Ich braus dann mal davon - einmal um die Welt
Gut aufpassen in Medellin!
Wenn man auf dem Flughafen Rio Negro bei Medellin ankommt, fuehlt man sich in den Schwarzwald versetzt. Nadelholz, steile Abhaenge, dazu ein Wetter wie an einem trueben Sommertag in Villingen-Schwenningen.
Mein Hotel liegt im Zentrum, ganz in der Naehe der Plaza Botero. 23 Moumentalskulpturen des beruehmten Bildhauers stehen und liegen auf dem Platz rum. Als ich Boteros Werke erstmals in Berlin gesehen habe, dachte ich, dass seine ueberbordenden Frauenfiguren stark ueberzeichnet sind. Nun sehe ich, dass nicht wenige der Bewohnerinnen Medellins einen ganz aehnlichen Koerperbau haben wie Boteros Plastiken...
Ich beobachte und fotografiere wie sie vor den fuelligen Figuren posieren. Immer wieder kommen Leute auf mich zu und warnen mich: "Pass auf mit Deiner Kamera, hier gibt es viele Diebe." "Pass auf, Dein Rucksack ist offen, das ist gefaehrlich". Es scheint, als sei halb Medellin um mich und meine Kamera besorgt. Wieder komt eine Frau auf mich zu, ganz sanfte Augen hat sie, sie ist vielleicht 55. Wo ich denn herkomme? "Aus Deutschland." - "Ah, Alemania", sagt sie, "das sind gute Leute." - "Na, es gibt ueberall solche und solche", sage ich. "Hier musst Du aufpassen", meint sie, "es gibt viele Kriminelle. In welchem Hotel wohnst Du?" fragt sie weiter. Ich werde argwoehnisch, warum will sie das wissen. Aber ihre Augen sind so sanft, dass es mir schwer faellt zu glauben, sie fuehre etwas Boeses im Schilde. "Im Botero Plaza", sage ich. "Das ist ein gutes Hotel", meint sie. "Aber Du kannst auch bei mir wohnen. Ihr Leute aus Europa seid sehr kultiviert, willst Du nicht bei mir wohnen, ich lade Dich ein." Ups. Das geht mir jetzt doch zu weit. Ich danke hoeflich und versuche mich davon zu machen. "Ich muss noch arbeiten, noch fotografieren", sage ich. "Ist gut", sagt sie ganz sanft. Ich schaeme mich ein bisschen. Wo in Europa wuerde einem so etwas passieren? Eine solche Gastfreundschaft? Und sie haelt uns fuer viel kultivierter als die Kolumbianer! Wenn sie wuesste! Was fuer ein Schock waere das fuer sie, nach Deutshcalnd zu kommen, wo sich wahrscheinlich kein Mensch fuer sie interessieren wuerde. Ich bin mir sicher, dass die Frau tatsaechlich keinerlei Hintergedanken hatte. Sie wollte mich weder ausrauben noch verfuehren, sondern einfach nur eine gute Gastgeberin sein....
Schuesse zefetzen den Morgen. Im Kugelhagel stuerzt ein Mann vom Dach. Es ist Pablo Escobar, der maechtige Drogenbaron. Wir schreiben den 2. Dezember 1993. Escobar war der grosse Boss des Drogenkartells von Medellin. Es kontrollierte zu seinen besten Zeiten 80 Prozent des weltweiten Handels mit Kokain. Escobar zahlte fuer jeden toten Polizisten ein Kopfgeld von 1000 Dollar. Medellin galt mit 381 Morden pro 100.000 Einwohner als moerdrischster Ort der Welt. Nach seinem Tod zerfiel das Kartell. Doch noch Jahre tobte der Kampf im Machtvakuum. Erst in den letzten Jahren kam Medellin etwas zur Ruhe. Heute ist die Mordrate auf 26 pro 100.000 Einwohner gesunken - fast normales Grosstadtniveau... In bestimmten Gegendem und vor allem im Zentrum ist es allerdings immer noch gefaehrlich, vor allem nach Einbruch der Dunkelheit. Ich eile in mein Hotel. Noch immer rufen mir Menschen, die meine Kamera sehen, zu: "Pass auf, es ist gefaehrlich hier".
Am naechsten Tag beschliesse ich einen Ausflug, mit der Metro zu machen. Medellin ist Kolumbiens einzige Stadt mit Metro. Sie faehrt ueberirdisch, 35 Kilometer ist ihr Streckennetz, alles ultramodern, sauber und bestens organisiert. Da kommt ein Polizist auf mich zu (ueberall in der Metro stehen Sicherheitsleute herum): "Pass auf die Kamera auf", sagt er, "das ist gefaehrlich hier." Ja ja, ich weiss schon, ich passe auf und fotografiere weiter. In der Bahn betrachten die Menschen den fotografierenden Gringo mit hoeflichem Interesse. Sie scheinen sich zu freuen, dass ein Europaer mit ihnen faehrt. San Javier ist die Endstation, hier steige ich um in die spektakulare Metrocable, eine Seilbahn, die zu den Slums schaukelt, die sich hoch in die Berge hineingefressen haben. Je hoeher, desto aermer. Bald gibt es keine Strassen mehr, die Haueser werden zu Huetten mit Wellblechdaechern. Erst ganz oben in Aurora gibt es wieder richtige Haeuser, 10, 11 Stockwerke hoch, die stark an sozialen Wohnungsbau erinnern. Der Ausblick ist spektakulaer. Das Zentrum von Medellin liegt ganz weit unten mitten in einer riesigen Gewitterwolke. In anderen Teilen der Stadt scheint die Sonne. Dann fallen die ersten Regentropfen, und ich beschliesse, wieder runter zu fahren. Blitze zucken, Donner grollt. Die Metrocable beginnt bedenklich im Wind zu schaukeln. An der naechsten Station, mitten im aermsten Slumgebiet muessen Alle aussteigen. Die Metro stellt ihren Betrieb bis auf Weiteres ein. Muss das ausgerechnet hier passieren? denke ich, etwas nervoes schaue ich mich um, wer hier sonst noch so gestrandet ist. Auffallend viele junge Menschen mit kleinen Kindern. Ein schwarzer Papa von vielleicht 18 Jahten huellt seinen vierjaehrigen Sohn liebevoll in eine Jacke, als der Regen immer weiter in die Station hineinpeitscht. Die Psychologin Lucy hatte mir erzaehlt, dass es in Kolumbien ueberdurchschnittlih viele junge Eltern gibt. Ich hatte das mit Verwahrlosung und Perspektivlosigkeit fuer die Kleinen gleich gesetzt. Doch hier sehe ich nur junge Eltern - selbst noch Kinder - die sich sehr liebevoll ihrer Brut annehmen. Bestimmt erzeugt die junge Elternschaft auch viele Probleme, hier zu sehen sind sie aber nicht. Eine Stunde dauert die Gewitterpause. Als ich wieder einsteige, sitzt eine junge Frau neben mir, die heftig niest und schnupft. Erkaeltung in den Tropen. Auch ich friere und beschliesse nicht laenger als unbedingt noetig in Medellin zu bleiben. Schliesslich bin ich nicht nach Suedamerika gekommen, um verregnetes Schwarzwaldwetter zu haben. Mich beschleicht der Verdacht, dass die Gefahr, sich zu erkaelten hier groesser ist als Opfer eines Raubueberfalls zu werden. In Cali waren es die herunterfallenden Mangos, hier ist es der kalte Regen, der Unheil von oben bringt.
Als ich am naecshten Morgen aufwache, hoere ich schon den Regen prasseln. Nichts wie weg, direkt vom Fruehstueck eile ich in ein Buero der Fluggesellschaft Avianca. Es ist noch zu, an einem kleinen Stand ordere ich einen Capucchino und blaettere in der Zeitung Republica. Auf Seite vier stehen die grossen Leitartikel. "Quien recuerda a Kleist?", steht da in grossen Lettern. "Wer erinnert sich an Kleist?" Und es folgt ein langer ausgezeichneter Kommentar anlaesslich des 200. Todstages von Heinrich von Kleist. Ich bin geruehrt. Wer vermutet schon, in Medellin, der ehemaligen Gewaltmetropole Kolumbiens, profunde mit deutscher Literatur konfrontiert zu werden. Der Autor des Artikels schreibt sehr einfuehlsam ueber Kleists Freitod am Wannsee. Er hebt hervor, dass Kleist ein Reisender um des Reisens willen war. Ohne Zweck. Ploetzlich wird mir ganz mulmig. Bin ich auch so ein zwecklos Reisender wie Kleist?
Ich habe noch Zeit, an einer Pablo Escobar - Tour teilzunehmen, die neuerdings von einem pfiffigen Veranstalter angeboten wird, der erkannt hat, dass das groesste touristische Potential Medellins in seiner Drogengeschichte liegt. Mit 15 anderen jungen Gringos besuche ich das Grab Escobars, das Haus, wo er erschossen wurde und - als fragwuerdiger Hoehepunkt der Tour - eines seiner vielen Haeuser, wo noch heute sein Bruder Roberto lebt. Roberto war einer der fuehrenden Koepfe des Drogenkartells von Medellin und sass zehn Jahre Gefaengnis ab. Es ist seltsam, ihm zuzuhoeren, wenn er liebevoll ueber seinen Bruder Pablo spricht, der ja Tausende Menschen auf dem Gewissen hat. Jahrelang lebten die Menschen in Medellin in Angst, weil jederzeit eine Autobombe hochgehen konnte. Die Mafia herrschte ueber weite Teile der Stadt. Roberto Escobar gibt heute den reumuetigen Mann, der nur noch Gutes im Sinn hat. Er widme sich ganz der AIDS-Forschung. "In zwei Jahren wird die Welt sehen, dass ich den Virus besiegt habe", meint er stolz.
Botero ist omnipraesent in seiner Heimatstadt Medellin. Ob im Museo de Antioquia (so heisst die Region mit der Hauptstadt Medellin)
Daraufhin machte Botero eine zweite und setzte sie daneben, um zu demonstrieren, dass Frieden staerker ist als Gewalt
Es scheint ein weltweites Gesetz zu sein, dass in der Metro die Menschen die Muedigkeit ueberfaellt...
Beim Hochladen ging einiges Durcheinander, daher sind wir nun wieder auf der Plaza de Botero, ein beliebter Spielplatz
Es ist unmoeglich, keine Aehnlichkeit zwischen den Botero-Figuren und einigen Bewohnerinnen Medellins festzustellen
Auch die Strassenbeleleuchtung scheint sich dem Einfluss Boteroscher Rundungen nicht entziehen zu koennen....
PS
Moeglicherweise ist das mein letzter Blogeintrag vor Weihnachten. Am 21.12. fliege ich nach Frankfurt. Um Silvester rum bin ich ein paar Tage in einer der grossartigsten Staedte ueberhaupt: Berlin (die Kolumbianer assoziieren Berlin uebrigens immer noch sofort mit der Mauer - so wie wir Medellin sofort mit dem Drogenkartell Escobars gleichsetzen. Beides ist rund 20 Jahre her....). Anfang Januar setze ich die Reise dann fort...
Aufbruch: | 07.10.2011 |
Dauer: | 3 Monate |
Heimkehr: | 15.01.2012 |
Peru
Ecuador
Kolumbien