Madagaskar - Jenseits von Afrika
Von Sahambavy nach Manakara
Tag 12
16.10.2008, Donnerstag, 160km
Schon um 06:45 Uhr müssen wir frühstücken. Der müde Rolfmann entgeht nur knapp einem Wutanfall, weil pausenlos seine Meinung erfragt wird: Ob es ihm gut ginge, ob der Tee schmecke, ob noch Brot benötigt würde und weil die diensteifrige Kellnerin die ganze Zeit nur zwei Meter von ihm entfernt auf Lauer liegt. So viel Service bricht den stärksten Mann.
Dann schnell zum Bahnhof. Freudig erregt. Auf diesen Tag haben wir uns ganz dolle gefreut und wollen bloß nichts verpassen. Nicht einmal die Ungewißheit der Wartezeit. Denn letztlich konnte uns niemand mit Bestimmtheit sagen, ob der Zug wirklich fährt. Und vor allem: In welche Richtung? Der einzig funktionierende Zug auf dieser Insel fährt - wenn er fährt - pro Tag nur in eine Richtung, um tagsdarauf wieder zurückzuzuckeln. Schon während der Planungszeit hatten wir emsig versucht, verläßliche Informationen zu bekommen. Nichts. Selbst die lokalen Tour Operatoren waren sich unsicher. So haben wir es drauf ankommen lassen. Wer wagt, richtig, der gewinnt.
Als er gegen 08:00 Uhr aus der richtigen Richtung einfährt, ist unsere Freude kaum zu zügeln. An der Lok hängen vier Waggons. Zwei für Reisende mit Platzkarten, also in der Regel für Vazahas. Zwei etwas dunklere für die Leutchen ohne Reservierung. Das halbe Dorf ist gekommen, um das Spektakel zu beobachten. Neben anderen Touris, erhalten wir sofort die vorbestellten Sitzplatztickets und besteigen siegestrunken die wilde Kreatur. Auf nach Manakara, um in zehn Stunden der Natur 160km Wegstrecke abzuringen. Ein Abenteuer. Uns gegenüber sitzt das französische Pärchen, das wir bereits in Miandrivazo kennengelernt haben. Es ist eng. Die Knie werden im Reisverschlußprinzip eingefädelt. Ça va? Gegenseitiges Lächeln. Bien! Eine halbe Stunde später geht es los.
Tja, wie soll man die Fahrt nur beschreiben? Wie sich dieser Freude nähern? Ich versuche es mal auf meine Weise: Wer Madagaskar besucht, sollte ohne Widerspruchsmöglichkeit zu diesem Erlebnis gezwungen werden! Zum einen, weil die Fahrt durch einen Landstrich führt, der atemberaubend schön und anderweitig kaum zu erreichen ist. Die Strecke ist mit vielen kleinen Dörfern in einem unglaublichen Meer von grünen Bergen, Tälern und Feldern besiedelt. Was anderswo ärmlich wirkt, erscheint betörend pitoresque. Während der vielen Stops und Aufenthalte kommt man zwangsläufig mit den Dorfbewohnern in Kontakt. Oft habe ich mich beim stillen Beobachten der quirligen Szenen ertappt und mich keine einzige Minute während dieser zehn Stunden gelangweilt.
Übrigens fährt der Zug gar nicht mal so langsam. Man muß schon aufpassen, um nicht beim Fotografieren von vorbeihuschenden Bananenstauden böse aufgeklatscht zu werden. Gimme five. Aber der Zug kann noch mehr. Er transportiert wichtige Waren. Was transportiert werden muß, wird ein- oder ausgeladen. Dann wieder müssen Waggons hin- und herrangiert, ab- und wieder angekoppelt werden. Das dauert, bedeutet aber auch höchste Abwechslung. Viele Dorfbewohner bieten eigene Produkte an. Andere stehen oder sitzen nur einfach herum und beobachten die Fremden. Die wiederum staunen zurück, was die Dorfbewohner so alles treiben. Ein Doppelzooeffekt.
Und eines bleibt mal wieder nicht aus. Mein Schatz macht Bekanntschaften. In der Nähe eines Bahnhofs wird ein alter, zum Glücksrad umfunktionierter Fahrradreifen von unzähligen Dorfbewohnern umlagert, die Kleinstbeträge im Sekundentakt verlieren. Ein ebenfalls mit dem Zug reisendes Filmteam versucht mitzuspielen. Der breite amerikanische Akzent lockt Rolf Motte an. Schon wenige Minuten später plaudert er beherzt mit dem Kameramann. Nein, um Gottes Willen, sie seien keine Amerikaner. Kanadier. Man müsse sich heutzutage doch als US-Bürger schämen. Bush gehöre unbedingt weg, was sich ja mittlerweile erfüllt hat. Das Team drehe eine Dokumentation nach dem Vorbild der BBC und würde diese nach Fertigstellung diversen kanadischen Fernsehanstalten anbieten. Später am Tag kauft der Chef noch ein paar Hühner, die während der restlichen Zugfahrt für enormen Krach sorgten und sich abends sicherlich selbstlos zum Fraß vorwarfen.
Pünktlich, man glaubt es kaum, kommen wir in Manakara an. Henry ist bereits mit dem Auto zur Stelle. Er ist uns mit dem Auto nach Manakara gefolgt und wartet vereinbarungsgemäß auf dem Bahnhofsvorplatz und bringt uns zum Hotel Ampilao Beach, etwas außerhalb, direkt am Indischen Ozean. Leider sind die Bungalows nicht nur einfach, sondern auch richtig räudig. Moskitos schwirren überall herum. Das Moskitonetz ist brüchig. Das Abendessen nur schlecht. So sitzen wir alleingelassen - hierhin hat sich kein anderer Gast verirrt - auf der Restaurantterrasse. Mit ihrem Plastikmobiliar erinnert sie an die 70er Jahre und versprüht den Charme des Kamener Kreuzes am autofreien Sonntag. Passend dazu die musikalische Untermalung: Desperado. Johnny Cashs Stimme verschönt die Nacht. Doch der französische Hotelinhaber hat nur diese eine CD. So hören wir Johnny endlosschleifenlang desperadisieren.
Klar, daß wir dem THB zusprechen. Michael Porters Three Forces Beer. Und als wir so richtig schön beim Vergessen sind, taucht Henry auf. Der war wegen seiner Halsschmerzen ins Dorf gegangen, um sich Arznei zu besorgen: zwei Pillen Fisherman's Friends. Wir kichern. Ich nehme Henry flugs die Tabletten weg und hole ihm gute, westeuropäische Krankheitsbekämpfer. Er ist überglücklich, schmeißt sofort eine Pille ein und läßt sich neben uns nieder. Erst unsicher, dann immer bestimmter saufen wir gemeinsam das Hotel an die Wand.
Aufbruch: | 04.10.2008 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 24.10.2008 |