Iceperience - wetterfest oder wetterscheu?

Reisezeit: August 2005  |  von Andrea Becker, Bochum

13.8. Zur Askja über Herdubreidarlindir

13.08. Herdubreidarlindir - auf dem Weg zur Askja

Am 13.08. geht es in Richtung Askja - Etappenziel: Die Oase Herdubreidarlindir. Wir sind kaum gestartet (nach dem üblichen Einkauf, einem Tankstopp sowie dem Anruf bei der Auskunft zum Zustand und zur Befahrbarkeit der Straßen), schon kommen wir an einer weiteren Attraktion vorbei. Wir "entdecken" mit nennenswert vielen anderen Touristen einige Solfatare, Stellen an denen vulkanisches Gas ausströmt. Wahrlich ein Fest für alle Sinne: Während mein Auge staunt, streikt meine Nase.

Über die F88 ins Hochland
Es geht einige Kilometer weiter über die Ringstraße zur F88 - der Hochlandpiste in Richtung Askja. An der Infotafel die die nachfolgende Strecke unter anderem als Allradpiste kennzeichnet und die Weiterfahrt für "normale" Fahrzeuge verbietet, treffen wir eine kleine, deutsche Reisegruppe. Die Fahrer besprechen sich über den Zustand und die Befahrbarkeit der Piste. Wir hören aufmerksam zu und dann geht es los - wir trauen uns in unser erstes echtes Allradabenteuer mit Flussdurchquerung und allem Schnick und Schnack.

Zunächst geht es über eine - eigentlich ganz gut und zügig befahrbare Schotterpiste zum und dann durch das Ódádahraun. Das Ódádahraun ist das "Lavafeld der Missetäter". Hierhin zogen sich diejenigen zurück, die in früheren Zeiten aus der Gemeinschaft ausgestoßen worden waren. Das Land ist öde, im wahrsten Sinne des Wortes: grau, steinig, keine Vegetation, keine Vögel, schlicht nichts. Und es ist riesig. 5000 Quadratkilometer Steine. Steinwüste. Beruhigenderweise war die Straße eineindeutig gekennzeichnet, die Kleinbusse hatten nur einen kleinen Vorsprung (gelegentlich habe wir den hinteren noch einmal am Horizont auftauchen sehen - quasi Sichtweite, auf keinen Fall nicht Rufweite oder "ich mache mich mal bemerkbar-Weite") und an einer Furt sind wir sogar überholt worden - von einem deutschen Suzuki Vitara. Ansonsten entpuppte sich auch die (O-Ton Reiseführer) viel befahrene Piste als ziemliche Einöde.

Wir waren also auf uns allein gestellt als das Terrain rauer wurde und es irgendwann galt, den ersten Fluss zu durchqueren. Ein Schild, das irgendwie aussah wie aus der Kindergartengruppe, erklärte die Technik des Furtens. Wir studierten es eifrig, begutachteten die Wassersituation, schalteten auf 4WD-Low und dann ging es los - hinein ins Vergnügen, hinein ins kalte Nass. Mein Beifahrerblick fiel noch kritisch auf den Wasserstand - das Wasser schwallte bis zu meinem Seitenfenster - und dann war der Spuk auch schon vorbei, die erste Furt geschafft. Mein Respekt galt dem Fahrer und dem Material. Mit jedem Kilometer verliert sich jedoch der (vermutlich deutsche) Respekt und weicht der erforderlichen Unbarmherzigkeit dem Material gegenüber.

Nach zwei Stunden Fahrzeit erreichen wir Herdubreidarlindir - eine echte Oase in Mitten der Steinwüste. Hier entspringen einige Flüsse, hier wächst echter Engelwurz und hier steht eine Berghütte, die harmlosen Touristen Unterschlupf bietet und härter gesottenen Zeitgenossen einen Campingplatz. Wie wir von dem freundlichen Ranger erfahren, sind wir die ersten Gäste für diese Nacht und so entscheiden wir uns für die Berghütte (selbst wenn wir die letzten beiden Plätze erwischt hätten, ich hätte es getan. Es war ziemlich kalt und sehr, sehr grau und außerdem hatte ich gelesen, dass Camper die Hütten nicht benutzen dürfen; quasi: "Camper müssen draußen bleiben".)

Die Hütte Pórsteinskáli in Herdubreidarlindir ist sehr schön. In Mitten von kleinen Flüssen und Quellen steht ein kleines, grünes Holzhäuschen. Es gibt eine recht gut ausgestattete Küche, einen Aufenthaltsraum, das komplette Obergeschoß ist Schlafraum. Wir "veschpern" - zeitgleich mit einigen echten Isländern, die sich nur zum Essen dort aufgehalten hatten - und dann geht es los, die Gegend erkunden. Wir haben die Auswahl zwischen dem gelben, dem roten, grünen und blauen Weg. Wir entscheiden uns aufgrund von farblichen Präferenzen für den blauen. Dieser führt uns direkt und ohne Umwege zu einem Erdloch (im Reiseführer etwas euphemistisch als ErdHÖHLE bezeichnet). Wir hätten es beinahe übersehen, doch ein Schild macht uns darauf aufmerksam. Dieses Erdloch (= ein originalgetreuer Nachbau) war einen Winter lang die Zufluchtsstätte von Fjalla-Eyvindur, einem Ausgestoßenen, der es nach 19 Jahren Verbannung zu "sagenhaftem" Ruhm und seiner Rehabilitation gebracht hat. Etwas verzweifelt stehe ich vor diesem Loch. Einige sortierte Lavasteine schützen kaum vor den Witterungseinflüssen, es ist nicht besonders tief - vielleicht einen Meter und es ist in Mitten der Trostlosigkeit. Mir ist schlicht unbegreiflich, wie man in so einem Loch überlebt haben kann. Ich frage mich, was man wohl verbrochen haben muss, um in ein solches Leben flüchten zu müssen (Mittlerweile habe ich gelesen, dass Fjalla-Eyvindur wegen Diebstahls verbannt worden war. Er lebte mit seiner Frau 19 Jahre im Hochland, wurde dann aus mir nicht bekannten Gründen "resozialisiert" und Held einer Saga).

Wir ziehen weiter, verlieren den blauen, entscheiden uns für den grünen Weg, um dann auf dem gelben in Richtung Herdubreidar zu wandern (dem am besten markierten Weg). Vor meinem inneren Auge erscheint wieder und wieder die Warnung in unserer Hütte, auf keinen Fall die markierten Wege zu verlassen, da man sich ansonsten schnell verlieren kann. Ein Blick in die Weite bestätigt mir, dass Isländer keine Warnungen aussprechen, die einer Grundlage entbehren. Überall Lava, einziger Orientierungspunkt ist der Berg Herdubreidar.
Wir laufen mindestens eine Stunde in Richtung des Berges, ohne uns nennenswert zu nähern. Allerdings entdecke ich, dass es auch in der vermeintlichen Gleichförmigkeit der Lava vieles zu entdecken gibt. In einigen Teilen halten sich einige zarte Pflanzen, teilweise ist die Lava schroff und sehr scharfkantig - meine Wanderschuhe haben einige bleibende Macken davongetragen - teilweise ist sie ruhig, fast fließend. Zudem hat Lava ganz unterschiedliche Farben. Schwarz, grau, anthrazit (Wir haben uns immer sehr wohl gefühlt in mausgrau) und dann auch hell oder rötlich. Sehr spannend.

Irgendwann drehen wir um und gehen auf demselben Weg zurück zur Hütte. Entgegen all meinen Erwartungen sind wir nach wie vor allein. Wir zwei, allein, in einer Berghütte. Weit und breit nichts außer plätschernden Bächen, einigen Mücken und echtem Engelwurz. Da kann man schon ins Schwärmen geraten. Pragmatiker, der ich nun mal bin, gibt es erst einmal ein fürstliches Abendbrot, bestehend aus Super Silt, Brot und Joghurt. Dann spielen wir Mau Mau. Bevor ich noch romantische Anwandlungen bekomme, ziehen ein Isländer, zwei Franzosen und drei Deutsche in "unsere" Berghütte ein. Ich verbringe also meine erste Nacht in einer Berghütte gemeinsam mit sieben Männern, von denen einer der Ansicht war, dass es zu kalt, sei um zu lüften...

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Meine erste Nacht in einer Berghütte, meine erste quasi offroad 4 WD Fahrt, meine erste Fischsuppe, meine erstes Camping bei 8 °C sowie die Antwort auf die Frage: Iceperience - wetterfest oder wetterscheu? DAS ist meine persönliche Bilanz meines ersten Islandabenteuers.
Details:
Aufbruch: 05.08.2005
Dauer: 17 Tage
Heimkehr: 21.08.2005
Reiseziele: Island
Der Autor
 
Andrea Becker, Bochum berichtet seit 21 Jahren auf umdiewelt.
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