Mit dem Motorrad über den nahen Osten in den hohen Norden
Im Land der Winde und der Störche
Eigentlich habe ich ja schon fast ein schlechtes Gewissen.
Ich glaube, ich bin schon ein wenig verweichlicht, denn seit Beginn meiner Reise übernachte ich in Steinwigwams statt in meinem Zelt.
Solange die Übernachtung mit Frühstück und Abendessen aber soviel kostet wie eine Übernachtung im Zelt am Gardasee, bin ich doch gerne als Frotteehöschen- Abenteurer unterwegs .
Ich geniesse also wieder ein tolles Frühstück mit Rührei und einem, sagen wir, Europe class Cappuccino, packe meine sieben Sachen und bin, wie sollte es anders sein, wieder mal viel zu spät unterwegs.
Mein heutiges Ziel, die kurische Nehrung, ist jedoch nicht soweit entfernt, die 300 km sollten gut zu schaffen sein.
Ich habe mir natürlich auch wieder ein Zimmer reserviert.
Diese Hotelbuchungssysteme wie booking.com sind schon genial, man sieht sofort den Preis und die Bewertung des Hotels und buchen geht auch ganz fix.
Zuerst geht weiter durch die Masuren (ehemals Vorpommern) Richtung litauische Grenze.
Die Landschaft ist recht weitläufig, sehr flach, viel bewaldet und von vielen kleinen Seen durchzogen, das Auenland aus Herr der Ringe liegt gar nicht in Neuseeland, sondern in Masuren.
Da dies ja auch mal Kriegsgebiet war, frage ich mich, während ich so daherfahre wie Kriegsführung eigentlich funktioniert?
Die Truppen können ja nicht großflächig überall sein, so viele Soldaten gibt es ja gar nicht. Also muss man sich doch quasi irgendwo verabreden, wo die Truppen dann aufeinandertreffen und man sich die Köpfe einschlagen kann.
Sonst würden ja die einen Truppen ins eine Land laufen und dieses besetzen und ein paar Kilometer weiter laufen die anderen Truppen ins andere Land und besetzen dies.
RTL hat aus dieser Idee übrigens eine sehr aufregende Dokuserie gemacht...Frauentausch.
Kurz vor der Grenze tanke ich ein letztes Mal. Da ich ja jedesmal in den einzelnen Ländern Geld tauschen muss, ist meine neue Strategie, die Kohle bis auf den letzten Cent zu vertanken, damit ich nicht immer soviel Restgeld habe, mit dem ich nichts mehr anfangen kann.
Ich beitze noch 81,60 Slotis, in den Tank passen aber nur 74,20 Slotis.
Okay, für 5 Slotis kaufe ich mir etwas zu trinken. Bleiben immer noch 2,40 Slotis. Die Süßigkeiten kosten alle so um die 2 Slotis, bei Mentos jedoch gibt es keinen Preis, wird schon ähnlich viel kosten.
Denkste, die Kasse zeigt 3,25 Slotis an. Ich schaue etwas ratlos und zeige der Kassiererin meine letzten "Groschen".
Die Frau hinter der Kasse hat Mitleid mit mir, nimmt meine restlichen Slotis und läßt es gut sein.
Mit 0,85 Slotis Schulden verlasse ich Polen und reise nach Litauen ein.
Nach Litauen zu Reisen ist wie eine Reise mit der Zeitmaschine in die Vergangenheit. Die russische Vergangenheit ist nicht zu übersehen.
Hier gibt es ausserhalb der wenigen Großstädte kaum Häuser aus Stein, fast alle sind aus Holz und die allermeisten hätten mal etwas Farbe und ein paar Nägel nötig.
Was jedoch auffällt, die Gärten sind überall sehr gepflegt und es gibt so gut wie keine Zäune.
Tiere wie z.B. Kühe oder Pferde laufen hier überall frei herum.
Zum ersten Mal sehe ich ein Schild, welches nach Russland zeigt, ein wenig komme ich mir vor wie Ewan Mc Gregor in Long Way round ...
Irgendwie scheint mein Navi aber eine "komische" Route zu wählen, laut Karte müsste ich eigentlich mal bald links ab, dass Navi will aber, dass ich noch 50 km auf der Strasse bleibe.
Beim Check wird mir klar, dass Navi hat nicht die Route übernommen, die ich vorher am Computer geplant hatte, sondern will mich über die "Autobahn" zu meinen Ziel bringen, da die kleinen Strässchen, die heute mal fahren will, im Navi nicht zur Verfügung stehen.
Also beschliesse ich, heute nach Karte zu fahren, wenn schon Zeitreise, dann auch richtig . Blöderweise habe ich von der Gegend nur eine Karte im Maßstab von 1 : 2 000 000, da ist quasi ganz Nordeuropa drauf.
Der Verkehr wird abrupt weniger und ich bin jetzt mehr oder weniger alleine unterwegs und fahre durch herrlich kleine Dörfer, in denen die Zeit still zu stehen scheint.
Womit verdienen die Leute hier eigentlich ihr Geld?
Was ein wenig unangenehm ist, ist der starke Wind, der, egal, in welche Richtung man fährt, irgendwie immer von der Seite kommt.
Stellenweise habe ich das Gefühl, ich ich fahre in Kurvenlage geradeaus.
Wenn ich mir vorstelle, dass es in Patagonien bestimmt noch heftiger weht, weiss ich nicht, ob Motorrad fahren dort wirklich ein Spass ist.
Während ich so mit ca. 80 km/h daherfahre, hört ohne jede Vorwarnung (zumindest für mich, ich kann ja keine Schilder lesen) kurz vor einer Kreuzung die asphaltierte Strasse auf und ich rumpel auf die unbefestigte Strasse.
Upps, mit so etwas muss ich jetzt wohl rechnen hier.
Tätsächlich ist es bei der nächsten Kreuzung dasselbe.
Da geht mir ein Licht auf, das hat Methode!
In Litauen werden, zumindest auf dem Land, viele Kreuzungen als "Verkehrsberuhigung" nicht asphaltiert. Hier fahren mit Sicherheit alle mit Schritttempo in die Kreuzung ein .
Als ich heute vor der Abfahrt mein Zimmer in dem Dorf Klaipeda an der kurischen Nehrung gebucht habe, hatte ich gerade nichts zu schreiben in der Hand und dachte mir, in dem Kaff wirst du die Unterkunft schon finden. Die Wegbeschreibung hatte ich mir grob eingeprägt.
Dumm gelaufen, als ich in Klaipeda ankam, musste ich feststellen, dass dies wohl kein Dorf, sondern eines der größeren Städte Litauens mit ca. 160000 Einwohnen ist.
Und ich weiß weder Name noch Strasse meines Hotels, wie blöd muss man eigentlich sein.
Ich fahre ein wenig durch die Stadt, aber keine Chance, so finde ich meine Unterkunft nie!
Was kann ich tun?
Ich brauche Wlan, dann kann ich meine Emails mit der Buchungsbestätigung abrufen.
In Polen hatten viele Tankstellen freies Wlan, in Litauen aber wohl nicht .
Ahh, da ist Mc Donald, in Deutschland gibt es doch auch bei McD freies Wlan...in Litauen aber nicht .
Dann sehe ich ein Schild zu einem größeren Hotel, die müssten doch bestimmt Wlan haben.
Nach drei Kilometer habe ich zwar nicht dieses, aber ein anderes 4 Sterne Hotel gefunden und gehe an die Rezeption.
Dort sind sie sehr freundlich, ihr Wlan kann ich nutzen und so komme ich an die Adresse.
Zur selben Zeit checkt gerade ein Bus mit älteren Reisenden aus Deutschland ein. Ich komme ins Gespräch mit ein paar Rentnern, die ebenfalls alle mal Motorrad gefahren sind...damals...dann wurde man immer dicker und der Lederkombi hat nicht mehr gepasst.
Während unserer Unterhaltung plündern sie die Süßigkeiten, die auf dem Tresen stehen. Tja, wenn wundert da der Bauchumfang ?
Die Hotelangestellte nimmt sich richtig Zeit für mich und wir suchen den Weg zu meinem Hotel raus.
Schau an, ganz in der Nähe, die nächste Straße rechts und die zweite links, dann wäre ich da.
Ich glaube es aber erst, wenn ich vor der Tür stehe.
Ich bekomme noch eine Karte von der Stadt und sie sagt mir noch, wo die Fähre zur kurischen Nehrung ablegt.
Hmm, hätte ich auch nicht alleine gefunden.
Ich düse los...wie war das noch, die Erste rechts und dann die Zweite links?
Tatsächlich, da ist ja mein Guest House, sah im Internet irgendwie größer aus. Das soll ein "Hotel" sein???
Aber irgendwie ist alles zu, es gibt keine Rezeption und wenn ich an die Stahltür klopfe, öffnet niemand.
Auf dem Schild an der Tür stehen wohl die Öffnungszeiten:
I - V: 08.00 - 19.00
VI: 10.00 - 15.00
VII: .........
Wow, das soll wohl heissen, dass die Sonntags geschlossen haben...und heute ist SONNTAG!.
Ich kann mein Glück kaum fassen und wollte schon für viel Kohle in dem anderen Hotel mit der freundlichen Rezeptionistin absteigen, da sehe ich eine Mobilnummer.
Na ja, einen Versuch ist es es wert.
Ich wähle die Nummer, am anderen Ende meldet sich eine freundliche Frauenstimme, die sogar ganz gut Englich spricht.
Ich bekomme Instruktionen der auch aus einem Mission Impossible- Film stammen könnte.
"An der Einganstür befindet sich ein Briefkasten, sehen sie denn?"
"Ja."
"Öffnen Sie bitte den Briefkasten."
"Habe ich."
"Dort müsste ein Briefumschlag mit Ihrem Namen zu finden sein."
"In der Tat, den gibt es".
"Dort finden Sie den Schlüssel und die weiteren Informationen. Morgen früh um 08.00 Uhr klopft jemand an ihrer Tür.
Dann gibt es Frühstück."
"Der Briefkasten wird sich in 5 Sekunden selber zerstören."
Aha, oookkkaaayyyy...
Tja, so checkt man also in den günstigeren Unterkünften in Litauen ein .
Der Briefkasten hängt übrigens noch ...
Jetzt haben wir aber mittlerweile schon 17 Uhr und ich bin doch eigentlich wegen der kurischen Nehrung hier.
Und was ist die kurische Nehrung?
Die Kurische Nehrung ist ein 98 km langer Landstreifen (bzw. Halbinsel) , von dem heute 52 km zu Litauen und 46 km zu Russland gehören. Sie trennt das sogenannte Kurische Haff von der Ostsee.
Die Nehrung besteht ausschließlich aus Sand mit riesigen Wanderdünen, die in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder Ortschaften unter sich begruben.. Die Große Düne bei Nida, eine der größten Dünen Europas, wird auch die ostpreußische Sahara genannt und wurde als Filmkulisse benutzt.
Da wollte ich also unbedingt hin und am Besten auch noch oben rauf.
Ich wusste ja jetzt, wo ich die Fähre finden würde, was dann auch (fast) kein Problem war.
Mittlerweile war es 17.55 und ich stand am Ticketschalter. Oben stand angeschrieben:
Nächste Überfahrt 19.10.
Was? Über eine Stunde warten? Ich dachte, die Kutter fahren im Minutentakt! Da bin ich ja schneller rüber geschwommen...
Ich frage also am Ticketschalter nach, die Frau hat schlechte Laune und gibt mir ohne viel Worte den Fahrplan...ausserdem spricht sie so gut wie kein Englisch.
Ich schaue mir den Plan an und stelle fest, dass die Fähren eigentlich alle 10 Minuten fahren müssten.
Also frage ich noch einmal nach, was die Laune der guten Frau nicht wirklich verbessert, ganz im Gegenteil.
Fuchtig makiert sie die Abfahrtszeit 19.10 in der Bröschure und zegt auf ihre Uhr.
Aaaahhha, dort ist es schon eine Stunde später, in Litauen gehen die Uhren eine Stunde vor.
Na dann ist ja alles klar und ich kaufe mein Ticket.
Nach 10 Minuten Fahrt ist der Spass schon vorbei und jetzt wird erstmal die Lage gecheckt.
Hmm, so wie es aussieht, muss ich noch 45 km nach Nida fahren, dort muss irgendwo die Düne rumstehen.
Unterwegs schieße ich ein paar Fotos...
Ich fahre und fahre und fahre und die Straße nimmt kein Ende, es wird immer später und den ganzen Weg muss ja auch wieder zurück.
Und so richtig interessant ist die Strecke auch nicht, eine schmale Strasse und rechts und links viel Wald, vom Meer ist nix zu sehen.
Endlich erreiche ich Nida.
Und wo ist jetzt die blöde Düne???
Nida ist echt ein schnuckeliges Touridörfchen mit vielen kleinen Hexenhäuschen, aber ich will jetzt die Düne.
Dann ist das Dorf zu Ende, ein bisschen Sand ist im Hintergrundzu sehen, aber nix, was wie eine Düne aussieht. Ich bin a bissl stinkig, dafür lasse ich das Deutschlandspiel sausen. Und gegessen habe ich seit dem Frühstück auch nichts mehr. Und zurück muss ich auch noch.
Da kommen ein paar Rentner dahergeradelt und freuen sich über einen Landsmann. Natürlich sind sie früher auch Motorrad gefahren. Jaja, ich weiß, der Bauchumfang .
Ich nutze die Gunst der Stunde und frage nach der Düne.
Na das, was ich da im Hintergrund sehe, ist die Düne.
Aha, eine der größten Dünen Europas, die Litauer waren wohl noch nie in Arcachon in Frankreich..
Die Rentner zeigen mir den Weg zur Düne und erzählen mir noch etwas, was mich doch sehr nachdenklich stimmt.
Aber dazu an anderer Stelle mehr...
Auf dem Weg zur Düne lerne ich eine Südkoreanerin kennen, die eine Rucksacktour durch Russland und Europa unternimmt.
Wir kommen ins Quatschen und besteigen gemeinsam die 175 Stufen auf den Mount Dune.
Sie fragt mich, ob ich nicht noch einen weiteren Tag bleiben möchte?
Einen weiteren Tag würde ich hier aber nicht bleiben wollen, mein Zeitplan ist eh schon knapp.
Ausserdem muss ich zurück aufs Festland. Schade eigentlich, ein wenig Gesellschaft wäre schon nicht schlecht gewesen...
Der Ausblick von der Düne ist dann schon atemberaubend, der Ausflug hatte sich damit gelohnt.
Gott sei Dank hatte ich die Rentner getroffen, sonst wäre ich jetzt nicht hier oben...
Beim Sonnenuntergang steige ich wieder hinunter.
Es ist schon spät, der Himmel färbt sich glutrot und die Strasse gehört mir alleine. Easy Rider Feeling pur.
Was für ein Tag !
Allerdings war ich froh, dass das Frühstück so gut war, den es bleib die einzige Mahlzeit an diesem Tag...
Aufbruch: | 12.06.2012 |
Dauer: | 7 Wochen |
Heimkehr: | 28.07.2012 |
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