Faszination Peru

Reisezeit: August / September 2016  |  von Beatrice Feldbauer

Cruz del Condor

Um sieben Uhr holt uns Christian mit dem Bus ab. Auch Paulina ist schon wieder munter.

Wir fahren ins Colca-Tal. Die Aussichten sind grandios. Überall ist das Gelände terrassiert. Schon die Inkas legten hier ihre typischen Terrassen an und bewässerten auf raffinierte Art alle kleinen Äcker.

Paulina, eine Peruanerin, die spricht wie eine Schwäbin.

Paulina, eine Peruanerin, die spricht wie eine Schwäbin.

In Yanque halten wir an. Hier tanzen jeden Morgen die Kinder auf dem Platz vor der Kirche um den Brunnen. Aus einem Lautsprecher erklingt Musik. Die Kinder tanzen einen alten Tanz der Geschlechter. Die Buben sind als Mädchen verkleidet, damit man sie nicht erkennt. Sie tragen alle die typische Tracht des Colca-Tales mit der feinen Stickerei und den weissen Hüten.

Mit dem Tanzen sammeln sie Geld für einen Schulausflug. Morgen wird es eine andere Klasse sein, die um den Brunnen tanzt. So haben alle einen Vorteil aus dem Event: Die Touristen haben ein farbiges Fotosujet, die Kinder vergessen ihre Tradition nicht und bekommen Geld für ihren Ausflug.

Wir gehen in die Kirche, denn Pauline will uns etwas von Maria erzählen. Sie wird in Peru fast mehr verehrt, als Jesus. Denn als Mutter steht sie auch für die alte Tradition der Verehrung von Pacha Mama, der Mutter Erde. Sie trägt die typische Tracht der Gegend, ist also eine Frau, die die Menschen und ihre Nöte hier kennt.

Morgendlicher Tanz um den Brunnen

Morgendlicher Tanz um den Brunnen

Frauen mit Falken bieten ihre Tiere als Fotosujets an. Bruno traut sich.

Frauen mit Falken bieten ihre Tiere als Fotosujets an. Bruno traut sich.

Die Mutter Maria steht auch für die Mutter Erde - Pacha Mama

Die Mutter Maria steht auch für die Mutter Erde - Pacha Mama

Die Kirche ist ganz eigenartig angelegt. Vom Hauptplatz betritt man sie durch die Seitentüre. Der Hauptaltar ist mit viel Silber verziert, aber es wurde schon viel davon gestohlen. Auch in jüngster Zeit.

Die Seitenaltäre sind sehr liebevoll mit bekleideten Figuren geschmückt. "Wir behandeln die Heiligen nicht wie historische Figuren, wie leben mit ihnen", erklärt Paulina. "Darum tragen wir an Ostern auch den Sarg mit Jesus darin, durch die Strassen des Ortes. Die Figuren haben alle bewegliche Arme, damit man sie anziehen kann, denn sie haben alle verschiedene Kleider, die sie je nach Anlass tragen".

Mit Paulinas Erklärungen bekommen die uns kitschig anmutenden Bilder in der Kirche Leben.

Als wir zurück auf den Platz kommen, hat die Musik aufgehört, die Kinder sind in der Schule, wir fahren weiter.

Hinter Maca, dem nächsten Dorf wird die Strasse zur Schotterpiste. Wir wirbeln gewaltig Staub auf. Die Strassenränder sind völlig verstaubt, aber die Aussicht ist grandios. In dieses Tal, das immer schmaler wird, je weiter wir kommen. Weit unten schlängelt sich der Colca-Fluss und die beiden Talseiten sind mit vielen Steinmäucherchen terrassiert. Wo es noch Fläche im Tal hat, ist diese bepflanzt. Mit Mais, Quinoa, Kartoffeln und vielen anderen Lebensmitteln. Doch das Tal wird immer schmaler, die Wände felsiger. Die Strasse zieht sich am Hang entlang. Einmal fahren wir durch einen Tunnel. Es gibt keine Beleuchtung und durch den Staub den wir und andere vor uns fahrende Busse aufgewirbelt hat, fahren wir wie durch Nebel.

Beim Kontrollposten gibt es nochmals einen kurzen Halt. "Wir gehen jetzt alle zusammen zum Baño" verkündet Paulina. Nein, es gehen nicht alle, und vor allem nicht zusammen. Wir motzen ein wenig hinter vorgehaltener Hand, schmunzeln über unseren Feldweibel.

Und dann sind wir da. Beim Cruz des Condors, dem legendären Platz wo sich die Condore jeden Morgen in die Lüfte schwingen. Werden sie auch heute fliegen?

Bereits haben sich gegen 200 - 300 Leute eingefunden. Mit gezückten Kameras stehen sie an den Abschrankungen, erkunden das Tal unter ihnen. 1000 Meter tief soll es hier sein und den Fluss unten kann man nicht mehr erkennen, denn das Tal ist jetzt sehr schmal. Irgendwo unter uns haben die Condore ihre Horte in der unzugänglichen Felswand.

Es liegt eine Spannung in der Luft. Werden sie kommen? Man sucht sich den besten Standplatz, flüstert. Wird man einen sehen?

Ein Raunen geht durch die Menge. Ganz tief unten fliegt einer. Zieht eine enge Bahn und verschwindet wieder. Und dann noch einer. Man hört all die Klicks der Kameras rundum. Und dann herrscht wieder Ruhe. Die Minuten vergehen. Eine Stunde hat uns Paulina eingeräumt, die Hälfte ist bereits vorbei.

Die Leute fangen an, sich gegenseitig zu fotografieren, Selfies mit spektakulärem Hintergrund. Man neckt sich, man hört Worte des Bedauerns, in allen Sprachen. Man fotografiert die Gegend, die nach Wasser dürstenden Blumen, die Agaven. Einige Busse fahren bereits los, das Programm muss eingehalten werden. Wir bleiben.

Marianne

Marianne

Und dann. Ein riesiger Vogel fliegt 100 Meter unter uns. Alle Kameras sind wieder fokussiert. Ein zweiter taucht auf, dort unten fliegen vier.

Und dann sind sie da. Mit einem einzigen Flügelschlag gewinnen sie an Höhe, segeln vorbei. Tanzen vor unseren Augen, man hat das Gefühl, sie würden uns anschauen, sie würden uns zeigen, was Freiheit ist.

Mit den Schwanzfedern steuern sie, man kann fast den Wind zwischen ihren Flügelfedern hören. Und jetzt fliegen sie auch schon über uns.

Andächtige Stille bei den Zuschauern.

Und dann ist das Spektakel vorbei. Sie sind weiter gezogen. Sie können bis zur Küste fliegen, um sich dort Nahrung zu besorgen. Sie sind gegen fünfzehn Kilo schwer und können bis zu vier Kilo Fleisch in ihrem Kropf transportieren, um die Reise nicht jeden Tag auf sich nehmen zu müssen. Ihre Flügelspannweite beträgt knapp 3 Meter.

Der Condor ist ein Aasgeier und in den gesamten Anden verbreitet, aber an kaum einem Ort kann er so gut beobachtet werden wie hier, hoch über der Colca-Schlucht.

Wir sind ganz aufgewühlt, erfüllt vom Erlebten. Da spürt man auch die Holperpiste unter dem Bus kaum mehr. Jetzt müssen Fotos angesehen und bestaunt werden. Die Augen und Kameras sind voll von dem gesehenen. Nein, in Maca möchten wir nicht mehr anhalten, unser Emotions-Konto ist zur Zeit gefüllt. Randvoll.

Wir fahren zurück nach Chivay. Dort hat Paulina in einem Touristenrestaurant einen Tisch für uns reserviert. Es gibt ein reichhaltiges Buffet, so dass sich jeder sein Menu selber zusammen stellen kann. Auch Alpacafleisch und Quinoa-Risotto fehlen nicht. Es gibt Suppe, Salat und verschiedene Fleischgerichte mit Beilagen. Und auch für eine Dessertauswahl ist gesorgt.

Wir verlassen Chivay, gewinnen rasch an Höhe. Bald sind wir auf dem höchsten Punkt unserer Reise angelangt, auf 4910 Metern. Ja man spürt das schon mit der dünnen Luft. Es braucht einen Atemzug mehr.

Paulina führt uns ein paar Meter ins von Steinmännchen übersäte Gelände. Da, hinter diesen Steinen wächst eine uralte Pflanze. Eine Yarete. Sie gehört zu den Doldengewächsen und gedeiht nur hier in grosser Höhe. Einen Zentimeter wächst sie pro Jahr und sie ist steinhart. Wenn man sie berührt, respektive reibt, verbreitet sie einen intensiven Geruch.

Eine riesige Yarete. Sie muss uralt sein, denn sie wächst nur einen Zentimeter pro Jahr.

Eine riesige Yarete. Sie muss uralt sein, denn sie wächst nur einen Zentimeter pro Jahr.

winzige Blüten an robusten Pflanzen

winzige Blüten an robusten Pflanzen

Geschafft - auf 4910 Metern

Geschafft - auf 4910 Metern

Ab jetzt geht es nur noch abwärts. Auf der, für Peru gut ausgebauten Strasse, fahren schwere Lastwagen. Es gibt hier in der Gegend viele Kupfer und Eisenerz-Minen. Die Pflanzen am Strassenrand werden wieder grösser. Bald wachsen wieder die Grasbüschel, es gibt einzelne Büsche, hohe Kakteen. Irgendwann erreichen wir die Aussenbezirke von Arequipa. Hier versuchen Leute zu wohnen, bauen einen Verschlag, bessern aus mit dem was sie haben. Irgendwann sind es Hütten, irgendwann wird der Tankwagen Wasser bringen, die Elektrogesellschaft ein Kabel ziehen. Irgendwann gibt es kleine Läden, Imbisse. So vergrössert sich die Stadt an den Rändern.

Wir erreichen unser Hotel kurz vor Sonnenuntergang. Christian reicht uns komplett verstaubte Koffer aus dem Kofferraum. Das Colca-Tal hat seine Spuren hinterlassen.

Später treffen wir uns zum Nachtessen, bummeln gemeinsam zum Hauptplatz wo wir die beleuchtete Kathedrale und die Doppelarkaden rundum bewundern. Und dann kehren wir auf einer Terrasse ein. Der junge Kellner freut sich über die Gruppe und offeriert uns allen einen Begrüssungs-PiscoSour. Dadurch hat er unsere Sympathie gewonnen und auch die beiden Musikanten bereichern die Stimmung mit ihrer Andenmusik.

El Condor pasa. Ja wir haben ihn gesehen. Und heute können wir nicht genug davon hören und erzählen.

Arequipa, die weisse Stadt hat unsere Herzen im Sturm erobert.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Noch einmal durch dieses fantastische Land reisen. Für mich wird es die letzte Reise durch dieses farbige Land sein, für meine Begleiter die erste Reise. Im Moment sind wir in den letzten Vorbereitungen, Koffer packen, Geld und Pass bereit legen, Reisefieber kühlen. Bald geht's los...
Details:
Aufbruch: 22.08.2016
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 10.09.2016
Reiseziele: Peru
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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