Philippinen 2010

Reisezeit: November 2010 - April 2011  |  von Frank P.

Wie blöd kann man sein?: Nur ein Abend auf den Philippinen

Ich bin auf Mactan, einer Insel vor der Haustür von Cebu City. Die Insel gilt als eine der Nobelorte der Philippinen, warum das so ist, ist mir leider noch nicht aufgefallen. Wahrscheinlich weil hier Scharen von Japanern und Koreanern einfallen.

Aber halt, darum geht es hier gar nicht, was heute abend war hätte so im Prinzip wohl überall so passieren können. Ist etwas besonderes passiert? Nö.

Und warum dann einen eigenen Bericht?

Weil dieser Abend bei mir in bleibender Erinnerung bleiben wird, so unspektakulär er eigentlich war.

Der Nachmittag neigte sich dem Ende, ich kam vor etwa einer Stunde von meinem ersten Tauchgang auf Mactan. 18.15 Uhr, der Tag kann ja noch nicht zu Ende sein. Es ist immerhin Samstag und am Wochenende kann man nun nicht um diese Zeit den Tag beenden.

Ich schaffe es meinen Kadaver aus dem Bett zu wuchten und mich anzuziehen. Ich habe zwar keinen Plan, was ich mache, aber ich laufe erstmal los. Keine Ahnung haben, aber davon reichlich, das kann ich eh ganz gut.

Nachdem ich das Zimmer verlassen habe, überlege ich, ob ich nur bis zum Speisesaal wanke und hier in MB´s Taverne was esse. Das Essen hier ist ordentlich. Näää, sei nicht so faul, bisschen bewegen. Aber ich war doch schon Tauchen! Keine Ausflüchte, ab auf die Strasse.

Es ist schon dunkel, ich gehe die kleine unbeleuchtete Seitenstraße, die im Grunde nur eine lange Einfahrt ist, entlang und komme auf eine Nebenstrasse, wo aber schon normaler Verkehr läuft. Auch Tricycles fahren hier, ich könnte eines nehmen und mich fahren lassen. Da gibt es nur ein Problem. Ich weiß ja nicht wo ich hin will. Schon rechts oder links ist eine harte Frage.

Will ich eventuell nach Maribago? Nä, da sind die ganzen Hotelbunker.

Will ich etwa nach Cebu oder Mandaue? Nä, schon zu spät und viel zu weit und was soll ich da auch.

Auf Mactan bleiben und nach Lapu-Lapu fahren? Ich weiss nicht, vielleicht.

Also nach links, da geht es zur Hauptstraße nach Lapu-Lapu.

Tricycle nehmen? Nö, trotz der billigen Preise nehme ich für das kurze Stück jetzt keins. Ich laufe.

Auf dem Weg liegt ein Restaurant. Gehört zu meiner Unterkunft, habe ich noch gar nicht wahrgenommen. Das Essen müsste dann auch hier okay sein? Da rein? Ich weiss nicht, dann hätte ich auch in der Unterkunft bleiben können, heute nicht, einen anderen Tag vielleicht.

Ich erreichte die Hauptstraße, hier ist fetter Verkehr, ohne Übertreibung. Nach rechts geht es nach Lapu-Lapu, nach links und in die Richtung ist fetter Stau geht es nach... tja... keine Ahnung, da sind an der Hauptstraße halt viele Geschäfte. Basak müsste das sein, ein lokaler Markt, Fressstände und etwas entfernt ein Einkaufscenter, kein großes natürlich. Alles für Einheimische halt. Nach rechts käme in der Nähe noch ein kleines Spa, eine augenscheinlich etwas grössere Touristenbar und eine KTV-Bar (Karaoke). Aber das fällt mal völlig aus, da laufen bestimmt Japaner und Koreaner rum und dafür habe ich ja nun gar keine Nerven.

Also nach links. Tricycle wird nicht genommen. Erstens laufe ich in die Richtung schneller, als die fahren, ausserdem kann ich mich so im Vorbeigehen inspirieren lassen.

Ich laufe also vorbei an der langen Reihe von Tricycles und Autos, es ist warm, es stinkt nach Abgasen, aber auch nach frisch Gegrilltem, wie überall, wo ich bisher war, wird auch hier allerorten gegrillt.

Da drüben ist ein mexikanisches Restaurant, sieht nicht schlecht aus. Keine Japaner zu entdecken, wäre das was?

Nein, ist doch alles Unsinn. Zum Mexikaner? Ich fliege doch nicht auf die Philippinen, um dann am Samstag Abend zum Mexikaner zu gehen. Die Idee kommt mir in diesem Moment einfach völlig absurd vor. Ich laufe doch an zig Grillständen vorbei, was will ich denn in einem Restaurant? Das kann ich auch zu Hause haben. Natürlich ist dieser Gedanke nicht allgemeingültig und natürlich werde ich in die kommenden Tagen, Wochen und Monaten Restaurants aufsuchen, vielleicht auch ein mexikanisches. Aber genau hier und jetzt kam mir der Gedanke in ein Restaurant zu gehen eben einfach völlig absurd vor. Ich werde schön was an den Grillständen essen, das schmeckt mir doch eh, was mache da so viel Heckmeck?

Ich beschließe, erst bis zum Einkaufscenter vor zulaufen und dabei schon mal die interessantesten Grillorte auszustöbern. Im Center kann ich mir dann neue Taschentücher kaufen, bin immer noch leicht erkältet und meine Nase läuft. Genialer Plan.

Bis zum Einkaufscenter springt aber kein Grillstand in mein Auge, alle wie gehabt. Nicht mehr nicht weniger.

Ich erreiche das Center. Dort wir Eis verkauft. Hmmm, so ein Eis als Appetizer würde mir schon schmecken. Ich schaue auf die Karte. Ein Kinder-Eis für 5 Pesos, ein großes Kinder-Eis für 10 Pesos oder ein nicht definierbares buntes für 40 Pesos. Das kleinste Eis würde mir eigentlich reichen, irgendwie aber peinlich, ein Kinder-Eis zu bestellen. Der Verkäufer scheint meine Unentschlossenheit zu bemerken und zeigt mir ein extra Schild. Da ist ein netter Eisbecher abgebildet, mit Schokoladenverzierung und einer Kirsche obendrauf. Für 35 Pesos, perfekt, nehme ich. Hinter mich stellt sich ein kleiner Junge an. Der Verkäufer hat meinen Becher fertig, ich will bezahlen, jetzt macht er erstmal einen anderen Becher fertig, na toll, der hätte ja erstmal warten können. Jetzt schaue ich aber nochmal auf das Schild, da steht "Buy one, take one", was hier meint zahl einen, bekomm zwei. Der nächste Becher soll also auch für mich sein. Zwei Eis wollte ich nun aber nicht.

Ich schaue zu dem Knirps hinter mir. Also zunächst sei gesagt, ich bin kein sehr freigiebiger Mensch. Ich gebe wenig Trinkgeld und niemals einem Bettler oder Sänger oder Pseudo-Künstler etwas. Aber das hier war gerade anders. Ich habe ein Eis zu viel und hinter mir steht ein Pimpf, der nicht bettelt, sondern sich ein Eis kaufen will. Ich frage ihn, ob er das zweite Eis möchte. Mit großen Augen schaut er mich kurz ungläubig an, dann lächelt er breit und nickt heftig. Dann faltet er die Hände und drückt sie auf seine Brust und unter das Kinn. Ich habe das Gefühl, das Grinsen bekommt der Kleine heute nicht mehr aus seinem Gesicht. Als der Becher fertig ist, sage ich dem Verkäufer, er möge es dem Kleinen geben. Er lächelt dabei gar nicht, es wäre ihm lieber gewesen, zweimal Geld zu bekommen oder ich hätte zu ihm gesagt, ich will nur ein Eis. Pech für ihn, das zweite Eis geht an den Pimpf. Dieser murmelt was unverständliches und schwirrt mit dem Eis von dannen.

Ich lasse mir das Eis schmecken und gehe wieder aus dem Center raus. Draußen sehe ich, dass mein vergebenes Eis inzwischen von drei kleinen Kindern umringt wird. Ein kleines Mädchen wippt aufgeregt auf den Füßen und wartet, dass sie den Löffel bekommt. Sie schaut zu mir und lächelt mich mit dem gleichen Grinsen an, wie der Pimpf. Scheinen wohl Geschwister zu sein. Das Eis wir redlich geteilt.

Was bin ich doch für ein edler Mensch, der so viel Gutes über die Menschheit bringt...

Scherz beiseite, die drei haben sich aufrichtig gefreut, über ein simples Eis. Bei uns würden drei Kinder so lange Terror bei Mama und Papa schieben, bis jeder ein Eis bekommen hat und eine Tüte Bonbons dazu.

Hmmm, es fängt an zu regnen. Hallo? Wurde meine uneigennützige, edle Tat im Himmel übersehen? Anstatt einen Strahl gleißenden Lichtes aus dem Himmel auf mich zu schicken und mich in eine Aura der Barmherzigkeit zu betten, fällt Regen? Die Welt ist so was von ungerecht.

Na ganz so schlimm ist es nicht, bin ja nicht aus Zucker. Aber sollte ich dereinst den Weg in den Himmel finden, dann werde ich das nochmal ansprechen.

Wieder in der Realität angekommen sehe ich gegenüber einen Stand, der knusprige Hähnchenteile verkauft. So in Panade, wahrscheinlich mit Haferflocken. Kostet 15 Pesos. Lecker? Geht so, aber allemal besser als das Pendant der großen amerikanischen Fastfoodkette, die auch hier ihr Unwesen treibt.

Ich höre Trompeten und Trommeln. Ist ja Wochenende und Philippinos lieben ja Musik und Feste. Das kommt vom Haupteingang des Einkaufscenters. Just in dem Moment öffnet der Himmel ernsthaft seine Schleusen und wenn es hier ernsthaft regnet, dann ist Unterstellen recht ratsam.

Ich stelle mich also unter und höre und schaue der Musikgruppe zu. Jugendliche zwischen geschätzten 10 - 15 Jahren, ein oder zwei volljährige, wahrscheinlich die Lehrer. Ist die Musik gut? Na mit einem Konzert der Berliner Philharmoniker sicher nicht vergleichbar, aber ich bin gerade nicht in der Berliner Philharmonie, sondern am Arsch der Welt, vor einem Einkaufscenter in Basak, auf Mactan, im Landesteil Visayas der Philippinen. Und vor diesem Hintergrund ist es gut. Weit besser jedenfalls was hier ansonsten so musikalisch zum besten gegeben wird. Ich fühlen sich ja diverse Philippinos als kommende Stars und scheuen sich nicht, ihre Umgebung mit ihren erbärmlichen Sangeskünsten zu belästigen. Manche versuchen damit sogar am Strand Geld zu verdienen, obwohl man ihnen eigentlich die Zunge rausschneiden müsste.

Wie gesagt, die Band spielte anständig, auch ohne Platzregen wäre ich eine Weile stehen geblieben. Was mich sehr verwunderte, waren viele Philippinos, die aus dem Einkaufscenter kamen und sich die Ohren zuhielten, weil es ihnen augenscheinlich zu laut war. Das ist allerdings absurd. Natürlich war es laut, Trommeln und Trompeten sind nun mal keine Leisetreter-Instrumente. Aber das sich Philippinos über zu laute Musik mokieren, das ist blanker Hohn. Musik wird hier aus den Anlagen gepresst, dass man jederzeit Angst habe muss, dass entweder die Trommelfelle platzen oder die schon völlig verzerrten Boxen sich selber in den Orbit schiessen.

Mir egal, mir hat es gefallen. Schließlich hört der Regen auf und ich gehe weiter. Satt bin ich nicht, hungrig bin ich nicht, aber appetitlich bin ich noch. Ich muss mir noch ein paar Spieße vom Grillstand holen. Dazu muss ich allerdings erstmal den Sturzbächen entkommen, die über die Straße rinnen, um riesige Pfützen bzw. halbe Seen auf den Straßen zu speisen.

Pitsch Patsch, durch alle Spümpfe, nasse Schuh´ und Strümpfe. Stimmt gar nicht, habe gar keine Strümpfe an, Ätsch! Nasse Schuhe und Füße lassen sich jedoch definitiv nicht vermeiden, sei es drum. Gerade so kann ich den Wasserfällen von den Planen der Verkaufsstände entkommen.

Bei einem Grillstand halt ich dann an und wähle mir vier Spieße aus. Ein Knirps von vielleicht 10 Jahren kommt meinem Wunsch nach und macht sich eifrig an die Zubereitung der Spieße. Abwechselnd schaut er ungläubig, nein eher überrascht, zu mir, dann wieder auf die Spieße. Es scheint hier nicht so häufig vorzukommen, dass eine Langnase wie ich, hier was bestellt. Ich werde nun Zeuge absoluter philippinischer Improvisationskunst, vorgeführt von dem 10 jährigen Dreikäsehoch. Im ersten Moment dachte ich, er wäscht sich an einem der kleinen Wasserfälle, welche noch von der Planen stürzen, die Hände. Aber nein, weit gefehlt, wer kennt das nicht, man grillt und dann fangen die Kohlen an brennen, was ja nicht sein soll. Tja und mit dem Wasser, was einem gerade frei Haus vom Himmel geliefert wurde, löscht man das Feuer. Ist doch ganz einfach oder? Ich gebe zu, in Deutschland hätte ich das auch nicht so komisch gefunden, ein deutscher Lebensmittelkontrolleur wäre wahrscheinlich an seinem dadurch verursachten Herzinfarkt gestorben, aber hier und jetzt ist es einfach eine Situation, wie sie passender nicht sein kann.

Ich bezahle meine vier Spieße, für die Zwergel 46 Pesos aufruft, auf die 4 Pesos Wechselgeld für meinen 50 Peso Schein verzichte ich, immerhin habe ich ihn ungefragt während seiner Grillarbeit gefilmt.

Ich lasse mir die Spieße während ich zurückgehe, und mir weiter nasse Füße hole, schmecken. Ich fühle mich großartig obwohl nun wirklich nichts besonderes passiert ist. Aber ich fühle mich wie auf den Philippinen, hier wollte ich hin, hier will ich Monate bleiben. Und dazu gehören auch nasse Füße, schlammige Straßen, Gehupe, Abgase, Essen am Straßenrand usw. Nach der ersten Lebensmittelvergiftung werde ich das vielleicht anders sehen, aber im Moment sagt mir mein Gefühl, dass ich keine bekomme.

Bald darauf bin ich wieder in der Unterkunft. Ich bemerke, dass ich wieder die ganze Zeit gelaufen bin und das ist, glaube ich, recht unphilippinisch. Das macht jedoch genau gar nix, ich will nämlich auch kein Philippino sein. Ich will ein Deutscher auf den Philippinen sein und genau so fühle ich mich gerade. Heute Abend ist alles richtig gelaufen.

Ein perfekter Abend? Nein, leider nicht. Nach meiner großherzigen Tat mit dem Eis war ich so berauscht von mir selber, dass ich schlicht vergessen habe, warum ich eigentlich im Einkaufscenter war, nämlich um Taschentücher zu kaufen. Nun tropft meine Nase.

© Frank P., 2010
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Die Reise
 
Worum geht's?:
6 Monate auf unbekannten Wegen. Über und unter Wasser.
Details:
Aufbruch: 04.11.2010
Dauer: 6 Monate
Heimkehr: 30.04.2011
Reiseziele: Philippinen
Der Autor
 
Frank P. berichtet seit 13 Jahren auf umdiewelt.