Faszination Peru
Sillustani - Chivay
Sieben Uhr morgens. Christian ist mit dem Bus da, die Koffer werden verladen. José, unser Guide ist ebenfalls da. Er wird uns nach Sillustani begleiten.
Sillustani, ein poetischer Name. Dahinter verbirgt sich eine Halbinsel in einem wunderschönen kleinen See.
Früher gehörte der Umayo-See noch zum Titicacasee, heute ist es eine wunderschöne Lagune mit einer kleinen fast unbewohnten Insel in der Mitte.
Sillustanti, das sind 12 Grabtürme aus der Zeit der Colla, lange vor den Inkas. Hier wurden die Herrscher dieses Volkes begraben. Auch die Inkas übernahmen diese Begräbnisart und so trifft man hier auf die verschiedensten Epochen.
José scharrt ein wenig in der Erde, findet ein paar Scherben und zeigt an diesem zufälligen Fund anhand der Farben die verschiedenen Epochen.
Fast meint man, er sei selber Archäologe, denn oft erzählt er in der Wir-Form. Hier haben wir dies oder das gefunden. Das macht seine Erklärungen so intensiv und wir hören fasziniert zu.
Wir steigen langsam auf. José hält immer wieder an. Erklärt, gibt Zeit zum Verschnaufen. Immerhin sind wir noch immer auf über 3800 m. Er macht das sehr subtil, auch ich kann ihm sehr einfach folgen und unmerklich kommen wir höher.
Die Türme aus der späteren Inka-Kultur erkennt man ebenfalls an der Art der fein geschliffenen Steine, sowie an der Form.
Wie die Türme entstanden sind... die Rampen wurden später wieder abgebaut, geblieben sind die Türme.
Der halb eingefallene Lizard-Turm aus der Inka-Epoche. Den Namen hat er von seiner eingeschliffenen Eidechse, die schwach erkennbar ist.
Wir kommen von Turm zu Turm. José erzählt, dass man die Herrscher in Fötushaltung begraben hat, weil man glaubte, dass sie später von Pacha Mama wieder geboren werden. Oft wurden auch ihre wichtigsten Bediensteten mit begraben. Und ausserdem ein paar Wärter, die sie bewachen und beschützen sollten. Natürlich wurden ihnen auf ihre Reise wichtige Lebensmittel und andere Dinge mitgegeben.
Ebenfalls interessant ist, wie die Türme entstanden sind. Vor allem die riesigen Quader der Inka-Türme mussten genau eingepasst werden. Das brauchte Pläne, Architekten, Mathematiker. Jeder Ring wurde mit noch grösseren Steinen gebaut. Oben wurde ausserdem eine Ausbuchtung angebracht, durch die die Fassade vom Regen geschützt wird.
Um die Steine zu transportieren, wurden Rampen gebaut, die bei jedem Ring erhöht und ganz am Schluss wieder komplett abgebaut wurden.
Es ist ein poetischer Ort, ein ruhiger Ort, wir sind zu dieser frühen Stunde die einzigen Besucher. José lässt uns Zeit, uns umzusehen, einen Moment innezuhalten.
Auf der Rückfahrt zur Hauptstrasse schlägt José noch einen anderen Besuch vor. Hier leben einfache Bauern, die sich freuen, wenn sie Besuch von Touristen bekommen. Sie können gegen eine kleine Propina ihr kärgliches Einkommen ein wenig ergänzen und manchmal auch die eine oder andere Handarbeit verkaufen.
Sie sind echt, diese Kleinbauern, die wir besuchen. Auch wenn sie auf Besuche vorbereitet sind und ihre Produkte auf dem Steintisch in irdenen Gefässen präsentieren: verschieden farbige Quinoa-Sorten, Mais, Kartoffeln. Mit blossen Händen fischt die Frau die heissen Kartoffeln aus dem Topf auf dem Ofen. Sie spricht eine eigene Sprache und José übersetzt. Sie lädt uns ein, die Kartoffeln mit einer Lehmsosse zu versuchen.
Er macht es vor. In einer Schale gibt es eine dickliche Sosse. Mit Wasser aufgemischter Lehm. Nichts sonst. Tapfer versuchen wir es, schälen die Kartoffeln, teilen sie und tunken sie in die Sosse. Und sie schmecken. Sie schmecken sogar so gut, dass wir uns auch später in ein paar Tagen noch mit grösster Verwunderung daran erinnern. "Es waren die besten Kartoffeln, die ich je gegessen habe", erzählt mir eine der Frauen ein paar Tage später.
Auch ein weicher Käse liegt unter einer Schale zum Aufschneiden bereit. Ein wunderbarer und völlig unerwarteter Znüni.
Die alte Frau, sie ist gleichalt wie ich, zeigt uns wie sie das Quinoa trocknet und wie man es mit dem Stock von der Spreu trennt.
In hinteren Teil fiepen ein paar Meerschweinchen. Auch wenn man sie in vielen Restaurants auf der Speisekarte findet, für die einfachen Menschen sind sie noch immer ein Festessen für spezielle Gelegenheiten.
Und dann ist plötzlich ein kleiner Junge da und Rita zieht wie eine Zauberin ein letztes Kuscheltier aus ihrem Rucksack. Sie hat noch immer auf den richtigen Zeitpunkt gewartet. Und jetzt ist er da. Der grosse grüne Frosch hat seinen Ort gefunden. Der kleine Junge will ihn kaum mehr weggeben.
Herzlich bedanken wir uns von den gastfreundlichen Menschen und gehen zurück zu unserem Bus. Wir durften einen kleinen Einblick nehmen in ein völlig anderes Leben, ein Leben in einer anderen Welt, fast möchte ich sagen, auf einem anderen Planeten.
Was braucht es zum glücklich sein? Der Frage darf ruhig mal nachgegangen werden.
Bei der Einfahrt zur Hauptstrasse Puno - Juliaca steigt José aus. Er wird einen Touristenbus anhalten, der ihn zurück nach Puno bringen wird.
Wir fahren weiter nach Juliaca und biegen bald ab Richtung Arequipa.
Wir fahren weiter, wir steigen weiter an. In einer Lagune neben der Strasse entdecken wir rosarote Flamingos. Später halten wir am Aussichtspunkt an. Ein weiterer Höhepunkt. 4413 m und eine fantastische Aussicht über die Laguna Lagunillas.
Die Vegetation ist äusserst karg hier. Gelbdürres Gras, sperriges Grün, niedriger stacheliger Kaktus mit winzigen Blüten.
Wir sind über 4000 Metern, es ist die Höhe der Vicunas, der frei lebenden Verwandten der Lamas und Alpacas. Manchmal können wir weit weg ein paar sehen. Grazile Gestalten in der ockerfarbenen Landschaft. Doch wir fahren weiter, die Fotos müssen warten.
Wir fahren höher, die Vegetation wir noch spärlicher. Nur noch sehr niedrige Pflanzen, Flechten. bizarre Felsformationen.
Und dann erkennt man genau vor uns einen Vulkan. Gewaltig und eindrücklich steht er da, bestimmt die ganze Landschaft.
Immer wieder kreuzen wir schwere Lastwagen, überholen schwer beladene Trucks, die sich langsam den Berg hinauf kämpfen. In der Gegend gibt es einige Minen. Vorwiegend sind es wohl Kupferminen. Von da wird einerseits Material abtransportiert, andererseits bringen grosse Tanklaster die nötige Energie dazu. Oder riesige Pneus. Gross wie Einfamilienhäuser. Jedenfalls wie peruanische Einfamilienhäuser.
Und dann sind wir an der Kreuzung nach Chivay. Wir halten bei der Hütte an, Teestation, Baños. Ich habe kaum den Fuss auf den Boden gesetzt, da kommt eine junge Frau auf mich zu:
"Hola, ich bin Paulina, kommt rein, trinkt einen Tee. Wollen alle einen Tee? Da drüben sind die Baños, wie heisst du? Hier ist der Tee, er tut gut, ist heiss. Minze und Coca..."
Ich wusste, dass Paulina uns hier erwarten wird, sie wird uns bis Arequipa begleiten aber auf dieses Wortfeuerwerk war ich nicht vorbereitet. Sie übernimmt sogleich das Kommando. Und zwar auf Schwäbisch.
"Nein", beantwortet sie meine Frage, "ich bin echte Peruanerin, meine Eltern sind Peruaner, ich war zweimal in Deutschland." Mehr Fragen lässt sie nicht zu, sie ist beschäftigt, uns den Tee zu organisieren und zu erklären, dass wir die Blätter stampfen müssten, dass man Zucker dazu nimmt, dass Coca-Blätter gegen die Höhenkrankheit helfen.
Ich lasse sie reden, sie weiss ja hier viel besser Bescheid als ich. Und sie fängt auch gleich an, den Chauffeur zu instruieren. Bei den nächsten Vicunas wird angehalten. Fotos geschossen. Sie hat unsere Namen auf Anhieb gespeichert, sie ist die Energie in Person.
"Geboren am Fuss des Vulkans, daher mein Temperament", erklärt sie und erzählt über das karge Leben hier auf der Höhe, über die Minenarbeiter, die drei Wochen am Stück arbeiten und dann eine Woche frei haben um ihre Familie zu besuchen. Sie verdienen gut, die Minenarbeiter. Gegen 3000 Soles pro Monat, 1000 Dollar. Das ist ein sehr gutes Gehalt.
"Halt! Da draussen sind Andengänse. Anhalten! Bruno geht raus zum fotografieren". Bruno ist so verdattert, dass er ganz automatisch aussteigt. Gänse fotografiert. Paulina hat auf Anhieb unseren Hoffotografen ausgemacht, auch wenn wir alle bei jeder Gelegenheit die Kamera zücken.
Auch für Christian, unseren Chauffeur sind die ruhigen Stunden vorbei. Jetzt heisst es gehorchen, anhalten, wenn Paulina es will, weiter fahren wenn sie findet, wir hätten unsere Fotos jetzt geschossen.
Wir fahren über den Pass, kommen zum höchsten Punkt unserer Reise.
"Heute ist es zu kalt und windig, wir werden morgen wieder hier vorbei kommen, dann ist es besser". Wir fahren vorbei. Ist recht so, ich bin eh ein wenig eingenickt.
Und dann fahren wir wieder hinunter. Dort ganz unten im Tal liegt Chivay, der Ausgangspunkt für die Condortour morgen. Wir kommen noch bei Tageslicht an, beziehen kurz unsere Zimmer und treten gleich darauf wieder an. Badekleider dabei, Frottetuch wird von der Hotelrezeption zur Verfügung gestellt.
Es gibt hier in Chivay ein Thermalbad. Auf 3600 m. Da liegen wir dann kurz darauf im heissen Wasser. Inmitten von schroffen Felsformationen die wie Gesichter auf uns hinunter schauen.
Entspannung pur, Funfaktor top. Was braucht es noch zum Glücklichsein!
Das muss auch Bruno so empfunden haben, denn spontan ruft er aus: "eine Runde Pisco für alle!"
Paulina eilt sofort zum Kiosk, noch bevor Bruno überhaupt entdeckt, dass es einen gibt.
Also prosten wir uns im heissen Wasser mit dem coolsten PiscoSour zu. Himmlisch.
Als wir das Bad verlassen hängt weit oben der Halbmond auf dem Rücken. Er wird begleitet von der Venus, die jetzt am Horizont aufzieht.
Wir kehren zurück ins Hotel. Durchgewärmt, aufgeweicht, zufrieden mit uns und der Welt. Was für ein Tag!
PS ein paar Tage bevor wir zu unserer Reise aufbrachen, gab es in dieser Gegend ein Erdbeben und einige Leute glaubten, dass unsere Peru-Reise dadurch gefährdet sei. Jetzt sind wir da und kein Mensch spricht mehr darüber.
Aufbruch: | 22.08.2016 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 10.09.2016 |