Abenteuer Amazonas
Abschied
Frühstück um sechs Uhr. Das ist tatsächlich nicht meine Zeit. Aber der Flug geht kurz nach acht, da muss es so früh sein. Es ist einer dieser Abschiede, die man eigentlich gar nicht möchte. Zu schön war unsere gemeinsame Zeit hier in Iquitos.
Es hat richtig Spass gemacht mit den beiden. Auch mit Rita von Anfang an. Wir waren eine richtig coole Truppe. Mit ihrer Begeisterung für diese Stadt, die mich seit Jahren immer wieder in ihren Bann zieht. Auch wenn ich manchmal gar nicht verstehe warum. Ich glaube Eveline geht es ganz ähnlich. Auch ihr gefällt diese locker, quirlige Stadt. Diesen Lärm der Mototaxi, den man eigentlich nur hässlich finden kann, ärgerlich, störend. Und der eben genau das ist, was die Stadt ausmacht. Eine hässliche, eine arme, eine zwiespältige, eine faszinierende Stadt. Mitten im Dschungel, umgeben von Flüssen, von Wassern. Mit herzlichen Menschen. Ja, vor allem mit sehr herzlichen Menschen, die es schaffen, uns auf den ersten Moment für sich einzunehmen, die uns in ihre Herzen einschliessen, uns umarmen.
Un abrazo fuerte – eine verbreitete Grussformel im Chat und immer wieder angewendet bei der direkten Begegnung: eine starke Umarmung. Und das sollen die beiden jetzt eintauschen? Eintauschen gegen die Grossstadt Lima und gegen den Rest von Peru? Iquitos ist nicht Peru, auch wenn es in Peru liegt. Iquitos ist eine eigene Welt. Kaum jemand von Lima kennt diesen Teil des Landes.
Eveline und Peter fahren jetzt also in das andere Peru, das echte, das Peru, das man kennt.
Schon die ersten Fotos sind nicht sehr ansprechend: Stau in Lima, Hochhäuser. Was noch vor drei Wochen faszinierend war, die Millionenstadt Lima, ist jetzt abstossend. Nach der Lässigkeit in Iquitos, die Geschäftigkeit der Grossstadt. Und die erste Message ist noch viel verwirrender: „Hannah, Alex Tochter ist dabei (das war so abgemacht) aber ihre Mutter Dora ebenfalls“.
Ich lese, ich traue meinen Augen nicht. Was soll das jetzt? Das kann ja wohl nicht wahr sein. Was mache ich jetzt?
„Alex! das ist kein Privatausflug, das ist ein offizieller Auftrag mit Gästen, was fällt dir ein?“ Mein Chat-Ton war auch schon freundlicher.
„Mil disculpes, sie fährt nur bis Paracas mit, dort hat sie Familie.“
Ich fasse es einfach nicht. Sitze hier in Iquitos und kann nichts machen. Und ich habe meinen Freunden diesen Fahrer empfohlen. Weil ich ihn schon lange kenne. Und weil er mir schon manchen Ort in Lima gezeigt hat. Ausserdem war er schon einmal Fahrer für eine Freundin von mir. Das hat damals wunderbar geklappt.
„Es ist totenstill im Auto, keiner spricht. Alex ist völlig ausgewechselt.“ Evelines Nachricht verspricht nichts Gutes.
Ich sitze hier in Iquitos, versuche in zwei Sprachen zu chatten. In zwei Stimmungen. Ins gleiche Auto. Ich bin völlig aufgeschmissen und aufgewühlt. Wahrscheinlich antwortet Dora an stelle von Alex. Er sitzt ja schliesslich am Steuer.
Später am Mittag: „Wir sitzen am Pool, das Hotel ist hübsch, alles in Ordnung.“
Ich atme auf, vielleicht wird doch noch alles gut. Ich bestelle das Mittagessen, hoffe, dass noch etwas Hunger aufkommt, denn meinem Magen geht es nicht sehr gut.
Dann geh ich zum Hafen. Ein weiterer Abschied steht an.
Wir hatten gestern im La Notte zufällig noch einmal Hans-Peter getroffen. Mein FB-Freund aus Bonn. Er erzählte, er würde heute Nachmittag nach Pucallpa aufbrechen. Um fünf mit dem Frachtschiff.
Der Hafen der Henry-Flotte ist ganz in der Nähe. Da liegen sie, die grossen Frachter. Einer scheint erst vor kurzem angelegt zu haben. Er wird gerade entladen. Mit dem Hafenkran werden die Autos vom Schiff gehoben. Daneben liegt die Henry 5. Sie soll um halb sechs auslaufen. Das wird wohl das Schiff sein, auf dem Hans-Peter mitfährt. Ob er drin ist? Noch ist genügend Zeit. Noch kommen Leute an Bord. Um genaue Abfahrtszeiten kümmert sich niemand. Solange Leute kommen, solange Waren angeliefert werden, wird gewartet.
Die grosse Plane vorne auf der Ladefläche muss auch noch festgezurrt werden. Ich beobachte das Schiff, die obere Etage. Es sind nur ganz wenige Passagiere draussen, die meisten werden wohl in ihren Hängematten liegen. Soll ich hinein gehen und ihn suchen? Ist doch etwas zu aufdringlich, ich bleibe im Sand stecken. Ja tatsächlich, tiefer dicker Sand ist es hier, der fast das ganze Hafenareal bedeckt, kein Schlamm wie in Yurimaguas, oder hier in Iquitos bei unserer Ankunft. Aber das ist auch ein ganz anderer Hafen. Der für die grossen Waren. Darum gibt es hier sogar Hafenkräne.
Und dann sehe ich ihn. Oben an der Reling, im zweiten Stock. Ob er mich sieht? Wenn ich die Arme verwerfe, wenn ich winke? Er hat keine Veranlassung, seinen Fokus auf einzelne Personen einzustellen, geht nach hinten, beobachtet das Verladen der Mototaxis. Eine ganze Wagenladung davon wird in Bretterverschläge verpackt auf das Schiff geladen.
Ich glaube mich zu erinnern, dass die Mototaxi hier in Iquitos montiert werden. Aus Motorrädern werden Taxis. Die Information ist schon ein paar Jahre alt, aber passen würde es. Jetzt werden sie verladen für die kleinen Dörfer im Dschungel. Einen grösseren Ort gibt es auf der viertägigen Strecke. Requena. Ich kann mich erinnern, dass ich auf meiner damaligen Reise dort ein Internetcafe aufgesucht hatte. Im strömenden Regen. Um meine Ankunft in Iquitos anzukündigen. Meine ungefähre Ankunft. Denn Handys mit Internet gab es damals noch nicht.
Hans-Peter ist wieder verschwunden, liegt jetzt wahrscheinlich auch in der Hängematte, wartet, bis das Schiff losfährt. Ich habe inzwischen meine kleine Kamera auf Position gebracht. Sie schiesst jetzt 300 Fotos. Alle 10 Sekunden eine. Später werde ich sie alle zu einem kleinen Video zusammenfassen. Mich fasziniert das, auch wenn man so eine Aufnahme kaum jemals zeigen kann. Ausser im Facebook und falls ich wieder einmal einen Vortrag über meine Reisen an den Amazonas machen kann.
Jedenfalls sollte ich mich jetzt nicht zu weit von meiner Kamera entfernen, damit sie nicht gestohlen wird. Also beobachte ich weiterhin was hier abläuft.
Die Schiffe wurden inzwischen verschoben. Nachdem die Autos von Bord geholt wurden, sind jetzt die Träger an der Reihe. Sie machen sich bereit mit ihren Traggurten. Zwiebeln sind es, die zuerst von Bord kommen. Riesige Säcke voller Zwiebeln.
„Wieviel wiegt so ein Sack?“ will ich von einem der Träger wissen. „120“ Wie oft bin ich nicht sicher, ob ich richtig verstanden habe. „120 Kilos?“ frage ich nach. „Ja, 120 Kilos“, sagt er und holt den nächsten Sack. Über das schmale Brett am Schiff, durch den tiefen Sand, in den bereitgestellten Lastwagen wieder über eine Brett-Rampe. Sie gehen gebückt, mit schnellen kurzen Schritten. Vielleicht spürt man das Gewicht weniger, wenn man schnell geht. Ich würde gern noch mehr wissen. Wie sie bezahlt werden zum Beispiel. Oder von wem. Doch das geht jetzt nicht, nach den Zwiebeln kommen Bierdosen. Nach und Nach wird das komplette Schiff entladen. Alles in Handarbeit.
Aufbruch: | 04.01.2020 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 31.01.2020 |