Kulturland TÜRKEI - 2010
Dogubayazit / Türkei
Die Fahrt entlang des Südufers des Vansees zeigt eine pittoreske Landschaft, aber der Schein trügt: Das Leben der Landbevölkerung ist hier sehr hart.
Wir waren wohl auf einem Seelenverkäufer. Erst ging das Benzin aus, dann streikte der Motor, so dass wir von einem anderen Schiff ins Schlepptau genommen wurden!
Samstag, 15. Mai 2010 16. Tag Dogubayazit/Türkei
Obwohl müde, konnte ich erst spät einschlafen. Der immense Straßenlärm, der höllische Lärm im Hotel - schwer, sich daran zu gewöhnen. Um 5 Uhr sind wir beide wach und stehen auf. Das Hotel ist erst 2002 erbaut, war sicher einmal sehr schön, doch heute ist es heruntergekommen und sehr ungepflegt, wie auch die Angestellten. So verzichten wir auf das Frühstück im Hotel und gehen 3 Schritte zu einer Bäckerei. Dort ist alles piccobello sauer und ein hervorragender Service. Wir haben 3 große Tee, warmen Börek (Strudel, gefüllt mit Schafskäse), Sesamkringel, alles für 3 Euro. Um 8 Uhr ist das Motorrad geladen und wir fahren nun am Südufer des Vansee entlang. Ein pittoreske Landschaft aufs Weizenfeldern, graubrauner Bergsteppe, Bächen und grünen Wiesen. Aber die Idylle täuscht. Das Leben der Landbe-völkerung ist hier sehr hart. Wir überqueren den Kuskunkiran-Pass, 2.234 m, und erreichen die Fähranlegestelle, um auf die Insel Akdamar im Van-See überzusetzen. Die Schiffe, die wir sehen, sind die reinsten Seelenverkäufer. Es gibt keinen Fahrplan. Man wartet, bis das Schiff voll ist und dann geht es los. Wir müssen zunächst mal von einem Schiff auf ein anderes umsteigen. Und dann, mitten auf dem See, bleibt der Kahn liegen: Kein Benzin mehr und irgendetwas ist defekt. Nach ca. 10 Minuten kommt ein anderes Boot und nimmt uns ins Schlepptau bis zur Insel, wo die armenische Heiligkreuzkirche auf uns wartet, eines der meistfotografierten Motive der Osttürkei. Die Legende berichtet, dass Gagig I. (904-937) hier eine Sommerresidenz errichten ließ. Aber von den Bauten Gagigs I. ist nur noch die Heiligkreuzkirche erhalten, die der König zusammen mit einem Kloster stiftete (erbaut 915-921). Die Kreuzkuppelkirche verdankt ihre Berühmtheit nicht nur ihrer Größe (15 m lang, 12,5 m breit und 19 m hoch), sondern auch ihres reichen Außenschmuckes aus Tuffstein. Die Außenwände der Kirche sind reich mit Reliefs verziert, die viele bekannte biblische Geschichten darstellen, wie zum Beispiel die von Adam und Eva, Jona und dem Wal oder David gegen Goliath. Außerdem wurden auf den Reliefs 30 Tierarten entdeckt, die heute teilweise ausgestorben sind oder kurz vorm Aussterben sind. Ein derart reicher Skulpturenschmuck war zur damaligen Zeit sonst unbekannt. Im Inneren der Kirche sind die Wände mit zum Teil noch erhaltenen Fresken bemalt. Um die ganze Schönheit dieser Kirche zu erfahren, müsste man hier den ganzen Tag verbringen. Die Kirche war in der Vergangenheit stark beschädigt worden. 2005 beschloss die türkische Regierung die Restaurierung des historischen Bauwerks, nicht zuletzt durch Druck von Öffentlichkeit und Presse. Insbesondere der im Januar 2007 ermordete Journalist Hrant Dink hatte sich öffentlich für die Wiedereröffnung der Kirche eingesetzt. Am 29. März 2007 ließ die türkische Regierung die mittelalterliche armenische Kirche ohne christliches Kreuz als Kulturdenkmal eröffnen. Bei der feierlichen Eröffnung waren der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan sowie der Patriarch von Konstantinopel Bartholomäus I. und der armenische Patriarch Mesrop Mutafyan anwesend. Beide Kirchenführer sind türkische Staatsbürger. Letzterer bat den Kulturminister vergeblich um die Erlaubnis, einmal im Jahr dort eine Messe abzuhalten zu dürfen. Auf Einladung des türkischen Kulturministeriums kam auch eine offizielle Delegation des armenischen Kulturministeriums zu der Eröffnungsfeier. Karekin II. Nersissian, der oberste Patriarch und Katholikos aller Armenier, erschien trotz offizieller Einladung nicht. Er kritisierte, dass das Gebäude nicht als Kirche, sondern als Museum eröffnet wurde und dass die türkische Regierung die Nutzung der Kirche als Gotteshaus und das Aufrichten des Kreuzes auf der Kuppel verboten hat. Am 19. September 2010 wird die Kirche mit einem ersten Gottesdienst seit 95 Jahren wieder geweiht. Die Kirchenkuppel bekommt dann auch wieder ein Kreuz. So haben die Proteste doch genutzt. Es ist ein herrlicher Tag und viele Menschen nutzen den schönen Ort als Ausflugsziel für ein Picknick. Um 11.30 Uhr fahren wir zurück. Unser Motorrad wurde gut bewacht von einem Kurden, der früher in Hannover lebte und Deutsch sprach. Auf der Fähre lernen wir einen netten jungen Kurden kennen. Er besitzt einen deutschen Pass und stammt aus Berlin. Nun studiert er in Van und will Lehrer werden. Zu seinem Freundeskreis gehört auch ein junger Türke. Zwischen ihnen gibt es keine Feindschaft. Wir erfahren einiges über das Verhältnis Türken/Kurden und warum die Versöhnung so schwer ist. Am Ufer stärken wir uns mit einem köstlichen Zitronentee und fahren dann weiter nach Van. Die Stadt hat mehr als 500.000 Einwohner, darunter Flüchtlinge aus dem Iran und vertriebene Kurden. 274 Dörfer wurden während des türkisch-kurdischen Krieges dem Erdboden gleichgemacht. Die damaligen Bauern wurden nicht entschädigt. Sie betteln heute um Brot. Der Stadt geht es nicht gut. Es herrscht große Arbeitslosigkeit und die Touristen sind noch rar gesät. Einige wenige Kriegsgewinnler, die den vertriebenen Bauern einst für wenig Geld die Herden abkauften und das Fleisch mit riesigem Profit in den Westen der Türkei brachten, besitzen heute Wohnungen, die sie zu horrenden Preisen an illegale Iraner vermieten. Wir fahren zum Van Kalesi. Der 1.000 m lange, ca. 60 m breite und ca. 120 m hohe Felsen liegt westlich der Stadt. König Sardur I. ließ hier im 9. Jahrh. v. Chr. den Grundstein zum Bau einer Zitadelle legen. Die nachfolgenden Herrscher ließen die Burganlage aus- oder umbauen. Rolf fotografiert. Während ich auf das Motorrad aufpasse, beobachte ich die Familien, die in einem nahegelegenen Park zum Picknick kommen. Es ist erstaunlich, was sie aus ihren Autos oder Kleinlastern alles ausladen: Tische, Stühle, Bän-ke, Matratzen etc. und natürlich jede Menge Essen. Weiter geht unsere Fahrt am See entlang, eine herrliche Landschaft, mit den mehr als 4.000 m hohen schneebedeckten Bergen im Hintergrund. Eigentlich ein Paradies, wenn der Hass zwischen Türken und Kurden nicht wäre. Wir verlassen den Van-See und fahren ins Gebirge, ein erster Pass mit 1.910 m. Es wird merklich kälter und die Landschaft ändert sich, alles ist voller Lavagestein, es sieht wild und unwirklich aus. Das ist das Werk des Tendürek Dagi, eines Vulkans von 3.660 m Höhe. Wir kommen über den Tendürek-Pass, 2.640 m. Es ist lausig kalt und es liegt noch Schnee. Dann die Abfahrt. Man sieht die Elendquartiere der Leute und wie sie ihre Felder bestellen in Knochenarbeit. Trotzdem winken sie uns freundlich zu. Wir werden vom Militär kontrolliert. Sie sind sehr höflich und freundlich. Einer der Soldaten spricht Deutsch und winkt uns freundlich zu. Gegen 16 Uhr erreichen wir Dogubayazit, 1.950 m hoch. Die Straßen der kleinen Stadt im äußersten Osten der Türkei, nahe der Grenze zum Iran (35 km) sind voller Löcher. Wir sind dreckig wie Sau. Der Tankwart erklärt uns den Weg zum Hotel Nuh (+90 472 312 72 32). Das Zimmer ist sauber und hat einen tollen Blick auf den Ararat. Das Motorrad kann im abschliessbaren Innenhof abgestellt werden. Auf den Straßen wimmelt es von bettelnden Kindern, die recht aggressiv sind. Während ich auspacke und dusche, trinkt Rolf mit dem Hotelbesitzer Tee und erfährt die ganze Familiegeschichte. Er empfiehlt uns auch ein Restaurant zum Abendessen: Es gibt Lammkoteletts, Lamm- und Huhnspiess, Fladenbrot, Salat und Auberginengemüse, dazu Wasser. Kosten 12,50 Euro. Vom Fenster im 2. Stock des Lokals sehen wir den kleinen Ararat, 3.896 m hoch, und den großen Ararat, 5.137 m hoch. Ein phantastischer An-blick. Wir lernen einen Türken kennen, Ismael, der in Bad Urach zur Schule ging. Er leitet eine Kooperative für Mädchen, die zu Teppich-Knüpferinnen ausgebildet werden. Er erzählt uns, dass eine junge Frau wieder vom Vater für die Feldarbeit gebraucht wurde, sie sagte "Nein" zum Vater und kaufte dem Vater von ihrem ersparten Geld einen Traktor. Damit kaufte sie sich praktisch frei. In der Kooperative ziehen sie die Dorfältesten mit ein. Hier in den Familien sind die Frauen nur Nutzobjekte. Dieser Teil der Türkei gehört nicht in die EU - das ist die Meinung der Türken, die hier leben. Zurück im Hotel halten wir noch ein Schwätzchen mit dem Besitzer auf Englisch, trinken Tee und gehen früh schlafen.
Gefahrene Meilen: 200 (322 km).
Zwar ist von dem alten Kloster nicht viel erhalten geblieben, doch viele Türken nutzen den schönen Platz, um ein Familienpicknick zu veranstalten.
Ich sitze hier und beobachte, was sie alles anschleppen, Tische, Stühle, Matrazen - schier unglaublich.
Van Kalesi - der 1.000 m lange, 60 m breite und 120 m hohe Felsen liegt westlich der Stadt Van. König Sardur I. liess hier im 9. Jh. v. Chr. den Grundstein für eine Zitadelle legen.
Da die irakische Grenze nah ist, wurden wir oft von den Militärs kontrolliert. Die Soldaten waren freundlich, höflich und interessiert an unserer Harley.
In Dogubayazit nahmen wir ein schönes Hotel mit Blick auf den Berg Ararat. Das Hotel hatte einen abgeschlossenen Parkplatz, so dass die Harley sicher untergebracht war.
Aufbruch: | 30.04.2010 |
Dauer: | 5 Wochen |
Heimkehr: | 01.06.2010 |
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