Abenteuer Amazonas

Reisezeit: Januar 2020  |  von Beatrice Feldbauer

Letzter Tag

Wir wussten von Anfang an, dass dieser Tag kommen würde, er war so geplant. Eveline und Peter wollten noch eine kurze Reise durch das ‚normale Peru‘ machen und ich wollte von Anfang an ein paar Tage für mich allein behalten. Darum hatten wir am ersten Tag, bei der Ankunft in Lima mit Alex besprochen, dass er sie als Chauffeur und Guia bis Nasca bringen würde. Einen eigenen Chauffeur haben, der anhält, wo man das möchte, der Orte zeigt, die nicht auf jedem Touristenplan stehen.

Irgendwie sind die Tage in Iquitos so schnell vergangen, dass wir uns überhaupt nie mehr mit dem Thema befassten. Dabei hätten wir irgendwann die Details besprochen, die Flugtickets nach Lima besorgen sollen.

Heute ist dazu letzte Gelegenheit. Doch wir verhalten uns, als ob wir noch alle Zeit der Welt hätten. Zugegeben, das Internet funktioniert nicht, als wir am Morgen versuchen, die Airlines zu kontaktieren. Verschieben wir auf später und geniessen wir erst einmal den Pool.

Wir sind die einzigen, der Pool gehört uns. Uns ganz allein. Also gilt es, ihn noch einmal richtig auszukosten. Das kühle Wasser, den Wasserfall. Und genau der fordert uns heraus, denn natürlich sind unsere Handys nicht weit entfernt. Wie war das noch mit der Funktion Slow Motion? Eine Inspiration der ersten Tage. Der Verkäufer der Papierschmetterlinge hatte uns darauf aufmerksam gemacht, dass man eine Bewegung, die für das Auge zu schnell ist, mit Slow Motion aufnehmen könnte. Und genau das machen wir jetzt mit dem Wasserfall im Pool.

Wir experimentieren, bis man die einzelnen Wassertropfen sehen kann, wie sie durch die Luft fliegen, im Wasser auftreffen, beim Aufprall kleine Rückstösse bilden. Eveline ist wie ich, auch sie kann gar nicht genug von diesen Experimenten bekommen. Wir fotografieren den Pool, aus dem Pool, verschiedene Perspektiven, so als ob wir den Ort grad erst entdeckten. Wir wollen gar nie mehr weg von hier, wollen ihn festhalten.

Und dann siegt doch die Vernunft. Jedenfalls ein Teil der Vernunft. Vielleicht sollte man noch einen Spaziergang am Bulevard machen. Man könnte noch einmal Victoria besuchen, nachsehen, wie weit sie mit ihrer Arbeit am schwarzen Kopf mit den grünen Blättern, die das Hirn sympolisieren, gekommen ist. Wir steigen aus dem Wasser. Das Internet funktioniert noch immer nicht, also verschieben wir den Kauf des Tickets auf später. Als ob wir noch alle Zeit der Welt hätten, fahren wir in die Stadt, zum Hauptplatz, zur Bank.

Da wir schon mal hier sind, möchte ich gern einen Blick in das neue 5-Stern-Hotel werfen. Nur kurz, vielleicht auf einen Drink oder so. Eveline und Peter sind sofort einverstanden. Das Hotel war schon immer da und war schon immer das ‚Beste‘ der Stadt, aber neuerdings lauft es mit neuem Namen und neuer Gesellschaft. Ein Hilton. Das möchte ich mir gern ansehen.

Angenehme Kühle erwartet uns hinter der automatischen Schiebetüre. Nur schon das ist für diese Stadt eine ungeheure Errungenschaft. Hier stehen überall Türen offen, ganze Seitenfronten sind den ganzen Tag offen. Das Hilton ist verschlossen, sogar die Fenster in der Front sind hinter Scheiben. Dinge, die für uns selbstverständlich sind, gibt es in dieser Stadt nicht. Rolltreppen zum Beispiel. Ich glaube nicht, dass es in Iquitos irgendwo eine Rolltreppe gibt. Wozu auch, die meisten Gebäude sind höchstens zwei- dreistöckig. Oder einen Lift. Ich ertappe uns, wie wir einen erstaunten Blick auf den Lift werfen. Natürlich braucht es den in diesem Hotel, es ist ja wahrscheinlich das höchste Gebäude der Stadt. Wenn man von der hässlichen blauen Ruine absieht, die vor Jahren wohl das Prestigeprojekt von Iquitos war aber seit meinem ersten Besuch unverändert vor sich hin dümpelt und nur noch als Halterung von Antennen dient.

Es ist eine andere Welt, die wir hier betreten. Elegantes Design, diskrete Kühlung. Nicht die Eisschrankmentalität, die einen in vielen klimatisierten Räumen umklammert. Hier drin ist es einfach normal. So wir es uns gewohnt sind, in unserem Klima, ohne tropische-feuchte Hitze. Es gibt eine grosse Rezeption, von der wir herzlich begrüsst werden. Dahinter eine grosse Bar und eine Lobby mit bequemen Sesseln. Die Sitze draussen am kleinen Pool sind alle besetzt, also setzen wir uns in die Lobby und warten auf die Bedienung. Doch da kommt keiner und fragt nach unseren Wünschen. Man hält sich vornehm zurück, lässt Gäste auch mal sitzen, ohne dass sie etwas konsumieren müssen.

Alex fragt per Messenger wie das morgen läuft, wann der Flug eintrifft. Das bringt uns zurück aufs Thema. Flug buchen, Details besprechen.

Eigentlich sitzen wir hier jetzt endlich einmal gemütlich zusammen und haben Zeit. Und es gibt nichts, was uns ablenkt. Auch keine alles versengende Hitze, keinen Pool, der lockt. Nichts, nur angenehme Kühle, der unsere Sinne fürs Notwendige wieder einmal in Gang bringt. Unterstützung erhoffen wir uns von einer kühlen selbstgemachten Limonade.

Es werden intensive Stunden im Hilton. Endlich befassen wir uns mit den Details der nächsten Tage. Der Flug wird gebucht, Details mit Alex verhandelt. Doch mich lässt das blöde Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmt, dass die Grundvoraussetzungen nicht gegeben sind. Zwar versuche ich noch, einen Alternative zu finden, doch es ist längst zu spät, die ganzen Pläne über den Haufen zu werfen. Wir hatten Alex schon vor ein paar Tagen zugesagt. Ohne allerdings auf Details einzugehen. Die konnten warten. Warten bis zum letzten Moment.

Es wird noch einen Moment hektisch, bis wir das Ticket haben. Wir lernen dabei auch noch das Büro von Latam in Iquitos kennen und dann sind wir bereit fürs Nachtessen. Unser letztes gemeinsames Nachtessen in Iquitos. Auf der Terrasse des La Noche soll es sein. Und vorher einen Pisco im Karma-Cafe, einem der angesagtesten Lokale von Iquitos, das wir noch nie besucht hatten.

„Wollten wir nicht noch Keyla und ihre Eltern einladen?“ Unsere Organisation ist heute tatsächlich schleppend. Doch ich habe vorgesorgt, immerhin das ist mir frühzeitig in den Sinn gekommen. Ich konnte Keyla erreichen, als sie von der Bank nach Hause fuhr. „Keine Sorge, sie sind unterwegs, brauchen noch einen Moment bis sie hier sind.“

Also gehen wir unbesorgt ins Karma, schlürfen den letzten gemeinsamen Pisco sour, als ob es kein morgen gäbe und dann gehen wir an den Bulevard. Victoria ist nicht im Laden, aber ihre Mutter zeigt uns den Fortschritt der Arbeit. Noch fehlen die Kristalle, von denen Victoria gesprochen hat.

Das Hirn ist wie ein Baum. Es entwickelt sich immer weiter. Darum sind es grüne Blätter in verschiedener Grösse, die aus dem eigenartigen Kopf wachsen. -  Victoria

Das Hirn ist wie ein Baum. Es entwickelt sich immer weiter. Darum sind es grüne Blätter in verschiedener Grösse, die aus dem eigenartigen Kopf wachsen. - Victoria

Auf der Terrasse vom La Notte erwartet uns die Familie: Keyla mit Mama Teresa und Papa Pablo, zusammen mit dem kleinen Diego und Luana. Und augenblicklich herrscht gute Stimmung.

Es wird ein wunderbarer Abend. Wir sprechen über die Lodge und über die Möglichkeiten, sie weiter zu betreiben. „Glaubt ihr, dass ihr im Juni meine Gruppe unterbringen könnt?“ „Es braucht noch einmal einen ziemlich grossen Arbeitsaufwand, aber das Material ist vorwiegend vorhanden“, meint Pablo. „Und wenn wir statt runden Bungalows, quadratische Hauschen aufstellen, geht es schneller und es ist einfacher zu bauen.“ Das sehe ich ein, es muss auch tatsächlich nicht immer rund sein. Das war die Idee der ersten Lodge. Wieviel komplizierter das war, habe ich natürlich nicht bedacht.

„Wie machst du das mit deinem umfassenden Service, Teresa. Du hast uns so wunderbar umsorgt mit deinem Essen, mit deinen Extras wie Zuckerrohr, Suris, Früchten, die wir aus dem Dschungel mitgebracht hatten. Deinen feinen Fruchsäften. Machst du den Aufwand mit allen Gästen?“ „Ja natürlich“, sie lacht über das ganze Gesicht. „Wir wollen, dass alle Gäste super-contento sind.“ Ich glaube ihr, sie ist so.

„Ich glaube, dass ihr Euch auf kleine Gruppen spezialisieren solltet. Exklusiver und persönlicher, familiärer Service für Gruppen von zwei bis sechs Leuten. Das darf dann auch mehr kosten, als in den grössen Lodges wo man immer mit 10-20 oder noch mehr Personen zusammen ist. Meine Gruppe ist da eher die Ausnahme. Die neuen Häuschen könnt ihr dann für Euch und die Guias benutzen und den zweiten Stock zum Hängemattenraum machen.“

Wir sind schon wieder mitten drin im Planen. Es wäre auch zu schade, wenn es nicht weiter gehen würde. Allerdings gehöre ich nicht mehr dazu, kann nur noch Ideen liefern, eine Aussensicht. Meine finanziellen Mittel sind erschöpft, mein Engagement limitiert. Doch ich glaube, dass die Familie das mit vereinten Kräften schafft. Die Fuente del Amazonas Lodge wird weiter leben. Irgendwie.

Es wird viel gelacht, in spanisch-englisch-deutsch gequatscht, fein gegessen und fein getrunken. Ein wunderbar fröhlicher letzter Abend neigt sich irgendwann zu Ende. Und Pablo setzt zur Abschiedsrede an. Er bedankt sich für die Einladung, für die Freundschaft, für die Freude, und erzählt von seiner Familie. „Teresa und ich haben eine wunderbare Familie, mit unseren vier Mädchen und dem einen Sohn. Wir halten fest zusammen. Ich hätte nie gedacht, dass wir diese Familie erweitern könnten, ins Ausland erweitern können. Doch jetzt seit ihr Teil dieser Familie. Ihr gehört zu uns, wann immer ihr hierher kommt.“

Wir verlassen das La Notte in bester Stimmung und treffen vor dem Haus tatsächlich auf einen alten Bekannten. Pipi Vela ist da. Mit seiner Gitarre. Der Musikant, den wir im Gourmet-Palace in Yurimaguas getroffen hatten und der uns schon damals unterhalten hat.

Inzwischen ist auch er in Iquitos angekommen. Der reisende Balladensänger.

„Bienvenidos in Iquitos“ singt er und er macht das mindestens so gut wie Pablo an unserem ersten Tag in Iquitos. Damit schliesst sich der Kreis unseres Iquitos-Aufenthaltes. Pipi singt von Iquitos, vom Ucayali, von Yurimaguas und vom Dschungel bis wir alle mit feuchten Augen dastehen. „Gracias para hacernos llorar“, sagt ihm Keyla zum Abschied und trifft damit ins Schwarze.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nach vier Jahren kehre ich zurück nach Iquitos, wo ich mit Hilfe von Einheimischen eine Lodge geführt habe. Ich werde Freunde besuchen und freue mich auf neue Begegnungen.
Details:
Aufbruch: 04.01.2020
Dauer: 4 Wochen
Heimkehr: 31.01.2020
Reiseziele: Peru
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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