Abenteuer Amazonas

Reisezeit: Januar 2020  |  von Beatrice Feldbauer

Pollos fritos

„Pollos fritos! Agua, gaseosas!“ Ich muss wohl geträumt haben, wer will denn um diese Zeit gebratene Hühner? Ich versuche einen Blick auf mein Handy zu ergattern. Vier Uhr in der Früh. Ich liege in der Hängematte, schliesse die Augen wieder. „Hay pollos fritos!“ Da ist es schon wieder. Und es hört gar nicht mehr auf. Es muss eine ganze Meute von Verkäuferinnen auf Deck gekommen sein. Von allen Seiten höre ich es, „Aguas, gaseosas!“ Das Schiff steht, der Motor ist aus. Und zwischen all den schlafenden Passagieren in ihren Hängematten, gehen die Verkäuferinnen, bieten ihre Waren an. Augen zu. Schlafen.

Und dann ist der Spuk plötzlich vorbei. Der Motor hat tief unten wieder eingesetzt, die Stimmen und das Getrampel ist vorbei, wir sind wieder auf Fahrt, ich kann weiterschlafen. Am Morgen habe ich noch immer das Gefühl, geträumt zu haben, doch die anderen haben es auch gehört. Ob wohl jemand das Angebot der gebratenen Hühner angenommen hat? Zum Frühstück gibt es wieder die dünne Suppe. Ich habe allerdings spontan ein paar Diättage eingeschalten, halte mich an die Früchte, die wir eingekauft haben. Aber auch da bin ich sehr zurückhaltend. Das hat weniger mit den Fähigkeiten der Köchin zu tun oder mit der Qualität der Früchte, sondern vor allem mit dem Zustand der Toiletten.

Um sieben Uhr legen wir wieder an. Es ist eine Station der Petro Peru, der peruanischen Oelgesellschaft, wie mir ein Blick auf Maps Me zeigt, das uns zuverlässig immer unseren Standort zeigt. Es scheint, dass die schweren Eisenträger von Deck müssen. Bereits ist die Blache weggeräumt, das Mototaxi, das noch gestern darauf stand, wurde im letzten Ort ausgeladen, jetzt liegen die Eisenträger frei auf dem Vorderdeck. Wie schwer mag so ein Teil sein? Das wird man kaum von Hand aufheben können. Männer an Land und Träger vom Schiff stehen herum. Mit grossen Brechstangen wird versucht, einen Träger frei zu legen, doch während einer Stunde passiert nichts Entscheidendes. Ob man auf den Helikopter wartet? Nichts tut sich.
Plötzlich nähert sich ein Schaufelbagger. Was der wohl vor hat? Wie will der die schweren Teile aufladen? Das Schiff wird in eine andere Lage gebraucht. Der Steuermann macht das sehr geschickt. Der Bagger räumt indessen erst einmal das Fischerboot, das am Ufer liegt, zur Seite. Nichts deutet darauf hin, dass man heute auf die Lieferung vorbereitet war. Dann fährt der Bagger soweit ans Ufer, wie es geht, ohne dass er vornüber ins Wasser kippt. Er fährt die Schaufel aus, versucht den Männern beim Verschieben der Eisenteile zu helfen und endlich schafft man es, einen Träger mit zwei Tragriemen an der Kette der Schaufel zu befestigen. Schwankend wird das Teil angehoben, einen kurzen Moment streift es das Dach des Mototaxis, das neben dem Eisen steht, doch dann wird es schwankend hinüber ans Ufer gehievt. Dort muss erst ein freier Platz geschaffen werden. Zwei Stunden sind vergangen, ein Träger ist erst an Land. Wenn das so weiter geht, stehen wir am Abend noch hier. Die Männer machen jetzt erst einmal Pause. Eine grosse Coca Cola-Flasche wird herumgereicht.

Dann kommt ein anderer Baggerführer, er ebnet zuerst einmal das Gelände, so dass er viel näher zum Schiff kommen kann, dann fängt er an und man kann gut sehen, dass er seine Maschine viel besser im Griff hat. Mit der Schaufel unterstützt er die Männer auf dem Schiff bei ihren Bemühungen, einzelne Träger soweit zu bewegen, dass die Tragriemen eingehängt werden können, dann hievt er sie hinüber ans Ufer. Immer zwei aufs Mal. Jetzt geht es tatsächlich vorwärts und am Mittag ist das Deck leer, wir können loslegen. Nur einmal noch gab es einen kritischen Moment, als einer der Eisenträger neben dem Stapel herunterfiel und direkt neben das Mototaxi zu liegen kam. Ob das dabei Schaden nahm? Kontrolliert hat das niemand, wichtig ist jetzt das Abladen.

Wir fahren weiter, den Fluss hinunter. Inzwischen haben wir den Hullaga-River verlassen, fahren jetzt auf dem Maranon. Er ist einer der drei Quellflüsse des Amazonas.

Manchmal kommt uns ein Schiff entgegen, zum Beispiel ein Pendant zu den Lastwagen auf der Strasse. Ein Tanker, der Oel aus dem Dschungel bringt. Oder Treibstoff nach Iquitos. Manchmal erkennt man am Ufer kleine Fischerboote mit den typischen Motoren mit den langen Stangen, an denen die Schraube dreht. Peque peque nennt man sie hier. Oft wird aber auch nur gerudert. Für kurze Strecken und um auf dem Fluss zu fischen, reicht das. Manchmal sieht man Silberreiher am Ufer stehen oder hört Vogelgekreische aus den Bäumen. Auf beiden Seiten ist Wald. Dichter dunkelgrüner Dschungel. In unzähligen Schlingen windet sich der Fluss durch diese grüne Welt. Keine Strassen Kilometerweit. Nur Bäume, Wasser, manchmal ein paar Hütten, Wäsche an der Leine, ein Fussballfeld, wo es mehr als zehn Häuser gibt. Wie lebt es sich hier. So weitab von der Zivilisation? Manchmal steht auch eine Antenne da, dann gibt es Internetsignale. Doch sie sind nicht stark genug, als dass wir Verbindung zum Internet aufnehmen könnten. Wir sind seit Stunden offline. Nicht dass das etwas ausmachen würde, es gibt nur so ein eigenartiges Gefühl, nicht mehr verbunden zu sein. Die einzige Verbindung zur Welt sind hier die Frachtschiffe. Punktgenau legen sie in den kleinen Dörfern an, liefern Waren aus, manchmal nur Pakete, manchmal grosse Schachteln.

Unser Vorderdeck bleibt nicht lange leer, bald nähert sich ein Kahn, gefüllt mit Bananen. Er legt an der Seite des Frachters an, wird festgezurrt und schon werden die Bananen umgeladen. Eine Person bleibt auf dem Schiff, der Kahn legt ab und bald kommt der nächste, die nächste Ladung Bananen kommt an Bord. Säuberlich abgetrennt von der ersten. Die Bananen sollen auf dem Markt in Iquitos verkauft werden. Dann kommt ein weiteres Boot mit Säcken. Was wohl drin ist? Einer springt auf und Aguajes kullern heraus. Diese eigenartigen Palmfrüchte mit der panzerartigen Haut, aus denen Fruchtsäfte gemacht werden. Jetzt ist der Platz, den die Eisenträger eingenommen haben, wieder gefüllt. Mit Früchten aus dem Dschungel.

An Bord ist es ruhig. Es sind wohl gegen 100 Leute, die in den Hängematten den Tag an sich vorbei ziehen lassen. Darunter sind etliche Kinder, viele junge Leute. Es ist absolut friedlich. Die Kinder spielen auf dem ganzen Deck, die Mütter sitzen entspannt in ihren Hängematten. Beobachten, aber lassen die Kinder machen. Männer dösen oder beobachten die Umgebung. Zum Rauchen geht man hinaus auf den Gang bei den Kabinen.

Ich komme mit Maria Magdalena ins Gespräch, einer alten Frau, die alleine reist. Leider spricht sie so leise und undeutlich, so dass ich kaum verstehe, dass sie in Yurimaguas wohnt und ihren Bruder in Iquitos besucht. Aber sie freut sich, als ich ihr das Album zeige, das ich für die Boras, einen der Eingeborenenstämme, die in der Umgebung von Iquitos leben, gemacht habe. Sorgfältig blättert sie die Seiten um, staunt, schaut und freut sich still über die Bilder. Auch die beiden Frauen in ihrer Nähe möchten das Buch jetzt sehen und dann geben sie es einem alten Mann weiter. Im Gespräch erfahre ich, dass die Leute, die schon ihr ganzes Leben in Iquitos leben, die Stämme nicht kennen. Man fährt nicht zum Vergnügen hinaus in den Dschungel, so wie es die Touristen machen, die auf jeder Tour zu den Einheimischendörfern gefahren werden, damit die Leute für sie tanzen und singen. Tausende von Fotos werden dabei von den Fremden gemacht, doch die Menschen auf den Bildern sehen nichts davon. Das ist der Grund, dass ich mit all den Fotos der letzten Jahre zwei Alben gemacht habe. Und sie jetzt zurück bringe. Den Boras und den Yahuas. Und jetzt freuen sich ein paar Leute aus Iquitos an den Bildern, die ihnen Menschen, die ganz in der Nähe wohnen, etwas näher bringen.

Bald wird es wieder Abend, wir ziehen uns in die Hängematten zurück. Vorher beobachten wir aber noch den Himmel, an dem sich der Tag mit dramatischen Wolkenbildern verabschiedet. Es kommt etwas Wind auf und die Nacht wird kalt. Sogar ich hole meine Jacke aus dem Koffer, hülle mich in eine Decke. Der Blick auf Maps me zeigt mir, dass wir wohl am frühen Morgen Nauta erreichen werden. Dort werden einige Passagiere aussteigen und den Rest der Fahrt mit dem Sammeltaxi machen.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nach vier Jahren kehre ich zurück nach Iquitos, wo ich mit Hilfe von Einheimischen eine Lodge geführt habe. Ich werde Freunde besuchen und freue mich auf neue Begegnungen.
Details:
Aufbruch: 04.01.2020
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 31.01.2020
Reiseziele: Peru
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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