Abenteuer Amazonas

Reisezeit: Januar 2020  |  von Beatrice Feldbauer

Boras

Sie leben ausserhalb Iquitos in ihren begrenzten Lebensräumen. In kleinen Dörfern, ein paar wenige Familien nur. Die Boras und die Yahuas, Einheimische, die versuchen, ihre Traditionen in die moderne Zeit herüber zu retten. Ich hatte zuerst eine sehr gespaltene Meinung zu den Menschen, zu ihrer Situation. Wenn Touristen kommen, laden sie sie ein in ihre Maloka und singen und tanzen für sie. Verlangen einen Eintritt und versuchen, ihre Handarbeiten zu verkaufen. Oft zu überrissenen Preisen.

Alle kommen her, fotografieren, machen Videos und bringen diese zurück in ihre Länder. Zeigen die Exotik, die sie hier in Iquitos gefunden haben. Menschen, die noch leben, wie früher. Eingeborene, die noch kaum spanisch sprechen. Wilde.

Touristen mögen das, die Menschen hier leben davon.

Es ist aber wie vieles im Leben nicht ganz so einfach. Die Boras wie auch die Yahuas wurden vor über fünfzig Jahren, als der Tourismus hier aufkam, von anderen Orten hierher gebracht. Als Touristenattraktion sollten sie ihr Leben draussen vor den Toren der Stadt führen, als Teil der Dschungeltouren in den verschiedenen Lodges hier draussen. Sie tragen ihre traditionellen Kleider, Lendenschürze aus einem Stoff, den sie aus geklopften Baum-Rinden herstellen. Frauen sind oft barbusig, junge tragen inzwischen Oberteile aus dem gleichen Material. Sie tanzen und singen, nehmen die Touristen an der Hand und lassen sie mittanzen.

Aber längst leben sie nicht mehr so wild und ausserhalb der Zivilisation. Längst tragen sie in ihren Umhängetaschen ihr Handy dabei, kleiden sich im Dorf in Polo und Shorts, haben dort ihre Schulen. Natürlich leben sie noch immer sehr einfach, bauen ihr Gemüse und Reis an, halten ihre Hühner. Sie leben in sehr isolierten Gemeinschaften, achten darauf, dass sie ihre Rasse behalten und sind eigentlich zu klein für eine gesunde Fortpflanzung. Ich beobachte dies in den letzten Jahren, weil ich finde, dass ich immer wieder Kinder mit Einschränkungen sehe. Doch das sind nur meine ganz persönlichen Beobachtungen die keinesfalls wissenschaftlich begründet sind.

Jedenfalls befremdet es mich, dass es immer eine einseitige Beziehung ist. Wir profitieren, sie produzieren. Freude, Tanz, Gesang, Fotos, Videos. Ich habe in den letzten zehn Jahren viele Fotos von den Boras gemacht und heute bringe ich ihnen ein Album zurück. Mit den schönsten Bildern von all meinen Besuchen.

Schildkröteneier

Schildkröteneier

Suri, frische Maden, eine Delikatesse aus dem Dschungel

Suri, frische Maden, eine Delikatesse aus dem Dschungel

Nach dem Frühstück fahren wir nach Nanay. Das ist der Ausflugshafen im Norden der Stadt. Es gibt hier einen kleinen Markt, der wieder andere Angebote hat. Man findet hier zum Beispiel immer Stände mit Schildkröteneiern, die vor allem der Potenz helfen sollen. Potenz scheint eh sehr wichtig zu sein.

Früher habe ich hier in Nanay immer Sandro getroffen, doch er arbeitet nicht mehr hier. Also lassen wir uns von Pietrito ansprechen. Er wird uns mit dem Boot zu den Boras fahren. Und zum Serpentario, einem Auffangzentrum für Tiere.

Wir fahren auf dem Rio Momon und da sehe ich die grosse Baustelle, die mir schon auf dem Frachter aufgefallen ist, aus der Nähe. Eine lange Brücke soll hier entstehen, eine neue Strasse, die Iquitos mit Indiana und später wohl mit der brasilianischen Grenze verbinden soll. Im Moment stehen erst die Brückenträger, aber es ist schon jetzt ersichtlich, dass das Bild sich hier in Zukunft extrem verändern wird. Ausser der knapp 100 km langen Strasse nach Nauta in den Süden gibt es hier im Umkreis von tausenden von Quadratkilometern keine Strassen und schon gar keine Brücken.

Begrüssungszeremonie

Begrüssungszeremonie

Wir fahren durch Buschwerk, das zu anderen Jahreszeiten auf trockenem Boden wächst. Nur schmale Wasserwege führen dann durch diese dichte Vegetation. Heute ist alles überflutet und es braucht robuste Pflanzen, die diese halbjährlichen Veränderungen überstehen.

Wir werden bereits erwartet, denn die Boras haben ihre Späher, die ihnen mit einem Signal mitteilen, dass Touristen auf dem Weg zu ihnen sind. Auf der Fahrt begegnen wir einigen Booten, die Touristen zu den verschiedenen Ausflugszielen fahren.

„Soy Liborio, Chefe de los Boras“, stellt sich der junge Mann gleich selber vor. Und dann setzt er seine Federkrone Peter auf: „Im Moment bist du der Chef.“

Rafael, der alte Führer ist vor vier Monaten gestorben, erfahre ich, seither ist Liborio der Anführer des Tribus, des Stammes der Boras. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass sich die Gemeinschaft verändert hat. Es sind vor allem jüngere Leute, die hier die Touris begrüssen. Wobei das mit dem Alter eine relative Sache ist und für uns schwer einschätzbar. Libertad ist zum Beispiel bereits 45. Am 1. August wird er seinen 46. Geburtstag feiern. Rita verbündet sich gleich mit ihm, hat sie doch am gleichen Tag Geburtstag.

Von der alten Generation ist einzig Dolores noch hier, die Schwester von Rafael. Sie erinnert sich an mich, lächelt mich an, setzt sich neben mich, als die anderen zu Tanzen anfangen. Singen und Tanzen, und die Gäste auffordern mitzumachen. Das ist das einfache Konzept eines Besuches bei den Boras. Seine Begrüssung hält Liborio übrigens in perfektem Spanisch, ganz im Gegensatz zu Rafael, seinem Onkel, der jeweils in der eigenen Bora-Sprache gesprochen hat.

„In der Schule lehren wir Bora und Spanisch“, erklärt er. Und er erzählt auch, dass sie in ihrem Dorf ganz normal gekleidet sind. Also ein ganz anderer Auftritt als noch vor ein paar Jahren, als man sich immer fragte, wieviel von dieser Eingeborenen-Romantik eigentlich echt ist. Mir gefällt das viel besser, auch wenn die Exotik darunter leidet.

Ich übergebe ihm mein Album und er staunt. Und ich auch. Denn schon auf der ersten Seite stutzt er: „Das bin ich! Zehn Jahre jünger.“ Das ist tatsächlich ein interessanter Zufall, dass ich von all den persönlichen Portrait-Fotos, die ich im Album angeordnet habe, ausgerechnet den neuen Chefe auf die erste Seite gesetzt habe.

Das Album wird bestaunt. Die Bilder der Kinder, die inzwischen erwachsen oder der Alten, die verstorben sind, lösen Staunen aus. Freude, Trauer. So etwas haben sie noch nie bekommen. Während jetzt die einen versuchen, uns ihre Handarbeiten zu verkaufen, sind die anderen immer noch in die Bilder vertieft. Liborio fragt mich, ob ich wieder komme. „Ja, wahrscheinlich schon im Juni.“

„Wenn du kannst, bring doch bitte Kinderkleider mit. Gebrauchte Kleider für kleine Kinder. T-shirts, Hosen, Schuhe. Wir können so etwas immer brauchen“. Auch das ist völlig neu, eine ganz neue Beziehung zwischen Tourismus und Einheimischen bahnt sich da an. Früher hätte niemand zugegeben, dass die Leute hier ganz normal leben, dass sie nicht so exotisch sind, wie sie uns erscheinen. Und dann gibt mir Liborio seine Nummer. „Melde dich, bevor du kommst, damit ich auch wirklich da bin“.

Mir gefällt dieses neue Selbstvertrauen der Gruppe, die Exotik hatte bei mir schon länger ihren Reiz verloren. Der Tourismus hilft dem Stamm, seine Tänze und Gesänge nicht zu vergessen, seine Kultur der nächsten Generation weiter zu geben.

Daneben sind sie ganz normale Dienstleister, die wissen, was sie wert sind. Für andere Touristen und für die Besucher aus den Lodges in der Umgebung bleiben sie gern die Eingeborenen, die abgeschieden von der Zivilisation leben, aber für Eingeweihte sind sie Menschen, die in der Neuzeit angekommen sind.

Wir verabschieden uns, fahren weiter und kommen zum Serpentario. „Nein, das ist kein Zoo“, korrigiert mich Pietrito, als ich meiner Gruppe erkläre, was das hier ist. „Es ist ein Refugio, eine Auffangstation für Tiere, die irgendwo gefunden wurden, von der Polizei beschlagnahmt. Hier werden sie gepflegt und wieder ausgewildert“.

Schon im ersten Gehege bezweifle ich diese Aussage, denn die Faultiere werden hier bestimmt nicht lange überleben. Sie sind selbstverständlich die Lieblinge der Besucher. Werden ihnen um den Hals gehängt wo sie sich klammern und mit ihren runden Augen erstaunt in die Runde sehen. Doch tut ihnen das wirklich gut? „Es fehlen frische Blätter im Käfig“, erkläre ich dem Volontario, der doch auch nur seine Pflicht tut und uns durch das Refugio führt. Faultiere verschlafen 20 Stunden des Tages, die restlichen Stunden, meistens nachts, brauchen sie zum Fressen. Sie sind unendlich langsam, hängen die ganze Woche in den hohen Bäumen und kommen nur einmal herunter um sich zu versäubern. Hier sind sie den ganzen Tag wach, werden vorgeführt, bekommen einmal täglich ein paar Blätter vorgesetzt. Ich bezweifle, dass sie dies überleben werden.

Andere Tiere sind weit weniger schwierig zu halten. Die schwarzen Agutis, die verschiedenen Äffchen, die farbigen Aras, hier Guacamayos genannt, oder die lange Boa. Es braucht ganz viel Überwindung, aber gemeinsam schaffen es Eveline und Rita ihre Angst vor dem Tier zu überwinden und der Wärter darf sie ihnen über die Schulter legen. Eveline ist ganz angespannt, stellt kurzfristig das Atmen ein, während Rita interessiert den Kopf der Schlange beobachtet. Sie haben es geschafft, eine gemeinsame Mutprobe bestanden.

Ausserdem gibt es noch die Mata Mata, eine Wasserschildkröte, Landschildkröten, einen stolzen Adler und ein einsames Reh zu bestaunen. Ausserdem einen kleinen Aligator. Eveline ist die Mutigste unter uns.

Die letzte Station auf dem Rundgang ist das Veterinario. Hier werden eingelieferte Tiere untersucht, bestimmt und geimpft. Vielleicht stimmt es ja, dass die Tiere wieder ausgewildert werden, vielleicht auch nicht. Es ist immer schwierig, solche Aussagen zu überprüfen. Vor allem wenn man weiss, wie wenig wert hier ein Tier hat. Auch der Umgang mit Nutztieren ist hier sehr fragwürdig. Doch ist das bei uns wesentlich anders?

Mutprobe bestanden, alle drei haben überlebt.

Mutprobe bestanden, alle drei haben überlebt.

Wir fahren weiter, es ist Zeit fürs Mittagessen. Bufeo colorante, der farbige Delfin bietet sich da ideal an. Schwimmt draussen im Fluss und hat eine gute Küche. Wir teilen uns Fischnuggets und geniessen einen feinen Camu-Camu-Saft. Das sind die kleinen roten Früchte, die wir überall auf dem Markt gesehen haben.

Für mich ist es jetzt Zeit, zurück ins Hotel zu fahren. Mein Magen spielt im Moment verrückt und ich brauche eine Ruhepause. Die anderen fahren mit dem Mototaxi zum Markt in Belem zum Shopping. FlipFlops stehen auf dem Einkaufszettel.

Zum Nachtessen treffen wir uns im Hotel. Ich erwarte Besuch. Leo kommt mit seiner Familie vorbei, wir wollen unsere Pläne für morgen besprechen. Auch da steht ein interessanter Besuch auf dem Programm. Später kommt überraschend noch Keyla und bringt frischen Tee für Rita. Was für eine exklusive Betreuung wir doch haben.

Per WhatsApp meldet sich Liborio, bedankt sich für den Besuch heute.

das schwimmende Restaurant Bufeo colorado sieht bei jedem meiner Besuche komplett anders aus.

das schwimmende Restaurant Bufeo colorado sieht bei jedem meiner Besuche komplett anders aus.

Leo und Mirna Luz mit ihren Kindern kommen zu Besuch.

Leo und Mirna Luz mit ihren Kindern kommen zu Besuch.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nach vier Jahren kehre ich zurück nach Iquitos, wo ich mit Hilfe von Einheimischen eine Lodge geführt habe. Ich werde Freunde besuchen und freue mich auf neue Begegnungen.
Details:
Aufbruch: 04.01.2020
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 31.01.2020
Reiseziele: Peru
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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