat auch ein bisschen von sich selbst erzählt: Er sei früher die Art Mensch gewesen, die in einer Stunde nicht vier Worte äußert. Davon merkt man jetzt nichts mehr. Das PARESOC, das er seit fünf Jahren leitet, sei eine große Schule für ihn gewesen. Durch und durch éducateur civique, lässt er keine Gelegenheit aus, um auf mangelnde Hygienestandarts oder die Richtlinien der Bonne Gouvernance aufmerksam zu machen. Unserem Hotelpatron hat er beispielsweise gedroht, ihm die Gesundheitsbehörde auf den Hals zu hetzen (der Geruch in den Zimmern war zum Ersticken). Beim Frühstück in einer Imbissbude ermahnte er den Betreiber sogleich, sich die Hände zu waschen, bevor er das Omlett bereite und dem Bürgermeister von Comé machte er Feuer unter dem Hintern, weil er die Beschädigung öffentlichen Eigentums nicht ausreichend ahndete (irgendwelche Deppen hatten die Wasserleitungen beschädigt). Das nächste Mal will er sich einen Beamten der Gesundheitsbehörde vor Ort zur Brust nehmen, der einfach angefangen hat, das Geflügel im Arrondissement wegen Vogelgrippe-Gefahr notzuschlachten. Allerdings ohne den Viehzüchtern auch nur einen Ton davon zu sagen. Gesetz sei Gesetz, habe er gesagt und wenn sich jetzt jemand beschweren will, versteckt er sich.
Am Mittwoch (Mari-äh Himmelfahrt, wie der gute Katholik weiß) wurde mal wieder in der Familie von Zaccharie und Arlette gefeiert. Jedoch nicht, weil die Mari-äh in den Himmel gefahren ist - die Familie ist protestantisch. Vielmehr hatte ein Verwandter seine Priesterweihe empfangen, was traditionsgemäß ein guter Anlass ist, ordentlich auf den Putz zu hauen. Das ganze fand etwas außerhalb von Cotonou statt, in einem kleinen Dorf namens Ekbe. Natürlich ließ sich auch der König von Ekbe nicht bitten und ist mit laut musizierendem Gefolge und zwei Regenschirmhaltern eingezogen (ja, Könige lassen sich hier Regenschirme über den Kopf halten). Hier hat im Übrigen jedes noch so kleine Dorf einen König, der meistens nicht sehr viel Macht, dafür aber umso mehr Frauen hat. Diesen Tag verbrachte ich fast komplett in einheimischer Tracht: in einer maßgeschneiderten (!) Boba. Und zwar in den Familienfarben von Arlette und Zaccharie. Eine Ehre, ich bin jetzt offiziell Beniner (ob mich das zum König qualifiziert?). Außerdem habe ich mir einen Bgobi gekauft und hoffentlich richtig geschrieben. Das ist so ein Hut, in Form eines langen, oben geschlossenen Schlauches, der zur Seite geknickt wird. Ich kam mir ein bisschen doof mit dem Ding vor, aber die Leute haben mir immer wieder versichert, wie toll ich damit aussehe. Flora, die Medizinstudentin von der im vorigen Kapitel die Rede war, war auch dabei. Auf dem Fest haben wir abenteuerliche Sachen gegessen. Unter anderem Rinderhaut, Schweinemagen, -lunge und -darm. Das schmeckt übrigens gar nicht schlecht. Hier lässt man nichts verkommen, war mein Eindruck, der sich in der Woche noch bestätigen sollte. Unter anderem habe ich Fischkopf gegessen (was auch mit noch soviel Fantasie nicht gut schmeckt). Es ist hier auch durchaus üblich, Hühnerknochen mit den Zähnen knacken um das Mark auszusaugen. Das blieb mir zum Glück erspart.
Das Superstar-Phänomen war auch wieder zu spüren, wenn auch nicht so stark wie in den Dörfern. Einige Leute haben ziemlich dreist Fotos von uns gemacht - aber gut, zwei Weiße komplett in beninischer Tracht sieht man selten. Als wir dann mit den Klamotten auf Zéms zurück nach Hause gefahren sind, haben die Leute in der Innenstadt gefeiert. Motorradfahrer haben uns überholt und gewunken. Beim Absteigen packt einer sein Handy aus und hält noch einmal mit der Kamera drauf. Ich hatte aber zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass sich die Leute über uns lustig machen. Vielmehr kam es mir so vor, als ob sie sich echt freuen, dass sich auch Weiße für ihre Kultur interessieren.
Von Donnerstag bis Samstag habe ich dann an einem Workshop für weibliche Führungskräfte (femmes leader, wie es in astreinem französisch heißt) teilgenommen. Ich fühle mich jetzt aber weder weiblicher noch führungsstärker als zuvor.
Die Veranstaltung wurde vom CAO in Kooperation mit RIFONGA, einem der größten Netzwerke frauenrechtlicher Organisationen Afrikas, organisiert. Die Teilnehmerinnen (kein Binnen-I, denn es waren nur Frauen) waren potenzielle Kanditatinnen für die Munizipalwahlen Ende Dezember. Sie wurden über "Le Management, Le Leadership et La Bonne Gouvernance" gebrieft und haben anschließend Gruppenübungen absolviert. Ein bisschen Unterstützung haben angehende Politikerinnen hier auch bitter nötig, wie ein kurzer Blick auf einige Zahlen verrät:
5 von 83 Abgeordneten des Parlaments sind Frauen, sprich 6%.
3 von 77 Bürgermeistern sind Frauen, sprich 4%.
44 von 1199 Regierungsberatern sind Frauen, sprich 4%.
Dabei ist Benin in der Region noch eines der fortschrittlichsten Länder. Die Gesetze sind was die Geschlechtergerechtigkeit betrifft absolut auf dem Stand der Zeit. Zugegeben: es hat z.B. noch nicht jeder mitbekommen, dass Frauen genauso erbberechtigt sind wie Männer. Aber zumindest steht es im Gesetz. Frauenrechtliche Vereinigungen wie RIFONGA kämpfen in Benin folglich auch nicht für die rechtliche Gleichstellung der Frau, sondern für Frauenquoten in politischen Gremien.
Frauen haben hier aber noch ein weiteres Problem, das zunächst einmal nichts mit eingefahrenen machistischen Strukturen zu tun hat - auch wenn diese unbestreitbar vorhanden sind. Zum Beispiel: Wenn es in Deutschland um eine Frauenquote geht, denkt man wie selbstverständlich an 50%. Hier werden 30% gefordert. Wieso? Es gibt schlicht und einfach nicht genügend qualifizierte Frauen! Aus einer Generation in der es Gang und Gäbe war, nur die Männer zur Schule zu schicken, lassen sich nur schwerlich weibliche Spitzenkräfte im großen Stil rekrutieren. Auch zwei Teilnehmerinnen des Seminars sprachen kein Französisch. Leicht problematisch, als angehende Politikerin die Verwaltungssprache nicht zu sprechen. Man erinnere sich: auch die Sekretäre der Fraueninitiativen des PARESOC sind meistens Männer. Genau an solchen Defiziten in der Bildung setzen Fortbildungsseminare wie dieses an.
Im Großen und Ganzen scheint mir die Veranstaltung auch ein voller Erfolg gewesen zu sein. Waren die Teilnehmerinnen anfangs noch schüchtern und still, hatten sie zu Ende des Seminars sichtlich an Selbstbewusstsein gewonnen. Was ihnen sicherlich auch geholfen hat, war der Austausch mit anderen potentiellen Kandidatinnen und die so gewonnene Gewissheit, nicht allein zu sein. Wieviel von diesem Selbstbewusstsein übrig bleibt, wenn sie aus der feministisch geladenen Seminarluft zurück nach Hause kommen, wo Mann, Kind und Küche auf sie warten, kann ich jedoch nicht beurteilen.
Für mich hat sich das Seminar aber schon allein deshalb gelohnt, weil ich so die Bekanntschaft von Léontine Idohou, der Präsidentin von RIFONGA-Bénin, machen durfte. Sie kam am letzten Seminartag vorbei, um das Schlusswort zu sprechen. Dabei hat sie mir vor versammelter Mannschaft ihren persönlichen Dank ausgesprochen, dass ich als Europäer in Benin in einer einheimischen NGO ein Praktikum mache. "Merci" stammelte ich. Ich war glatt ein bisschen sprachlos, das kam völlig unerwartet. Beim Abschiedsessen hatte ich dann die Ehre, an ihrem Tisch zu sitzen. Sie hat viele interessante Dinge gesagt, aber eines hat mich besonders beeindruckt. Es ging um die europäische Migrationspolitik, die den Brain Drain begünstigt, also die schlauen Köpfe Afrikas durch den VIP-Eingang bittet und dem weniger qualifizierten Rest die Tür vor der Nase zuknallt. "Je suis d'accord avec les européens", sprach die Präsidentin. Des Übels Wurzel liegt ihrer Meinung nach nicht in der europäischen Politik, sondern darin, dass überhaupt so viele Afrikaner nach Europa wollen. Oder vielmehr: eigentlich Europäer sein wollen. Wenn das große Geld winkt, sei das eigene Land erst einmal egal. Es mangele an afrikanischem Patriotismus. Sie selbst ist nach ihrem Studium im Ausland nach Benin zurückgekehrt, um dort für ein Fünftel des Lohnes zu arbeiten, den man ihr in Frankreich angeboten hatte. "Afrika wird sich nicht ohne die Afrikaner entwickeln", sagt sie. Interessante Perspektive, so hatte ich das zuvor noch nicht gesehen. Aber es gebe doch noch einiges was Europa tun könne, um aufzuhören die Entwicklung Afrikas zu behindern, frage ich etwas verunsichert. "Bien sur!". Puh, so fand mein globalisierungskritischer Geist doch noch Ruhe.
Ganz anders mein nicht so globalisierungskritischer Rücken. Zaccharie und Arlette hatten mich das Wochenende zu sich eingeladen und die Nächte verbrachte ich auf einer Strohmatte auf ihrem unebenen Steinfußboden. Es war meiner Nachtruhe auch nicht zuträglich, dass jeden Morgen um sechs Uhr der ganze Wohnkomplex zum Morgengebet geweckt wurde. Der "Wohnkomplex", das ist ein langgezogenes Haus, in dem 5 Familien auf schätzungsweise jeweils 20 m² wohnen. Die fünf Türen öffnen sich auf einen kleinen Hof, über den voll behängte Wäscheleinen gespannt sind. Am hinteren Ende ist eine kleine überdachte Ecke mit alten Autositzen ausstaffiert. An die Wand sind mit Kreide Rechnungen gekritzelt - hier wird den Kindern Nachhilfe gegeben. Hier war ich zwar schon zuvor zu Besuch gewesen, aber einige Tage den Alltag der Leute mitzumachen eröffnet doch andere Perspektiven.
Jedenfalls war am Wochenende in und um die protestantisch-methodistische Kirche von Yagbe herum viel los: das Erntedankfest (fête des moissons) stand an. Das Innere der Kirche ist vom Charme unverputzter Betonwände und Wellblechdach geprägt. Aus zwei Neonröhren hat man sich ein Kreuz gebastelt. Am Freitag Abend gab es Choralgesänge. Ich habe nicht viel verstanden, was aber nur zum Teil meine Schuld war. Viele Kirchenlieder sind nämlich in den einheimischen Sprachen verfasst. Es gibt auch eine Bibel komplett auf Fon.
Samstag war Kirmes angesagt. Das hat mir besonders gefallen, mit bescheidenen Mitteln kann man viel auf die Beine stellen. Es gab eine Lotterie, in der ich einen Satz Gläser und einen überaus hässlichen goldenen Rahmen gewonnen habe. Viele weitere Spiele waren aufgebaut. Wie z.B. der heiße Draht, an dem ich mich drei Mal versucht habe und jedes Mal kläglich gescheitert bin. Oder "Ni oui, ni non", wo man zwei Minuten lang mit Fragen gelöchert wird und weder "oui", noch "non" antworten darf. Nach drei Versuchen (es ist schwerer als man denkt) war ich stolzer Gewinner einer Packung Kekse. Ein bisschen rabiat fand ich ein anderes Spiel. Zunächst sieht man einem Steinkreis, in dem fünf Höhlen ringsum angeordnet sind. In der Mitte ist ein Korb. Dieser wird ordentlich geschüttelt und gedreht, dann angehoben. Ein Meerschweinchen flitzt zum Rand des Kreises um sich in einer Höhle zu verkriechen. Wenn du auf die richtige Höhle gesetzt hast, hast du gewonnen.
Am Sonntag war es dann soweit: Erntedankfest. Zuerst wurden die Gaben an die Kirche gegeben, dann wurde draußen gefeiert. Dazu gab es eine Versteigerung, um die Einnahmen der Kirche noch etwas zu erhöhen.
Die Überreichung der Gaben zieht sich über drei Stunden. Die geschätzt 400 Mitglieder der Gemeinde tanzen in verschiedenen Zusammensetzungen durch den zentralen Gang der Kirche nach vorne zum Altar und werfen Geld in einen Korb. Das geht nach Berufsgruppe, Geschlecht, Alter... Ich bewundere diesen Kniff, so begibt sich nämlich jeder mehrmals nach vorne. Dann noch einige der Kirche zugehörige Vereine, Gesandte anderer Kirchen, etc.: Alle spenden. Manche bringen auch Naturalien wie Zuckerrohr oder Ziegen. Die werden dann aber nicht in den Korb geworfen.
Gegen Ende werden die Zügel des Spendenzwangs dann angezogen. Von der Kirche ausgewählte Mitglieder der Gemeinde werden aufgerufen. Dann hallt es durch die Kirche: "10.000 Francs, 10.000 Francs". Der versammelten Mannschaft wird mitgeteilt, wie viel der einzelne "gespendet" hat, wie viel ihm sein Seelenheil wert ist. Dann: "200.000 Francs, 200.000 Francs!". Ein Abgeordneter des Parlaments ist auch da. Seine amerikanische Luxuskarosse hat er direkt vor der Kirche geparkt. Na, der kann ja nur noch in den Himmel kommen.
Ob das nicht ein sozialer Zwang sei, frage ich Zaccharie. (Rhetorische Frage. Der Zwang war offensichtlich.) Wer der Kirche spenden will, sollte es doch aus freiem Willen tun und nicht um zu zeigen, wie viel Kohle er hat. Eigentlich schon, kommt die Antwort, aber die Leute hätten früher nicht genug gespendet. Das Problem wurde so wohl gelöst. Dieses Mal war übrigens auch Zaccharie auf der Liste, obwohl er keine Arbeit hat. Logisch: Wer Kontakt mit Jovos hat, muss ja Geld haben.
"En Afrique, on aime beaucoup Dieu", resümiert Christian, bester Freund von Zaccharie, das sehr kirchliche Wochenende. Als ich erzähle, dass der Großteil besonders der Jugend in Deutschland bei weitem nicht so gläubig ist wie hier wirkt Zaccharie ein bisschen enttäuscht: "Ihr seid gemein, erst bringt ihr Europäer uns das Christentum und dann praktiziert ihr es selbst nicht mehr". Das hat mich an ein Zitat von Desmond Tutu (südafrikanischer Bischof und Friedensnobelpreisträger) erinnert:
"When the missionaries came to Africa, they had the Bible and we had the land. They said 'let us close our eyes and pray'. When we opened them, we had the Bible, and they had the land".
Aufbruch: | 23.07.2007 |
Dauer: | 3 Monate |
Heimkehr: | 22.10.2007 |
Togo