Nicas und Ticos - Jan/Feb 2010
Nicaragua: Miguel aus Santa Cruz
Ich heisse Miguel
"Me llamo Miguel." - "Ich heiße Miguel."; "Tengo hambre." - "Ich habe Hunger." sagt er.
Leise. Wir hören ihn kaum. Dann noch:"¡Por favor!" Flehend.
Das geht doch nicht! Gerade noch sitzen wir bei unseren Enchiladas, dann kommt diese kleine zerlumpte Gestalt an unseren Tisch.
Es ist nicht so wie beim alten vietnamesischen Bettler, dem ein Bein fehlte. Oder der Losverkäuferin mit ihren verkrüppelten Händen in Malaysia. An ihm kann man nicht vorbeisehen, ihn ignorieren.
Mit seinen großen, traurigen Augen sieht er uns an und brennt uns ein Loch ins Herz.
Ich sage: "Setz dich zu uns." Er sieht uns nur an, versteht uns nicht. Oder hat er Angst?
Wir zeigen auf den freien Stuhl, dann nimmt er Platz. Langsam. Als er auf der letzten Ecke des Sessels endlich sitzt senkt er den Blick. Er weiß nicht was er tun soll, wenn er nicht so hungrig wäre würde er wahrscheinlich weglaufen. Jedoch - wer Hunger hat kann sich keine Angst leisten.
Dann bestellen wir und ich frage Miguel wo sein Vater ist. "Er arbeitet." flüstert er. "Und deine Mutter?" - "Zu Hause, bei meiner Schwester."
"Wo wohnst du?" - "Hier, in Santa Cruz"
"Gehst du zur Schule?" Er schüttelt den Kopf.
Endlich kommt sein Essen, endlich hat das Warten ein Ende. Er isst langsam, geduckt über den Teller. Niemand würde ihm heute das Essen streitig machen. Als er halb aufgegessen hat sieht er uns wieder an. Dankbar diesmal. Er zeigt auf den Rest: "Por mi hermana." - "Für meine Schwester." Er will den Rest mitnehmen, nach Hause.
Miguel steht auf, das restliche Essen ist verpackt. Mit beiden Händen hält er das kleine Bündel. Noch einmal hebt er den Blick und sagt "Gracias Señores." Dann dreht er sich um und geht langsam davon.
Wir sehen ihm nach wie er davonhinkt auf seinen dünnen Beinchen, einmal blickt er sich noch um. Uns ist zum Weinen.
Sein Name ist Miguel und er ist aus Santa Cruz, Nicaragua.
Me llamo Miguel
"Me llamo Miguel." - "Ich heiße Miguel."; "Tengo hambre." - "Ich habe Hunger." sage ich. "¡Por favor!" Ach, wenn ich doch heute Glück hätte.
Die beiden Gringos essen. Enchiladas. Wie lange ist es her, dass Mama so etwas für uns gemacht hat? Ich weiß es nicht mehr.
Mein Bauch tut weh. Und mein Knie. Seit ich vor einigen Tagen hingefallen bin beim Weglaufen.
Der Mann sagt etwas, zuerst verstehe ich ihn nicht. Er zeigt auf einen Stuhl. Will er dass ich mich hinsetze?
Ich setze mich langsam, doch ich muß vorsichtig sein. Ich weiß es von José. Und der von seinem Onkel, er lebt in der großen Stadt, in Managua. Gringos nehmen Kinder mit, so sagt er. In Managua weiß das jeder.
Mein Hunger ist größer als meine Angst, vielleicht gibt mir die Frau etwas ab. Sie sieht nett aus aber was sie sagt verstehe ich nicht.
Der Mann fragt wo mein Vater ist. "Arbeiten." Sage ich. Vor zwei Jahren ist er nach Costa Rica gegangen. Dort würde es Arbeit für ihn geben hat er gesagt. Seither haben wir nichts mehr von ihm gehört. Wo meine Mutter ist will der Gringo wissen. Ich erkläre ihm dass sie bei meiner Schwester zu Hause ist. Dass meine Schwester schon lange krank ist sage ich ihm nicht. Dass ich aus Santa Cruz bin sage ich ihm auch noch und dass ich nicht zur Schule gehe. Wie sollte ich in die Schule gehen wo meine Mutter doch kein Geld hat?
Endlich kommt das Essen, wie es duftet! Ein ganzer Teller nur für mich! Ich kann mich heute Sattessen. Wenn mich Mama jetzt sehen könnte! Was sie wohl sagen würde? "Miguelito, du weißt doch wie krank deine Schwester ist. Willst du ihr nichts abgeben?" Das würde sie sagen! Ich schäme mich und höre auf zu Essen. Die Gringos helfen mir das übrige Essen einzupacken.
Dann stehe ich auf, sofort will ich nach Hause. "Gracias Señores." Ich bedanke mich, genau so wie Mama es mir beigebracht hat. Dann drehe ich mich um und gehe. Ich muß langsam gehen, wenn nur mein Knie nicht so wehtun würde.
Noch einmal blicke ich mich um, die Gringos schauen mir traurig nach. Warum sind sie traurig, wo doch heute so ein guter Tag für mich war?
Für mich, Miguel aus Santa Cruz, Nicaragua.
Aufbruch: | 17.01.2010 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 11.02.2010 |
Costa Rica