Ich braus dann mal davon - einmal um die Welt
Der (un)puenktliche Schamane
Wir sind aufgeregt, wir wollen den beruehmtesten Schamanen Boliviens, Calixto, treffen. Und eine traditionelle Aymara-Zeremonie mit ihm feiern. Calixto ist ein gefragter Mann, er haelt Vortraege ueberall auf der Welt, es ist ein Glueck, dass er gerade daheim in Bolivien weilt. Wir haben uns um 13.30 Uhr an der Polizeistation von El Alto mit ihm verabredet. Nach ersten Erfahrungen in Bolivien richten wir uns auf eine laengere Wartezeit ein, doch der Schamane kommt - mit Plastiktueten in der Hand - puenktlich auf die Minute. "Tiempo Aleman"- deutsche Puenktlichkeit, scherzen wir. Allerdings muessen wir noch kurz bei ihm daheim vorbei - er braucht noch sein traditionelles Gewand und einige Zutaten fuer die Zeremonie. Calixto hat sechs Kinder, die juengste Tochter ist daheim und begruesst uns herzlich, zwei Hunde bellen uns weniger freundlich an. Dann geht es los ueber die bizarre Hochebene des Altiplano. Calixto fragt uns, wie viele Kinder wir haben. Er ist sehr verwundert, dass ich noch nicht Vater bin.
Am Titicacasee angekommen, biegen wir links von der Strasse ab und beobachten ein altes Bauernpaar bei der Arbeit aauf dem Feld. Ein Stier zieht muede den Pflug durch den kargen Boden, die Alte wirft zahnlos laechelnd den Samen aus - und verlangt gleich ein paar Bolivares fuer die Fotos, die wir schiessen. Sie spricht Aymara. Ich verstehe immer irgendetwas wie "Hut ab" - dabei habe ich gar keinen Hut auf (kleiner Hinweis: ich plane noch eine kleine Wortspiel-Ecke im Reiseblog, folgt).
Die Aymara-Zeremonie
Ueber eine schmale Landzunge gelangen wir auf eine Halbinsel. Calixto faengt gleich an, trockenen Kuhdung vom Feld aufzusammeln. Dann geht er ein paar Schritte runter zu einer Huette eines Bauern, auf dessen Gelaende die heilige Staette liegt, wo er die traditionelle Aymara-Zeremonie durchfuehren moechte. Calixto muss erst einmal beweisen, dass er ein echter Schamane ist und kein Scharlatan, der ahnungslose Touristen abzockt.
Dann steigen wir hoch zu einem bizarren windgeschuetzten Fels-Ensemble mit einem sagenhaften Ausblick ueber den Titicacasee und die schneebedeckten Andengipfel im Hintergrund. Ohne Zweifel haette der Ort auch ohne die Anwesenheit des Schamanen magische Ausstrahlung. Calixto ist inzwischen im traditionellen Gewand. Amulette baumeln vor seiner Brust, selbst die bunte Stoffmuetze verleiht ihm Wuerde.
Dann geht es los: Calixto erklaert mit ruhiger Stimme den Kosmos der Aymara. " Es gibt keine Tod bei uns. Alles ist lebendig. Unsere Vorfahren, die Tiere, die Pflanzen, die Sonne, der Mond." Zentrale Bedeutung hat "Pachamama" - die Mutter Erde. "Waehrend im Christentum das Erdinnere mit der Hoelle assoziiert ist als Gegenkonzept zum Himmel, ist uns die Erde heilig", erklaert Calixto. "Und deshalb bitten wir nun Pachamama um Vegebung fuer Alles, was ihr angetan haben. Fuer die Umweltverschmutzung, fuer Alles, was uns von ihr trennt." Einklang mit der Natur, das ist ein originaeres Aymara-Konzept; und wohl deshalb ist der Schamane gerade ueberall auf der Welt ein gefragter Mann. Koennen wir etwas von den Aymara lernen?
Calixto breitet vor unseren Augen ein Sammelsurium an rituellen Gegenstaenden aus: Koka-Blaetter, Kraeuter, kleine Plaetchen, bunt bemalt mit Tieren, Autos, FLugzeugen, ja sogar ein Plaettchen mit Dollar und Euro-Zeichen liegt auf der heiligen Erde. Dazu ein Stueck Fett von einem Lama-Hoecker.
Der Kosmos der Aymara ist bunt, Alles auf der Welt und im Himmel gehoert dazu. Alles haengt mit Allem zusammen. Und deshalb sollten wir auch auf Alles Ruecksicht nehmen. "In der westlichen Welt gibt es die Menschen und Objekte. Bei uns gibt es diesen Gegensatz nicht. Objekte kann man ausbeuten, wir duerfen das nicht. Alles gehoert zum Leben dazu."
Wir muessen uns reinigen. Calixto giesst reinen Alkohol in unsere Haende, damit waschen wir unser Gesicht. Dann schwenkt jeder von uns einen Beutel mit Krauetern mit der linken Hand. Anschliessend muessen wir drei Mal kraeftig in den Beutel hineinpusten, alle negative Energie, alle schlechten Gedanken sollen so in dem Beutel verschwinden.
In der Mitte liegt der "Tisch" mit all den rituellen Gegenstaenden, die wir nach und nach zu einem Mosaik zusammen setzen, das den Kosmos darstellen soll. Die Kokablaetter sind besonders wichtig: sie ermoeglichen dem Menschen den direkten Kontakt zur Natur. Daher verdammt Calixto auch das Ansinnen der Amerikaner, den Koka-Anbau zu verbieten.
Calixto wirkt nachdenklich. Man spuert, dass er sich Sorgen macht um den Zustand der Erde. Unsere Zeremonie naehert sich dem Ende. Es ist schwierig, das Alles aufzunehmen und gleichzeitig zu filmen - denn schliesslich will ich Alles dokumentieren, was Calixto erzaehlt und an rituellen Handlungen vornimmt.
Am Ende fassen wir uns Alle an den Haenden - auch unser Fahrer ist inzwischen zu uns gestossen und nimmt andaechtig an der Zeremonie teil. Wir rufen irgendetwas schwer Aussprechbares wie "Ayakuttlatlaaya" in die kalte Nachmittagsluft. Immer wieder "Ayakuttlatlaaya" und bekraeftigen so unsere harmonsiche Vereinigung untereinander und mit dem gesamten Kosmos. Mit unseren Familien und unseren Vorfahren. Ein Gaensehauterlebnis. Dann fordert uns Calixto zu unserer Ueberraschung auf, gemeinsam das "Vaterunser" zu beten. Jeder in seiner Sprache: auf Aymara, Spanisch und Deutsch.
Dann verbrennt Calixto den gesamten Kosmos, Rauch steigt auf ueberm Titicacasee. Alles Schlechte ist weg. Calixto zeigt uns einen Plan. Er wuerde gerne ein grosses oekumenisches Zentrum am Ufer des Titicacasees errichten , in dem alle Religionen miteinander beten und meditieren koennen. Er fragt, ob das Lateinamerikahiflswerk Adveniat, in dssen Auftrag wir in Bolivien unterwegs sind, so etwas unterstuetzen wuerde.
Auf dem Rueckweg nach El Alto klingelt das Handy des Schamanen. Er hat einen Termin vergessen. Er ist wohl doch nicht immer puenktlich, der Schamane. Um sieben soll er eine Totenmesse halten, eine katholische!. Um halb acht steht Calixto in einer Kapelle in El Alto und bekreuzigt sich. Und troestet als katholischer Diakon die Trauergemeinde: "Bei uns Aymara existiert der Tod nicht."
Aufbruch: | 07.10.2011 |
Dauer: | 3 Monate |
Heimkehr: | 15.01.2012 |
Peru
Ecuador
Kolumbien