Korsika - die immerwährende Berge-und-Meer-Faszination
24.08.: Wanderung und Infos zur Wildschweinjagd
08:00 h:
Heute möchte ich mal wieder eine kleine Wanderung machen. Der Fluss Rizzanese (ca. 44 km lang), der im Gebiet von Zonza seine Quelle hat, fließt nur ca. 10 km von hier bei Propriano ins Meer. Vielleicht wäre das ja eine Option, so denke ich, am Fluss entlang kann ich mich auch nicht verlaufen.
Das war der Plan, der eigentlich kein wirklicher war. Zu Beginn verwechsel ich gleich mal West und Ost und frage mich, warum ich auf die Berge zulaufe, wenn ich ans Meer will.
Da ich aber aufgepasst habe, wo die Sonne auf- und untergeht, kann ich den Fehler korrigieren und lege eine 180-Grad-Wende ein.
Bis ich dann am Restaurant vorne bin, habe ich meinen ersten Kilometer locker schon mal hinter mich gebracht. Die Sache mit dem "am Fluss entlang laufen" erledigt sich auch schnell - es gibt da keinen Weg. Also verlasse ich das Gelände auf einem Offroad-Pfad mal Richtung "nach oben" ...relativ planlos ...
Als ich bei etwas über 20 Grad gestartet bin, dachte ich noch: endlich mal entspanntes Wandern ohne Dauerschweißausbruch. Nachdem es nun relativ steil bergauf geht, rinnen meine Schweißbäche jedoch wieder zu (Gesichts- und Rücken-) Tal.
Den ganzen Morgen schon hört man Schüsse. Ich weiß ja, dass die Wildschweinjagd begonnen hat, halte aber dann doch mal im Schatten inne und befrage Tante Google, was genau es denn mit dieser Jagd auf sich hat:
Jagdsaison auf Korsika
Schon 14 Tage früher als auf dem französischen Festland (1. September) beginnt am 15. August auf Korsika die Jagd auf Wildschweine. Dies soll den Korsen die auf dem Festland leben und arbeiten, aber zu dieser Zeit noch ihre Ferien auf der Insel in ihrem Heimatort verbringen, ermöglichen an der Jagd teilzunehmen. Außerdem hat man bei diesem frühen Termin auch an Touristen gedacht die so eine Jagd einmal miterleben möchten.
[/k][k]Geschätzte 50 000 Wildschweine sind auf Korsika in der "Maquis" und den Wäldern unterwegs. Gemessen an der Einwohnerzahl von 314 000 Korsen ergibt dies statistisch gesehen ein Wildschwein für ca. 6 Personen, also recht ordentliche Portionen.
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[f]Klein aber fein[/f]
Während es ein Wildschwein auf dem Festland auf bis zu 150 – 200 Kg bringen kann, liegt das Maximalgewicht bei einheimischen Wildschweinen bei ungefähr 80 Kg. Auf keinen Fall aber zu verwechseln mit den Hausschweinen die auf Korsika meist frei gehalten werden, denen man aber ansieht das die Eber einem Schäferstündchen mit einer Hausschwein-Dame nicht abgeneigt sind und so ihre "Spuren" hinterlassen, getreu dem Motto: "Ob schwarz ob braun, ich liebe alle Sauen".[/k]
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[f]Mindestens 7 Teilnehmer[/f]
Es ist nicht erlaubt, Wildschweine alleine zu Jagen, sondern es werden Treibjagden organisiert, an denen mindestens sieben Jäger teilnehmen müssen. Der Jagdführer notiert die Namen aller Teilnehmer und auch die Nummer derer Jagdscheine, denn natürlich darf nur derjenige Jagen der auch einen Jagdschein hat. Danach werden Jäger auf einem Hügel positioniert, auf den die aufgebrachten Wildschweine zugetrieben werden. Die Positionen werden meist ausgelost, da man nicht von jeder Position aus gleiche Erfolgschancen hat.
Eine zweite Gruppe von Jägern scheucht mit Hunden im Tal die Wildschweine auf und treibt sie auf die positionierten Jäger zu. Durch lautes Schreien der Jäger, die seitlich der treibenden Hunde laufen, verhindert man, dass die Wildschweine auf der Flanke entwischen. Geschossen wird mit Schrot und nicht mit Kugeln, da die Wildschweine in der dichten Maquis nicht immer gut zu sehen sind. Nur auf Korsika ist dies erlaubt. Auf dem Festland wird mit normalen Kugeln geschossen. Nach der erfolgreichen Jagd werden die Schweine direkt vor Ort ausgenommen und in gleichmäßige Portionen zerlegt. Diese werden nummeriert und ausgelost, um Streitigkeiten zu vermeiden.[/k]
Danach beginnt die "dritte Halbzeit" mit Wein, ohne Weib aber mit Gesang, jedoch ohne TROUBADIX, denn singen können die meisten Korsen selbst ganz gut.
Bestand nicht gefährdet
Alleine im Süden der Insel werden jedes Jahr ca. 15 000 Wildschweine erlegt. Bei allerdings durschnittlich zwei Würfen und vier Jungen pro Jahr wird es wohl noch lange und ausreichend Wildschweine auf der Insel geben, die gelegentlich kostenlos Gärten von Häusern und Ferienvillen umgraben.
(Quelle: https://www.korsika.fr/a1023/articles/1023/jagdsaison-auf-korsika/)
o.k. ein paar Meter weiter sehe ich Fellreste - ziemlich große - die m. E. von einem Wildschwein stammen könnten. Auch sehe ich immer wieder Schrot-Patronenhülsen. So ganz wohl ist mir nicht, aber ich setze den Weg fort - über mir kreisen schon die "Geier" (in Form von dicken schwarzen Aaskrähen/Rabenkrähen, die werden bis zu 47 cm).
Zwei Wanderinnen, die mir entgegen kommen, frage ich, wohin dieser Weg denn führe und ob es die Möglichkeit einer Rundwanderung gebe. Die Französinnen erzählen mir, der Weg führe so weit nach oben, dass man das Meer sehen könne, aber eine Rundwanderung (une boucle), das sei "compliquée".
Na ja, zumindest hat mein Weg jetzt ein Ziel, nämlich diese Sicht auf das Meer.
Je weiter der Weg nach oben führt, um so steiler ist er. Der Untergrund ist sandig und sehr rutschig. Ich frage mich, wie ich das unfallfrei beim Abstieg überstehen soll.
Damit ich meine gelaufenen Kilometer am Ende weiß, habe ich die runtastic-App wieder gestartet. Sie erweist sich zudem als hilfreich, weil ich hier auf einer Karte immer sehen kann, wo ich gerade unterwegs bin (funktioniert auch offline). Mein Weg scheint geradewegs auf eine normale Straße zu führen und somit beschließe ich, diese dann für den Rückweg zu nutzen.
Endlich - inzwischen hat die Sonne gnadenlos die Temperaturen wieder über die 30° empor getrieben - sehe ich tatsächlich das Meer - ganz weit in der Ferne.
Und ich sehe die Straße.
Und ich sehe...
...einen Zaun mit Stacheldraht zwischen Straße und dem Gelände, auf dem ich mich befinde.
Ein Auto fällt mir auf - der Wagen muss doch irgendwie durch den Zaun gekommen sein, auch wenn sich bei näherem Betrachten herausstellt, dass das Auto wohl schon länger steht. Aber dann finde ich tatsächlich ein Tor - versperrt, wackelig, aber ohne Stacheldraht und so kann ich darüber klettern.
Ich bin jetzt auf der D119 gelandet, die von Arbellara ins Tal führt. Nur ganz selten kommt ein Auto oder ein Radfahrer und so lässt sich dieser Weg nun sehr entspannt zu Tal laufen.
Auf einmal sehe ich rechts im Gebüsch einen Mann auf einem großen Stein sitzen. Er kehrt mir den Rücken zu und hat ein Gewehr auf dem Schoß liegen. Na holla die Waldfee (oder Dachzeltfee ) - da schießt mir dann aber doch ein Adrenalin-Stoß durch die Äderchen!
Adrenalin, das Stresshormon der "Flucht- oder Kampfreaktion".
Was nun? Flucht oder Kampf?
Am größten ist meine Angst, der Mann könne sich erschrecken, wenn er mich wahrnimmt und versehentlich in Erwartung eines Wildschweines Gebrauch von seiner Flinte machen. Also entscheide ich mich gegen Flucht und für Kampf, bzw. für die "Flucht nach vorne". Ich wechsel erst einmal auf die andere Straßenseite (als ob es im Fall eines Schusses einen großen Unterschied machen würde, ob der aus 2 oder aus 4 Metern Entfernung fiele ) und dann trete ich etwas lauter auf. Der Mann dreht sich zu mir um.
In meiner Fantasie bin ich bis unter die Zähne bewaffnet (so eine kleine Lara Croft, oder so).
In der Realität setze ich mein charmantestes Lächeln auf, schleiche mich wieder näher und flüstere (irgendwie denke ich wohl, es wäre wie beim Angeln: man müsse ganz leise sein): "est-ce que c'est dangereux d'aller ici?" (ist es gefährlich, hier zu laufen..)
Etwas Blöderes ist mir wohl nicht eingefallen...
Der Jäger erklärt mir dann, dass er nur hier warte, falls aus dem Gebiet von oberhalb der Straße ein Wildschwein ausbrechen würde. Die anderen Jäger und die Wildschweine seien oberhalb der Straße.
Nun gut, mein Puls beruhigt sich so langsam und ich frage ihn noch, ob ich ihn fotografieren darf. Sofort stellt er sich in Position und ich bekomme mein Foto. Ich zeige ihm auf meinem Handy noch das Bild, das ich von dem Fell zu Beginn meiner Wanderung gemacht habe und frage, ob das ein Wildschwein sei. Er entschuldigt sich, er könne das nicht erkennen, da er seine Brille nicht dabei habe.
Oh mein Gott!! Er sieht schlecht und hat ein Gewehr!
Na da habe ich ja wirklich Glück gehabt, dass er mich nicht für ein Wildschwein gehalten hat.
Unten angekommen mündet die Straße in die D69, genau an einer Brücke, die für wunderschöne Fotomotive sorgt.
Auf der runtastic-Karte sehe ich leider keinen Weg zurück zum Campingplatz als die D69. Diese ist jedoch stark befahren und ich denke mir, es wird wohl möglich sein, direkt am Fluss entlang zu laufen, der im Moment nicht so sehr viel Wasser führt.
Zunächst ist es wild romantisch, sandig, steinig ...
dann ist es nur noch wild ohne Romantik.
Ich komme kaum noch durch die dichten Sträucher, vom Fluss ist nichts mehr zu sehen und leider muss ich mich geschlagen geben und den fiesen Weg auch nochmal zurück bis zur Brücke bewältigen, nicht ohne mir ein paar Kratzer an den Beinen zuzuziehen. Autsch!
Und dann folgen die letzten 2 km Überlebenslauf an der relativ stark befahrenen Straße. Zunächst laufe ich neben einer kleinen Mauer, die die Straße begrenzt, an manchen Stellen, wo das Gestrüpp zu dicht ist, laufe ich auf der Mauer weiter. Es ist eine Herausforderung, das Gleichgewicht zu halten, wenn ein Auto mit hoher Geschwindigkeit vorbei fährt. Ich wechsel die Straßenseiten, immer je nachdem, wo gerade mehr "begehbare Landschaft" neben dem Asphalt vorhanden ist.
Endlich erreiche ich "la ferme" wieder. Die Damen hatten recht, es war "compliquée"!
Anstrengungs- und Angstschweiß haben mich komplett durchnässt und bevor ich den allerletzten Kilometer bis zu meinem Auto bewältige, genehmige ich mir einen Sirop de Menthe auf Eis.
12:00 h - ich war vier Stunden unterwegs und habe 10 km Strecke zurück gelegt. Wie viele Höhenmeter? keine Ahnung ... Den Ausblicken nach so einige
20:00 h
Ich gönne mir nochmals die leckeren Muscheln im Restaurant, stehe gerade beim Bezahlen am Tresen als hinter mir jemand sagt: "Na, wir scheinen ja den gleichen Geschmack zu haben, was Campingplätze angelangt." Ich drehe mich um und da steht ein Radfahrer, der soeben einchecken will: Harald. In Vallica sind wir uns schon mal begegnet und haben ein paar Worte gewechselt. Harald kommt aus Freiburg und ist vom Bodensee aus mit dem Rad gestartet - für mich unvorstellbar - höchster Respekt.
Tja, so groß ist Korsika also nicht, dass man sich nicht mehrfach begegnen kann Ich nutze die Gelegenheit, mich mal nicht nur mit mir selbst zu unterhalten und lade Harald noch auf einen Wein ein. Jetzt bekommt auch mein zweiter Stuhl eine Berechtigung, den ich immer dabei habe.
Wir quatschen noch bis Mitternacht und erzählen uns unsere sehr unterschiedlichen Reiseerlebnisse. Es ist interessant zu hören, wie man die gleiche Insel auf so unterschiedliche Arten bereisen und damit auch etwas unterschiedlich wahrnehmen kann.
Im Vergleich zur spartanischen Ausrüstung von Harald komme ich mir vor, als hätte ich ein 5-Sterne-Mobil am Start
Gegen Mitternacht klettere ich dann wieder mal die Leiter zu meiner "Maggi" hinauf und genieße die frische Luft beim Einschlafen, die durch die offenen Seiten in das Dachzelt strömt.
runtastic dokumentiert wirklich jeden Schritt, daher kommen diese Hin-und-Her-Linien zu Beginn der Runde und rechts im Bild ist der nicht zielführende Flussabstecher etwas dick markiert - bin da wohl etwas hin und her gestolpert
überraschender Besuch von Harald, einem Radfahrer, der nur mit kleinem Zelt unterwegs ist: jetzt bekommt sogar der zweite Stuhl, den ich immer dabei habe, eine Berechtigung
Aufbruch: | 12.08.2019 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 08.09.2019 |
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