Ich braus dann mal davon - einmal um die Welt
Cali
Unter mir leuchtet saftiges gruenes Land. Wie wohltuend fuers Auge nach all den Wuesten und Steppen, die ich in den vergangenen Wochen gesehen habe. Das ist es also, das schoene, schreckliche Land Kolumbien. Anflug auf Cali, vor nicht allzu langer Zeit als eine der moerderischsten Staedte der Welt bekannt.
Entsetzt hatte mich meine Taxifahrerin auf dem Weg zum Flughafen in Guyaquil angeschaut, als ich erzaehlte, dass ich nach Cali fliege. "Das ist gefaehrlich", meinte sie. "Ach, alle Orte in Suedamerika sind mehr oder weniger gefaehrlich", antworte ich. "Man muss halt aufpassen. Und mit den ganzen Drogengeschaeften in Kolumbien habe ich ja nichts zu tun." - "Aber sie nehmen Touristen dort als Geiseln". Die Taxifahrerin wirkt ehrlich besorgt. Ich gebe zu: ich bin ein bisschen nervoes.
Sanft setzt die Maschine der TACA-Airlines auf. Es ist ein herrlich leuchtender Nachmittag. Die Passkontrolle ist freundlich. Allerdings muss ich erstmals in Suedamerika meine beiden Zeigefinger fuer einen Abdruck hergeben - ein erster Hinweis, dass Kolumbien doch kein ganz so unkompliziertes Reiseziel ist...
Ich will das Flughafengebaeude verlassen, da baut sich eine kraeftige Gestalt vor mir auf. "Ihr Beleg, por favor". Was fuer einen Beleg will sie, um Gottes Willen, die grosse, breite, schwarze Polizistin, die mir tief in die Augen schaut. "Der Beweis, dass dies Ihr Koffer ist. Den brauche ich." Ich suche im Portemonnaie, in meiner Jackentasche. Nichts. "Es tut mir leid, ich habe ihn wohl verloren." Oh Gott, noch gar nicht richtig im Land und schon halb mit dem Gesetz auf Kriegsfuss. "Dann muessen Sie hier warten", sagt die schwarze Autoritaet. Ich bin zahm wie ein Kaninchen vor Ihrem Knueppel im Guertel. Da kommt ein Maennchen von hinten angelaufen und ruft: "Señor, das haben Sie wohl verloren". Und gibt mir den kleinen Zettel mit dem Beweis. Die Polizistin schaut nun sehr sanft und laechelt. "Willkommen in Kolumbien."
Ich trete in die tropische Waerme. Sie ist nicht unangenehm, sie umarmt mich freundlich. Fuer 4000 kolumbianische Pesos loese ich das Busticket in die Stadt. Ich bin der einzige Auslaender hier. Helle, braune und schwarze Kolumbianer sitzen mit mir im Bus. Ich bin vorsichtig, klammere mich an meinen Rucksack und schaue aus dem Fenster. Zuckerrohrfelder ziehen vorbei, sozialistisch anmutende Wohnsiedlungen, die auch aus der DDR stammen koennten. Weiter mit dem Taxi zu meiner Unterkunft. Rechts und links ueberholen uns Mopeds. Eine schwarze Oma mit hohen Absaetzen unter ihren roten Schuhen rauscht mit durchgedruecktem Kreuz sehr laessig, sehr selbstbewusst vorbei. Wow, was fuer eine Frau, denke ich, sie war mindestens 66. Der aufrechte Gang der Frauen hier springt sofort ins Auge. Sie sind nicht Alle schoen, aber sie strahlen Alle ein riesiges Koerper- und Selbstbewusstein aus. Auch die, die fuer unseren Geschmack zu viel auf den Rippen und vor allem um die Hueften haben - sie verstecken nichts. Sie scheinen zu sagen: "Ja, schau her, das ist mein Koerper. Und er ist gut, er ist schoen, so wie er ist." Ich komme in meiner kleinen Pension im Viertel San Antonio an. Die junge Besitzerin empfaengt mich mit einer Tasse Kaffee. "Der ist nicht kommerziell, der kommt von einer kleinen Hacienda in der Naehe von Cali." Ich schwoere, das ist der beste Kaffee meines Lebens, er ist ehrlich und bitter. Und selbst, nachdem ich kraeftig Zucker beimische, bleibt er ehrlich und er selbst...
Ich lese ueber die Geschichte dieser Stadt: seit den 1970ern hat sich hier das beruechtigte Drogenkartell entwickelt. Nach dem Tod von Pablo Escobar in Medellin wurde das Cali-Kartell die fuehrende Drogenmafia im Land. Mitte der Neunziger wurde es zerschlagen. Doch immer noch ist Cali beruechtigtes Drogenhandelszentrum, ein gefaehrliches Pflaster, viele Gegenden gelten als unsicher.
Der Hunger treibt mich auf die Strasse. Es ist schon dunkel. In einem Tuerrahmen steht ein junger Schwarzer. Ich hoere ein Klacken. War das ein Klappmesser? Ich gehe schnell weiter, ganz schnell...
In einem kleinen Lokal lasse ich mich nieder. Hier sehen die Leute ganz normal aus, fast ein bisschen alternativ wie in Kreuzberg. Eine Schwarze grillt Wuerstchen und grosse Kaesescheiben vor der Tuer. Bier gibt es keins, also Cola mit wuerzigem Kaese. Ein schmaechtiger Mann in Stoffhose und Hemd und Krawatte, das Haar hinten etwas laenger und leicht angegraut, kommt hastig heran. Er habe eine vierjaehrige Tochter, das Leben sei teuer. Dann beginnt er sehr schlecht zu singen. Von der "fuerza del amor", der Kraft der Liebe singt er, doch die Toene trifft er kaum. Eine Studentin spendet trotzdem Applaus und schiebt ihm einen Schein zu. Ich gebe ihm auch 1000 Pesos - ich bin ja so froh, dass hier gesungen und nicht geschossen wird...
Bisher ist Alles gut gegangen, aber ich habe mich auch ausschliesslich im Viertel San Antonio bewegt, das der Reisefuehrer als "realtiv sicher" einstuft. Doch jetzt unternehme ich einen Ausflug ins Zentrum. Nach dem Ueberqueren der ersten grossen Strasse wird die Haesslichkeit und die Armut von Cali offensichtlich. Hochhaeuser stehen wie quer im Weg rum, Bruecken ueber den Fluss sind gesperrt und dienen als Parkplatz. Alles wirkt ein bisschen verwahrlost und heruntergekommen. Ich will das festhalten. Kann ich meine Kamera hier rausholen? Ich schaue mich vorsichtig um. Ich bin auf einem Gruenstreifen am Ufer des Flusses. Keine Menschen in unmitelbarer Naehe. Auf, die Kamera raus, das Objektiv in Richtung Fluss. Da trifft mich der Schlag. Ich sinke zusammen. Was war das? Neben mir auf dem Boden liegt laessig eine aufgeplatzte Mango. Ups, das war knapp.
"Rache ist suess", denke ich und kaufe mir am naechsten Stand eine huebsch aufgeschnittene Mango. "Mit Salz und Zitrone?", fragt der Verkaeufer so selbstverstaendlich, dass ich bejahe. Meine Schleimhaeute ziehen sich erschrocken zusammen, es schmeckt scheusslich. Warum um Gottes Willen streuen die Kolumbianer Salz auf suesse Fruechte? Mein Verhaeltnis zu Mangos ist nachhaltig gestoert.
Auf der Plaza de poetas schau ich den Schreibmaschinenschreibern fasziniert bei der Arbeit zu. Ein Dutzend Herren, die fuer die Kundschaft Behoerdenschreiben verfassen. In Zeiten des allgegenwaertigen Computers, unglaublich.
Ich nehme wieder die Kamera raus und hoffe, dass ich diesmal in Ruhe Bilder schiessen kann - da erfolgt der naechste Angriff in Form einer in die Jahre gekommenen, aber immer noch ganz huebsch anzusehenden Frau. Sie drueckt mit einen Zettel in die Hand und bietet mir ihre Dienste an. "Manikuere, Pedikuere, Massage", sie arbeite in einem Spa ganz in der Naehe. Tja, denke ich, und dann sitzt ploetzlich statt der Masseurin ein Guerillero auf mir drauf, der mich fesselt und in den Urwald verschleppt. "Nein, nein, vielen Dank, vielleicht ein anderes Mal." Sie schaut mich ganz treuherzig an und fragt, was ich hier mache. "Ich bin Journalist aus Deutschland." - "Oh, dann musst Du heute abend auf die Eroeffnung der Filmfestspiele gehen", sagt die Spa-Frau. "Filmfestspiele? Hier in Cali?", frage ich. "Ja ja, komm ich bringe Dich in das Organisationsbuero." - "Hmmm, ist das weit?", frage ich immer noch in Angst, meine Entfuehrung stuende kurz bevor. - "Gleich da vorn, in dem braunen Gebaeude, ich bring Dich hin". Ich beschliesse, das Risiko einzugehen. "Wie heisst Du?" - "Ximena". Ximena fuehrt mich an Sicherheitskontrollen vorbei in das Kulturamt der Stadt. Ueber lange Flure gelangen wir schliesslich zum Pressechef des Filmfestes, der mir meine Akkreditierung aushaendigt. "Ja, kommen Sie heute abend zur Eroeffnung", ruft mir seine Assistentin noch nach. "Ziehen Sie sich aber einen Anzug an!". Stimmt, ich sehe ein bisschen abgerissen aus. Ximena scheint mich trotzdem zu moegen. "Komm, ich zeige Dir noch die Kirche La Merced", doch ich traue ihr immer noch nicht so recht. "Ich muss noch was erledigen, wir sehen uns heute abend auf der Eroeffnungsfeier!"
Der Eroeffnungsfilm zeigt Vampire, die in Cali Angst und Schrecken verbreiten. Viel Blut, am Ende ist das Publikum durch eine Projektion auch auf der Leinwand zu sehen, ueber unseren Koepfen kreisen die Vampire. Beim Rausgehen spricht mich eine TV-Reporterin an. Sie will unbedingt ein Interview mit dem deutschen Journalisten. Sie fragt mich, was fuer Filme ich denn so machen wuerde, und ich erzaehle ihr von unserer Heavy-Metal-Kreuzfahrt in der Karibik. Ich bin mir nicht sicher, ob mein Auftritt gerade live in ganz Kolumbien ausgestrahlt wird. Ich fuehle mich geschmeichelt, in Cali eine so gefragte Person zu sein. Est spaeter wird mir schlagartig bewusst, dass das nicht unbedingt sehr klug war. Je prominenter die Geisel, desto hoeher die Aurmerksamkeit und desto hoeher das Loesegeld fuer die Rebellen der FARC im Urwald. Das haette ich beinahe vergessen....
Aufbruch: | 07.10.2011 |
Dauer: | 3 Monate |
Heimkehr: | 15.01.2012 |
Peru
Ecuador
Kolumbien